XXXVII; [shoganai]

Er drückte die schwere Tür auf und trat in das Innere.

Erneut würde er, wie im Zug, von einer Welle der Kälte empfangen und eine Gänsehaut zierte sich durch seine leicht durchschwitzte Kleidung auf seinen Armen. Er nahm das Cap ab und schüttelte die Haare zurecht.

Für eine Weile stand er nur da, auf dem dunkelgrauen Fliesenboden und sah um sich.

Es war so ruhig.

Das Gebäude hatte etwas einschüchternd Prunkvolles an sich.

Eine breite große Treppe wenige Meter vor ihm, massive Säulen, minimalistisch.

Als hätte sich hier ein junger Architekt austoben können und Geld hätte keine Rolle gespielt. So wirkte es auf ihn, wenn nicht auch wundervoll.

So schöne Schulen haben sie in Japan nicht gehabt, eher alt und nur das Nötigste saniert.

Nach einem tiefen Atemzug bewältigte er die Treppen und konnte nun auf den Eingang und die damit verbundene Halle herab sehen.

Es fühlte sich an, als würde er am Balken sitzen.
Jedoch klopfte sein Herz dort nicht so stark, wie zum jetzigen Zeitpunkt. Seine Hände zitterten leicht und er war nervös.

Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wen er nach Mona fragen sollte.

Ryoyu schleichte schon fast dahin und betrachtete alles um sich.

Mini Modelle von Häusern und Gebäuden waren in einer Reihe am langen Gang ausgestellt.

Er beugte sich leicht vor und seine Stirnfransen hoben sich von seiner Stirn ab. Mit Neugier betrachtete er das kleine Kunstwerk, welches nach längerer Betrachtung des Schildes ein Modell eines Kindergartens in irgendeinem Dorf sein soll. Daneben ein Freizeitzentrum für Jugendliche.

Er richtete sich wieder auf und seine Füße trugen ihn weiter. Die Augen kamen vor Spannung kaum mehr nach, alles zu betrachten. Dieses Schulhaus zog ihn in seinen Bann.

Er wusste nicht, ob Mona Schöpfer von einem dieser Werke war; zumindest waren keine Namen vermerkt. Sie hat ihm nie richtig gesagt, was sie in der Schule tat, beziehungsweise was sie am Ende dadurch erlangte.

Er war an eine Universität für Sport gegangen und wurde so auf den Leistungssport hin trainiert. Doch das Schulsystem von Mona hat er noch nicht durchschaut.

Die Modelle wurden von Plakaten abgetauscht, auf denen immer wieder kleine Platinen oder anderweitige Abbildungen von Maschinen waren.

Das Plakat mit dem Gameboy zog ihn an, er konnte nicht wirklich etwas darauf lesen, huschte nur mit den Augen über die Bilder und blieb schlussendlich am Ende an einem Namen hängen. Vorsichtig fuhren seine Finger über das glanzbeschichtete Papier.

Und als er hinter sich eine Tür ins Schloss fallen hörte, wird er aus seinem Trance geholt.

Eine Frau mittleren Alters, graues kurzes Haar mit Untercut und in schwarz gekleidet, kam aus einer Tür, gegenüber der ausgestellten Modelle. Sie hatte einen Stapel Zettel in der Hand und eine kleine Karte, so groß wie eine Kreditkarte. Ihr Blick war zielgerichtet auf den Drucker neben Ryoyu.

Er hielt sie auf und entschuldigte sich höflichst.

"Entschuldigen Sie", machte er eine leichte Verbeugung, wie es die Gewohnheit nicht anders zuließ und sie ihren Blick nur verwirrt auf ihn richtete. "Kennen Sie eine Mona, die hier zur Schule geht?"

Sie schüttelte kurz den Kopf und zeigte auf die Tür, aus der sie gekommen war.

"Aber da vielleicht jemand."

Erneut verbeugte er sich leicht und gab sich innerlich eine Ohrfeige. Händeschütteln war angesagt.

Die beider Wege trennten sich und wenige Sekunden war im Hintergrund der Drucker zu hören.

Er klopfte zweimal mit den Knöcheln und trat danach ein.

Wie verhielt man sich in einem Lehrerzimmer in Österreich.

Zu seiner Schulzeit konnte er sich noch erinnern, durften sie nie in das Lehrerzimmer. Nur der Schülersprecher war dazu berechtigt. Über diesen wurde alles, was außerhalb des Unterrichts mit dem Lehrer besprochen werden musste, kommuniziert.

