12 - Avocados

[Louis]

Harry hatte mich in einen Wagen bugsiert, Widerworte waren zwecklos gewesen.
So konnte ich auf keinen Fall zu einem Interview gehen. Verdammte Scheiße.
Ich rief auf meinem Handy Lindsay ein, sie war meine PR Managerin und hielt sich meist im Hintergrund, solange keine Promo Termine anstanden.
„Hi, Lou! Wo bist du?" meldete sie sich, fröhlich wie immer.
„Auf dem Weg. Hör mal, ich kann das Interview nicht machen."
„Was? Warum?" Ihre Stimme ging direkt zwei Oktaven höher.
„Ich..." Ich stockte und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich blickte zu Harry, der aus dem Fenster sah und nachdenklich wirkte.
„Ja?" hakte Lindsay nach.
„Ich hab gekokst." sagte ich leise.

Harry's Blick schoss sofort zu mir. Seine Miene war unergründlich, doch ich konnte förmlich spüren, wie seine Enttäuschung durch mich hindurch kroch. Mir wurde leicht übel und ich sah ihn nicht an.

„Gekokst?! Vor einem Interview?" rief Lindsay in das Telefon und ich hielt es ein bisschen weg von meinem Ohr und verzog das Gesicht.
„Können wir absagen?"
„Absagen. Absagen! Ha! Louis, das ist live! Das kann nicht abgesagt werden!"

Fuck.

„Komm erstmal her." sagte sie seufzend. „Wir kriegen das irgendwie hin."
Ich nickte, auch wenn sie es nicht sah, und legte dann auf.
Ich sah aus dem Fenster und redete mir ein, dass alles gut gehen würde.

„Koks also wieder?" kam es leise von Harry und ich nickte.
„Was ist da drin mit Blake passiert, Louis?"
„Er hat gesagt ich seh aus wie ein Opfer." antwortete ich ihm ehrlich.
„Ernsthaft oder im Spaß?" fragte Harry nach.
„Bin ich mir nicht sicher." murmelte ich.
Harry nickte einfach nur.
„Ich bin am Arsch, Harry." murmelte ich wieder, diesmal noch leiser.
Er atmete neben mir tief durch, dann schüttelte er den Kopf.

„Hast du online mal die Kommentare und Videos zu gestern angesehen?"
„Nein." Das konnte ich nicht, ich ahnte was da stehen würde.
„Nun, ich schon."
„Du hast Tiktok? Du?" Ich war überrascht und sah ihn an.
Er lachte leise. „Ich muss mich ja schließlich informieren. Es geht nur um deine Sicherheit."
„Aha. Alles klar." gab ich zurück.
Harry Styles, immer schön professionell.

„Jedenfalls haben deine Fans tausende von Videos gemacht, in denen sie dir danken, dass du es für sie gesungen hast."
Ich sah ihn nun überrascht an. Er lächelte mich aufmunternd an.
„Sie zeigen dir online wie sehr sie dich lieben. Dass sie sich Sorgen machen und sie stolz sind. Es gibt da wohl einen Hashtag..."
Ich schnappte mir sofort mein Handy und öffnete Twitter.
Und da war er.

#WeWillStayForever

Ich schluckte und sah mir die Tweets durch. Durchweg Bekundungen ihrer Treue und Liebe für mich.
Mir standen Tränen in den Augen.
„Sie sind stolz auf dich, Lou."
Ich sah aus dem Fenster und lehnte meine Stirn an die Fensterscheibe, steckte das Handy zurück in die Hosentasche und seufzte leise.
Ohne meine Fans wäre ich vermutlich bereits untergegangen, das wusste ich.
Ich hatte keinen Support von irgendwo her, niemanden der mir immer wieder unermüdlich sagte, dass er mich liebte und mich unterstützte. Wie konnte ich ihnen jemals danken?
Woher sollten sie wissen, dass sie mich immer wieder aufbauten und mich zum Weitermachen antrieben?

Meine Gedanken trieben ab in die Erinnerungen und ich kniff die Augen einen Moment zusammen.
Und plötzlich spürte ich Harry's Hand, die sich um meine schloss.
„Lou, ich weiß du bist sehr verschlossen, aber wenn du mal reden willst, ich höre dir zu." sprach er leise.
Ich sah ihn an, doch mir fehlten die Worte.
Schweigen war besser und ich war zu zugedröhnt, um darauf aufzupassen, was ich ihm erzählte.
Also schüttelte ich den Kopf, entzog ihm die Hand und sah wieder aus dem Fenster.

