XXII; [komoru]
Mit einem tiefen Atemzug starrte er auf den Schlüssel in seiner Hand.
Jetzt würde der Satz passen, dass es kein Zurück mehr gibt; er aber auch nicht zurück wollte.
Er steckte den Schüssel in das Loch und öffnete die Tür.
Viel zu lange war er hier nicht mehr gewesen.
Als mit quietschenden Schanieren die Tür offen war, stieg ihm der Geruch von alten Tagen in die Nase. Ein leichtes Lächeln kam auf seine Lippen.
Er trat ein, schloss die Tür leise. Seine Koffer stellte er erstmal zur Garderobe, unmittelbar neben der Tür. So schnell wird niemand hier hereinkommen.
Ryoyu streifte seine Schuhe ab.
Im Gegensatz zum heißen Sommertag war es kühl, obwohl die Lüftung nicht einmal eingeschaltet war.
Die schweren Vorhänge waren schlampig zugezogen, als hätte man es in Eile verrichtet. Und es wirbelte Staub durch die Luft.
Er machte langsam einen Schritt vor den anderen und betrachtete alles genauestens. Als würde er die Wohnung auf seine Unversehrtheit prüfen.
Seine Schritte waren lautlos, nur seine Finger zu hören, die an der Arbeitsfläche der Küche entlang streiften.
Es war immer noch einfach eingerichtet.
Küchenzeile, Esstisch, ein Bett und ein kleines Badezimmer.
Er ging zurück und lehnte sich an den Esstisch. Sein Blick fiel auf seine Sachen und er konnte noch nicht wirklich glauben, dass er hier die nächsten Tage, Wochen verbringen wird. Alleine.
Ryoyu drehte sich schwungvoll dem Fenster entgegen und öffnete den ersten Vorhang. Begleitet von Husten wedelte er den freigewordenen Staub vor seinem Gesicht weg und betrachtete seine Umgebung.
Er war auf beachtlicher Höhe im achten Stockwerk. Gefühlt war er der einzige heute gewesen, der den Weg ohne den Lift bewältigt hat. So hat es zumindest für ihn ausgesehen.
Er befand sich im Herzen von Hanamaki.
Im eher grünen Teil der Stadt und direkt neben einer Schule.
Doch es war jetzt Zeit, für etwas Ordnung zu sorgen.
Die Wohnung war fast leer, bis auf die Möbel und etwas Restinventar, hat ihm seine Mutter versichert. Jetzt war es an ihm, sie wieder zu beleben.
Auch die anderen Vorhänge öffnete er und die Einzimmerwohnung war hell erstrahlt. Es war ein wunderschöner Tag.
Ryoyu schaltete die Lüftung ein und hoffte dadurch, den Staub aus der Wohnung zu bekommen.
Währenddessen das Gerät seine Arbeit verrichtete, inspizierte Ryoyu die Küche; er durchstöberte das Inventar.
Ein paar Gläser, drei Tassen und Besteck für zwei Personen war vorhanden. Jedoch fehlte es an Essschalen, Gewürzen und Spülmittel.
In der untersten Schublade hat er noch einen Wok und einen Topf gefunden. Der Herd war mit Gas betrieben.
Auch eine alte Kaffeemaschine zum Aufgießen stand in der Ecke der Küchenzeile.
Er holte sich den Topf heraus und begann alles, was er gefunden hat, dort hinein zu schlichten. Dann würde er mit der Küche und dem Esstisch beginnen.
Seine Mutter hat ihm reichlich Putztücher und Putzmittel, sowie einen Kübel mitgegeben. Die Blicke der Menschen in der U-Bahn waren kaum zu übersehen gewesen.
Als alles ausgeräumt war, ließ er es links liegen und holte sich den wundervollen Kübel. Es dauerte gefühlte Stunden, bis aus dem Wasserhahn in der Küche endlich heißes Wasser kam.
Er wischte den Tisch gründlich und die Bodenpolster klopfte er aus dem Fenster gebeugt aus. Auch wenn Ryoyu vor einer Woche noch knappe 240 Meter gesegelt war, fühlt sich der Blick vom achten Stock gerade nach unten ziemlich beängstigend an.
Doch er genoss kurz die Sonnenstrahlen auf seiner Haut. Kinder waren leicht zu hören, die offensichtlich Spaß hatten, auf dem Schulhof, den Ryoyu in der Ferne erkennen konnte.
Wieder zurück an die Arbeit.
Er schloss das Fenster.
Es breitete sich bereits der Duft von Zitrone im Raum aus.
Den Topf verfrachtete er auf den Tisch und machte sich an die Küche.
Als er gerade dabei war, sich in das unterste Fach zu kämpfen, begann sein Smartphone zu klingeln.
Er zuckte zusammen und stieß sich den Hinterkopf.
"Ach", knurrte er und rieb sich die schmerzende Stelle, bevor er wieder hervor kroch und sein Smartphone von der Arbeitsfläche krallte.
Yuka?
"Ja?", fragte er leicht außer Puste und konnte sich keinen Grund in seinem Kopf zusammenreimen, warum ihn seine Schwester jetzt anrief.
"Hey Brüderchen", war ihre Stimme schwer im Tumult der Menschenmenge im Hintergrund zu verstehen. "Ich brauch' noch was für meine Studentenwohnung und Mama hat gesagt, dass du in Omas Wohnung einziehst. Ich habe gedacht, vielleicht brauchst du auch was."