Seine Augen wurden leicht geblendet.
Eine große Fensterfront brachte Licht ins Innere und strahlte auf die Holztische, die Arbeitsplätze, die dieses Sonnenlicht reflektierten.

Es war weitgehend leer, nur eine Lehrperson, so glaubte Ryoyu es zu wissen, war über einem linierten Zettel gebeugt. Ein kleiner Stoß dieser, versehen mit rotem Gekritzel zwischen der blauen Tinte, lag rechts von ihm.

"Entschuldigen Sie."

Die Person zuckte auf und riss den Kopf zur Seite. Seine Augen wirkten müde und sein Gesicht war blass, was der dicke Schnauzbart noch verstärkte.

"I korrigier' grod Schularbeit. Wos is."

Er hatte keinen Tonfall, vor dem man erschrecken sollte. Es klang eher danach, sich kurz zu halten, da sein Motivationsfaden bald reißen wird. Schlechte Ergebnisse wahrscheinlich.

Kobayashi erkannte die leere Tasse auf dem Tisch des Mannes und der Duft von Kaffee machte sich in der Nase von ihm breit. Zu seiner linken erkannte er die rustikale Kaffeeaufgussmaschine, wie es seine Großmutter immer verwendet hatte und er sie, aus Geldnot, auch noch verwendete.

Ryoyu machte einen Schritt von der Tür dem Lehrer entgegen, da die Lehrerin von vorhin in Begleitung mit einem männlichen Kollegen wieder zurückkam und dieser mit einer Tasche verschwand.

Nach der Türschnalle, die einrastete und einen Hall im Raum hinterließ, war es still.

Nur seine Schritte waren zu hören, die von der Tür zur Kaffeemaschine wanderten. Der Lehrer hatte sich wieder an seine Arbeiten gerichtet.

Zielstrebig ging er auf den Dunkelhaarigen zu, seine Hand umklammerte den blauen Griff der Kanne. Aus der Öffnung kamen dünnen Schwaden von Dampf.

Vorsichtig, ohne den Menschen zu erschrecken, leerte er die Tasse halbvoll. Doch fing er sich einen verwirrten Blick vom Lehrer ein.

Die Weißhaarige rollte Ryoyu näher und hielt ihm lächelnd ihre schwarze Tasse entgegen.

"Bitte danke."

Dieser Duft von Kaffee ließ Ryoyu das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er hat seit gestern Vormittag keinen Tropfen schwarzes Gold in seinem Rachen gehabt.

Mit großen Schritten stellte er die Kanne wieder zurück und begann in seinem Rucksack zu kramen.

Leise, begleitet von Rascheln, würde noch eine kleine Süßigkeit auf die Tasse gelegt. Der Blick des Lehrers wurde immer verwirrter.

Nach einem tiefen Atemzug switchte Ryoyu von Deutsch auf Englisch. Er glaubte, dass der Lehrer meint einen Schüler vor sich stehen zu haben. Doch der Blick von ihm zeigt, dass er diesen Gedanken bereits ablegte.

"Kennen Sie eine Mona?"

"Welche Klasse?"

"Vielleicht was mit Computer?"

"Ich unterrichte dort Deutsch."

Und wie aus dem Nichts zog er die Augenbrauen zusammen. Der Lehrer dachte nach, über was, wusste Kobayashi nicht zu spekulieren.

"Warum?", ergänzte er seine Aussage.

"Ich muss mit ihr sprechen."

Der Lehrer erhob sich und hatte kaum an Spannung seiner Augenbrauen vernachlässigt. Er war gut eineinhalb Kopf kleiner als Ryoyu.

"Wer bist du überhaupt?"

Auf diese Frage war Ryoyu nicht gefasst gewesen.

"Ähm", kratzte er sich am Hinterkopf.
Es zu erklären wurde viel zu lange dauern.

"Raus mit dir", stemmte der Lehrer seine Arme in die Hüfte und schnaubte kurz. "Bitte."

Ryoyu stand nur kurz der Mund offen und er wusste sich nicht zu helfen.
Er wusste, dass nichts helfen wird.

"Arigatou gozaimasu", biss er sich auf die Unterlippe und schwang sich in eine tiefe Verbeugung. Er musste seine Tränen unterdrücken. "Vielen Dank."

Schwungvoll erhob er sich und schritt zur Tür.

Er wollte sich keinen Ärger einholen, wenn er allein durch das Schulhaus schlendern würde.

Ryoyu verließ das Gebäude und ihn verließ seine Hoffnung.

In gewisser Hinsicht war es sinnlos gewesen hierherzukommen.

