08
Pierre
Es war eine aussichtslose Situation. Yukis Kurzschlussreaktion mit der Trennung lag jetzt zwei Wochen zurück und mit jedem Tag fuhren wir weiter in eine Sackgasse.
Es klappt einfach nicht. Wir schafften es nicht zusammen zu sein. Dass hatte rein gar nichts mit dem fehlenden Sex zu tun, wie Yuki glaubte. Es scheiterte viel eher an Yukis Misstrauen in mich. Ich wusste, dass er das nicht mit Absicht tat. Ich wusste, dass er gerne nicht so verkopft sein würde, doch er schaffte es nicht und ich wusste, dass es nicht klappen würde.
"Yuki?", machte ich den jungen Japaner auf mich aufmerksam. Er sah zu mir und nickte leicht "Ja?", ich hob meine Hand an und wollte sie an seine Wange legen, doch er zuckte zurück und brachte instinktiv Abstand zwischen uns. Ich ließ meine Hand mit einem seufzen wieder sinken. "Sorry", murmelte mein Freund leise.
Ein gezwungenes Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Er sah zu mir und wich dann doch meinem Blick aus. Ich nickte leicht. Mein Entschluss stand. "Wir müssen reden", stellte ich klar.
Sofort wurde er blass und schüttelte schon fast hektisch den Kopf "Nein", murmelte er "Nein, nein, nein", wie ein Mantra wiederholte er das Wort und schien zu glauben, dass wenn er es oft genug sagte, ich meine Meinung ändern würde.
Doch das würde ich nicht. Ich dachte an gestern, als ich Yuki unter dem Bett gefunden hatte. Er hatte sich wieder dorthin zurückgezogen. Es machte mir deutlich wie kaputt er war.
Er hatte keinen Bewältigungsmechanismus, welcher ihm erlauben würde die Dinge zu verarbeiten und zu reflektieren. Er konnte nicht verstehen was passiert war und noch weniger verstand er, dass es Vergangenheit war. Er erwartete in jeder Situation, dass ich zu seinem Ex wurde.
Er war fast wie ein traumatisiertes Kind, welches verzweifelt versuchte zu verstehen was in seinem Inneren passierte und zu keiner Lösung kam.
So Leid es mir auch tat, doch ich konnte ihm nicht helfen. Ich würde gerne dafür sorgen, dass sich das änderte. Gerne würde ich ihm zu verstehen geben, dass ich ihm nichts tun würde. Doch ich konnte es ihm nicht zeigen.
In seinem Kopf war ich der Junge, der potentiell die Rolle des Bösen übernehmen könnte und damit hatte ich keine Chance mehr ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Egal was ich tat, sein Verstand verglich es mit seinem Ex und suchte aktiv nach Fehlern - und wer nach Fehlern sucht wird auch welche finden.
Wenn ich ihm also sagte, dass ich ihm nichts tun werde, erklärte ihm sein Kopf, dass das jeder sagen würde, der etwas tun wird.
Ich war also nicht in der Lage ihm zu helfen. Stattdessen schien meine konstante Anwesenheit ihn immer weiter in ein Schneckenhaus zu treiben.
"Yuki? Ich habe mich wirklich in dich verliebt und ich wünschte ich würde eine andere Lösung sehen, aber das tu ich nicht. So gerne würde ich dir helfen, damit es dir besser geht, aber dafür bin ich die falsche Person."
Yuki schüttelte den Kopf "Lass mich nicht alleine", flehte er schon fast. Ich ging zu ihm und griff sanft nach seiner Hand.
"Ich verlasse dich nicht. Ich trenne mich nur von dir, aber ich bleibe bei dir. Ich möchte, dass du eine Therapie machst. Ich möchte, dass du verarbeitest, was passiert ist und lernst damit umzugehen. Ich möchte dass du zuerst mit dir selbst klarkommst. Vorher wird eine Beziehung zwischen uns nicht erfolgreich sein können. Wenn du mit deiner Vergangenheit abschließen konntest, werde ich da sein und gerne eine Zukunft mit dir beginnen, aber bis es soweit ist werde ich nur eine stützende Schulter zum Anlehnen sein, wenn du das zulässt", erklärte ich ihm.
