XXVII; [komoru]
Von weiten erkannte er Yuka, die ihm entgegenwank.
Ryoyu steckte seine EarPods ein und verstaute sie in der Tasche.
Diesmal wartete er, bis die Ampel auf Grün schaltete und mit der Menschenmasse die Straße überquerte. In Sendai war wesentlich mehr los als im ländlichen Teil von Hanamaki.
Mit einem leichten Lächeln schloss er seine Schwester in die Arme, die ihn so an sich drückte, dass er beinahe Atemnot bekam.
Sie quietschte erfreut in sein Ohr und ließ ihn schlussendlich los.
Yuka strahlte über das ganze Gesicht, während Ryoyu leicht nach Luft rang. Obwohl ihm eigentlich nicht danach war, steckte ihn dieses Lächeln seiner Schwester an.
"Ich freu' mich so, dass du Zeit hast", knuffte sie ihm in die Wange, als wären sie ein Pärchen und der Jüngere löste etwas verlegen die Hand von seiner Haut.
Yuka und Ryoyu haben, wenn auch zeitlich versetzt, dasselbe Schicksal ereilt. Beide haben ungewollt die Aufmerksamkeit auf das kleiner Geschwisternteil abtreten müssen. Yuka zuerst an Ryoyu und dann Ryoyu an Tatsunao.
Die beiden sind dadurch erst recht zusammengewachsen. Als Ryoyu in den Weltcup gekommen und durch die Welt gereist war, war dieses besondere Band zu Yuka nicht gerissen; im Gegenteil.
Ryoyu konnte nie so eine Verbindung zu Junshiro aufbauen; lag es vielleicht auch daran, dass Yuka und Ryoyu vom Gemüt her eher nach der Mutter kamen, und Junshiros manchmal mürrische Art nach dem Vater.
Doch Ryoyu beschäftigte nun mehr als das Band zwischen ihm und seiner Schwester. Die Stelle, an der Yuka ihm ihre Freude gezeigt hat, schmerzte leicht, doch sein Kopf träumte sich andere Dinge zusammen.
Wie würde es sich anfühlen, wenn das Mona bei mir machen würde.
"Wie weit bist du mit der Wohnung?", stieß sie ihm mit dem Ellbogen in den Oberarm und Ryoyu schreckte hoch.
"Soweit ganz gut, vielleicht find' ich ja was", war dies das Stichwort, dass sie sich in Richtung Geschäft in Bewegung setzen, "leider hab ich die Leine vergessen."
Yuka blitzte ihn empört an, worauf Ryoyu nur kurz lachte. Es klang erschreckend aufgesetzt in seinen Ohren.
Doch Yuka ließ sich von dieser Bemerkung nicht unterkriegen und begann dem Bruder zu erzählen, was sie alles brauchen würde.
Ryoyu hörte ihr nur mit einem halben Ohr zu, während sie durch die Türen schritten.
Er wusste nicht, warum er heute einen Rückfall erlitt; dazu einen mächtig starken.
Krampfhaft wollte er zu Mona zurück und auch der Gedanke, dass er dies offensichtlich nicht mehr konnte, verscheuchte den Willen nicht. Sie ignorierte seine Nachrichten und auch die Worte von Masamitsu trugen Gewicht.
"Wie sollen wir das alles tragen", kam es etwas erschrocken von Ryoyu, als Yuka fertig war. Er hat sich lediglich die Garderobenhaken gemerkt.
"Irgendwie geht's schon", lächelte sie verschmitzt und hastete erfreut zu den Spiegel.
Mit einem kurzen Seufzer folgte er ihr.
Das wird ein langer Tag.
Doch so langsam begann auch Ryoyu nachzudenken, ob er etwas Geld ausgeben möchte. Seine Mama hat davon gesprochen, dass die Wohnung vielleicht ein neues Bett brauchen würde, wenn auch neue Kücheneinrichtung und auch neue Vorhänge.
Die Vorhänge beließ er so wie sie sind, da er das Blumenstickmuster mochte und sie kaum Licht durchließen.
Bei der Einrichtung konnte er sich schon eher mit dem Gedanken anfreunden, etwas Neues zu kaufen.
