~Kapitel 1~
~Shawn~
Nie konnte ich mir vorstellen, wie es sein musste, in einer randvollen Arena zu stehen, Musik zu machen und bewundert zu werden, obwohl es Alles war, wovon ich je geträumt hatte.
Ich lebte meinen Traum. Mein Leben war ein Traum.
Umso unverständlicher dürfte es sein, dass mir genau dies gerade die Panik in die Adern jagte. Wie konnte mich mein Traum, Alles was ich mir erwünscht hatte, so plötzlich so große Angst machen? Das war doch verrückt.
Es war keine Angst vor den Menschen, ich hatte keine Angst es könnte etwas Schlimmes passieren. Es war verdammt nochmal keine reale Angst. Sie existierte lediglich in meinem Kopf, nahm dort den wohl größten Teil ein und raubte mir den Verstand. Es war die Angst zu versagen, nicht gut genug zu sein, zu enttäuschen.
Ich wusste, sie würden mich nicht verurteilen, wäre Etwas nicht perfekt, aber ich würde das. Ich würde mich verurteilen und fertig machen. Es würde mich zerstören zu wissen, dass sie so viel Geld gezahlt hatten, sie so lange gefreut hatten und das Alles für einen Versager, wie mich.
"Stell dich nicht so an", murmelte ich mir selbst zu.
Alles war gut, doch dann kam jedes Mal ganz plötzlich der Moment, in dem ich begriff, dass nun Alles an mir lag. Ich entschied über Erfolg oder Misserfolg. Ich musste all den Erwartungen gerecht werden und das konnte ich nicht. Ich war nicht gut genug.
"Shawn? Noch 5 Minuten, lass uns zur Bühne gehen!", rief Andrew von der anderen Seite der Tür aus und riss mich aus meiner Schock Starre.
Normalerweise würde ich längst hinter der Bühne stehen und mich auf die Show freuen, doch in den letzten Wochen wurde es immer schwerer, mich auf die Arbeit zu fokussieren. Jede Show wurde härter und ich hasste es so sehr, dass sich das, was ich liebte in diese Qual verwandelte.
Ich spürte die unsichtbare Hand, die sich unbarmherzig um meinen Oberkörper wickelte und immer enger wurde.
"Shawn?"
"Ich bin gleich da, nur noch ein Moment!", entgegnete ich stockend und taumelte auf den Tisch zu, der vor dem großen Wandspiegel stand. Zittrig stützte ich mich darauf ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und griff nach meiner Wasserflasche, um einen Schluck zu trinken.
"Okay, jetzt beruhig dich. Komm runter..", murmelte ich meinem Spiegelbild zu.
"Und wenn Etwas schief geht? Willst du all die kleinen Fans wirklich enttäuschen? Sie wären am Boden zerstört. Du schaffst das nicht", hallte es in meinem Kopf und es fühlte sich an, als würde mein Spiegelbild antworten.
Krampfhaft kniff ich die Augen zusammen und raufte mir die Haare. Das musste aufhören, die Stimme war nicht echt.
"Ist Alles in Ordnung da drin? Geht's dir gut?", hörte ich Alessia rufen.
Ihr Set war längst vorbei und ich war mir sicher, dass sie die Show wieder einmal gerockt hatte. Sie konnte das so gut, sie lieferte immer wieder ab, ohne die kleinsten Fehler zu machen. Noch dazu sah sie jedes Mal so entspannt aus. Wieso musste ich immer Alle enttäuschen? Wieso konnte ich nicht ein einziges Mal Etwas richtig machen?
Die Hand schloss sich immer fester um mich und ich rang schwer nach Luft. Der Schweiß stand mir auf der Stirn und meine Hände zitterten unaufhörlich.
"Ich trete gleich die Türe ein!", vernahm ich Jake's Stimme und wusste, dass er keine Witze machte. Er würde diese Tür eintreten. Also ignorierte ich das Gefühl, gleich zu ersticken, tupfte den Schweiß mit einem Handtuch ab, setzte das perfektionierte Lächeln auf und öffnete schwunghaft die Tür, um in drei besorgte Gesichter zu sehen.
