11- Opfer

[Louis]

Ich duschte eine halbe Stunde. Ich versuchte mir möglichst viel Zeit zu lassen, denn ich traute mich kaum zurück in das Zimmer.
Ich hatte viel zu viel gesagt, ich war unvorsichtig gewesen.
Alles nur, weil er gut vögeln konnte?

Ich versuchte mir selbst zu beweisen, dass das der Grund war, vergrub die anderen Gedanken in der Kiste mit den Erinnerungen, versuchte sie soweit wie möglich nach unten zu stopfen.
Es war eindeutig an der Zeit, dass ich mich endlich wieder normal verhielt.

Aber konnte ich mich Harry gegenüber überhaupt normal benehmen? Wir waren über den Punkt vermutlich bereits hinaus.
Ich würde mit ihm reden müssen und ihm erklären müssen, dass ich einfach nur den Sex mit ihm wollte.
Meine Gedanken waren wieder freier, das musste ich zugeben. Doch ich spürte, dass mein Zustand durch gestern labiler geworden war.
Mein Nervensystem war beanspruchter, der Druck in meiner Brust stärker.
Es war wieder Zeit.

Ich trocknete mich ab, zog mir einen Jogginganzug an und ging zurück in das Zimmer.
Harry stand angezogen neben der Tür. Gut, angezogen war etwas übertrieben, er hatte schließlich nach wie vor kein Shirt an.
Ich sah zu ihm und war mir unsicher, wie ich mich zu verhalten hatte.
„Du brauchst nicht verunsichert sein." sprach er und ich fluchte innerlich. Er schien Gedanken lesen zu können. Woher wusste er jedes Mal, was ich dachte oder fühlte?
Hatte er irgendwelche übersinnlichen Kräfte? Oder lernte man so etwas in der Ausbildung für so ein Spezialkommando?

„Alles gut." antwortete ich und griff nach meinem Handy, dass ich seit gestern möglichst weit weg von mir geschoben habe. Ich tippte eine Nachricht an Blake.

Hey, hast du neue Ware?

Er antwortete fast augenblicklich mit einem Daumen hoch und ich schrieb ihm, dass ich zu seinem Zimmer kommen würde.
„Ich werde zu Blake gehen und die gestrige Show besprechen." sagte ich an Harry gewandt und er nickte mir zu, schien misstrauisch zu sein.
„Willst du, dass ich mitkomme?"
Ich schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich komm alleine klar. Ich nehme an, du bringst mich bis zum Zimmer?"

Er nickte. „Das ist der Plan."
Ich nickte ebenso.
„Das heute Nacht..." fing ich an.
„Ich kann das schon gut einschätzen, Louis. Du brauchst mir keinen Vortrag halten und ich fühle mich auch nicht benutzt."
„Benutzt?" fragte ich ihn irritiert.
„Du hast mich darum gebeten. Du brauchtest das und ich habe es dir gegeben."
Er sagte das so emotionslos, dass mein Herz stolperte und ich wütend wurde.

„Einfach so, ja?" sagte ich mit bitterem Ton.
Harry sah mich prüfend an und nickte dann. „Ich verstehe nicht so richtig, was dich gerade wütend macht. Ist es nicht das gewesen, was du wolltest?" fragte er mich.
Doch, das war es. Oder nicht?
„Natürlich. Du hast recht." antwortete ich daher schlicht und verließ mein Zimmer.

Er folgte mir bis zu Blake, dann stoppte ich und sah zu ihm hoch.
„Ich schreibe dir, wenn ich wieder los möchte."
„Du hast eine Stunde. Danach müssen wir los." erklärte er mir jedoch.
Ich schnaubte leise, nickte aber nur.

Dann klopfte ich an die Tür. Blake öffnete sie und ah erst zu mir, dann zu Harry und runzelte die Stirn. „Wieso bist du halbnackt?"
„Ich wasche gerade." antwortete Harry schmunzelnd mit einem Seitenblick auf mich, dann drehte er sich um und lief zu seinem eigenen Zimmer.
„Harry?"

