23. Kapitel: „Kannst du bitte da bleiben..."

23. Kapitel: „Kannst du bitte da bleiben…“

Das erste Mal seit Jahren schlotterten Sam die Knie bei dem Gedanken einen Raum zu betreten. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich, wenn auch trotzdem unwiderstehlich in diesem Outfit. Was sie jedoch wusste war, dass das hier nicht sie war. Sam war ein genügsamer Mensch, hatte nicht viele Bedürfnisse und auch bestimmt keine Eitelkeiten und das führte wohl auch zu dem Gefühl des Unbehagens. Was sie jedoch auch zugeben musste war, dass sie sich darauf freute, die Blicke der anderen die sie mittlerweile kannte, zu sehen und vor allem deren Reaktionen. Die Jungs waren in ihrer Wohnung offensichtlich begeistert gewesen und dies hatte Sam dazu gebracht sich wirklich geschmeichelt zu fühlen. So umgarnt wurde sie noch niemals in ihrem Leben und nach diesem Abend würde es wohl auch nicht mehr geschehen. Sie hatte sich selbst nämlich das Versprechen abgenommen, sich wenn dann nur für sich selbst und nicht mehr für andere zu verändern. Heute hatte sie dieses Versprechen ausgesetzt, doch ab Morgen würde das normale Leben weiter gehen. Sie hatte auf der High School die Schüler und Schülerinnen stets beobachtet und verachtet. Verachtet dafür, dass sie ihre eigene Persönlichkeit über Bord warfen, nur um den Vorstellungen der anderen Menschen zu entsprechen. So hatte sie niemals sein wollen und sie würde es auch nie.

Nach dem die Euphorie um die „neue Sam“ versiegt war, hatten die Jungs sich schnell auf den Weg nach Hause gemacht um sich selbst umzuziehen und beschlossen, dass sie sich mit Sam und Kyle in der Bar treffen würden. Die beiden saßen gerade stillschweigend nebeneinander und blickten aus dem Fenster des Taxis mit dem sie auf dem Weg in die Bar waren. Die relativ hohen Schuhe die Sam trug, hätten sie sonst mit größter Sicherheit, nicht bis in die Bar getragen. Kyle war still, schon eine ganze Weile lang und Sam fragte sich unweigerlich, was er wohl von dem Outfit hielt. Ohne nachzudenken sprach sie die Worte aus.

„Es ist doch ein wenig zu viel des Guten, oder?“ und sah dabei nach links, wo Kyle sofort aufsah und seinen Kopf dann in ihre Richtung wandte.

„Was meinst du?“ fragte er geistesabwesend, offenbar war er selber gerade sehr tief in seinen Gedanken versunken gewesen.

Sam blickte an sich hinab und strich das Kleid, welches ihr beinahe bis zum Oberschenkel hinauf gerutscht war, glatt.

„Na dieses Outfit…“ sagte sie vorsichtig und fragte sich gleichzeitig, weshalb ihr Kyles Einschätzung überhaupt wichtig war.

„Ach Quatsch, du siehst einfach fantastisch aus!“ sagte er ruhig und ließ den Blick einmal über ihren Körper gleiten. Sam war sich sicher, er wollte sie nur noch einmal richtig betrachten um auch keinen Blödsinn zu erzählen.

„Meinst du wirklich?“ fragte sie unsicher. Sie war normalerweise nicht so, doch irgendwie brachte sie dieses neue Styling dazu, neue Verhaltensweisen an den Tag zu legen.

„Ja wirklich!“ antwortete Kyle schließlich lächelnd, fügte dann jedoch hinzu „Auch wenn ich dich auch klasse finde, wenn du kein Kleid und irgendwelche High Heels oder wie die Dinger heißen, anhast!“

Sams Herz zog sich in diesem Moment ein wenig zusammen und sie war froh über Kyles Aussage, denn sie wollte so angenommen werden wie sie nun einmal war.

