~Kapitel 35~

Nachdem der Tag bei Shawn's Familie ziemlich nervenaufreibend war, beschlossen wir die kommenden Tage nicht sonderlich viel zu unternehmen. Es stand der übliche Alltag an, sowohl was die Aufgaben im Haus betraf, als auch unsere Aktivitäten.
Hier und dort wurde trainiert, wir aßen gemeinsam oder sahen uns abends mal einen Film an aber richtig geplant war nichts und das bietete mir viel zu viel Zeit um an meiner Collage Bewerbung zu sitzen.

Seit Shawn seiner Mutter erzählt hatte, dass ich das MIT und Stanford zu meinen Top Universitäten zählte und versuchte dort aufgenommen zu werden, wurde der Druck nur noch größer.
Das war ein wirklich seltsames Gefühl, denn früher war ein gutes Collage lediglich meine Rettung aus der Hölle in der ich lebte, niemand interessierte sich dafür, ob ich angenommen werden würde oder nicht.
Doch mittlerweile war da allen voran Shawn, den es sehr wohl interessierte, ob ich genommen wurde oder nich. Die Jungs schien es auch zumindest ein Stück weit zu interessieren. Mit Charlie sprach ich ständig darüber und jetzt auchnoch Shawn's Familie.

Ich hatte früher nie darüber nachgedacht was passieren würde, wenn man mich nicht annehmen würde. Nichts hätte sich geändert, mein Leben wäre einfach so beschissen weiter gelaufen wie zuvor.

Doch nun warteten einige Menschen auf eine Antwort. Und wie würden sie über mich denken, wenn mich nicht einmal die Collages wollten? Wie sollte ich sie in die beschissene Situation bringen, ihnen zu sagen, dass ich nicht angenommen wurde? Das wäre doch peinlich.

"Wieso bist du noch wach?", wurde ich plötzlich aus meinen Gedanken gerissen. Verwirrt sah ich über den Rand meines Bildschirms hinweg und musterte Connor, der mich verschlafen musterte.
Danach fiel mein Blick auf die Uhr unten rechts auf der Desktopleiste und meine Augen wurden vermutlich groß wie Tennisbälle. Halb 3 in der Nacht?

"Ach du meine Güte!", stieß ich erschrocken aus.

Das konnte unmöglich wahr sein, war ich auf meinem Laptop eingeschlafen? Ich konnte doch nicht ernsthaft seit mehr als 6 Stunden vor diesem Bildschirm sitzen und noch immer nicht mehr als einen Satz auf meinem Aufsatz haben. Lass das nicht wahr sein!

"Verflucht!", meckerte ich und knallte den Computer vor mir zu, nur um ihn danach wieder zu öffnen, um sicher zu stellen, dass ich meinem Baby nicht weh getan hatte. Danach schloss ich die Klappe wieder sanfter und strich mir verzweifelt durch mein Gesicht. Hatte ich überhaupt mal geblinzelt? Meine Augen fühlten sich an, wie die Sahara.

"Was machst du denn da? Ist alles in ordnung?", fragte mein bester Freund sanft und setzte sich mir gegenüber an den Küchentisch. Er schien schon geschlafen zu haben und war vermutlich nur auf der Suche nach etwas zu trinken, nicht auf der Suche nach Drama.

"Meine Bewerbung", brummte ich gereizt und wollte nach meiner Kaffeetasse greifen, doch Connor zog sie weg von mir und schüttelte mit dem Kopf. Danach sahen wir uns kurz in die Augen und er lächelte mich entschuldigend an.
Er hatte ja recht. Die Nächte durchzuarbeiten und mich mit Koffein aufrecht zu halten war wahrscheinlich nicht das beste für meinen Körper.

"Du arbeitest schon ziemlich lang daran. Seit Wochen um genau zu sein", warf er mir nun mehr oder weniger vor aber ich hatte mittlerweile verstanden, dass keiner in diesem Haus mein Streben auf eine diese Unis zu kommen, nachvollziehen konnte.

"Ich hab Alles, das Empfehlungsschreiben meiner Mathelehrerin, sämtliche Zeugnisse um meinen Einserschnitt zu beweisen, eine Liste beschissener außerschulischer Aktivitäten mit denen ich mich irgendwie abgerackert habe. Mir fehlt nur dieses blöde Motivationsschreiben, um die Leute dort davon zu überzeugen, dass ich die Richtige für ihre Uni bin. Ein kompletter Aufsatz über alles was so toll und einzigartig an mir ist", meckerte ich weiter, obwohl ich das ganz sicher nicht an Connor auslassen sollte, der gerade offensichtlich lieber weiterschlafen würde.

"Und wieso sagst du das, als wäre es etwas schweres?", harkte er nach, woraufhin ich am Liebsten etwas nach ihm geworfen hätte. Was daran schwer war? Wieso hatte ich in den letzten Wochen wohl nur einen Satz zu Papier gebracht?

"Sieh mich doch an, Connor. Ich bin absolut nicht das, was diese Collages suchen. Die wollen die Elite und nicht den Abschaum der Gesellschaft", zischte ich und schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen.

"Du bist kein Abschaum, Nova!", widersprach er mir sofort laut "Ich kenne absolut niemanden der auch nur annähern so intelligent, engagiert und zielstrebig ist an dieses Collage zu kommen, wie du! Davon können sich andere eine Scheibe abschneiden. Was du geschafft hast, das schaffen nicht viele in ihrem Leben", sprach er weiter und griff nach meiner Hand, die auf dem Tisch lag. Sanft strich er darüber und brachte mich damit ein kleines bisschen runter.

