~Kapitel 10~
Tag 31
Schweißgebadet wachte ich auf und versuchte meine Atmung etwas zu beruhigen.
Als wären die Tage nicht schon anstrengend genug, müssen mich auch noch andauernd Albträume verfolgen.
Ich schwang meine Beine auf die Seite und stand auf.
Mein Handy verriet mir, dass wir halb 2 in der Nacht hatten.
Ich lief zum Vorhang, zog ihn auf und starrte auf das Meer, das vom Mond angestrahlt wurde.
In den letzten Tagen hatte ich mehrmals versucht mit Grace zu sprechen, doch sie machte mir nie die Tür auf.
Der Streit mit ihren Eltern muss tatsächlich heftig gewesen sein, ihrer Reaktion nach zu urteilen.
Aber was kann ich schon beurteilen?
Allerdings würde ich wohl genauso reagieren, wenn man mich hier einsperren würde.
"Naja.. ein Versuch ist es wert.." murmelte ich, zog mir ne Jogginghose und ein weißes Shirt an und verließ so leise wie möglich mein Zimmer.
Ich ging den Gang entlang, bis ich beim Aufzug ankam, drückte den Knopf und fuhr mitten in der Nacht in den vierten Stock zu den Sonderfällen.
Auch hier oben war Alles ziemlich ruhig.
Ich lief auf Zimmer drei zu und blieb wie ein Idiot vor der Tür stehen.
Und jetzt? Als ob ich mitten in der Nacht an ihrer Tür klopfen kann.
~Grace~
Genervt wälzte ich mich nun zum vermutlich 87-mal von der rechten auf die linke Seite und versuchte einzuschlafen, doch keine Chance.
Ich war so wach wie nie zuvor und eigentlich hatte ich auch keine Lust zu schlafen.
Ich setzte mich auf und sah aus dem Fenster.
Der Mond spiegelte sich im Meer.
Es ist so ätzend dieses Meer zu sehen und selbst so verdammt eingesperrt zu sein.
Ich muss hier raus. Dringend.
Und zwar sofort.
Zielstrebig lief ich auf meine Zimmertür zu, riss sie auf und erschrak im nächsten Moment direkt zu Tode.
"Was machst du denn hier?" fragte ich sofort, als ich Shawn verwirrt ins Gesicht starrte.
"Äh.."
"Äh?" fragte ich.
Er sah mich überfordert an, weshalb ich eine Augenbraue hob.
Sollte ich hier nicht die Überforderte sein?
Er schwieg.
"Ich hoffe du weißt, dass das gerade ziemlich gruselig ist halb 2 Nachts?" Er legte eine Hand in den Nacken und schmunzelte schüchtern was zugegeben sehr süß aussah.
"Naja ich hab nicht so gut geschlafen und dann.. keine Ahnung was ich mir dabei gedacht habe." erzählte er durcheinander und sah mich entschuldigend an.
"Konnte auch nicht schlafen."
"Und was hattest du jetzt vor?" fragte er nun.
"Nur paar Leute umbringen." ich zuckte mit den Schultern.
Er sah mich mit großen Augen an.
"Du musst aufhören alles zu glauben, was ich sage." lächelte ich schließlich, trat aus meinem Zimmer und schloss die Tür hinter mir.
"Du bist ziemlich glaubwürdig, weißt du.." verteidigte er sich nun.
"Jahrelange Übung." antwortete ich und begann den Flur entlang zu laufen.
Ohne ein Wort zu sagen folgte er mir, als wäre er es nicht Anders gewohnt.
Vielleicht ist er ja noch gar nicht wach, sondern schlafwandelt.
Dann wäre meine Idee sicher nicht unbedingt die Beste.
"Was machen wir jetzt eigentlich?" fragte er, als er mir bereits ins Treppenhaus gefolgt ist und hinter mir die Stufen nach oben ging.
"Wir hintergehen jetzt die Klinik." antwortete ich und nahm einen Schlüssel aus meiner Jackentasche, mit dem ich die schwere Eisentür aufsperrte, die ganz oben auf uns wartete.
"Woher.."
"Frag nicht." würgte ich ihn ab, drehte den Schlüssel im Schloss rum und öffnete diese kurz darauf.
Langsam trat ich hinaus, schloss die Augen und atmete die erfrischende Nachtluft ein, als wäre es das kostbarste überhaupt.
Wobei bei mir stimmt das ja sogar.
Ich öffnete die Augen wieder, drehte mich zu Shawn um und wartete, dass er ebenfalls nach draußen kam.
Vor ein paar Tagen hatte ich Jonathan den Generalschlüssel geklaut, mit dem man selbst di Tür aufbekam, die mich nun auf das Flachdach der Klinik gebracht hatte.
