27 - Du hast uns zerstört

[Louis]

Das erste, was ich sah, waren die grünen Augen, die mich anstarrten. Die gruseligen, grünen Augen, die noch vor ein paar Wochen in London vor meiner Wohnung waren, doch das Mädchen trug dieses Mal keine Maske und ich konnte ihr ganzes Gesicht sehen.
Sie war hier.
Meine Stalkerin war in meiner Wohnung in Chicago.

"Was willst du hier?" fragte ich sie leise und versuchte möglichst ruhig zu klingen.
Ihr Blick war eine Mischung aus fasziniert und wütend, was mich erschaudern ließ. Sie wirkte auf mich gleichzeitig ruhig und aufgewühlt, ich konnte es nicht benennen.
"Ich wollte mit dir reden." sprach sie ebenso leise wie ich.
"Über was denn?"
Mein Puls stieg und mein Blick glitt auf die Arbeitsplatte, wo mein Handy lag. Ich musste unbedingt Harry anrufen. Nein, ich musste Paul anrufen. Harry war weit weg in England. Zwischen uns der ganze Ozean.
Es dauerte nur eine Sekunde, dann setzte ich mich in Bewegung.
Doch die Sekunde war zu lang. Das Mädchen sprang nach vorn, griff nach meinem Handy und feuerte es mit voller Kraft gegen die Wand.
Ich brauchte nicht zu prüfen, ob es kaputt war. Das war es definitiv.

Ich ging einen Schritt zurück und sah sie an, Angst kroch in mir hoch, denn sie wirkte unheimlich wütend und bedrohlich.
Sie schnaubte, sah wieder zu mir und Tränen liefen ihre Wangen hinab. Ihr Gesicht war wutverzerrt und voller Schmerz.
"Ich wollte das nicht kaputt machen, Louis. Entschuldige bitte. Ich kaufe dir ein Neues. Aber du wolltest doch ihn anrufen, oder?" fragte sie mit weinerlicher, mädchenhafter Stimme.

"W-Wen denn?" Meine Stimme war zittrig geworden und ich hasste mich dafür.
Sie kam mir näher und ich ging automatisch einen Schritt zurück, prallte mit dem Rücken gegen den Hochschrank der Küche hinter mir.
Sie musterte mich, ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. Ihre Bewegungen waren langsam und kontrolliert.
"Na, Harry." antwortete sie mir. "Deinen Bodyguard." Bei dem Wort gestikulierte sie mit ihren Fingern Gänsefüßchen und ihre Stimme war abfällig.
Ich nickte. "Das stimmt."
Irgendwie hatte ich die Hoffnung, dass ich mit Ehrlichkeit weiter kommen würde. Dass ich sie vielleicht irgendwie beruhigen konnte.

"Warum?!" schrie sie plötzlich, ließ mich heftig zusammen zucken. Okay, Ehrlichkeit und Ruhe hatte nichts gebracht.
Das Einzige, was ich bewegt hatte, war, dass da wieder die Wut in ihrem Blick war.
"Du hast mich so schlecht behandelt! Ich hab dich doch extra besucht in London!" rief sie mit bebender Stimme. "Du wolltest nicht mal mit mir reden! Und jetzt?? Jetzt hast du diesen Harry auch noch! Was ist mit mir?!"
Sie war lauter geworden, schrie nun hysterisch und schluchzte auf.
"Du wirfst einfach alles weg!"

"Ich...w-was werfe ich denn weg? Ich kenne dich doch nicht einmal." warf ich ein und ich wusste nicht wieso, doch ich wollte sie auf keinen Fall noch wütender machen.
Inmitten der Situation überlegte ich, wie ich sie überwältigen könnte. Sie war eher zierlich gebaut, soweit ich dies unter der schwarzen Winterjacke erkennen konnte. Doch sie war schnell und in ihrer Wut war sie vermutlich stärker, als sie es eigentlich war. Ich hatte noch dazu absolut keine Ahnung, ob sie bewaffnet war. Ich wurde blass. Was, wenn sie eine Waffe hatte?

"Uns! Du hattest Sex mit diesem Typen! Es hat doch jeder gesehen! Das Video! Wie konntest du mir das nur antun? Du hast mich zerstört! Du hast UNS zerstört!"

Ich riss die Augen auf, war fassungslos über das, was sie redete und schüttelte den Kopf.
"Wie heißt du?" fragte ich sie.
Sie kniff die Augen zusammen und fasste sich an ihr Herz, ehe sie mich wieder anstarrte und schnaubte.
"Du bist so ignorant." sagte sie nun leiser, schüttelte den Kopf.
"Ich war bei dir und du wolltest mich nicht einmal rein lassen. War er da gerade bei dir?" fragte sie mich und ich schüttelte den Kopf. "Nein."
"HÖR AUF MICH ZU BELÜGEN!" schrie sie wieder und trat wie ein trotziges Kind auf den Boden, dann sah sie sich in der Wohnung um, wurde wieder ruhiger.

"Es ist so viel schöner hier als in London. Aber nicht so einfach rein zu kommen. London war einfacher. Die Kamera's. Die waren so einfach zu verstecken, Louis. Du bist wirklich ein Messi."