"Sie wollen etwas besonderes, sie wollen die besten des Landes, Studenten mit denen sie sich schmücken können, die die Uni ausmachen. Ich gehöre dort einfach nicht!", argumentierte ich weiter und spürte wie mir Tränen in die Augen stiegen. Ich wurde immer unglaublich sensibel und weinerlich, wenn ich keinen Schlaf bekam. Also noch mehr als ohnehin schon.

"Aber du bist doch etwas besonderes, wieso willst du das denn nicht sehen?", fragte er verzweifelt und es tat mir unglaublich leid, dass ich ihn mitten in der Nacht wegen so etwas wach hielt. Trotzdem war ich dankbar, dass er hier war.

"Du verstehst das nicht. Was ist das besondere an mir? Dass ich tot sein sollte, nach allem was passiert ist und ich es nicht bin. Das wollen die aber nicht hören. Sie wollen Geschichten über Kinder aus reichen Elternhäusern, die neben ihrem makellosen Notenschnitt auch noch eine Reihe außergewöhnliche Hobbies haben und natürlich außerschulische Aktivitäten, am besten 15 in der Woche, natürlich müssen auch wohltätige Aktionen dabei sein. Es geht nur darum, wie du dich definierst, nicht wer du wirkich bist oder was du erreicht hast.
Wenn sie erfahren, wo ich wirklich herkommen, weren sie mir nicht einmal in die Augen sehen können. Ich wäre eine verdammte Schande für so eine Schule!", erklärte ich, was mir schon seit Wochen auf der Zunge brannte.

Denn um ehrlich zu sein, stellte ich es zum ersten Mal in meinem Leben in Frage, an eine solche Uni zu wollen. Ich würde doch niemals da rein passen. Zwischen all den reichen Kindern, mit den makellosen Familien würde ich mich doch zum Gespött machen.

"Was redest du denn da?", fragte er fassungslos, als könnte er überhaupt nicht verstehen, was ich gerade versucht hatte zu erklären.

"Die Wahrheit, es ist ganz einfach die Wahrheit. Ich passe dort nicht hin. Ich müsste eine völlig andere Person sein! Aber das bin ich nicht. Verdammt, ich hasse es. Wieso kann ich denn nichts richtig machen?", fragte ich verzweifelt und schluchzte leise.

"Nova, ich bitte dich! Hör auf zu weinen und hör endlich auf dir diese Scheiße einzureden. Du bist perfekt, so wie du bist! Sieh dich doch mal an, du bist das schönste Mädchen, das mir je begegnet ist. Du bist durch die Hölle gegangen und als Engel rausgekommen. Du hast soviel erlebt und erleiden müssen und stehst trotzdem noch gerade vor mir. Du bist alles was man sich wünschen kann in einer Person", behauptete er eisern und sah mich dabei eindringlich an. Noch immer strich er mir über den Handrücken und ich wischte eine einzelne Träne weg.

"Das sagst du nur, weil du mein bester Freund bist", behauptete ich leise, weil ich weder wahrhhaben wollte, dass er seine Worte ernst meinte, noch verstehen konnte, wie mich jemand so sehen sollte.

"Das sage ich ganz sicher nicht weil ich dein.. bester Freund bin. Und ganz ehrlich, wenn diese Leute dort nicht sehen, was sie an dir haben, haben sie es nicht verdient, dich ihre Studentin zu nennen.
Du kommst aus dem wahren Leben, nicht aus einer dieser Bilderbuchfamilien. Und trotzdem hast du dich an die Spitze gekämpft. Das ist, was sie ehren und nach außen tragen sollten, nicht irgendwelche jungen Leute als Heilige darstellen, die das bereits in die Wiege gelegt bekommen haben. Wenn du nich dort rein passt, wieso solltest du dann dahin wollen?", fragte er und ich geriet ins Straucheln.

Er hatte recht. Wieso wollte ich dahin, wenn ich nicht gut genug war? Wenn ich doch absolut nicht zu den Menschen dort passte? Ich würde es nie erreichen, sie würden mich niemals annehmen.

"Weil.. weil es schon immer der einzige Fluchtweg war..", murmelte ich betroffen und überdachte plötzlich all meine Pläne für die Zukunft.

Brauchte ich diese Uni? Brauchte ich dieses Leben wirklich so dringend? Ich hatte hier doch ein Leben. Aber es war immer mein verfluchter Traum in Stanford zu studieren. Schon immer. Nur war ich für diesen Traum nicht gut genug.

"Brauchst du denn wirklich einen Fluchtweg? Weg von hier? Weg von mir?", fragte er plötzlich und eine unangenehme Welle von Schuldgefühlen überfiel mich.

Natürlich, es war nie die Rede davon, dass wir alle umziehen würden, sollte ich angenommen werden. Es ging nur um Shawn und mich. Ich würde meinen besten Freund zurücklassen, wie konnte ich so blind sein?

"Nein ich.. du.. vielleicht hast du recht .. ich.. sie würden mich ja sowieso nicht.. nicht wollen", stotterte ich schweren Herzens und zog meine Hand schließlich weg von ihm. Kurz herrschte Stille zwischen uns Beiden, bevor ich mich räusperte und meinen Stuhl etwas zurück schob.

"Ich.. ich sollte mal.. schlafen gehen. Und.. und du solltest auch zurück ins Bett. Es.. ich.. es tut mir wirklich.. leid. Dass du wegen mir.. solange wach warst meine ich", stotterte ich überfordert und stand danach auf, um die Treppen zu unserem Schlafzimmer hinauf zu stolpern.

+++

Was meint ihr? Versteht ihr Nova's Gedanken? Wird sie die Bewerbung doch noch fertig schreiben und abschicken? Würde sie angenommen werden? Und wie geht es im nächsten Kapitel weiter?


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