Und da er ziemlich bald rausfinden würde, dass ich den Schlüssel hatte und es dann wieder ne Ladung Ärger geben würde, hatte ich die letzten Nächte nur hier oben verbracht, um zumindest ein bisschen das Gefühl von Freiheit zu spüren.
"Was? Hast du Höhenangst oder so?" fragte ich spöttisch, als Shawn noch immer im Türrahmen stand.
Er schüttelte den Kopf, als hätte ich ihn aus einer Träumerei gerissen und lief schließlich auf mich zu, zog dabei die Tür hinter sich zu.
"Erklärst du mir, was das hier soll?" fragte er und ich hörte das Kirschen der Kieselsteine unter seinen Füßen.
Ich ging langsam zum Rand des Flachdaches, setzte mich hin und lies die Beine nach unten Baumeln.
"Wow.. das ist hoch." bemerkte er, als er sich neben mir nieder lies und ebenfalls die Beine nach unten hängen lies.
Würden wir fallen, wären wir tot. Ganz sicher.
Aus diesem Grund wollte ich auch nie Jemanden hier hoch bringen.
Eigentlich.
"Ich hatte einen heftigen Streit mit meinen Eltern, weshalb sie mir verboten haben weiterhin raus zu gehen.
Also habe ich Jonathan's Schlüssel geklaut und versuche zumindest hier oben Nachts zu atmen." erzählte ich ihm und blickte über die Dächer Malibus.
"Wieso wollen sie dich hier einsperren?" fragte er und ich drehte mein Gesicht zu ihm, bemerkte dass er mich die ganze Zeit angesehen hatte.
Unsere Gesichter waren sich viel näher, als ich es erwartet hatte, weshalb ich seine Gesichtszüge musterte, ihm auf die Lippen starrte.
"Sie wollen mich beschützen." antwortete ich.
"Wovor?" ich schwieg und wendete den Blick ab.
Ich würde es ihm nicht erzählen.
Egal was er versuchte, ob ich eine Inspiration für seine Musik sein sollte oder einfach nur eine gute Story, ich werde ihm nicht erzählen, was mit mir nicht stimmt.
"Willst.. naja willst du.. dich umbringen?" fragte er vorsichtig und mir entfloh ein ironisches Lachen, bevor ich den Kopf schüttelte.
"Eigentlich will ich sogar mehr leben, als die Meisten hier.
Aber leider stecke ich hier fest. Das ist nicht wirklich ein Leben, weißt du. Vor allem nicht auf Dauer.
Manchmal bin ich richtig sauer auf die Leute, die ihr Leben beenden wollen." erzählte ich, auch wenn ich nicht weiß was er getan hatte, um ihm so viel Vertrauen zu schenken.
"Ich denke mir.. geht doch einfach raus und lebt euer fucking Leben. Ich kann's nicht.
Meine Eltern halten mich hier gefangen. Es ist wie ein Goldkäfig.
Ich will nur hier raus und was erleben.
Stattdessen werde ich gezwungen Tabletten zu nehmen und über Gefühle zu reden, die ich nicht habe." brummte ich, denn es regte mich tatsächlich auf.
"Wenn du doch den Schlüssel hast, wieso schleichst du dich dann nicht komplett raus?" fragte er.
"Es sind automatische Schiebetüren, die von der Anmeldung aus gesteuert werden, die Tag und Nacht besetzt ist." erklärte ich und er nickte nur stumm.
"Wie ist das, nichts zu fühlen?" fragte er plötzlich und ich entschied mich doch wieder zu ihm zu sehen.
"Naja man.. ist nie traurig." antwortete ich und zwängte mir ein Lächeln auf.
Er sah mir eine Weile stumm in die Augen.
"Aber.. man ist auch nie glücklich." sagte er nun, es klang jedoch mehr wie eine Frage.
Mein gestelltes Lächeln fuhr mir aus dem Gesicht.
"Korrekt."
"Ist das nicht irgendwie lustig?" fragte er nun und ich sah ihn verwirrt an.
Das soll lustig sein?
"Was?"
"Naja.. ich bin hier, weil ich zu viele Emotionen habe und sie unter Kontrolle bekommen muss und du bist hier, weil du zu wenig fühlen kannst." erklärte er nun und ich verstand noch immer nicht wirklich was daran lustig sein soll.
"Wir sind also wie Feuer und Eis." bemerkte ich.
"Gegensätze ziehen sich an." entgegnete er.
"Das Feuer könnte mich verbrennen."
"Das Eis könnte mich erlöschen."
Wieder starrten wir uns eine Weile stumm an, doch diesmal hatte keiner von uns das Bedürfnis, den Blickkontakt abzubrechen.
Eigentlich genoss ich es.
Ich wünschte mir, er könnte in meine Seele gucken und sehen was ich verstecke.
"Ziemlich gefährlich.." murmelte ich.
"Manche Risiken sind es wert."
+++
Wie gefällt euch die Geschichte bisher? 💕
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