XXXIII; [komoru]

"Danke, dass du mir noch geholfen hast."

"So kann ich die peinliche Fahrstunde vergessen", hielt sich Naoki beschämt die Hände vors Gesicht.

"Wie oft", schmunzelte Ryoyu und ließ sich auf die Matratze nieder.

"Viermal", verdrehte Naoki die Augen und Ryoyu klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, "bei jeder Kreuzung."

"Ich bin vorher schon auf einem Parkplatz gefahren, deswegen waren's bei mir nur zweimal. Beim nächsten Mal wird's besser."

"Aber ich werde mich trotzdem auf den Weg machen", erhob sich Naoki und schulterte seine Tasche.

"Dann begleite ich dich und kann noch was für's Abendessen einkaufen."

Die beiden schlenderten ohne ein Wort über die Treppen nach unten und als sie die Treppen zur U-Bahnstation betraten, brachte Naoki Worte hervor, über die er sich nicht sicher gewesen war, sie laut auszusprechen.

"Wie geht es dir?"

Ryoyu hob seinen Blick vom Boden und sah Naoki vorerst etwas skeptisch an, worauf er dennoch antwortete.

"Eigentlich recht gut, warum fragst du?"

"Naja, das fragt man doch als Freund, oder?"

"Stimmt", kam ihm dieses Gespräch immer noch suspekt vor, doch blieb er höflich und stellte eine Gegenfrage, "und wie geht's dir?"

"Ganz okay. Ich hatte Stress mit meinem Zimmerkollegen gestern", seufzte Nakamura, doch verflog diese niedergeschlagene Stimmung in Windeseile, "aber eigentlich bist du mir noch was schuldig."

"Was denn?"

Ryoyu dachte scharf nach und bis auf 5 Euro, die er ihm wieder geben wird, wenn sie in einem EU-Land sein werden, fiel ihm nichts ein.

"Du hast mir nie erzählt, wer dieses Mädchen ist, von der du in der Turnhalle gesprochen hast."

Ryoyu durchfuhr es, als würde jemand mit einem Messer präzise einen Stich in sein Herz verüben. Naoki log nicht, er konnte sich noch genau erinnern, wo er ihm desinteressiert dies versprochen hat, dass er endlich still war und nicht mehr von Mona sprach.

Kobayashi fühlte sich, als hätte er eine kräftige Ohrfeige bekommen.

"Naoki, ich", seufzte Ryoyu, "das ist eine lange Geschichte."

Sie stiegen in die U-Bahn und fortan herrschte Schweigen zwischen den beiden.

Ryoyu hatte den Blick gesenkt und presste seine Zähne aufeinander, da er die Tränen in seinen Augen schwammen sah.

Nur noch ein paar Minuten.
Dann bist du wieder allein.

Der Strom von Menschen und Naoki, zogen Ryoyu aus der U-Bahn.

Seine Füße wollten sich nicht mehr bewegen und er bildete sich ein, dass seine Ohren seuselten.

Er versuchte Naoki zu folgen, der bereits gestresst wirkte, da sein Zug in zwei Minuten da war und er noch ein Ticket kaufen musste.

Ryoyu ging derweil schon auf den Bahnsteig und würde den Fuß in die Tür halten, wäre Naoki noch nicht da.

Es war lediglich der beste Vorwand, endlich aus seiner Sichtweite zu sein.

Ich schaff' das nicht mehr.
Ich will, dass es aufhört.
Ich will Mona nicht mehr sehen.
Ich hasse sie.
...
Verdammt, ich hasse mich.
Sie trifft keine Schuld.
Nicht den geringsten Hauch davon.
Ich will nicht mehr l...

"Dann bis auf ein andermal", riss Naoki ihn aus den Gedanken und Ryoyu setzte ein sanftes Lächeln auf.

"Kannst jederzeit vorbeikommen wenn du in der Nähe bist."

"Mache ich", zog Naoki Ryoyu in eine Umarmung; er wusste selbst nicht warum. Kobayashi machte den Eindruck, dass er sich danach sehnte, doch er erwiderte sie kaum. Er war wieder abwesend, wie er es den Rest der Saison gewesen war.

Als Naoki in den Zug gestiegen und dieser abgefahren war, rannte Ryoyu wie ein Irrer aus dem Bahnhof ins Freie.

Irgendwohin. Irgendwo, wo ich meinen Kopf nicht mehr hören kann.

Sein Zeh schmerzte und dennoch stampfte er seine Füße in den Boden, als würde er den Asphalt treten müssen.