"Tut mir echt leid, kann's losgehen?", fragte ich direkt und lehnte mich locker gegen den Türrahmen.
"Geht es dir gut?", wollte Andrew wissen und ich nickte nur lächelnd.
"Bist du dir sicher?", harkte Alessia nach, da sie mich in den letzten Wochen zu gut kennengelernt hatte.
"Ja, los geht's. Wir haben eine Show zu rocken!", gab ich gespielt enthusiastisch von mir und lief schließlich den Gang entlang, bis ich auf meine Band traf.
~Grace~
"Wir wollen doch nur dein Bestes, Prinzessin. Das weißt du doch", sagte Dad und strich mir über den Kopf, als wäre ich sein kleines Schoßhündchen.
Ich nickte und schob das Tablett mit dem Essen von mir. Ihr ganzes Gerede hatte mir den Appetit mal wieder ordentlich verdorben, dabei hatte ich doch nur darum gebeten mit Maya an den Strand gehen zu dürfen. Ich wusste, dass sie mein Bestes wollten, doch Alles was mich krank machte, waren die Beiden.
"Du musst doch etwas essen, Gracie. Du weißt, wie ungesund es ist, wenn du nicht isst", bat Mum und ich verdrehte die Augen. Allein ihre gestellte Tonlage brachte mich um den Verstand. Sie sprachen mit mir, als wäre ich ein Welpe oder ein Baby, doch das war ich längst nicht mehr.
"Ich weiß Mum, ich weiß es. Ihr habt mir nur mal wieder den Appetit verdorben", entgegnete ich schlicht, zeigte ihnen keinerlei Emotionen.
"Es ist zu gefährlich, dich unbeaufsichtigt nach draußen zu lassen. Aber wir haben Jemanden angestellt, der dich jeden Tag ausführen wird", erzählte Dad und erwartete vermutlich noch, dass ich mich darüber freute.
"Mich ausführen? Mit einer Leine? Soll ich auch einem Ball hinterher rennen, oder wie habt ihr euch das vorgestellt?", entgegnete ich kalt und sah meine Eltern abwechselnd an. Ich hätte sie nicht so provozieren müssen, doch mir blieb eigentlich nichts Anderes übrig.
"Hör bitte auf dich zu verhalten, als hätten wir dich in ein Gefängnis gesteckt. Es ist landesweit die beste Rehabilitationsklinik. Wir bezahlen einen Haufen Geld dafür, dass du dich hier erholen und schützen kannst", argumentierte mein Vater und ich verdrehte lediglich die Augen, versuchte ein ironisches Lachen zu unterdrücken.
Rehabilitationsklinik war ein wirklich reizender Ausdruck für das, in dem ich feststeckte.
"Nur werde ich mich weder erholen, noch wird mich das hier schützen und das wisst ihr Beide ganz genau. Das Geld könntest du doch besser investieren, Dad. Oder etwa nicht?", trotze ich und wendete schließlich den Blick ab.
"Hör bitte auf damit, Gracie", bat Mum, doch bevor sie weitersprechen konnte, zog ich meine Kopfhörer aus der Schublade des kleinen Tischchens neben mir, verband sie mit meinem Handy und steckte sie mir in die Ohren.
Vermutlich sprachen meine Eltern einfach weiter, doch zum Glück hörte ich sie durch die laute Musik in meinem Ohren nicht mehr. Ich scrollte desinteressiert durch mein News-Feed, bis mir eine durchaus interessante Nachricht ins Auge stach.
"Shawn Mendes bricht seine dritte Welttour aus gesundheitlichen Gründen ab. Die Fans sind besorgt und enttäuscht. Was ist mit dem Teenieschwarm los?"
~Shawn~
"Was zum Teufel soll das hier bedeuten, huh?!",mit diesen Worten rauschte ich in das Büro meines Managers und guten Freundes Andrew. Ich knallte ihm den Zeitungsartikel auf den Schreibtisch, den man mir heute Morgen vorgelegt hatte.