***

„Louis, mein Gott wie siehst du aus?!" rief Lindsay geschockt aus, als ich zu ihr in einen der Meetingräume des Fernsehsenders kam.
Meine PR Managerin war eine kräftig gebaute Frau in ihren Vierzigern, mit kurzen leuchtend roten Haaren. Ihre Augen waren braun und sie war immer stark geschminkt, trug die buntesten Klamotten die ich mir vorstellen konnte. Dazu hatte sie immer die beste Laune der Welt.
Ich mochte sie sehr. Sie war eine Person in meinem Team, der ich zumindest teilweise vertraute und ihr hatte ich auch Dinge anvertraut, die ich sonst niemandem sagte.
Das hatte ich getan, weil ich wollte dass sie mich vor Interviewfragen, die zu tief in meine Vergangenheit gingen, schützte.

„Sorry..." murmelte ich und ließ mich von ihr umarmen.
„Ich weiß nicht, ob die Maske das hinkriegt, Louis kannst du mir versprechen, dass du versucht dich zusammenzureißen?"
Ich nickte. „Versprochen."
„Gut" sagte sie nickend und blickte dann zu Harry, der an der Tür stand.
„Du musst Harry sein. Zayn hat bereits von dir erzählt. Schön, dich kennenzulernen!" sagte sie freundlich und hielt ihm die Hand hin.
Harry ging auf sie zu und schüttelte ihre Hand, schenkte ihr ein äußerst charmantes Lächeln, was sie augenscheinlich sofort verzauberte.

Sie strahlte ihn an und dann sah sie wieder mich an.
„Wir bringen dich jetzt erst einmal in die Maske und dann sehen wir weiter."
„Ich gehe erst noch eine rauchen." sagte ich und sie mahnte mich, doch ich sah zu Harry.
„Es muss hier irgendwo einen Aussenbereich geben, richtig?"
Er nickte.
„Kannst du mich hinbringen?"
Wieder nickte er einfach nur.
Ich sah kurz zu Lindsay. „Keine Sorge, danach komm ich sofort zur Maske."

Harry nickte ihr noch einmal lächelnd zu, dann ging er mit mir durch einige Gänge, die alle für mich gleich aussahen, bis er eine Tür öffnete und mit mir auf einen Balkon trat, auf dem verteilt eine Aschenbecher standen.
Es war niemand da und ich war sehr froh darüber.
Ich zog eine selbstgedrehte Zigarette hervor und zündete sie an.
Okay, es war auch Gras drin.

„Wieso zum Teufel kiffst du jetzt auch noch?" fragte Harry und ich sah ihn zum ersten Mal ein bisschen fassungslos.
„Hab Herzrasen." antwortete ich ihm.
Er hob eine Augenbraue. „Brauchst du einen Arzt? Soll ich jemanden anrufen?"
Ich schüttelte den Kopf. „Geht gleich weg."

Ich hörte ihn seufzen und wusste, dass er, wenn er könnte, mir jetzt eine richtige Ansage machen würde. Doch das konnte er ja nicht.
„Ich hab eine Frage, die mich brennen interessiert." sagte ich zu ihm.
„Wir müssen los. Rauch auf."
Ich ignorierte seine Aufforderung.
„Hast du in deinem Spezialkommando Leute umgebracht?"

Harry sah zu mir und schüttelte den Kopf.
„Darf ich nicht drüber reden."
„Waren es viele?"
„Louis..." sagte er warnend.
„Komm schon, wieviele? Was hast du getan?"

Harry griff nach dem Joint und schmiss ihn auf den Boden, trat ihn mit dem Fuß aus.
„Los jetzt!" sagte er mit fester Stimme und ich seufzte innerlich und verdrehte die Augen, folgte ihm aber.
„Siehst du, du redest auch nicht mit mir über früher." maulte ich ihn an und wir gingen zur Maske hinein.
„Das liegt daran, dass ich Geheimoperationen durchgeführt habe, von denen du eben nichts wissen darfst. Denn sie sind ja geheim." sagte er und zwinkerte mir zu.

Er setzte sich an einen Tisch hinter dem Styling und ich sah noch einmal zu ihm, ehe ich mich setzte und die Stylistin begann, mein Gesicht auf Vordermann zu bringen.
Geheimoperationen. Das war...heiß.
Die Tür öffnete sich und ein junger Kerl kam hinein, er war ganz offensichtlich Praktikant, trug ein Headset und hatte ein richtiges Babyface.
Er war irgendwie süß und sah so unschuldig aus.

„Louis Tomlinson, wow!" rief er aus und strahlte. „Ich soll dich abholen, seid ihr fertig? Die Sendung geht los. Ich bin übrigens Jake!"
Er streckte mir die Hand entgegen und ich schüttelte sie und lächelte ihn an.
Sein Blick wurde einen Moment irritiert als er mir in die Augen sah, doch er fing sich schnell wieder.
„Wenn du mir bitte folgst?"
Ich stand auf und bedankte mich bei der Stylistin, dann folgte ich Jake.