„Meiner Meinung nach, hättest du auch in deinen normalen Klamotten in die Bar gehen können, aber so wirst du es den Mädels mit Sicherheit zeigen!“ redete Kyle weiter.

„Mädchen?“ fragte sie gespielt verwirrt.

Kyle legte den Kopf ein wenig schief und lächelte. „Ich weiß doch warum du das hier tust. Ich kenne dich mittlerweile gut genug um zu wissen, dass du wenn du solche drastischen Maßnahmen in Anspruch nimmst, jemandem einen Arschtritt verpassen willst. Nur solltest du dich von diesen Mädchen nicht fertig machen lassen, denn die haben keine Ahnung!“

Sam war überrascht zu erfahren, dass Kyle sie mittlerweile doch so gut durchschaut hatte. Wann hatte er das denn geschafft?

„Ok, du hast Recht. Aber ich wollte das von heute Nachmittag einfach nicht so auf mir sitzen lassen! Woher nehmen sich diese Weiber überhaupt das Recht über mich zu urteilen? Mich als weniger Wert einzustufen, als sich selbst?“ fragte Sam und spürte, wie die Wut von vor einigen Stunden, langsam wieder hochkroch.

„Sei doch froh, dass die Menschen denen was an dir liegt, anders denken!“ sagte Kyle schulterzuckend.

„Ja ich weiß. Janine würde niemals so was denken, aber sie kennt mich auch! Sie weiß wie und wer ich bin! Doch die Cheerleader geben mir gar keine Chance und das nervt. Wir werden vermutlich auch mit ihnen wesentlich mehr Zeit verbringen, jetzt da die Footballsaison vorbei ist, also wie soll ich deiner Meinung nach diese Zeit überstehen, ohne dass ich mich ständig blöd anmachen lassen muss?“

„Nicht nur Janine denkt so, Sam. Wir sind mittlerweile Freunde und ich weiß auch warum ich es schaffe mit dir befreundet zu sein, während ich das mit allen anderen Mädchen vorher nicht geschafft habe. Obwohl wir uns ständig in die Haare kriegen und uns eigentlich niemals einig sind, sind wir doch irgendwie sehr gleich! Du bist zwar ziemlich kompliziert, aber wenn man sich mal die Zeit nimmt und sich damit auseinandersetzt entdeckt man jemanden, der einfach nur so ist wie er nun mal ist. Du verstellst dich nicht, tust nicht die Sachen die man von dir erwartet und setzt einfach deinen eigenen Kopf durch! Und das ist es was dich ausmacht. Und die Sache mit den Cheerleadern in den nächsten Wochen? Wir Spieler sind ja auch noch da und ich bezweifle, dass die anderen, die ja mittlerweile einen Narren an dir gefressen haben, irgendwie zulassen werden, dass dich die Mädels fertig machen!“

Kyles Worte beruhigten Sam und verursachten gleichzeitig ein leichtes Schwindelgefühl in ihrem Körper. Kyle hatte genau die Dinge als Sams Stärken ausgezeichnet die all die Menschen vor ihm oftmals als ihre Schwächen dargestellt hatten. Sie spürte die tiefe Dankbarkeit für ihn in diesem Moment und sagte

„Kyle Thompson, du bist doch eigentlich ein von Grund auf anständiger Kerl, nicht?“ und lachte dabei. Auch Kyle lachte jetzt los und antwortete „Tja schön, dass das endlich jemand bemerkt!“

Den Rest der Fahrt genossen die beiden die Ruhe, die in einigen Minuten gestört werden und wohl den ganzen Abend nicht zurück kehren würde.

Was für ein dummes Geschwätz war das denn eben gewesen? Wieso veranlasste Sam Kyle nur dazu, immer irgendwelche Schnulzigen Dinge von sich zu geben? Wenn die Jungs das alles gehört hätten, dann wäre er das Gespött der Truppe gewesen und das für mindesten zwei Wochen! Doch als Sam die nächsten Worte sprach, lösten sich diese Gedanken in Luft auf.