Yuki sah mich überfordert an "Ich habe noch nie eine Therapie gemacht", murmelte er leise. Ich lächelte sanft "Das ist okay. Es ist irgendwann immer das erste Mal und glaub mit, an einer Therapie ist nichts schlimm. Ich bin schon seit Jahren regelmäßig bei einem Therapeuten", beruhigte ich ihn.
Yuki sah mich zweifelnd an "Glaubst du nicht, dass das komisch wäre, wenn ich mit wem Fremdes darüber rede?", fragte er unsicher nach. Ich schüttelte den Kopf und drückte seine Hand "Nein, nach Hilfe zu fragen ist was völlig normales. Natürlich wirst du erstmal eine Vertrauensbasis aufbauen müssen, aber das ist ebenfalls vollkommen normal. Mach dir keine Gedanken."
"Kannst du mitkommen?", fragte er unsicher "Zumindest am Anfang?", hakte er nach. Ich nickte mit einem beruhigenden Lächeln auf den Lippen "Selbstverständlich, wenn du das möchtest."
Yuki nickte "Möchte ich, aber wieso müssen wir uns dafür trennen?", ich strich sanft über seinen Handrücken. "Weil du Abstand brauchst. Du musst die Möglichkeit haben dich von mir zu lösen und alleine klar zukommen. Du sollst am Ende die Wahl haben, ob du mich als deinen Freund willst, oder nicht und nur um das klarzustellen, beides wäre okay. Ich will nicht, dass du dich dazu gezwungen fühlst bei mir zu bleiben."
Yuki nickte wieder "Okay, wo soll ich die Therapie machen?", es fiel ihm immer noch schwer eigenständig Entscheidungen zu treffen. "In der Schweiz würde sich doch anbieten oder? Immerhin wohnst du da", schlug ich vor, was er mit einem Nicken bestätigte.
"Ich will das nicht mit einem Mann besprechen", wurden seine Augen plötzlich groß vor Angst. Ich schüttelte den Kopf "Das musst du auch nicht. Wir finden garantiert eine Frau die das mit dir macht", beruhigte ich ihn sanft.
Später am Tag flogen wir wieder nach Hause, für Yuki bedeutete dass die Schweiz und für mich Frankreich. Ich würde mich morgen mit Charles treffen, doch da er vorher noch Zeit mit Charlotte wollte, wie er mir mit einem Augenzwinkern und dem Satz 'Wir haben uns lange nicht gesehen' deutlich gemacht hatte, würde das eben noch einen Tag dauern.
Am Flughafen schloss ich Yuki in meine Arme und drückte ihn sanft an mich "Ich hab dich lieb", erinnerte ich ihn und beschloss, dass das eine gute Alternative war. Die ehrliche Version wäre 'Ich liebe dich' gewesen, doch seit heute Morgen kam mir das unpassend vor. Außerdem habe ich beschlossen ab jetzt alles in Yukis Tempo zu machen.
Ich würde warten, bis er bereit war diese Worte zu sagen, bis er für kuscheln, küssen, Händchen halten und allem anderen bereit war. Ich würde keine ersten Schritte mehr machen und ihn so unter Umständen zu Dinge nötigen, die eigentlich noch Zeit gebraucht hätten.
Yuki hatte einfach nicht gelernt für sich selbst gerade zu stehen und zu kommunizieren was er tatsächlich wollte und was er nur tat um anderen zu gefallen. Deswegen würde ich warten, bis er genau das gelernt hatte.
Er verdiente eine Beziehung auf Augenhöhe mit Gleichberechtigung und er verdiente es glücklich zu sein.
Deswegen blieb ich bei 'Ich hab dich lieb' das war keine Lüge und würde nichts auslösen. Yuki lächelte leicht "Danke Pierre", ich nickte nur und wusste dass er nicht nur den Verzicht auf 'Ich liebe dich' meinte.