Vielleicht ein paar Essschalen, Stäbchen, Besteck. Auch ein Wasserkocher und ein Reiskocher wäre von Vorteil.
Wie paralysiert wollte er in die Abteilung für Küche und Geschirr abbiegen, als Yuka ihn grob am Shirt festhielt.
Er schreckte aus seinen Gedanken hoch und sah sie etwas verwundert an. Doch er wusste warum sie so gehandelt hatte. Sie hat ihn nicht gebeten, mitzukommen, um seine Wohnung einzurichten. Ryoyu war verantwortlich, sie wieder heil aus dem Ikea zu bringen. Yuka war kein Mensch, der Ruhe bewahrte in einem riesigen Geschäft, wenn sie sich verlief.
"Ich will noch vorher zu den Lampen", zeigte sie in die andere Richtung und Ryoyu nickte.
Sie bewegten sich in die Abteilung, doch Ryoyu konnte seine Füße noch nicht dazu überreden. Er sah zu seinem Arm hinab, an dem Yuka ihn festgehalten hat.
Er fühlte den Kopf, der damals im Krankenhaus auf diesem Oberarm gelegen war. Es hat ihm viel bedeutet, dass Mona sich ihm geöffnet hat.
Er folgte Yuka mit einem guten Abstand, nebenbei die Regale betrachtend, bis er vor einem stehenblieb.
Seine Augen starrten auf den Gegenstand und er blinzelte nicht. Es war eine einfache Lichterkette, daneben weitere Ausführungen, doch Ryoyu wurde von der simplen angezogen.
Es katapultierte ihn unzählige Tage zurück, an den Tag, wo er Mona in diesem Buch Café erkannt hatte. Er konnte diese Gefühle damals kaum beschreiben, wie aufgebracht und erfreut er zugleich gewesen war.
Seine Hand griff danach und sah die Lichterkette immer noch an. Genau dieselbe war über dem Türrahmen des Cafés gehängt gewesen.
"Ryoyu!"
Er drehte den Kopf zu Yuka, die etwas entfernt auf eine Lavalampe starrte. In Grün und Violett tanzten langsam Blasen im ellipsenförmigen Glas.
Die beiden wollten als kleines Kind immer solch eine Lampe haben.
"Wolltest du nicht eine Nachttischlampe?", erkannte er in der Ferne das Gesuchte und Yuka nickte dankend, während sie sich umsah.
Ryoyu streifte etwas desinteressiert weiter, die Lichterkette vom Abverkaufsregal unter dem Arm, bis Yuka endlich soweit war, in seine Abteilung mitzukommen.
Schnell hatte Ryoyu ein paar Schälchen, Teller, Gläser und Stäbchen, wie ein nicht allzu teures Besteckset für 6 Personen gefunden. In dem Korb, den Yuka beim Eingang mitgenommen haben müsste, er jedoch nicht mitbekommen hat, fanden auch noch einfache Platzsets aus Bambus Platz. Doch wurde Ryoyu bewusst, wenn er sich heute etwas zum Abendessen kochen wollte, wird er auch noch Messer und ein Schneidbrett brauchen.
Leicht geschlagen von der Sucherei, kamen die beiden weiter zu den Teppichen und Vorhängen. Yuka hatte gleich einen flauschigen lila Fransenteppich Ryoyu übergeben, den er mitschleppte und geschultert hatte wie Skisprungski.
Nun standen sie vor den Treppen in die beiden oberen Stockwerke. Das oberste mit Schauküchen konnten sie gleich streichen, während beide noch überlegten, ob sie vielleicht einen Blick zu den Betten und Sofas wagen sollten.
Yuka liebte es nämlich auf Betten probezuliegen. Ryoyu war auch danach, sich auf etwas zu setzen und folgte ihr.
An den Sofas vorbei direkt zu den Matratzen, konnte er kaum zur Seite sehen, da lag Yuka auch schon flach.
Mit einem Seufzer verschränkte sie die Arme am Hinterkopf und starrte an die Decke. Ryoyu belegte das Bett neben ihr, den Teppich auf seinen Bauch gelegt und starrte ebenfalls an die Zimmerdecke.
"Wenn du dich 'mal einsam fühlst, dann kannst du dich jederzeit melden", bemerkte sie und die beiden wirkten leicht müde.