„Kyle Thompson, du bist doch eigentlich ein von Grund auf anständiger Kerl, nicht?“ sagte sie lachend und gab Kyle damit ein seltsam befreiendes Gefühl. „Tja schön, dass das endlich jemand  bemerkt!“ erwiderte er und sah dann nach einigen Sekunden wieder aus dem Fenster. Wie leicht es war seine Zeit mit Sam zu verbringen, wusste er ja mittlerweile. Wie leicht es jedoch war in Sam tatsächlich eine Frau zu sehen und keine Schwester, so wie er es sich bisher hatte einreden wollen, das war neu für ihn und schockierte ihn auf eine Art und Weise, die er nicht in Worte fassen konnte. Was war nur los mit ihm? Er hatte schon wesentlich heißere Frauen gesehen und das einzige was er sich gewünscht hatte war, sie auszuziehen und in sein Bett zu locken. Als er jedoch heute Abend Sam erblickt hatte, war sein einziger Wunsch gewesen, sie ins Schlafzimmer zu bringen und sie dazu zu zwingen, ihre alten gewohnten Klamotten wieder anzuziehen. Nicht weil ihm das was er sah nicht gefiel, in keinster Weise, sondern weil er Simmons hungrigen Blick, Goalies bewundernden und Dannys begehrenden Blick gesehen hatte. Er konnte nur erahnen, wie es in der Bar dann werden würde und ihm war dies ein Dorn im Auge. Sam sollte wieder so unscheinbar sein wie vorher und nur auf diese Art und Weise, die Aufmerksamkeit erregen. Eine Aufmerksamkeit, die absolut nichts mit sexuellen Fantasien zu tun hatte, sondern eher einen Beschützerinstinkt hervorrief und einen dazu veranlassste, mit Sam ein Fußballspiel ansehen zu wollen.

„15$ Bitte!“ sagte der Taxifahrer als er schließlich Halt vor der Bar machte und durchschnitt so die Stille. Sam hielt ihm gerade die fünfzehn Mäuse hin, als Kyle seine Hand auf die ihre legte und sie dann wegschob. Er reichte dem Taxifahrer siebzehn und sagte „Stimmt so!“ dann sah er zu Sam hinüber und meinte „Du kannst es nicht lassen, oder?“

Sie zuckte mit den Schultern und antwortete „Naja, es ist ja nicht deine Aufgabe mich ständig einzuladen, oder?“

„Du wirst schon sehen, die erste Runde geht auf mich!“ und dann lachte er, als er sah wie Sam gerade protestieren wollte. Er hielt seine Hand nach oben und signalisierte ihr so sie solle einfach still sein, fügte dann hinzu „Keine Widerrede!“ und stieg aus. Sam öffnete die Tür und setzte ihre Beine draußen auf den Boden. Sie war es nicht gewohnt mit einem Kleid irgendwo auszusteigen oder sich überhaupt in einem zu bewegen und so zupfte sie, als sie schließlich draußen stand und die Tür zugeschlagen hatte, erneut an ihm rum und zerrte es nach unten, damit es wieder so wie gedacht knapp über dem Knie endete.

Kyle hatte sich für eine schlichte hellblaue Jeans und ein weißes, kurzärmliges Hemd entschieden. Als er bei Sam ankam und sah, wie sie an sich herumzerrte, legte er ihr seine Hand auf ihren Rücken. „Jetzt komm schon, du siehst toll aus, also hör auf an dir herumzuzerren. Das macht das Bild irgendwie kaputt!“ sagte er verschmitzt und führte sie dann standhaft in die Bar, wo bereits ein großer Teil der Mannschaft und der Cheerleader (und natürlich einige andere, die weder Kyle noch Sam kannten) ordentlich feierten. Kyle erblickte den Coach und war froh darüber, dass er dabei war. Mit dem Coach konnte man noch am besten einen Sieg begießen.

