~Kapitel 28~
Drei Tage später hatte ich mich mit Charlie in dem Cafe getroffen, in dem wir uns das erste Mal ausgesprochen hatten, wenn man das so nennen konnte. Ich hatte mein Laptop dabei und versuchte an meiner Bewerbung zu schreiben, genauso wie sie.
Doch es endete damit, dass sie mich ständig über irgendwas ausfragte, also klappte ich ihn schließlich zu und sah zu ihr rüber. Sie hatte ihre Tasse in der Hand und starrte aus einem Fenster, während sie das Tablet vor ihr komplett ignorierte.
"So wird das aber nichts", tadelte ich und sie sah augenverdrehend zu mir. Sie nahm einen Schluck, bevor sie die Tasse auf das kleine Tellerchen stellte und einen großen Bissen von ihrem Donut nahm.
"Ich kann einfach nicht glauben, dass ausgerechnet ihr Beiden euch gestritten habt. Ihr wirkt so.. keine Ahnung.. streitlos", sprach sie schulterzuckend mit offenem Mund und ich wunderte mich wahrlich, nicht ihren Zuckerguss im Gesicht kleben zu haben.
"Streitlos? Ist das ein Wort?", harkte ich nach, um nicht zugeben zu müssen, dass ich auch nicht dachte, dass wir uns so leicht streiten könnten.
"Du lenkst ab", murmelte sie und ich musterte sie mit aufgerissenen Augen. Dieses Mädchen kannte mich bereits zu gut und durchschaute mich leider andauernd.
Auch ich nahm nun einen Schluck von meinem Kaffee um nicht antworten zu müssen, doch auch ich kannte sie nun gut genug um zu wissen, dass sie nicht lockerlassen würde.
"Ich hab einfach scheiße gebaut, ich hätte den Brief nicht lesen dürfen", gab ich zu und wich ihrem Blickkontakt aus.
"Da stimme ich dir absolut zu, du hättest nicht in seine Privatsphäre eindringen dürfen. Aber genauso hätte er nicht betrunken nach Hause kommen sollen, anstatt ordentlich mit dir zu reden. Und noch dazu bin ich ganz deiner Meinung, wenn sie doch den Kontakt mit ihm aufnehmen wollen, wieso sträubt er sich dann so?", sprach sie meine Gedanken aus und ich konnte so langsam verstehen, wieso es nützlich war, eine weibliche Freundin zu haben.
Sie sah es aus emotionaler Perspektive, so wie ich und nicht aus rationaler Sicht, wie es Shawn meistens tat. Für ihn zählte nur, dass ich in seinen Unterlagen gewühlt hatte und nicht die emotionalen Hintergründe, wieso ich es nicht weglegen konnte.
Charlie hingegen verstand, dass ich es nicht einfach ignorieren konnte. Und natürlich hatte ich ihr nicht alles über Shawn und seine Vergangenheit erzählt, ich hatte nur gesagt, dass er früh zuhause ausgezogen ist und sie sich aus den Augen verloren hatten, wegen eines Missverständnisses.
"Naja er denkt einfach, dass er sich zu sehr verändert hatte und seine Familie einen Schock bekämen, würden sie den großen tattoowierten Mann sehen, der aus ihm geworden ist", erklärte ich und sie nickte nachdenklich.
"Versteh ich auch. Aber Familie ist Familie und ich denke nicht, dass ein paar Tattoos ihn zu einem anderen Menschen machen. Oder einen Haufen Tattoos. Gibt es eigentlich auch Stellen, die frei sind? Himmel Nova, er ist doch wohl nicht auch dort unten tattoowiert, oder?", gab sie plötzlich schockiert von sich, woraufhin ich leise lachen musste.
"Auch wenn dich das überhaupt nichts angeht, nein ist er nicht", antwortete ich wahrheitsgemäß und schüttelte den Kopf belustigt. Wie kam sie überhaupt dazu mir derartige Fragen zu stellen?
"Gottseindank. Stell dir doch mal vor, was das für Schmerzen sein müssten!", stieß sie aus und ich schlug mir sanft gegen die Stirn.
