XLIX;

Taku hat Mona allein gelassen.

Sie stand nun vor einem nicht allzu kleinen Haus und ihre Hand schwebte vor der Türklinke, als wären ihre Muskeln eingefroren.

Mona war immer noch nicht bereit, nochmal in diese Welt zurückzukehren. Doch ihre Hand handelte selbst. Sie war nicht hierher gekommen, um einmal die Luft an einem anderen Punkt der Erde zu schnuppern. Sie war hier, um damit abschließen zu können und die Steine ablegen, die sie seit Monaten mit sich herum trug.

Eine junge Frau öffnete die Tür. Ihr Gesicht war leicht von einem Stück Stoff verdeckt. Sie hielt zwei Kimonos in die Luft.

"Komm' doch rein", machte sie einen Schritt zur Seite, um Mona Eintritt zu gewähren, "ich bin gleich bei dir."

Die Frau hastete davon und ließ Mona alleine im Flur stehen, die ihre Schuhe gegen ein paar Patschen tauschte und hoffte, das Gästepaar erwischt zu haben.

Im Gegensatz zu Takus westlich gehaltenen Haus, war das hier traditionell.

Die Frau kam wieder zurück und stellte sich als Saiki vor und Mona sollte ihr folgen.

"Wie war deine Reise nach Japan?"

"Anstrengend, aber ganz in Ordnung", lächelte Mona und war noch etwas mitgenommen vom Jetlag, das erst seit heute Morgen so richtig auf ihr gelastet war.

"Das freut mich zu hören", lachte sie kurz und öffnete die Tür zu einem Zimmer, in das Mona ihr folgte. Es war die Küche, eher modern. Dieses Haus war ziemlich faszinierend.

"Bitte setz' dich doch", deutete Saiki auf einen der Polster um den kniehohen Tisch am Boden. Während sie hinter Mona die Schiebetür zuschob.

Für sie war dies alles so neu und faszinierend. Es roch angenehm nach Holz, das hier in jedem kleinen Eck zu finden ist und bewunderte die filligranen Verzierungen.

"Möchtest du etwas trinken?", huschte Saiki durch die Küche und schob sich einen Keks in den Mund.

Licht fiel hinter Mona herein. Sie bemerkte jetzt erst, dass sich theoretisch gesehen sie und Saiki in zwei getrennten Räumen befanden. Die Türen des Raums, in dem Mona saß, waren nur weit zur Seite geschoben und trennen Küche und Sitzraum nur ein wenig,

"Nein, danke. Ich komm' gerade vom Frühstück", lächelte Mona matt, die eigentlich nur mehr weg von hier wollte.

Sie fühlte sich, wie an einem Nähfaden über eine Klippe hängend; darauf wartend, bis etwas passierte. Auch wie oft sie Taku gefragt hat, warum er sie zu Junshiro brachte, hatte er ihr nicht geantwortet und sie würde gerne wissen, auf was sie sich hier einließ.

Das einzige, was sie im Moment tat, war Saiki aufzuhalten, auch wenn sie kaum dies vermittelte.

"Ist Junshiro gar nicht da?", traute sich Mona zu fragen, als Saiki kurz ihren Kopf aus der Küche hob.

"Er sagte, er müsste kurz etwas erledigen, aber er sollte jeden Moment kommen."

Mona nickte dankend für die Auskunft, als eine Grußkarte auf dem Tisch sie in den Bann zog. Zwei kleine Kinder, ein Junge und ein Mädchen waren darauf und japanische Wörter, die sie nicht kannte.

Lediglich das Datum konnte sie lesen.

Es ist das heutige.

Und als sie zwei Ringe erkannte, spürte sie, wie ihr die Blässe ins Gesicht kroch. Mona blätterte auf die Vorderseite zurück und musterte das Gesicht des Jungen erneut. Es waren unverkennbar die Augen von Ryoyu.

Was war das bitte? Eine Hochzeit?

Mona erinnerte sich zurück an das Eintreten ins Haus. Diese zwei Kimonos müssten wohl für Saiki und Junshiro sein, die zur Hochzeit eingeladen waren.

Ich will nur noch weglaufen.

Langsam schnürte sich ihr Hals zu und sie spürte, wie die Luft weniger wurde. Als würde eine Hand dort immer mehr zudrücken. Mona fühlte den Schweiß auf ihren Handflächen. Ihre Muskeln zitterten, schon auffordernd, dass es besser wäre, jetzt zu gehen und noch einen Teil zu retten, den es in ihr zu retten gab.