Kyle führte Sam durch die Menschenmenge an den üblichen Stammplatz der Mannschaft, wo sich bereits um die 35 Menschen, dicht aneinandergedrängt, zulaufen ließen.

„Hey Leute!“ sagte Kyle und wunderte sich darüber, dass sie ihn trotz der lauten Musik und dem Gerede der Barbesucher, gehört hatten. Ihre Blicke richteten sich auf ihn, blieben jedoch nicht lange an ihm haften, denn kollektiv wanderten die Blicke zu der neu entstandenen Schönheit an seiner Seite.

„Hallo!“ sagte Sam lächelnd. Für jemanden der sie nicht kannte, würde diese Begrüßung freundlich klingen, doch Kyle wusste genau, dass Sam gerade aufgeregt war wie noch mal was. Auf diese Konfrontation hatte sie gewartet und jetzt war sie da.

Alle starrten lediglich und Kyle wurde bewusst, dass er die Stimmung irgendwie auflockern musste. „Ich hab gedacht, ich leihe Sam mal mein kleines rotes Kleid, ich hatte das Gefühl, dass sie darin vielleicht besser aussehen könnte als ich!“ sagte er und hob seinen rechten Arm um sich am Hinterkopf zu kratzen. Was Besseres war ihm nicht eingefallen, doch es hatte ausgereicht um das Eis zu brechen.

„Sam du siehst ja echt super aus!“ sagten die Spieler beinahe im Chor, während die Mädchen über Kyles dummen Scherz lachten, um sich höchstwahrscheinlich bei ihm einzuschleimen und Punkte zu erzielen. Was Kyle jedoch am meisten freute waren die bewundernden jedoch auch eifersüchtigen Blicke der Cheerleader. Die einen wollten Sam wahrscheinlich am liebsten gerade aufspießen, doch andere Mädels hingegen gingen auf sie zu und meinten „Was für ein geiles Kleid! Wo hast du das her?“ Sam lächelte und meinte „Hat mir eine Freundin geliehen!“

Ab diesem Zeitpunkt war die Stimmung gelöster denn je und alle feierten gemeinsam den grandiosen Sieg. Sie stießen auf die bereits hinter sich gebrachten und die zukünftigen Spiele an, tanzten ausgelassen und tranken was das Zeug hielt.

Kyle und Sam setzten sich irgendwann nebeneinander auf die Bank, die im Grunde genommen eigentlich schon voll war, doch Sam hatte zu Martin und den anderen gewollt, also hatten sie wohl oder übel ein wenig zusammenrutschen müssen. Die Bedienung kam an den Tisch um die neuesten Bestellungen entgegen zu nehmen. Ein Mädchen nach dem anderen bestellte einen Cosmo oder andere Dinge, die Kyle nicht mal aussprechen konnte, die Jungs bestellten natürlich Bier, wie sich das für einen Mann so gehörte.

„Ein Bier bitte!“ sagte Sam höflich.

„Bier? Wie kannst du das nur trinken? Das ist bitter und hinterlässt immer einen absolut ekelhaften Geschmack im Mund!“ sagte Beth, die einige Plätze weiter saß.

„Keine Ahnung, ich trinke meistens Bier oder Rotwein. Aber Bier ist mir in einer Bar lieber. Das süße Zeug vertrage ich nicht.“ Sagte Sam beiläufig und Kyle sah genau einige bewundernde Blicke der Männer, die sich wohl genauso wie er sich beim ersten Mal auch, dachten dass es solche Frauen wohl nicht allzu oft gab. Desto ausgeflippter der Name, desto süßer und angesagter war der Drink und desto mehr Frauen waren scharf auf ihn. Alle unterhielten sich mit jedem, Witze wurden erzählt und Anekdoten ausgetauscht. Als es ein wenig zu eng wurde, wollte Kyle sich ein wenig ablenken und so beugte er sich zu Sam hinüber, die gerade mit Johnson über irgendwas diskutierte und flüsterte ihr ins Ohr „Hast du Lust zu darten?“ Sam sah lächelnd zu ihm hinüber und nickte lediglich, was dazu führte, dass eine ihrer Locken ihr ins Gesicht fiel.