Er stoppte und drehte sich wieder um, sah mich fragend an.
„Nur deshalb? Weil ich dich gebeten habe?"
Er schmunzelte und sagte nichts, dann ging er wirklich.

Ich sah ihm noch einen Moment hinterher, bevor ich das Zimmer betrat und die Tür unnötig laut zuknallen ließ.
Irgendetwas daran störte mich gewaltig, doch ich konnte es einfach nicht einordnen. Was war mein Problem?
Harry hatte genau das gesagt, was ich auch sagen wollte zu ihm. Nur Sex, kein Thema. Doch er hatte so abgeklärt gesagt, dass er das für mich getan hatte.  Begehrte er mich nicht, war ich ihm am Ende scheißegal?
Wahrscheinlich war es genau so und es störte mich extrem. Es machte mich irgendwie traurig.

„Du siehst fertig aus. Alles ok?" fragte mich Blake und dann zeigte er auf den kleinen Tisch, auf dem allerhand Substanzen lagen, bereit für mich zu konsumieren.
Ich sah Gras, Kokain, Pillen, alles mögliche.
Beinahe sofort ging ich darauf zu und griff nach dem Kokain.
„Ich hab sonst auch noch was ganz anderes.." sagte Blake und ich sah zu ihm fragend.
Er hob eine Spritze in die Luft. Heroin.

Meine Augen weiteten sich leicht und ich schüttelte sofort den Kopf. Das war selbst für mich einen Schritt zu viel und ich wollte diese Schwelle absolut nicht übertreten. Gleichzeitig wunderte ich mich, dass Blake anscheinend schon so weit in der Sucht war. Wann hatte er mit Heroin angefangen?

„Lass stecken, Alter." sagte ich und setzte mich, baute eine Line und zog sie nur Sekunden später in die Nase.

„Läuft da was mit dem Soldaten?"
„Was?"
Blake seufzte. „Der Soldat. Harry."
„Was soll da laufen?" fragte ich abwesend und betrachtete die perfekt gerollten Joints vor mir.
„Naja, er war ohne Shirt und du siehst aus, als wärst du mal so ordentlich durchgenommen worden. Mal ganz abgesehen von der Bissspur an deinem Hals." erklärte Blake und ich fasste automatisch an die Stelle, in die Harry vor ein paar Stunden so kräftig gebissen hatte.
Sofort überkam mich ein wohliger Schauer.

„Geht dich einen Dreck an." erklärte ich ihm und lehnte mich zurück, sah ihn an.
Er setzte sich mir gegenüber.
„Gut Tommo, ich finde wir sollten mal reden" fing er an. Jetzt kam die Moralpredigt. „Was war los gestern? Ich weiß, dass wir den Song nicht spielen. Und jetzt ist mir auch klar wieso. Willst du über irgendwas reden?"

„Mit dir?" fragte ich ihn und lachte.
Er verdrehte die Augen. „Hauptsache du redest mit irgendjemandem, Tommo."
Ich antwortete nichts mehr darauf und stellte mir die Frage, mit wem ich schon reden sollte.
Schon wieder zu viele Gedanken.
„Mann, ich bin auch nicht zum Quatschen hier. Mach die Musik an." lenkte ich ihn genervt ab und baute mir nebenbei noch eine zweite Line, die ich ebenfalls zog.
Seufzend wischte ich mir über die Nase und kniff kurz die Augen zusammen.
„Heilige Scheisse..." murmelte ich, als der Stoff praktisch sofort knallte.

Blake machte Musik an, er stellte sie laut und ich wippte mit dem Fuß im Rhythmus zur Melodie. „Hast du deine Gitarre?" fragte ich ihn.
„Was für ne bescheuerte Frage!" sagte er, holte sie und gab sie mir in die Hand.
Ich zupfte an den Saiten und summte leise, tat das eine ganze Weile und ließ meine drogengetränkten Gedanken treiben zu schöneren Momenten, in denen ich glücklich war.
Es gab mir Auftrieb, der Druck hatte sich aufgelöst und ich fühlte mich frei.
Nicht so frei wie letzte Nacht, dachte ich.