Tränen flossen über seine Wangen und er hielt, um kurz durchzuschnaufen. Den Bahnhof hatte er schon beachtlich zurückgelassen, als er auf die Knie fiel und sich die langen Haare raufte.

Ein Schrei hallte durch die Luft und Bäche von heißen Tränen überfluteten sein Gesicht.

Ich will nicht mehr.
Bitte helft mir.
ICH HALTE DAS NICHT MEHR AUS.

Er rappelte sich auf und strich sich die Tränen unter Schluchzen weg. Es war niemand auf der Straße und er wusste nicht einmal, wo er sich befand.

Seine Füße trugen ihn weiter, tiefer auf den Schotterweg durch eine Baumallee, wo er die Blätter betrachtete, als wäre er ein kleines Kind.

Seine Augen brannten und er erkannte nur verschwommene Bilder vor ihm.

Er versuchte nun grob die Tränen aus seinem Gesicht zu bekommen, was nur zur Hälfte gelang.

In seinem blinden Herumlaufen rannte er gegen eine Straßenlaterne, worauf er zurück schreckte. 

Im Hintergrund hörte er Kinder lachen.

Als er sich langsam beruhigte und die Tränen aus seinen Augen verflogen, erkannte er die Brücke.

Und als er seinen Kopf drehte, das große Schulgebäude, welches er von seiner Wohnung aus erkannt hatte.

Neben dieser führte ein Gehweg entlang.

Ich bin ziemlich weit gelaufen. 

Er lehnte sich an das Geländer der Brücke und sah dem Wasser nach, wie es kleine Wellen formte. Die Brücke stand ziemlich hoch, da das Bachbett tief war.

Es wäre eigentlich ganz einfach.
Nur darüber springen und ich habe meine Ruhe.
Von Junshiro, von meinem Kopf, von allem.
Und vielleicht wird Mona um mich weinen.

Seine Hand ergriff Selbstinitiative und gab ihm diese Ohrfeige, die er vorhin nur gespürt hatte. Sie war so fest, dass es ihm erneut Tränen in die Augen trieb.

Dann siehst du sie gar nicht mehr, du Idiot.

Als würden sich eine schlechte und eine gute Seite duellieren, sprachen sie auf Ryoyu ein, der Kopfweh davon bekam.

Mit einem Seufzer ließ er seinen Kopf sinken und hatte sich aus seiner täglichen Wolke befreit; der Ohrfeige zu verdanken. Langsam nahm er wieder alles um ihm war.

Auch die blutenden Knie, auf die er nun überrascht hinabsah, die schmerzten.

Nicht zu sprechen von seiner Wange und dem gebrochenen eingerenkten Zeh.

Heute ist nicht mein Tag.

So schlenderte er missmutig zurück, die Hände kalt und sein kompletter Körper verkrampft.

Schließlich würde er noch etwas für den Abend brauchen; er musste etwas essen.

Der Wind pfiff durch seine Haare und trocknete die Tränen auf seinen Wangen. Ihm bescherte es nur eine Gänsehaut.

Er strich über die dünnen Arme und erneut kam es ihm hoch; der Hass gegen sich selbst.

Ryoyu hatte sich immer gefragt, warum sie einen Psychiater mit sich im Team herumschleppten. Jetzt wusste er, dass dieser Magerwahn nicht nur körperlich, sondern auch geistig krank machte. Hätte er einen normalen Beruf erlernt, wie die meisten aus seiner Hauptschulklasse, hätte er längst das Handtuch geworfen, doch ohne einen Beruf stand man schlecht in Japan da. Erwachsenenschule hatte keinen guten Ruf.

So musste er das machen, was er an der Tokai Universität studiert hat. Sport.

Das Glöckchen an der Tür des Geschäfts ließ ihn beinahe erschrecken. Seine Füße haben ihn selbstständig dort hingebracht, wo er eigentlich nicht hinwollte, jedoch musste.

Leicht in Gedanken versunken, suchte er sich etwas Reis und Gemüse zusammen.

Onigiri für heute, morgen und übermorgen.

Er bezahlte an der Theke und schleppte sich mit der kleinen Tasche in das zehnte Stockwerk.

Mit zitternden Händen öffnete er die Tür und warf sie ins Schloss. Draußen herrschte eine wunderschöne Abendstimmung am Himmel, wo er eigentlich immer der erste war, dies zu fotografieren. Doch nicht einmal danach war ihm.

Es war für ihn ein Wunder, dass er noch kochte.

