~Kapitel 18~
Um ihn nicht mehr weiter auf die Folter zu spannen, joggte ich die Treppen zu seinem Zimmer hinauf und sah mich im Raum um.
Huch? Die Stimme war definitiv von hier gekommen und nicht von unten. Und wäre er in der Zwischenzeit geflüchtet, hätte ich das auch mitbekommen.
Doch sowohl das Bett, als auch sein Schreibtisch waren leer. Auch sonst konnte ich ihn nirgends entdecken.
"Shawn?", rief ich verwirrt und blickte allenernstes unter sein Bett, aus Angst er würde mich erschrecken wollen. Doch auch unter seinem Bett war er nicht zu finden.
"Ja?", antwortete er entspannt und ich riss erschrocken den Kopf nach oben, um ihn von außen durch das Fenster hineinschauend zu erkennen. Meine Augen vergrößerten sich und trauten dem was sie sahen nicht so ganz.
"Was machst du auf dem Dach?", harkte ich überfordert nach. Das war schließlich gefährlich und überhaupt, was hatte er da draußen zu suchen?
"Sitzen", antwortete er lässig und schmunzelte mich provokant an. Er wusste genau, worauf ich hinauswollte, liebte es jedoch viel zu sehr, mir auf die Nerven zu gehen.
"Schön und wieso sitzt du auf dem Dach? Wenn du da runter fällst, brichst du dir das Genick! Wir sind im zweiten Stock!", meckerte ich, besorgt um sein Wohlbefinden.
"Entspann dich, das sind höchstens fünf Meter, außerdem falle ich nicht runter, komm mit raus", forderte er und ich nickte mit nach vorne geschobenem Schmollmund. Ganz sicher würde ich aus dem Fenster aufs Dach klettern.
"Sonst noch Wünsche?", wollte ich wissen und er lachte leicht, bevor er mir die Hand entgegenstreckte. Er meinte das anscheinend wirklich ernst. Aber nicht mit mir.
"Vergiss es Shawn! Die Höhe macht mir Angst, ich werde nicht auf dein beschissenes Dach klettern!", zischte ich plötzlich und spürte mal wieder, wie die Hormone rein kickten.
"Woah, hast du deine Tage?", stocherte er nun auch noch in der offenen Wunde und mit einem Mal, wollte ich auf dieses Dach klettern, nur um ihn hinunterstoßen zu können.
Er hatte ja keine Ahnung, wie sich das anfühlte, wenn man von jetzt auf gleich sowohl schreien als auch weinen könnte, noch dazu fiese Schmerzen hatte.
Scheinbar hatte er mir schon an meinem Blick ablesen können, dass dies eine absolut überflüssige Bemerkung war, denn er entschuldigte sich direkt wieder bei mir.
"Kommst du?", harkte er trotzdem erneut nach und ich hob eine Augenbraue.
Na schön, was sollte schon passieren? Schließlich könnten wir nur abrutschen und in einen grausamen Tod fallen, was solls, richtig?
Ich ergriff seine Hand und krabbelte über das Bett, umständlich aus dem Fenster, um schließlich ängstlich an den Dachziegeln zu kleben.
Zum Glück war das Dach nicht sonderlich steil, sondern beinahe flach.
Shawn stand auf und lief über die Ziegel, als wäre es etwas ganz normales, ich hingegen klammerte mich fest und robbte ihm hinterher.
Ganz oben angekommen wurde mir augenblicklich schwindelig, als ich über die komplette Stadt blicken konnte. Jedoch konnte ich auch erkennen, wieso Shawn wollte, dass ich ihm hier raus folgte.
"Das ist absolut verrückt!", stieß ich angestrengt aus, als er sich auf der anderen Seite auf einem kleinen Stück Flachdach niederließ und über die Stadt blickte.
Um ihn herum lagen Decken und einige Kissen, eine Lichterkette lag ebenfalls auf dem Boden und spendete ein wenig Licht. Vorsichtig krabbelte ich über das Dach, um auf der anderen Seite wieder ein Stück runter zu rutschen.
Schließlich landete ich neben ihm, setzte mich auf eine der Decken und legte meine Hand auf mein rasendes Herz.
Das war wirklich nicht so ganz ohne, wer kam schon auf die Idee auf dem Dach zu sitzen? Und wie sollte ich es später wieder durchs Fenster rein schaffen? Super Einfall.
"Was soll das hier? Hätten wir nicht drinnen bleiben können?", fragte ich noch immer unter Adrenalin und versuchte mich an das Gefühl zu gewöhnen, auf einem verfluchten Dach zu sitzen.
"Drinnen können wir den Sonnenuntergang nicht beobachten!", warf er mir vor als würde er plötzlich großen Sinn für Romantik empfinden. Trotzdem lächelte ich ihn an und sah dann der Sonne entgegen, die immer mehr hinter den Häusern verschwand.
"Weißt du welcher Tag heute ist?", durchbrach er die Stille nach einer Weile wieder. Ich sah zu ihm rüber und zuckte mit den Schultern. Hoffentlich nicht sein Geburtstag.
Da fiel mir ein, dass ich gar nicht wusste, wann er Geburtstag hatte. Es war nie zur Sprache gekommen.
"Habe ich deinen Geburtstag vergessen?", harkte ich also nach und betete innerlich, dass dies nicht der Fall war, ich hatte immerhin nicht mal ein Geschenk für ihn.