Was hat er sich dabei gedacht, als er das Schulhaus betreten hat. Als würde man ihm Mona auf Händen bringen.

Es könnte jeder x-beliebige in das Haus spazieren und nach jemanden fragen. Ohne Relation zur Person kam man nirgendwo hin.

Er hätte sich auch als ihr Bruder ausgeben können, was kompletter Schwachsinn gewesen wäre.

Schritte in der Ferne ließen ihn verstummen.

In seiner geistigen Abwesenheit hat er nicht bemerkt, dass er vor dem Eingang seine Kreise gezogen hat.

Schwere Stiefel hielten. Das Profil hat vorhin noch an den Steinplatten gekratzt.

Und als er seinen Kopf hob, stockte ihm der Atem, seine Gedanken, sein Herz.

Seine Kiefermuskulatur hatte Arbeit seinen Mund geschlossen zu halten.

Und Tränen kamen hoch.

Seine Augen schafften es nicht sich von ihr zu lösen und sie immer wieder von oben bis nach unten zu mustern. Als wurde er überprüfen ob sie die richtige war.

Aus einem Verschnitt von Lorde hat sie sich zu einem Verschnitt von Billie Eilish verwandelt.

Nur mit weniger Neongrün in den Haaren und mehr, der Kleidung zu urteilen, in schwarz und Metal.

Er nahm den Vergleich wieder zurück.

Sie hat sich zu einer wahren Version ihrer selbst aus ihrem tiefsten Inneren verwandelt.

Und alles, was er wollte, war sie in seine Arme zu schließen und ihr sagen, dass alles gut werden wird.

"Was willst du Kobayashi", kam es kühl von ihr. Ihre linke Hand hielt eine Glasschüssel mit Plastikdeckel und eine Gabel zwischen Deckel und Daumen. Das Innere ließ auf Spaghetti hindeuten; zumindest ein wilder Haufen davon.

Ryoyu musste sich aus den Gedanken schütteln und zusammenreißen. Er durfte jetzt nicht wegdriften.

Für diesen Moment war er gekommen. Und er wusste nichts mehr, was er sich während des Fluges ausgedacht hatte.

Also begann er sich auf sein Bauchgefühl zu verlassen.

"Mona, ich...", schnaubte er kurz und senkte seinen Kopf. Dieser schmerzte jetzt schon.

"...es tut mir leid."

Sie war still, wie die Sekunden zuvor in denen sie ihm überraschenderweise zugehört hat.

Als er den Kopf wieder hob, sah er in ein Gesicht der Gleichgültigkeit.

"Und weiter", würde ihre Stimme immer gleichgültiger. Als würde sie Ryoyu herausfordern oder damit glauben, ihn zum Gehen zu bringen. Doch er erkannte ihren Blick, der so einiges verriet.

Er machte einen Schritt auf sie zu.

"Hast du Zeit mir zuzuhören?", fragte er vorsichtig, da sie offensichtlich auf dem Weg zum Mittagessen gewesen war.

"Ich weiß nicht, ob ich das will Kobayashi", konterte sie und Ryoyu versuchte gelassen zu wirken, auch wenn er innerlich kurz vor dem Nervenzusammenbruch stand. Nichts lief so, wie er es sich vorgestellt hatte.

"Ich würde dich darum bitten", machte er einen weiteren Schritt auf sie zu und es trennten beide nur noch wenige Zentimeter.

Nicht zu verschleiern war ihre Aura, die sie noch wie vor einem guten halben Jahr ausgestrahlt hatte. Sie wirkte beruhigend auf Ryoyu. Doch er erkannte in ihren Augen, dass sie unruhig in seiner Nähe war.

Sie scheint etwas zu verbergen.

"Du redest mit mir als würdest du mich fragen, ob ich deine Freundin werden will", klang sie gehässig.

Das will ich auch, dachte sich Ryoyu.

Doch es veranlasste diese Art von Mona das Gemüt von Ryoyu ungeduldig zu werden. Er möchte seinen Standpunkt, warum er gekommen war, endlich so erzählen, ohne ihre Kommentare.

"Kannst du mir nur einmal zuhören?", knirschte er seine Zähne aneinander und so etwas wie Feuer begann in ihren Augen zu lodern. Dunkles Feuer.

Doch ihre Augen weiteten sich.

Sie schluckte die saure Pille wie ein Stück Schokolade und ließ sich kaum etwas anmerken.

"Jetzt hast du deine Chance verspielt", wechselte das Mittagessen und ihr Besteck die Hand. Ihr Blick zeigte ihm, dass sie bereits alles mit ihm abgeschrieben hat, was man nur konnte.