Harry folgte mir sofort wieder und ich sah ihn kurze hilfesuchend an, realisierte gerade dass ich jetzt live auf Sendung sein würde. High.
Er lächelte mir aufmunternd zu und ich nickte leicht, dann standen wir schon vor der kleinen Bühne, auf der der Moderator Jim gerade die Ansage machte.
Er sah mich und lächelte in die Kamera.
„Und hier ist für euch Louis Tomlinson!"

Kurz war ich wie erstarrt, doch Harry neben mir legte die Hand auf meinen Rücken und übte leichten Druck aus, was mich dazu brachte mich in Bewegung zu setzen und die Bühne zu betreten.
Jetzt war Professionalität angesagt.

„Hi Jim!" sagte ich und ließ mich in den Sessel fallen, lächelte in die Kamera und dann zu ihm.
Das Gespräch plänkelte zunächst ein wenig hin und her, dann sprach er die Tour an.
„Deine Tour schlägt ja durch die Decke, genießt du die Konzerte?"
Ich nickte sofort. „Ich liebe es! Wir kreieren jedes Mal so eine Energie, es ist einfach was ganz Besonderes!"
Jim nickte.
„Das klingt toll!"
„Absolut!" grinste ich und nickte.
„Deine Fans haben ein paar Fragen eingeschickt, hast du Lust einige zu beantworten?"
„Immer her damit!" sagte ich.
Es lief gut, ich hatte mich super unter Kontrolle.

Jim ging durch seine Karteikarten.
„Gut, hier die erste Frage: Wieso hasst du Avocado's so sehr?"

Ich musste lachen. „Es ist einfach so ein nerviger Trend, die Dinger schmecken nach gar nichts und sind super teuer, sie sind einfach scheiße." antwortete ich.
Jim lachte auf.
„Amerika liebt Avocados, viel Spaß auf deiner US Tour." antwortete er lachend.
„Gut, die nächste Frage: Was war gestern Abend los?"
Er sah mich nun neugierig und ernst an und mein Lachen verschwand.
Ich atmete tief durch und sah einen Augenblick zu Harry, der mich angespannt beobachtete.

„Ich war gestern einfach ein bisschen emotionaler als sonst. Der Song bedeutet mir sehr viel und ich habe einen Fan getroffen vor der Show, die mir gesagt hat ich hätte sie gerettet. Außerdem wünschte sie sich von mir Holding on to Heartache." erklärte ich ruhig. „Das hat mich berührt und deshalb habe ich entschieden, ihn auf die Setlist zu nehmen."
Das war gut. Ich hatte mich gut geschlagen.

„Was bedeutet der Song für dich?"
Ich dachte nach. „Einfach alles." gab ich ehrlich zu.
Jim nickte.
„Das wirkt bedrückt. Ich will kurz ein Video zeigen, hier." Er zeigte auf einen Monitor.
Darauf lief das Video ab von dem Konzert, als ich Drogen genommen hatte.
Harry, der mich zum Auto brachte, nah an sich hielt und mir die Kapuze in das Gesicht sanft zog.
Danach noch ein Video, wieder Harry, wie er mich  nach meinem Zusammenbruch zum Tourbus brachte.

Mir wurde heiß und ich spannte mich an.
Jim beobachtete mich mit Argusaugen. „Hängt das mit deinem Drogenkonsum zusammen?"
„Nein." sagte ich sofort und schüttelte den Kopf. „Nein, ich..."
„Bist du jetzt gerade auch high?"
Ich schüttelte wieder den Kopf.
„Ich konsumiere nicht so viel, wie es auf den Videos vielleicht den Anschein hat."
Jim räusperte sich. „Dann bist du also gerade nicht high, richtig?"
Im Augenwinkel sah ich Lindsay panisch mit den Armen wedeln, doch wie kam ich aus der Situation jetzt wieder raus?
Ich konnte schlecht flüchten, wir waren live.

„Hast du vielleicht noch andere Fragen, die von meinen Fans kommen? Relevantere?"
Flucht nach vorn, ich ging auf Angriff. Ich würde ihm die Frage jetzt sicherlich nicht beantworten.
Jim nickte leicht und sah auf seine Karteikarten. Er schien unzufrieden, doch er war professionell genug, immerhin.

„Klar." nickte er. „Sie fragen, ob du in nächster Zeit neue Musik auf den Markt bringst."
Das war gut. Eine gute Frage.
Ich fing an zu erzählen, dass ich an neuen Sachen arbeitete und wir unterhielten uns eine Weile weiter, Jim blieb Gott sei Dank oberflächlich und als er mich verabschiedete und ich von der Bühne ging, fiel mir ein riesengroßer Stein vom Herzen.
Ich hatte es irgendwie geschafft, das hinter mich zu bringen.
Dass es Folgen haben würde, das Interview auf Drogen durchzuführen, daran dachte ich in diesem Moment überhaupt nicht.

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