"Nein. Der ist erst im August", lachte er leise und ich öffnete mein gedankliches Notizbuch, um ja nicht zu vergessen, dass sein Geburtstag im August war.
"Was ist es denn dann?", wollte ich weiterhin wissen.
"Du bist seit genau einem halben Jahr hier", erzählte er und mein Herz blieb einen Moment stehen.
Ich wohnte hier seit einem halben Jahr? Das kam mir einerseits unglaublich lang vor, wenn ich bedachte, was wir bereits Alles zusammen erlebt und durchgemacht hatten und gleichzeitig fühlte es sich an, als wäre es erst gestern gewesen, weil die Zeit mit den Jungs und vorallem mit Shawn so schnell vorbei ging.
Seit einem halben Jahr war ich also frei. Seit einem halben Jahr lernte ich Tag für Tag, wie sich das Leben anzufühlen hat. Seit einem halben Jahr verfiel ich dem Mann neben mir immer mehr.
"Wow", stammelte ich lediglich überfordert. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.
Und noch mehr verwunderte mich, dass Shawn an sowas dachte. Ich wusste nicht einmal das Datum des Tages, an dem ich hier ankam und er dachte sogar daran, dass es schon sechs Monate waren.
"Also hab ich ein kleines Geschenk für dich!", gab er fröhlich von sich und griff neben sich, um mir ein mittelgroßes Päckchen entgegen zu halten.
Ich riss die Augen auf und musterte ihn mit leicht geöffnetem Mund.
"Was? Nein! Wieso denn? Es ist das größte Geschenk, dass ich hier sein darf. Du hast schon viel zu viel Geld für mich ausgegeben, das tust du jeden Tag und ich kann dir gar nichts zurück geben. Wieso schenkst du mir etwas? Ich sollte dir etwas schenken, um mich bei dir zu bedanken. Wie soll ich dieses Ungleichgewicht zwischen uns je wieder ausgleichen?", fragte ich empört und starrte ihn ungläubig an.
Ich fühlte mich schäbig. Da nahmen sie mich schon hier auf, Shawn zahlte eine riesige Summe für meine Freiheit und nun beschenkte er mich auch noch? Das konnte ich auf gar keinen Fall annehmen, ich hatte es doch überhaupt nicht verdient.
"Mach es einfach auf, Angel. Ich rede nicht mit dir über Geld und sowas. Das ist echt unwichtig und ich wollte dir hiermit eine Freude machen. Du kannst es gut gebrauchen, vertrau mir. Also pack es aus!", forderte er streng, trotzdem liebevoll und hielt mir das Geschenk weiterhin entgegen, bis ich es laut seufzend annahm und mich wunderte, was so schwer sein könnte.
Ich legte es auf meinen Beinen ab und zog die rote Schleife auseinander. Danach nahm ich den Deckel der weißen Schachtel ab, woraufhin ein Laptop in weiß zum Vorschein kam.
Erschrocken lies ich den Deckel wieder auf die Schachtel fallen und sah Shawn vorwurfsvoll an. Danach sah ich erneut in die Schachtel, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht geirrt hatte.
"Ein Laptop?", fragte ich ungläubig und sah ihn wieder überfordert an. Er begann breit zu lächeln und nickte.
"Ich weiß wie wichtig dir das Ganze ist und du hast mir erzählt, dass du spätestens in den Ferien anfangen musst, deine Collage Bewerbungen zu schreiben und da dachte ich, bräuchtest du ein Laptop", erklärte er und meine Sicht verschwamm durch die aufkeimenden Tränen, die sich in meinen Augen stauten.
Das war so rührend und aufmerksam von ihm.
"Ich darf.. ich darf auf's Collage gehen?", fragte ich ungläubig und strahlte ihn über das ganze Gesicht an. Schließlich wollte er anfangs nicht mal zustimmen, dass ich weiterhin zur Schule ging.
"Natürlich. Wir können uns eine Wohnung suchen, du gehst studieren und ich mache das, was ich immer tue", schlug er vor und zuckte mit den Schultern. Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und das wollte ich auch gar nicht.
Er sollte sehen, wie dankbar ich ihm für all das war.
Er wollte mit mir zusammen in eine Wohnung ziehen, wir würden ein Leben zu zweit führen und ich konnte ans Collage gehen. Das war mehr, als ich mir je erträumt hatte.
"Danke, danke, danke! Das ist so wunderschön. Du hättest nicht so viel Geld für mich ausgeben sollen aber ich freue mich wirklich unglaublich! Ich liebe es! Ich liebe dich, Shawn!", freute ich mich lautstark und warf mich mit offenen Armen gegen ihn, sodass ich mich an seine Brust kuscheln konnte.
Er lachte leicht und schien sich mit mir zu freuen. Ich wünschte, ich könnte ihm auch irgendwie so eine Freude machen.
"Freut mich, dass es dir gefällt", sagte er sanft und strich über meinen Kopf.
"Gefallen? Ich liebe es!", wiederholte ich mich und kuschelte mich noch näher an ihn.
Schließlich beobachteten wir gemeinsam den Sonnenuntergang und schließlich die Sterne, bis es zu kalt wurde und wir mühsam wieder von dem Dach kletterten.
+++
Was denkt ihr, an welcher Uni sie schließlich landet?
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