"Charlie!", warnte ich, denn sie sollte aufhören darüber zu sprechen.
"Mal ehrlich, stell dir doch mal vor, er wäre dort tattoowiert und jedes Mal, wenn ihr miteinander schlaft siehst du dieses Bild und dann ist es wieder weg und dann wieder da und dann wieder..", schnell unterbrach ich sie.
"Herrgott Charlie! Hör endlich auf darüber zu sprechen!", bat ich nun mit etwas mehr Nachdruck.
"Sei doch nicht so verklemmt, Nova. Wir haben alle Sex. Also ich nicht, immerhin bin ich so allein, dass sich schon Katzen bei mir bewerben, mit denen ich alt werden kann", erzählte sie beiläufig und ich versteifte mich immer mehr in meiner Haltung.
Natürlich hatte sie recht. Es gab nichts Normaleres auf der Welt und darüber durfte man auch offen sprechen, nur konnte sie nicht wissen, dass das ein sensibles Thema bei mir war.
"Halt mal, stop. Dein Blick! Sag bloß, ihr habt noch gar nicht..", murmelte sie verblüfft und starrte mich interessiert an.
"Ist das jetzt wirklich eine so dramatische Sache?", fauchte ich aggressiver als es eigentlich klingen sollte.
Dieses Thema stresste mich einfach. Nicht nur, dass ich mir selbst extrem viel Stress damit machte, Shawn endlich "ran zu lassen", gab mir auch seine blöde Bemerkung Connor gegenüber bei unserem Streit zu denken.
Wieso war es denn so bedeutsam? Sollte ich ihm einfach sagen, ich wäre bereit und es über mich ergehen lassen? Damit es einfach vom Tisch ist dieses ach so große "erste Mal".
Vielleicht könnte ich mich danach mehr fallen lassen?
Aber das ging nicht. Ich könnte es nicht. Ich weiß, vielen Frauen da draußen ist Schlimmeres zugestoßen als mir, ich konnte mich immer irgendwie retten oder wurde gerettet. Es ist nichts passiert, das ist wahr.
Trotzdem machte es mir eine Heidenangst. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr fühlte sich mein Körper benutzt und billig an, weil mein Vater mit den Reizen meines Körpers Geld verdient hatte. Und mit jedem Mal, bei dem mich Jemand gegen meinen Willen berührt hatte, wurde dieses dreckige Gefühl in mir heftiger. Und natürlich lebte ich weiter, ich verarbeitete und schenkte Shawn immer mehr Vertrauen meinen Körper betreffend.
Doch mit ihm zu schlafen schien für mich wie ein letzter gefährlicher Schritt. Ich hatte keine so große Angst vor den Schmerzen oder dass es nicht sofort perfekt klappen würde. Das war normal.
Viel mehr hatte ich panische Angst davor, Flashbacks zu bekommen und deshalb Shawn plötzlich mit diesen beschissenen Erinnerungen zu verbinden. Oder noch schlimmer, er würde mich danach fallen lassen. Keinesfalls traute ich es ihm zu, doch konnte man es wissen? Wer gab mir die hundertprozentige Versicherung, dass er mich lieben würde anstatt meinen Körper zu benutzen? Ich würde es nicht überleben.
"Nova?.. Bitte.. es tut mir leid. Was ist los? Bitte hör auf zu weinen, ich meinte das nicht so", vernahm ich Charlies Stimme endlich wieder. Verwirrt musterte ich sie. Schließlich fasste ich mir vorischtig an die Wange und spürte die feuchten Tränen, die darauf standen. Charlie nahm meine andere Hand, die auf dem Tisch lag, in ihre, woraufhin ich wieder zu ihr sah.
"Ich..", begann ich, stoppte jedoch sofort wieder.
"Nein, du musst nichts sagen. Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Es ist keine große Sache hörst du? Das wollte ich damit nicht sagen. Und ich wechsele auch sofort das Thema, sobald du mir eine einzige Frage beantwortet hast, okay?", harkte sie nach, doch ich war zu unfähig zu antworten, also sprach sie einfach weiter.