Eine Tür wurde kräftig zugezogen und die zur Küche stürmisch aufgeschoben.

"Ryōyu wa nigeta", kam es mehr wütend als aufgebracht hervor, an Saiki gerichtet, die gelassen wirkte.

"Das weiß ich auch schon", verstand Mona nur die Worte von der Frau, während Junshiro Saiki verdutzt ansah und sich offensichtlich zusammenreimen wollte, woher sie dies wusste.

Er hatte Mona noch nicht erkannt, die vor Angst die Fingernägel in die Tischplatte drückte.

Ich will weg von hier.

Als er den Kopf drehte und Mona anvisierte, fielen seine Gesichtszüge. Er scheint etwas zu verarbeiten zu versuchen.

"Kore wa nan desu ka?", wandte sich Junshiro an seine Frau, sah im Sekundentakt zwischen ihrem und Monas Gesicht hin und her.

Kennt er mich nicht mehr?

"Du kennst sie", entgegnete Saiki, "es ist Mona, der du laut Taku eine Erklärung schuldig bist."

Junshiro riss den Kopf zur Seite. Er musterte sie von oben bis unten und sein Blick erinnerte sie an den von Taku am Flughafen.

Jeder war von ihren Aussehen verwundert, obwohl sie dennoch die gleiche Person mit dem gleichen Gesicht und den selben Augen war. Es überraschte sie immer wieder, wie sehr die Menschen sich das Drumherum merken und weder noch die Dinge, die sich nicht bis kaum veränderten.

"Mona?", runzelte er die Stirn, sah erneut zwischen Saiki und ihr hin und her. Der Blick seiner Frau sprach Bände. Sie war verärgert, da er ihr etwas verschwiegen hat.

Gerade als er einen Schritt auf Mona zumachen wollte, hielt ihn Saiki fest. Sie sah ihm tief in die Augen.

"Wenn du Mona jetzt die Schuld für das Verschwinden von Ryoyu gibst, dann bist du dümmer als ich geglaubt habe", warf sie ihm Worte an den Kopf.

Dennoch war Junshiro davon überzeugt, dass Mona einen Teil in dieser Geschichte spielte. Saiki musste ihn nicht fragen, um das zu wissen.

Nach alldem, was ihr Taku erzählt hatte, war Saiki enttäuscht von ihm.

"Mona kann nichts getan haben, weil sie erst vor zwei Minuten von dem ganzen erfahren hat."

Junshiro löste stur die Hände von seinen Gelenken und setzte sich Mona gegenüber.

Und Mona fühlte sich in seiner Gegenwart nicht besonders wohl. Immer wenn Junshiro da gewesen war, hatte sie dieses Gefühl, dass Ryoyu wie einem Dämon gehorchte.

Ohne ein Worte, kramte sie die Dinge aus ihrem Rucksack hervor, die sie eigentlich schon an der Tür abgeben wollte.

Sie schob das säuberlich zusammengefaltete Päckchen aus Hose, Shirt und Jacke über die Tischplatte zu Junshiro, als wäre sie gerade dabei einen Drogendeal zu arrangieren.

Ihr Gegenüber hatte noch Arbeit diesen Zug zu interpretieren. Mona konnte und wollte beim besten Willen kein Wort hervorbringen.

"Es tut mir leid, für all die Unordnung, die ich in das Leben der Familie Kobayashi gebracht habe. Ich stehe tief in Eurer Schuld und hoffe, dass Sie meine Entschuldigung akzeptieren", verbeugte sich Mona, dass sie sich beinahe den Kopf an der Tischplatte stieß. Ihre Hände krallten sich aneinander und sie kniff ihre Augen zusammen, um nicht gleich zu weinen zu beginnen.

Mona lebte nach den Standpunkt, dass sie zu minder für diese Familie war. Sie konnte gut die Mimik und Gestik anderer Personen lesen und dumm war sie keinesfalls. Auch wenn sich ihr Magen vor Ekel über ihre eigenen Worte zusammenzog, nahm sie diese Bürde auf sich, Junshiro es vorzuspielen, dass sie es war, die Ryoyu zu all dem gebracht hat. Vielleicht wird er ein besseres Leben führen können; und sie auch.

Doch Junshiro saß nur da und verschwendete gar keinen Gedanken daran, auf was Mona angesprochen hat. Er sah sie an und es erinnerte ihn an Ryoyu, wie er sich vor Vater verbeugt hatte.