Sofort hatte ich das Krankenhaus verlassen und mich auf den Weg zu ihm gemacht, schließlich ging es hier um meine Karriere.
"Ganz einfach, du hast dich nicht an die Abmachung gehalten also habe ich die nötigen Konsequenzen daraus gezogen und die restlichen Termine auf unbegrenzte Zeit verschoben", entgegnete er seelenruhig, während ich spürte, dass sich die Wut in meinem Kopf anstaute.
"Bist du völlig übergeschnappt? Wie kommst du dazu einfach die Tour abzubrechen? Was fällt dir überhaupt ein? Es ist meine Tour! Weißt du wie enttäuscht meine Fans sein werden, wie sauer sie werden? Hast du eine einzige Sekunde daran gedacht, was ich davon halte?", schrie ich ihm beinahe entgegen, denn er hatte das Fass definitiv zum Überlaufen gebracht.
"Mir ist ziemlich egal, was du davon hältst, verdammt! Wichtiger ist was während der letzten Show passiert ist, Shawn. Du hast mir dein Wort gegeben, mir zumindest Bescheid zu geben, wenn du eine Attacke bekommst. Hast du dich an dein Versprechen gehalten? Nein.
Aber ich halte meine Versprechen und ich habe deinen Eltern damals mein Wort gegeben, dass ich Alles tun werde, damit du in Sicherheit bist. Und ich finde nicht, dass es schön war mit anzusehen, wie du vor all den Fans auf der Bühne zusammenbrichst", entgegnete er und obwohl seine Worte logisch klangen und ein kleiner Teil in mir, ihm dafür danken wollte, machte es mich gerade unglaublich aggressiv.
"Mittlerweile bin ich erwachsen und kann meine eigenen Entscheidungen treffen", knurrte ich.
"Offensichtlich kannst du das nicht. Deshalb habe ich das hier für dich", sprach er wieder komplett ruhig und schob mir einen orange-grünen Flyer zu, den ich zögerlich ergriff.
"Was ist das jetzt?", wollte ich wissen und musterte den Zettel wütend.
"Eine Rehabilitationsklinik in Kalifornien. Es ist ganz zufällig die beste in den vereinigten Staaten", antwortete er und ich zog eine Augenbraue nach oben.
"Und was soll ich damit? Ich muss eine Welttour beenden!", zischte ich.
"Es wird keine weitere Tour geben, bis du dort warst. Das kann ich wirklich nicht verantworten. Deine Gesundheit ist zwischen all dem das Wichtigste und das musst du erst wieder lernen. Ich habe jetzt lange genug dabei zugesehen, wie du dich zerstörst und das muss jetzt aufhören. Wo soll das denn noch hinführen? Du warst im Krankenhaus, Shawn!", setzte er seine Moralpredigt fort.
"Das kann doch nicht dein Ernst sein! Ich geh ganz sicher nicht in ein Irrenhaus", entgegnete ich.
"Rehabilitationsklinik", verbesserte er mich neunmalklug und ich verdrehte genervt die Augen.
"Wie auch immer, ist mir scheiß egal. Ich muss meine Shows spielen, Andrew!", forderte ich, doch er lehnte sich nur in seinem Bürostuhl zurück und musterte mich ungläubig, als wäre ich hier der Durchgeknallte. Dabei hatte er eine komplette Welttour abgesagt.
"Lass es mich auf den Punkt bringen. Keine Therapie, keine Shows. Ende der Diskussion", sagte er streng und widmete sich einem Dokument vor sich, ließ mich überfordert stehen.
"Das kannst du nicht tun! Ich kann meine Fans nicht enttäuschen", gab ich panisch von mir, als ich spürte, dass das Ganze hier Nichts bringen würde.
Ich hatte versagt, hatte Alle enttäuscht. Ich war verdammt nochmal einfach nicht gut genug.
"Ich will auch nicht, dass du sie enttäuschst. Aber der einzige Weg ist, die Hilfe zu bekommen, die du brauchst und gesund zu werden. Danach können wir weiter reden".
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