Ich summte weiter und zupfte eine Melodie, die mir gerade einfiel.
„Was ist das? Neu?" fragte Blake.
Ich zuckte mit den Schultern, konzentriere mich auf die Musik.
„Komm, zieh mal."
Blake hatte sich einen Joint angezündet, den er mir nun hinhielt. Dankend nahm ich ihn an und zog einige Male daran.
„Bloß gut ist heute kein Konzert. Du siehst aus wie ein Opfer." lachte Blake, was mich stoppen ließ und ich sah ihn an.

„Was hast du gerade gesagt?"
Er lachte wieder. „Man, wir sehen doch beide so aus. Ich sagte, du siehst aus wie ein Opfer."
Er scherzte, doch in meinem Unterbewusstsein meldete sich die Stimme aus meinen Albträumen.

Du bist ein Opfer, du verdienst, was ich mit dir tue.

Meine Augen schmälerten sich zu Schlitzen. „Nenn mich noch einmal Opfer, dann siehst du was du davon hast." sagte ich leise.
Blake lachte wieder und griff nach dem Joint, nahm ihn mir weg.
„Halt's Maul, Tommo. Entspann dich." Er lachte wieder und schien das für einen Witz zu halten. Ich konnte darüber nicht lachen. Er hatte mich getriggert.
Ich dachte gar nicht drüber nach, sprang auf und holte mit der Faust aus.
Ich traf ihn mitten im Gesicht, und er fiel vom Stuhl.

„Bist du noch ganz sauber?!" rief er aus und stand auf, sah mich geschockt an.
„Was soll die Scheiße?"
„Zu mir sagt niemand Opfer! Hast du verstanden?" sagte ich laut.
Er schnaubte, dann schubste er mich und ich knallte gegen den Schrank. Ehe ich mich sammeln konnte, schlug er mir ebenfalls ins Gesicht.
„Fick dich!" rief ich und war stinksauer. Niemand durfte mich so nennen. Nie wieder.

Blake öffnete seine Zimmertür. „Styles!" brüllte er über den Gang und ich ging zu ihm und schubste ihn.
„Was soll das?" fragte ich ihn aufgebracht.
Blake konnte gar nicht mehr reagieren, da öffnete sich ein paar Meter entfernt eine Zimmertür und Harry kam aus dem Zimmer geeilt direkt zu uns.

„Was ist los?" fragte er alarmiert und blieb vor uns stehen.
Er musterte uns beide. Blake hatte ein blaues Auge und ich konnte das warme Blut an meiner Lippe spüren. Er runzelte die Stirn.
„Nimm ihn mit. Ich nehm's ihm nicht übel, aber er soll mir aus der Sonne gehen." knurrte Blake und ich hob die Augenbrauen.
„Du nimmst es mir nicht übel? Du...was?!" rief ich aus und wollte auf ihn losgehen, doch Harry zog mich mit einem beherzten Griff hinter sich auf den Flur.
Ich stolperte und hörte, wie Blake die Tür zuknallte.

„Fuck, was soll das?" schrie ich Harry an, der sich vor mir aufbaute und mich ernst ansah.
„Reiß dich zusammen!" sagte er in scharfem Ton und ich wollte etwas erwidern, schloss aber den Mund. Bei ihm war es sinnlos, zu diskutieren und ich wusste das. Außerdem spürte ich in dem Nebel eine Sache ganz deutlich: Er war endlich wieder bei mir.

Harry musterte mein Gesicht.
„Was hast du genommen?"
Ich zuckte mit den Schultern.
Mit seinem Daumen fasste er sanft an meine Lippe, was mich zurück zucken ließ.
„Lou, verdammt." murmelte er und mir einem Mal wirkte er fast schon bedrückt.

„Er hat mich Opfer genannt. Er hat's verdient." murmelte ich trotzig.
„Mag ja sein, dass er das verdient hat, doch hast du mal deine Termine gecheckt? Du hast ein Interview."

Ich erstarrte. Scheiße.

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