„Ok dann los geht’s!“ sagte Kyle und versuchte das Gefühl welches sich in ihm breit machte, zu ignorieren. Johnson stand auf, um die beiden raus zu lassen und sie gingen gemeinsam zu der Dartscheibe, die im hinteren Teil der Kneipe hing.

„Aber nicht weinen, wenn du verlierst, ok?“ sagte Kyle und schnappte sich drei Dartpfeile, die er dann Sam reichte. Anschließend nahm er sich selbst noch welche und sagte „Du darfst anfangen!“

„Ok!“ sagte Sam und tat dabei ganz unschuldig, als sie jedoch die ersten drei Pfeile abfeuerte, hatte sie bereits knapp 80 Punkte erreicht.  Sie zuckte mit den Schultern und meinte nur „Hach, wahrscheinlich hatte ich Glück!“ als sie Kyles Blick sah, doch Kyle beschlich das Gefühl, dass er sie mal wieder falsch eingeschätzt hatte. Und natürlich hatte er das, denn sieben Runden später, hatte Sam ihn abgezockt und zwar Haushoch. Er selber hatte noch über hundert Punkte auf seinem Konto.

„Der Verlierer zahlt die nächste Runde oder?“ sagte Sam lachend. Ach jetzt auf einmal wollte sie also, dass Kyle sie einlud?

„Ich hab die erste und zweite doch auch schon gezahlt!“ sagte er gespielt empört und ging dann auf die Bar zu, wo er erneut zwei Bier bestellte. Als er zurück kam, reichte er wie selbstverständlich Sam das zweite Bier. Beim zweiten Dartspiel, hatte Sam ein paar Schwierigkeiten und brauchte zwei Runden mehr, aber abgezockt hatte sie ihn dennoch schon wieder. Die anderen Spieler waren auf das Match aufmerksam geworden und einige kamen zu ihnen in den hinteren Teil, um ihnen zuzusehen und vor allem um Kyle auszulachen.

„Dann probier du es doch Simmons, wenn du schon so ein großes Maul hast!“ sagte er lachend und reichte seinem Kumpel die Pfeile. Doch Simmons hatte keine Chance und so erhielt Sam auch ihren vierten Drink gratis, diesmal von Simmons spendiert. Einige weitere Jungs probierten es, verloren jedoch ohne auch nur den Hauch einer Chance. Nachdem Sam ihr fünftes Bier geleert hatte, entschuldigte sie sich und ging zu den Toiletten. Er sah, wie einige der Blicke der männlichen Barbesucher ihr folgten und stellte so für sich fest, dass sie wohl im Allgemeinen Aufsehen erregte heute Abend. Als Sam jedoch auch nach ein paar weiteren Minuten nicht von der Toilette zurück kehrte bekam Kyle ein ungutes Gefühl und ging ihr nach. Als er im, etwas ruhigeren Gang, ankam entdeckte er Sam, wie sie von einem wildfremden Typen an die Wand gepresst wurde. Irgendwas regte sich in Kyle doch diesesmal war es eher Zorn. Was wollte dieser Lackaffe von ihr?

„Komm schon, jetzt stell dich doch nicht so an Süße!“ sagte er mit seiner schmierigen Stimme und seiner Hand unter ihrem Kleid.