"Danke Yuka, das werde ich machen."
In seinem Hinterkopf schrie es vor sich hin, dass er sich nicht einsamer fühlen konnte. Er war leer und selbst eine Umarmung konnte diese Leere nicht mit Wärme erfüllen. Seine Gefühl, sich in der Wohnung zu verkriechen, war bereits auf so einem hohen Pegel, dass es kaum steigerungsfähig war.
Ryoyus Nerven lagen blank auf der Folterbank, doch er war so betäubt von der schmerzenden Wahrheit, Mona einfach so gehen zu lassen, dass ihn dies nicht berührte.
Yuka sah auf ihre Armbanduhr und hüpfte aus dem Bett. Ryoyu wäre beinahe eingeschlafen, hätte sie ihn nicht wachgerüttelt.
Es war bereits halb 4 und Zeit langsam den Weg nach draußen zu finden. Yuka wollte mit Ryoyu noch etwas essen gehen, da sie glaubte sich nicht einzubilden, dass er dünner geworden war.
Doch sie brachte ihn nicht von einem Bett weg, welches ihn gebannt anzog.
Ryoyu war viel zu verträumt für ihren Geschmack und Yuka wusste, dass Mona einen großen Teil dazu betrug. Auch wenn sie nicht im ganzen Bilde der Situation war, sie wusste dass ihre Brüder schlecht auf sie zu sprechen waren; Junshiro wie auch Ryoyu. Im wütenden Sinne des ersten und im traurig-sensiblen des zweiten.
"Wozu brauchst du so ein großes Bett?", lachte sie kurz, doch Ryoyu schlich nur ein Lächeln auf die Lippen.
Wenn Mona zu Besuch kommt.
"Wenn mal Naoki oder Kento mich besuchen", kratzte er sich leicht verlegen am Hinterkopf, "oder du?"
Yuka schnaubte amüsiert. Das Bett vor ihnen hatte beinahe die Größe eines Doppelbetts, doch wenn Ryoyu darauf bestand, wollte sie nicht zwischen ihm und dem Boxspringbett stehen.
Ryoyu wusste ja selbst nicht, weswegen er sich dieses große Boxspringbett einbildete. Er sah es vor seinem geistigen Auge in der Wohnung stehen und der Gedanke daran gefiel ihm.
Als die beiden bezahlt und auf dem Weg zu einem guten Sobanudelrestaurant waren, rief Yuka die Mutter der beiden an und begann einmal zu erzählen.
Ryoyu hatte seine zwei große Einkaufstaschen lässig über die Schulter geworfen und konnte über das aufgebrachte Gespräch nur schmunzeln.
Sie hielten vor einem Imbiss mit kleinem Lebensmittelgeschäft. Ein kleiner Tresen ragte aus der Wand des mehrstökigen Hauses und zwei Barhocker standen davor, die frei waren. Yuka ließ sich nieder und zeigte dem Koch auf dem Karte, welches Gericht sie nehmen würde. Ryoyu bestellte die Misosuppe mit den Sobanudeln.
Ryoyu ließ sich nicht auf den Hocker nieder, sondern konnte gleich den Einkauf von Gewürzen erledigen.
Der Laden war klein und bis an die Decke mit Fertigessenpackungen gestopft. Lediglich ein kleiner Teil war mit Gewürzen und Saucen.
Mit schwarzem Sesam, etwas Misopaste, süßem Reismehl und Sojasauce fühlte sich Ryoyu für die ersten Tage gut versorgt. Er hatte schon ein Geschäft in Hanamaki um die Ecke seines Wohnblocks entdeckt.
"Dein Essen ist da, Ryoyu!"
Schnell bezahlte er und setzte sich an den Tresen. Yuka war schon dabei, sich über das Essen herzumachen, während Ryoyu es einmal betrachtete. Sein Hunger ließ nach wie vor zu wünschen übrig, doch er gab der Suppe einen Versuch.
Während er versuchte, das Essen hinunter zu bringen, verfiel er wieder Tagträume.
Was isst Mona wohl gerne.
Vielleicht auch Misosuppe?
Warum mach' ich mir eigentlich so viele Gedanken um sie. Ich hatte geglaubt, dass ich sie abgeschrieben habe.