Doch selbst dies zauberte kein Lächeln auf seine Lippen.

Die Nachrichten von Yuka ignorierte er und dieses Zurückkatapultiert werden nach gestern, beschwerte sein Herz noch mehr.

Ich hätte das alles haben können.
Eine Freundin, ein besseres Leben, aber ich habe alles versaut.
Ich hätte glücklich sein können.
Jetzt werde ich nie jemanden mehr finden...der wie sie ist.

Noch im letzten Moment zog er das Messer weg, welches gefährlich nahe an seinem Fingernagel gestreift war.

In seinen Augen hat er sich genug Verletzungen an einem Tag zugezogen.

Als er die kleinen Dreiecke fertig auf der Arbeitsfläche liegen und einen davon schier mit der Brechstange hinuntergezwungen hat, kramte er in seinem Koffer nach der Bento-Box, die er von Zuhause mitgenommen hat.

Egal ob Trainingslager oder was anderes, seine Mutter hat ihm, wenn er zuhause gewesen war, immer etwas hergerichtet. Den kompletten Kindergarten bis manchmal für die Uni.

Als diese im Kühlschrank verschwand und in der Küche ein Chaos herrschte, warf er sich auf das Bett.

Sein Blick fiel auf die zweite Hälfte.

Warum habe ich dieses Bett nochmal gekauft. Es passt kaum her und ich kann mich nicht einmal richtig zum Schrank stellen.
Ich bin so ein Idiot.

Um seine Gedanken verstummen zu lassen, sprang er auf und steuerte geradewegs auf etwas zu.

Er riss die Lichterkette aus der Verpackung und suchte an der Wand nach alten Nägeln, wo einmal Bilder gewesen waren. Den Rest lotste er am Kopfteil des Boxspringbetts entlang.

Und als er sie einsteckte, glitzerten seine Augen wie an Weihnachten.

Tränen strömten über seine Wangen und erneut beschwerte sich die dunkle Seite in ihm.

Ich hätte sie damals schon fragen sollen. Da hätte ich noch eine Chance gehabt.

Erneut von sich selbst enttäuscht, wanderte er ins Badezimmer, um die Zähne zu putzen.

Er schrubte missmutig, während seine Augen sich in die seines Spiegelbilds bohrten.

Du bist ein Nichtsnutz. Du schaffst es nicht einmal eine Frau zu fragen, ob sie dich liebt. Du schiebst sie lieber vor dir her und lässt sie dann einfach so stehen, als würde sich alles von selbst erübrigen.

Mit der Faust schlug er auf den Spiegel ein und ließ vor Schreck von seiner inneren Wut die Zahnbürste aus seinem Mund fallen.

Zu seinem eigenen Glück war er zu schwach, als dass der Spiegel gebrochen wäre. Langsam senkte sich seine Hand, doch das Spektakel nahm kein Ende.

Ryoyu war am Ende seiner Kräfte und würde sich am liebsten wünschen, endlich seinen Kopf ablegen zu können.

Es trieb ihn in den Wahnsinn.

So stand er vor dem Waschbecken und schrie sich selbst an, zur Hölle zu fahren, während er wütend in die Küche rannte. Zurück kam er mit dem größten verfügbaren Messer.

Ich hasse mich, ich hasse Mona, ich hasse Junshiro, ich hasse alle. Alle die glauben mich zu verstehen, alle die glücklich sind und ich nicht. Warum muss ich leiden, warum nur, warum, warum.

Warum bin ich so hässlich. Wie kann mich jemand nur mögen wenn ich so aussehen.

Ich will dass alles aufhört, dass ich aufhöre zu leben. Das wäre besser für mich und...

Aus dem Nichts fiel mehr Licht in seine Augen und die Sicht auf sein eigenes Spiegelbild war auch besser.

Das Küchenmesser war mit der Spitze an die Pulsschlagader an seinem Handgelenk gerichtet und als er zum Waschbecken sah, fiel ihm erschrocken das Messer aus der Hand; es landete klirrend auf den Fliesen am Boden.

"Was hab ich nur getan", hauchte er sich selbst zu. Ihm wurde ängstlich bewusst, wie unberechenbar er geworden und wie knapp er daran vorbeigeschrammt war, etwas Blödes zu tun und seine Adern aufzuschlitzen. Doch es wirkte, als wäre es für ihn Nebensache.

Denn Ryoyu hob nur einen kleinen Büschel schwarzes Haar in Händen, während er zwischen diesem und dem, was er im Spiegel erblickte, im Sekundentakt hin und her sah.

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