Unsere Wege trennten sich. Ich flog nach Frankreich und verbrachte den restlichen Tag mit Haushaltsangelegenheiten - etwas, dass Yuki vermutlich ein paar Kilometer entfernt auch tat.
Am nächsten Morgen stieg ich ins Auto und fuhr nach Monaco. Charles schien verschlafen zu haben. Zumindest ließ die Boxershorts - welche sein einziges Kleidungsstück beim Tür öffnen war - und die Decke, die um Charlottes Körper gewickelt war, als diese im Hintergrund ins Bad huschte, darauf schließen.
"Schöne Nacht gehabt?", wollte ich grinsend wissen und schob mich an meinem besten Freund vorbei. Dieser brummte nur und drückte dann ein paar Knöpfe an der Kaffeemaschine. Während der Kaffee durch lief stellte er im Halbschlaf drei Schalen und Müsli inklusive Milch raus.
Ich beobachte grinsend wie müde er war. Es war wirklich ein Phänomen wie müde ein Mensch vor dem ersten Kaffee sein konnte. "Wow ein beeindruckendes Frühstück. Hast du damit Charlotte für sich gewinnen können?", zog ich ihn auf und bekam einen Mittelfinger als Antwort.
"Deswegen hat er mich damals zum Abendessen eingeladen", kam Charlotte grinsend in die Küche. Ich lachte und beobachtet amüsiert Charles wütenden Blick, in Richtung seiner Freundin, welcher ihn in seiner Verfassung wie ein bockiges Kind aussehen ließ.
Charlotte lachte ebenfalls leicht und strich sanft über seine Wange, bevor sie ihn in einen sanften Kuss zog "Bonjour Chérie", lächelte sie. Lächelnd beobachtete ich die beiden. Sie waren wirklich ein süßes Paar und ich war froh, dass Charles sie gefunden hatte, sie tat ihm gut.
"War denn wenigstens deine Nacht gut?", fragte ich Charlotte. "Oh ja, eine der besten", grinste sie und schenkte dann sowohl mir, als auch sich selbst und Charles Kaffee ein.
"Gibt es was neues, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?", übernahm sie dann das Gespräch, während ihr Freund langsam wach wurde. Daraufhin erzählte ich ihr von Yuki und mir "Du musst ihn mal mitbringen. Charles hat auch schon ein paar Mal von ihm erzählt und ich würde ihn wirklich gerne Mal außerhalb des Rennstresses kennenlernen", lächelte sie.
Ich erwiderte ihr Lächeln eine Spur trauriger "Wir sind nicht mehr zusammen", informierte ich die beiden dann. Das brachte auch Charles dazu aufzugucken. "Was wieso das denn?", war es jedoch Charlotte die reagierte. Charles sah mich einfach weiter verwirrt und perplex an.
Ich erzählte von dem gestrigen Gespräch und meinen Beweggründen. Am Ende rutschte Charlotte von ihrem Stuhl und nahm mich in den Arm "Das tut mir so leid Pierre, aber umso beeindruckter bin ich von deiner Entscheidung. Es ist nicht selbstverständlich so selbstlos zu sein und sich zu so einem Schritt zu entscheiden", murmelte sie und drückte mich näher an sich.
"Du hast auf jeden Fall richtig gehandelt", stimmte Charles ihr zu und kam ebenfalls für eine kurze Umarmung zu mir. Ich lächelte "Ja, das weiß ich", nickte ich und ließ die beiden wieder an ihre Plätze zurückgehen.
Wir verbrachten den Tag am Strand und später auf der Couch beim Film schauen. Wieder konnte ich beobachten wie sanft die beiden mit einander umgingen und lächelte leicht, dass wünschte ich mir für Yuki und mich auch. Doch bis es soweit war würde es noch ein bisschen dauern.
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Endlich geht es hier weiter. Ich hatte den Eindruck die Gesichte ein bisschen in eine Sackgasse gefahren zu haben, doch mit der Hilfe eines Freundes hat sich dieser Ausweg geboten :)
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