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Sam machte sich auf den Weg zu den Toiletten und entdeckte eine Gruppe von Männern an einem der Stehtische, die sie betrachteten. Weil sie nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte lächelte sie sie einfach nur an und ging weiter. Als sie fertig war stellte sie sich vor den Spiegel im Waschraum und während sie sich die Hände wusch, betrachtete sie sich darin. Janine hatte heute Abend wirklich ein Meisterwerk vollbracht, das musste Sam wirklich zugeben. Ihre Augen erstrahlten richtig, ihre Haare sahen fantastisch aus. Janine hatte für solche Dinge schon immer ein Händchen gehabt. Sie stellte das Wasser ab und nahm sich die Papiertücher um sich abzutrocknen. Dabei gerieten ihre Gedanken zu Kyle, den sie gleich zweimal abgezockt hatte. Als er ihr ins Ohr geflüstert hatte, hatte sie seinen Atem an der Wange gespürt und ihr Herzschlag hatte sich ein wenig beschleunigt, was wahrscheinlich daran lag, dass sie so was nicht gewöhnt war. Sie schmiss die Papiertücher in die Mülltonne und ging wieder nach draußen. Der Geruch von Alkohol und Parfüm stieg ihr sofort in die Nase und langsam machte sie sich auf den Rückweg. Plötzlich jedoch packte sie jemand von hinten und drückte sie an die Wand und sie entdeckte den Typen von vorhin, der am Tisch gestanden war.

„Entschuldigung? Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“ fragte Sam höflich, obwohl sie ein ungutes Gefühl hatte.

„Ja Süße, das kannst du indem du zurück in den Waschraum gehst und für mich erst mal dein Kleid loswirst!“ sagte er und schien sich dabei äußerst anziehend vorzukommen. Was für ihn eine Traumvorstellung war, widerte Sam lediglich an und sie sagte

„Nein Danke!“ als sie gerade losgehen wollte, packte er sie erneut und drückte sie an die Wand, hielt sie jedoch diesesmal mit seinem eigenen Körper dagegen gepresst. Sie roch in seinem Atem den Alkohol und die Zigaretten die er konsumiert hatte und ihr wurde übel. Doch noch etwas anderes verursachte ihr Übelkeit, nämlich die Erinnerung. Eine Erinnerung die sie am liebsten für immer aus ihrem Kopf verbannt hätte. Ihr Körper war mit einem Mal starr vor Angst und sie sah die Geschehnisse von vor sechs Jahren vor ihrem inneren Auge. Sie spürte die Hand des Widerlings vor ihr an ihrem nackten Bein und wie sie langsam nach oben strich, konnte sich jedoch immer noch nicht rühren sondern stand lediglich mit aufgerissenen Augen da.

„Komm schon, jetzt stell dich nicht so an Süße!“ sagte der ekelhafte Kerl vor ihr doch fünf Sekunden später war er verschwunden und Kyle lag auf ihm, während er ihm immer und immer wieder einen Schlag verpasste. Irgendeiner der Spieler musste offenbar aufmerksam darauf geworden sein, denn plötzlich stürmten mehrere nach hinten und zogen Kyle von dem Mann herunter, ansonsten hätte er ihn womöglich noch tot geprügelt. Sam hingegen konnte sich immer noch nicht bewegen und hielt sich stattdessen jetzt die Arme vor den Körper.

„Alter was geht mit dir ab? Was ist passiert?“ sagte Simmons der seinen Kumpel zurück hielt, auf den am Boden liegenden Mann loszugehen.

„Lass mich los, dieser Wichser wollte…“ doch Kyle beendete seinen Satz nicht, sondern sah kurz zu Sam hinüber, die vollkommen verstört zu sein schien.

„Mann, lass mich los!“ schrie Kyle jetzt regelrecht, doch Simmons gab nicht nach. Martin ging zu dem Mann der auf dem Boden lag und zerrte ihn nach oben. Er sah Kyle vollkommen schockiert an und meinte dann „Du bist ja krank Alter!“ bei diesen Worten, riss sich Kyle los, doch Goalie und Danny konnten ihn gerade noch aufhalten, bevor der Mann erneut einen Schlag kassierte.