Oh mein Gott. Es war sie gewesen. Sie war bei mir eingebrochen. Sie hatte mich die ganze Zeit gefilmt. Wie lange hatte sie das getan?
"Du warst das?" fragte ich leise. "Du hast die Videos auch veröffentlicht?"
Sie sah mich wieder an.
"Selbstverständlich. Louis, irgendjemand musste es doch tun. Die Leute müssen doch wissen, dass du mich betrügst. Sie müssen doch wissen, dass du Drogen nimmst. So viele Drogen. Ist es deshalb? Bist du deshalb mit diesem Mann in Verbindung?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein."

"Man findet gar nichts über ihn online. Es gibt keine Informationen für einen Background Check. Er könnte verrückt sein weißt du?" sprach sie und wirkte beinahe besorgt.
Sie war eindeutig völlig verrückt. Ihre grünen Augen waren weit aufgerissen und sie funkelten gefährlich. Versuchte sie mir gerade zu erklären, dass Harry vielleicht verrückt war?
Sie, diejenige die in meiner Wohnung stand und mich anbrüllte, weil ich sie angeblich betrog? Die mein Handy zerstört hatte, weil ich es angesehen hatte? 
Die Situation war so surreal, dass ich keine Ahnung hatte, was ich tun sollte. Scheiße, wo war Paul, wenn man ihn brauchte.
Ich hatte ihn weggeschickt, hatte ihm gesagt, dass Niall kommen würde. Das hier war meine Schuld. Harry würde mich einen Kopf kürzer machen, wenn er zurück war. Er würde mich umbringen.

Niall! Er würde hier bald auftauchen. Wenn ich den Aufzug schnell genug erreichte, konnte ich ihm sagen, dass er Hilfe holen sollte. In meinem Kopf reifte ein Plan heran.
Ich versuchte abzuschätzen, wie viele Meter es von der Küche bis zum Aufzug waren. Vielleicht zehn, fünfzehn Meter. Nicht viel.
Das Mädchen vor mir beobachtete mich und mein Blick huschte zum Aufzug.
Sie registrierte es sofort, griff blitzschnell zu dem Messerblock auf der Kochinsel und zog eines davon heraus.
Das schneidende Geräusch, mit dem die Klinge aus dem Block glitt, fuhr mir durch den ganzen Körper und meine Atmung verschnellerte sich.

Sie war jetzt nicht mehr nur eine Verrückte. Sie war eine Verrückte mit einem Messer.
Außerdem schien sie schlau zu sein, noch dazu blitzschnell.
Innerlich sendete ich ein Stoßgebet gen Himmel, dass Paul hier jede Sekunde hereinkommen würde. Oder Harry. Bitte, einfach nur Harry.
Zayn wäre für mich auch okay. Irgendjemand von meinem Sicherheitsteam musste doch kommen, oder nicht?
Meine Augen wurden gefährlich feucht und ich blinzelte die Tränen weg, so gut es ging, atmete tief durch. Ich hatte eine scheiß Angst. Und ich realisierte eine Sache: Ich war vollkommen allein mit ihr. Es würde niemand kommen. Weder Paul noch Zayn würden hier überraschend auftauchen, Harry sowieso nicht, der würde hier erst in zwölf Stunden auftauchen. Zwölf lange Stunden. Oh mein Gott.

"Hörst du mir überhaupt zu?!" Ihre Stimme durchbrach meine Gedanken und ich nickte sofort.
Sie umklammerte den Griff des Messers so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden.
"Lüg mich nicht an! Du bist ein mieser Typ, Louis. Ich hätte nie gedacht, dass du mich so behandeln würdest!"
"Ich...wir kennen uns nicht. Ich habe keine Ahnung, wer du bist." sagte ich noch einmal und versuchte, möglichst ruhig zu klingen. Es fiel mir schwer und ich war mir sicher, dass es mir auch nicht sonderlich gut gelang. Ihr Blick zeigte mir das sehr deutlich und ich schluckte.

Bevor sie etwas sagen konnte, klingelte es.
Wir zuckten beide zusammen und ich sah zum Aufzug.
"Ich bringe dich um, wenn du dich bewegst. Ich schwöre dir, ich tue es!" warnte sie mich und ihre Augen formten sich zu Schlitzen. Ich glaubte ihr sofort, es bestand nicht die geringste Chance, dass sie log. Sie war absolut manisch in ihrem Verhalten.
Mein Puls begann zu rasen. Ich hatte doch nur diese eine Chance, ich hatte diesen Moment. Niall stand da unten und wartete auf mich. Es war jemand da, der auf mich wartete. Nur eine Entscheidung, ich musste schnell sein, doch wenn ich den Türöffner erreichte, dann hatte ich eine verdammte Chance.

Mein Handy war kaputt, ein Haustelefon gab es nicht. Ich musste einfach irgendetwas tun!
Mit einem Mal setzte sich mein Körper wie von selbst in Bewegung. Ich rannte zum Aufzug, hörte ihre Schritte hinter mir und als ich gerade noch so mit den Fingerspitzen den Knopf berühren konnte, spürte ich es plötzlich.
Ich konnte die Klinge spüren, die sich den Weg durch meine Schulter bohrte.
Ich schrie gequält von dem plötzlich einsetzenden Schmerz auf und stolperte, fiel nach vorn und schlug mit dem Kopf gegen die Wand.
Und dann wurde plötzlich alles schwarz.

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