Ryoyu spannte sein Kiefer an. Doch als seine Zähne auf das Holz der Einwegstäbchen bissen, sah er etwas verdutzt zur leeren Schüssel hinab.
Er trank den Rest der Suppe und gab die Schüssel mit Lob dem Koch zurück. Zu seiner eigenen Überraschung, war er vor Yuka fertig.
Mit verschränkten Armen auf der Platte aufgestützt, sah er ihr zu, wie sie die letzten Nudeln und Pilze auf dem Teller zusammenkratzte.
Vielleicht war es falsch heute allein zu bleiben. Vielleicht wird Yuka noch mit mir feiern und ich kann dann Mona vergessen. Vielleicht geht es mir dann besser.
"Ich hab' noch was vergessen", sprang er auf und Yuka gab sich mit einem Mhm zu verstehen.Er schnappte die Taschen und hastete nochmal in das Geschäft von vorhin.
Ryoyu rannte zum Regal, an dem er eine Flasche hervor zog. In sein Ohr drang Lachen eines Mannes, als er zahlte und als seine Augen wieder ins Freie blicken konnten, blieb sein Herz kurz stehen.
Er versteckte unabsichtlich die Flasche hinter seinem Rücken und spürte, wie sich seine Hand immer fester um den Hals dieser schnürte.
Yuka hat sich vom Hocker erhoben und hatte einen Arm über die Schultern gelegt bekommen. Ihr Strahlen war anders, als das, welches Ryoyu vorhin empfangen hat. Sie wirkte glücklicher.
Ein Stich durchfuhr ihn, doch er blieb stehen wie ein Zinnsoldat.
Ich will nur noch weg von hier.
"Ryoyu, darf ich dir Kitsuya vorstellen", forderte sie ihren Freund dazu unbewusst auf, den Arm von seiner Freundin zu nehmen und sich vor ihrem jüngeren Bruder zu verbeugen, "ihr beide habt euch ja noch nicht kennengelernt."
"Takashi Kitsuya", verbeugte er sich leicht und Ryoyu müsste sich zwingen, dies zu erwidern. Die Flasche verschwand langsam in der Tasche, während er versuchte, aufmerksam zuzuhören.
Ryoyu betrachtete nur die zwei. Sein Magen verzog sich zu und sein Herz begann zu rebellieren, dass es sich ebenfalls danach sehnte; nach dieser Freude.
Warum bin ich nur so ein verdammter Idiot und lasse Mona so einfach gehen.
Aber wenn ich doch keine Chance habe, wie soll ich es dann versuchen, hm?
"Willst du noch etwas mit in unsere Wohnung?"
Auch wenn Kitsuya keinesfalls unsympathisch auf Ryoyu wirkte und sein Blick verriet, dass er sich auf einen netten Abend freuen würde, musste Ryoyu beim besten Willen ablehnen.
Mein Herz treibt mich in den Wahnsinn.
Als würde es ihm eine innerliche Ohrfeige verpassen, durchfuhr ihn erneut ein Stich.
Ryoyu schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln und gab die Tasche, die Yukas Gekauftes beinhaltete, an Kitsuya weiter.
"Danke Yuka, aber ich muss morgen wieder früh auf", zog er sie in seine Arme, um nicht gleich zu weinen zu beginnen. Er hatte sich nichts anderes gewünscht, als mit ihr noch mehr Zeit zu verbringen, doch er konnte es nicht. Er gab auch nicht Kitsuya schuld dafür.
Einzig und allein lag die Schuld beim ihm und seiner dummen Art Menschen zu zeigen, dass er sie mochte. Es war ihm dieses Mal mächtig zum Verhängnis geworden.
"Dann macht euch noch einen schönen Abend", ließ er sie los und verbeugte sich leicht vor Takashi, der dies mit demselben erwiderte, bevor er dem Schild zur U-Bahn folgte.
Als Ryoyu im Zug saß, begannen erstmals Tränen über seine Wangen zu laufen. Er war am Ende seiner Kräfte.
Und er zog die Flasche Reiswein aus seiner Tasche, die er anstarrte, als würde sie ihm eine Antwort geben, was er mit ihr nun machen sollte.
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