„Du verschwindest hier jetzt lieber!“ sagte Martin an ihn gerichtet, da er offenbar genau verstanden hatte, was geschehen war. „Los!“ schrie er ihn jetzt an und der Widerling machte sich aus dem Staub, doch nicht ohne Sam noch einmal zuzuzwinkern und „Vielleicht beim nächsten Mal!“ zu flüstern. Sam überkam ein Gefühl der Übelkeit und sie schlug sich die Hand vor den Mund. Endlich schaffte sie es, die Macht über ihren Körper zurück zu erlangen und stürmte in den Waschraum.

„Jetzt lasst mich endlich los verdammt. Der Typ ist schon weg!“ beschwerte sich Kyle, der sich langsam wieder beruhigt hatte. Seine Freunde erkannten wohl, dass er Recht hatte und erfüllten ihm endlich den Wunsch.

„Was zum Teufel ist passiert?“ fragte Goalie ihn erneut und Kyle drehte sich zu ihnen um. Er sah blass aus und strich sich nervös mit der rechten Hand, die Wunden von dem Zusammenstoß aufwiesen, durch die Haare.

„Der Kerl hat sich an Sam rangemacht…“ erklärte er als würde das alles erklären. Die anderen jedoch sahen sich gegenseitig an und Danny fragte schließlich „Und?“

„Alter sie wollte es nicht, er hätte was weiß ich was mit ihr gemacht, wenn ich nicht gekommen wäre! Fuck, wo ist sie überhaupt?“ Kyles Hände zitterten bei dem Gedanken an das was hätte passieren können und er fragte sich, warum Sam sich nicht gewehrt hatte. Nervös blickte er hin und her. Sie hätte den Typen schneller platt gemacht, als Kyle es gekonnt hätte, also was zum Teufel war geschehen?

„Er hat was??“ fragten die anderen gleichzeitig und sahen sich um, doch der Kerl war bereits längst verschwunden.

„Ihr hättet mich ihn einfach umbringen lassen sollen…“ schimpfte Kyle und fragte dann erneut „Wo zum Teufel steckt Sam??“

„Sie ist im Waschraum!“ sagte Martin und schien vollkommen unbeteiligt. Doch dem war nicht so, er sah lediglich ein, dass in dieser Situation niemand von den Jungs helfen konnte. Niemand außer Kyle selbst. Martin war durchaus bewusst, dass zwischen den beiden ein ganz andres Ding lief, als zwischen dem Rest der Jungs und Sam, nur bezweifelte er dass die beiden das wussten. „Geh und sieh nach ihr und bring sie dann am besten nach Hause. Sie sah nicht gut aus!“ fügte er dann hinzu und führte nach einigem guten Zureden und weiteren Minuten, die restlichen Jungs zurück in die Bar und ließ Kyle alleine vor dem Waschraum zurück.

Kyles Hände zitterten immer noch, auch nachdem die Jungs verschwunden waren und ihn alleine im Gang zurück gelassen hatten. Er hatte das Bild vor Augen, wie Sam mit angstgeweiteten Augen an die Wand gepresst dagestanden war, an die Hand dieses Wixers, die ihren Oberschenkel entlang nach oben gefahren war und die Wut überkam ihn erneut! Er stand vor der Tür zum Waschraum und versuchte sich zusammen zu reißen, dann öffnete er die Tür langsam und ging hinein. Er fand Sam in einer der Toilettenkabinen. Sie saß einfach nur da und starrte gerade aus, sie schien wie in Trance.

„Sam?“ fragte Kyle vorsichtig und öffnete die Tür ein kleines Stück weiter. Ihr Blick schoss in seine Richtung, erschrocken, doch als sie verstand wer da vor ihr stand, klärte er sich ein wenig.

„Ach du bist es…“ sagte sie, doch sie klang diesesmal tatsächlich schwach und zerbrechlich und Kyle fragte sich, was nur los mit ihr gewesen war.

„Alles klar bei dir?“ fragte er und betrat die Kabine, dann ging er anschließend vor ihr in die Hocke und nahm ihre Hand in die seine. Zuerst zuckte sie kurz, doch dann ließ sie es zu.