So tief, dass es schon übertrieben war, aber mit dem Hintergrund, dass man die Miene nicht sehen konnte, die vor Angst und Wut sich beinahe gegenseitig zerriss.

Dieses elende Schuldgefühl nagte an Junshiro, das er Wochen ignoriert hat. Er hat sich damals bei seiner Hochzeit geschworen, seinen Geschwistern dies nicht anzutun. Er hat genau das Gegenteil getan.

Seine Beziehung mit Saiki hat sich zum guten entwickelt. Er hatte Zeit, sich vorher mit ihr zu treffen, sie kennenzulernen, und, wenn auch nur oberflächlich, ihr Art lieben zu lernen, wie sie sich um ihn sorgte.

Auch wenn sie versucht haben, den Schein zu leben und davon separat ein eigenes Liebesleben zu führen, sind sie daran gescheitert und wieder zurück zum Anfang gekommen.

Die beiden haben sich durch die Zeit immer mehr ineinander verliebt.

Er sah Yuka vor sich, wie er ein Gespräch zwischen Vater und ihr belauscht hat, die ihm von Chiyoko abraten wollte. Yuka wusste schon von Anfang an, dass sie nicht zu Ryoyu passte. Sie konnte sich noch gut an die Schulzeit erinnern.

Nun war er dankbar, dass Ryoyu weggelaufen war. Er rettete Junshiro, der seine Fehler gut machen konnte und die Geschichte vielleicht noch so zu schreiben, dass er mit gutem Gewissen ein Teil davon sein kann.

Nach einem Seufzer richtete sich Mona langsam auf. Ihre verkrampfte Art gegenüber ihm zeigte erst, wie viel er angerichtet hat.

"Eigentlich bin ich es, der sich bei dir zu entschuldigen hat."

Mona richtete sich ganz auf und betrachtete Junshiro stumm. Sie begann sich langsam zu entspannen, da sie bemerkte, dass er ihr nicht mehr feindselig gesonnen war.

"Ich wollte dich und Ryoyu nur vor Vater beschützen."

In Mona überschlugen sich sämtliche Erinnerungen. Dieser Junshiro, der vor ihr saß, war ganz anders als der, den sie erlebt hatte. Für sie war er immer der strenge große Bruder gewesen, der stets ein Falkenauge auf seine Geschwister geworfen hat. Unnahbar.

Nun saß er da und wirkte zerbrechlich.

"Ich habe Ryoyu dazu gebracht, dass er die Finger von dir lässt. Ich habe ihm gesagt, dass dieses Überstürzen nur in Chaos enden wird und dass du ihn ausnutzen wirst."

Während Mona Tränen über die Wangen kullerten, starrte Junshiro nur noch die Tischplatte an und betete seine Beichte vor sich hin.

Mona konnte kaum mehr Fuß in ihrem Kopf fassen. Sie wusste nicht mehr wie zu fühlen. Sie konnte keine Verbindungen mehr zeichnen, zwischen den Erinnerungen die sie trug. Sie wusste nun weniger als zuvor, wie sie empfinden soll.

Was Junshiro ihr hier erzählte, beweist Mona, dass Ryoyu sich seinen Worten widersetzt hat. Dafür hat er auch die Ohrfeige in der Therme einkassiert. Deswegen war Junshiro ihr gegenüber immer so kalt aufgetreten.

Langsam ergab alles einen Sinn für sie und ihr Kopf sagte ihr, dass Ryoyu wirklich etwas für sie empfunden hat. Sonst hätte er sich nicht gegen seinen Bruder gesträubt.

Doch war sie bereit dafür, endlich ihre Gefühle zu spüren, die sie mit Ryoyu verband. Ihr Körper begann langsam taub zu werden, von den vielen Eindrücken.

Deswegen ist er wochenlang nicht aufgetaucht.

Ryoyu ertrank in den Sommerferien in Trauer und Verzweiflung, da er sich schlussendlich dem Wunsch seines Bruders ergeben und Mona gehen hat lassen. Er muss sich schrecklich gefühlt haben.

Und alles was ich gemacht habe, war mein Smartphone im Inn zu versenken.

"Es tut mir leid, Mona", übermannten auch Junshiro die Tränen, "es tut mir so unendlich leid, was ihr alles durchmachen musstet und das nur wegen mir."

Monas Hand schnellte nach vor auf die von Junshiro, als wäre es ein Reflex. Und als er ihr in die Augen sah, erkannte er, dass sie innerlich mit sich haderte, ihm zu verzeihen, auch wenn ihr Lächeln etwas anderes verriet.

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