"Ist Shawn der Grund für die Tränen? Hast du wegen ihm Angst?", fragte sie ernst nach und am liebsten hätte ich laut losgelacht. Shawn war wohl für Alles in meinem Leben der Grund, doch keinesfalls für irgendeine Art von Angst.
"Nein, ist er nicht", antwortete ich daher ehrlich und Charlie lächelte mich sanft an und reichte mir ein Taschentuch aus ihrer Handtasche, welches ich dankend entgegenahm.
"Ich mag es übrigens sehr, dass du mich Charlie nennst", sagte sie plötzlich und hielt damit ihr Versprechen, sich mit dieser einen Antwort zufrieden zu geben. Und komischerweise kam mir ihr Themenwechsel nicht einmal seltsam vor. Trotzdem musterte ich sie überrascht.
"Wieso?", wollte ich wissen.
"Weil Scarlett das Mädchen ist, das rosa Miniröcke trägt und sich jeden Tag ihre geliebten Locken glättet, nur um Caroline und den Anderen zu gefallen. Scarlett ist ein Schoßhündchen, das nicht für sich selbst einstehen kann. Und Scarlett ist das Mädchen, das von ihrem Vater geschlagen wurde.
Aber Charlie ist jemand anderes. Charlie ist der Mensch, der ich wirklich sein will. Ich möchte für mich einstehen, meine wilden Locken tragen, ehrliche Gespräche mit dir führen und tragen was ich möchte. Ich merke, dass ich ein Mensch werde, der nach vorne sieht und nicht zurück.
Und das, ob du es nun glaubst oder nicht, habe ich dir zu verdanken, November White.
Vielleicht denkst du, ich wäre aus Mitleid auf dich zugekommen, aber eigentlich war es die Bewunderung. Du hast es nicht leicht gehabt und warst trotzdem du selbst, hast dich nicht verstellt oder Anschluss gesucht. Du warst alleine und so stark. Das wollte ich gerne lernen. Und jetzt sind wir nicht mehr alleine. Das ist doch schön, oder?", fragte sie lächelnd und ich sah auch in ihren Augen die Tränen aufsteigen. Überfordert musterte ich sie.
Das hatte ich tatsächlich nicht erwartet. Ich dachte wirklich, diese Freundschaft bestand daraus, dass sie mir auf die Beine half, dabei schien ich doch auf eine seltsame, mir unverständliche Weise einen positiven Effekt auf sie und ihr Leben zu haben. Und das machte mich komischerweise stolz.
"Ich brauch noch nen Donut", sagte sie plötzlich plump und ich begann leise zu lachen. Sie war immer so aufgedreht und hatte einen sehr speziellen Charakter, doch in den richtigen Momenten, konnten ihre Worte Wunder bewirken. Das kam mir doch irgendwoher bekannt vor.
"Du erinnerst mich an Cameron. Ihr Beide würdet euch bestimmt gut verstehen", merkte ich an.
"Sieht er denn gut aus?", fragte sie mit zuckenden Augenbrauen und ich lache erneut los, dieses Mal jedoch lauter.
"Du hast ja gar keine Ahnung", gab ich ehrlich zu, denn hässlich war in diesem Haus definitiv kein Mann.
"Dann los, stell mir Cameron vor!", forderte sie lachend und wir verbrachten noch einige Stunden gemeinsam im Cafe, bevor ich wieder nach Hause ging und den Abend mit Shawn verbrachte. Wir aßen gemeinsam zu abend und nachdem wir beide duschen waren, kuschelten wir und sahen uns ein paar Folgen Supernatural an, bevor ich irgendwann einschlief.
+++
Wenn mein unfähiger Arsch es schon nicht hinbekommt, heute ein neues Cover hochzuladen, weil ich meine blöde Stimme einfach nicht mehr hören kann, lade ich zumindest mal wieder ein Kapitel hoch.
Was sagt ihr zu dem Gespräch der Beiden? Ist es gut, dass Nova ihr so vertraut? Und wie geht es weiter? <3
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