„Ich konnte mich einfach nicht bewegen…“ murmelte sie lediglich und starrte nach vorne. Kyles Brust zog sich zusammen und er wollte sich am liebsten in den Arsch treten dafür, dass er nicht schon vorher gekommen war.

„Es ist ja jetzt vorbei!“ sagte er so ruhig wie möglich. Sam sah ihn nicht an, starrte lediglich. Kyle führte seine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf ein wenig an, damit sie ihn endlich ansah.

„Komm ich bring dich nach Hause!“ Sam sagte nichts darauf, nickte lediglich und ließ sich dann von Kyle nach oben ziehen. Er ließ sie nicht los, hatte ihre Hand immer noch in der seinen. Er führte sie nach draußen und dann zum Hintereingang. Als sie in die kühle jedoch angenehme Abendluft traten, schwiegen beide. Kyle wusste gar nicht, was er hätte sagen können um Sam aufzumuntern. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und rief ein Taxi, welches einige Minuten später auch schon erschien. Er half Sam beim einsteigen und setzte sich direkt neben sie und erst da spürte er, dass sie zitterte. Ohne darüber nachzudenken, nahm er sie in seine Arme und drückte sie an sich, während der Taxifahrer stumm zu ihrer Wohnung fuhr.

Als sie schließlich vor Sams Wohnung ankamen, schloss sie die Tür auf und merkte, dass sie immer noch Kyles Hand fest in der ihren hatte.

Wieso hatte sie sich nicht gewehrt? Sie war wie zu Eis gefroren, hatte sich nicht bewegen können, sich nicht wehren können. Kyle hatte sie gerettet und zwar tatsächlich, denn sie hatte schon eine Ahnung worauf dies hinaus gelaufen wäre. Einzig und alleine Kyles Nähe in diesem Moment hielt sie davon ab zusammen zu brechen. Sie war so dumm gewesen! Eng an ihn geschmiegt saß sie im Taxi und atmete tief ein und aus und jedes Mal sog sie Kyles Geruch ein, der eine beruhigende Wirkung auf sie hatte. Sie lag an seiner Brust und lauschte seinem Herzschlag und versuchte an nichts anderes mehr zu denken, als daran. Kyle würde ihr nichts tun, niemals würde er das, er war ihr Freund und mittlerweile Retter und Stützpfeiler, alles zugleich. Sie merkte kaum, wie sie aus dem Taxi ausstiegen, wie er sie nach oben führte, oder wie sie die Tür aufschloss. Erst als sie in der offenen Tür stand bemerkte sie, dass sie Kyles Hand immer noch fest umklammert hatte. Sie hatte Angst davor alleine zu bleiben, in ihrer Wohnung zu sitzen und bei den Erinnerungen an jetzt und an damals zusammenzubrechen. Sie blickte auf die ineinander verschlossenen Hände und dann zu Kyle hinauf. Der verstand auch ohne, dass sie etwas sagen musste und betrat mit ihr die dunkle, leere Wohnung. Im Gang legte sie ihren Schlüssel auf die Kommode und drehte sich dann zu ihm um.

„Dankeschön Kyle, wirklich. Ohne dich…“ sie brach ab, wusste nicht was sie sagen sollte und so trat Kyle einen Schritt auf sie zu und zog sie an sich.

„Ich werde immer da sein!“ sagte er beruhigend und sie schloss die Augen. Wie lange sie so in dem dunklen Gang standen wusste keiner doch Sam wollte keinesfalls alleine bleiben.

„Kannst du bitte da bleiben?“ fragte sie ihn, es war nur ein nuscheln da sie immer noch an seine Brust gepresst wurde, doch er verstand sofort.

„Natürlich!“ sagte er lediglich und so kam es, dass Kyle das erste Mal Sams Schlafzimmer betrat wo er die ganze Nacht neben ihr lag und ihr beim schlafen zusah und Gott tausendfach dankte, dass er rechtzeitig gekommen war.  

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