"Du siehst mich an, als würdest du mich abgrundtief hassen", sprach er seine Gedanken laut aus und wollte in seinem tiefsten Inneren eine Antwort darauf.

"Was glaubst du, tue ich das?"
Er konnte nicht übersehen, dass sie es als Spiel sah. Mona musterte ihre Fingernägel auf Unversehrtheit des schwarzen Nagellacks und drehte ihren Körper bereits in Richtung Haupteingang.

"Ich verstehe nur nicht, warum."

Verzweifelt krallte Ryoyu eine Hand in seine Jacke und spürte wie sein Knie zu stechen begann. Sein Herz bebte vor Aufregung und Anspannung. Lange hielt er diese Art von Gespräch nicht durch, bevor es durch ihn in Tränen und Schreien ausarten wird. Er kratzte sich am Hinterkopf, ohne dabei die Augen von Mona außer Acht zu lassen.

Wie aus dem Nichts ertönte ein Lachen aus ihrem Hals, welches Ryoyu erschreckte.
"So naiv hätte ich dich jetzt nicht eingeschätzt Kobayashi."

"Hör auf mich so zu nennen!"

Ein Reflex hatte sich losgelöst, automatisiert in der Grundschule. Als Kind hat man es nicht leicht, wenn der Vater Turnlehrer war.

Jetzt hat er es geschafft, Mona zu erschrecken. Doch brachte er mit diesem Beben durch ihr hindurch ihr Gerüst zu Fall. Das finstere Glitzern in ihren Augen verschwand komplett.

"Du hast es doch nicht anders verdient!"

Sie schrie ihn aus vollsten Halse an. Mona scheute offenbar keine Mühen, ihm wirklich zu zeigen was sie von ihm hielt, ob sie ihn damit verletzen wird oder nicht.

"Daikirai!"
Und das Essensgeschirr fiel klimpernd auf den Boden.

Sie hasst mich. Warum habe ich das verdient.

"Kein Grund mich gleich zu beschimpfen", kühlte sein Gemüt rasant ab, da er ihre Tränen erkannt hatte. Es lag etwas tiefer als dieses Ich hasse dich.

"Shine! Ussendayo! Tsukaene yatsu dana!!!"

"Was hast du gesagt?!", entkam es ihm in Deutsch und sie zuckte zusammen.

Ihre Hände hatten sich bereits zu Fäusten geballt.

Ryoyu wusste nicht, was sie zu einer Schrecksekunde gebracht hat, da seine Hände sich um ihre Gelenke geschlungen hatten und er hielt sie fest; ungewollt.

Wo hat sie das gelernt?
Wenn sie mich so verachtet, wird sie wohl kaum Japanisch gelernt haben.

"Onoree", zischte es zwischen seinen Zähnen scharf hervor.

"Verstehe", wurde ihr Blick noch einen Tick verachtender. "Das wolltest du mir also sagen."

Ryoyu wusste nicht, wo dieser Zorn in seinem Inneren herkam. Jedoch wurde der Griff um ihre Handgelenke etwas fester.

"Jetzt hör' mir doch bitte einmal zu."

"Was willst du mir also sagen", schniefte sie kurz und riss den Kopf zur Seite. Ihre Haarspitzen streiften die Wange von Ryoyu wie scharfe Messer. Diese veranlassten ihn, sich wieder zu fassen und sich aus seinen Gedanken zu enthedern, die mit einer komplett anderen Ausgangslage nun fertig werden mussten.

"Dass ich...", stockte er und brachte seinen Mund nicht dazu, direkt mit dem ganzen Geschützen rauszurücken. "...ich..."

Ich mag dich doch mehr als nur ein bisschen.

Sie riss grob ihre Handgelenke von Ryoyu los und stolperte zwei Schritte rückwärts. Sie hob ihre Sachen auf und rannte in Richtung Tür, ohne dabei noch Ryoyu ein letztes Wort an den Kopf zu werfen.

"Shitsukendayo!"

Er streckte seine Hand noch nach ihr aus und streifte nur ihr schwarzes Shirt.

"Nand...", riss er das Wort mit einem tiefen Seufzer ab und ließ mit dem Türknall den Kopf senken.

Hat Junshiro vielleicht doch Recht gehabt?

______________
daikirai - I hate you!
shine - go to hell
ussendayo - shut the fuck Up
Tsukaene yatsu dana - You're worthless
Onoree - Damn you
Shitsukendayo - Leave me the fuck alone

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top