Ryoyu richtete sich ganz auf und warf das nasse Tuch in die Abwasch. Er strich sich die Strähnen aus dem Gesicht und lächelte leicht. Auch wenn ihm gerade gar nicht nach reden zumute war, Yuka konnte nichts für das alles, was passiert war.
"Du willst doch nur nicht alleine zu Ikea", kam es schelmisch von Ryoyu und Yuka begann leicht zu quengeln.
"Du weißt doch dass ich mich wieder verirre wie die letzte drei Mal."
Ihr Ton war leise und scharf durch die Zähne gezischt. Doch er fand es ein nettes Angebot.
"Ich komme mit", sah er kurz auf seine Armbanduhr. "Wie spät treffen wir uns?"
Er hörte das Klingeln einer öffnenden Tür einer Straßenbahn und wartete kurz.
Yuka studiert derzeit in der Präfektur Miyagi in der Stadt Sendai. Dort an der Tohoku Bunka Gakuen University belegt sie die Kurse für Sportmedizin.
"Ich bin gerade noch mit Unizeugs beschäftigt."
"Ich brauche sowieso zwei Stunden bis nach Sendai, dann lass' uns auf 13 Uhr vorm Ikea treffen."
Yuka lachte erfreut.
"Dann bis später."
So schnell hat seine Schwester noch nie aufgelegt.
Ryoyu legte sein Smartphone zur Seite und ignorierte das Bauchknurren.
Es war halb 9 und in seiner noch übrigen Zeit wollte er fertig sein.
In Windeseile war die Küche sauber, das Inventar gespült und eingeräumt. Er gönnte sich ein Glas Wasser. In einem kleinen Schrank fand er einen neu aussehenden Staubsauger. Wenn er sich noch erinnern konnte, hat ihn Oma zum 70er bekommen.
Und während er so die Wohnung vom restlichen Staub befreite, begann er einmal nachzudenken, was er mit seinen freien Tagen anstellen wird.
Er wird Hanamaki erkunden.
Vielleicht neue Freunde finden.
Vielleicht gar nichts davon.
Er hatte sich inständig gewünscht, diesen Sommer weit von Zuhause weg zu sein. Jetzt war er eine gute Stunde von Hachimantai und Junshiro entfernt.
Besser als gar nichts.
Und langsam begann er auch Mona zu vergessen. Nach der schmerzenden Nase von Masamitsu hat er von Zeit zu Zeit eingesehen, dass es vielleicht besser wäre.
Es würde ihn belasten und er würde sie wahrscheinlich belasten.
Doch ein kleiner Teil seines Herzen scheint immer noch krampfhaft an dem Glauben festzuhalten, dass dies alles nicht stimmt. Dass sie auf ihn wartet. Doch warum schrieb sie ihm nicht zurück. Alles ergab keinen Sinn.
Frustriert schaltete er den Staubsauger aus und hörte kurz einem weinenden Baby zu.
Am liebsten würde ich jetzt mitweinen.
Er schüttelte den Kopf und wanderte durch den halben Raum, um den Stecker zu ziehen. Ryoyu betrachtete beim Zurückgehen sein vollbrachtes Werk.
Es war so sauber, dass man beinahe auf dem Boden essen konnte.
Mit einem Lächeln trat er mit dem Fuß auf den Knopf und das Kabel wurde, wie eine Nudel in den Mund, in das Staubsaugerinnere gesogen.
Der Staubsauger fand wieder seinen Platz im kleinen Putzschrank. Dort verfrachtete Ryoyu auch die restlichen Reinigungsutensillien.
Der Kübel stand noch zum Trocknen an der Spüle und mit dem letzten Schluck aus seinem Wasserglas, sprang er in seine Schuhe.
Das Smartphone wurde, wie sein Portmonee, mitgenommen und die EarPods aus dem Koffer geholt. Ein kleiner Müsliriegel fand auch noch den Weg in die Tasche seiner Shorts.
Mit dem kleinen Schlüsselbund in der Hand schloss er die Tür hinter sich zu und sprintete die Treppen hinunter. Aus dem Reihenhaus direkt auf den Gehsteig, sah er kurz nach links und rechts, bevor er bei Rot über die Straße rannte.
Er dürfte die U-Bahn nicht verpassen, sonst würde ihm der Zug vor der Nase wegfahren.
Ryoyu übersprang mehrere Stufen und rempelte versehentlich einen älteren Herr an, der sogleich zu schimpfen begann. Er verbeugte sich mehrere Male, wurde als Rüpel beleidigt und rannte weiter.
Sein Tagesticket löste er beim Schranken und stand auch schon vor der Station, in der die Bahn hielt und Menschen herausströmten.
Als er sich in der U-Bahn niederlassen konnte, atmete er einmal durch. Ryoyu zog auch noch einen schwarzen Mundschutz aus seiner Tasche, den er sich anlegte. Gewohnheit.
Ihm ging es auch um einiges besser, als wie in früheren Tagen, wo er ihn lachhaft vermieden hat.
Er stöpselte sich einen Kopfhörer in das Ohr und begann in seine Tagträume abzudriften.
Was macht Mona wohl gerade?
Achja, ich sollte ja nicht an sie denken.
Mit einem Seufzer erhob er sich und bot der gerade eingestiegenen älteren Dame seinen Platz an, die sich herzlichst bedankte. Seine Hand krallte sich an eine Halteschlaufe während die andere lässig in die Hosentasche gesteckt war.
Jemand aß neben ihm einen Apfel.
Sollten Yuka und ich was essen gehen?
Vielleicht nach dem Einkauf.
Ich habe kaum Hunger.
Der sanfte Glockenton erklang und Ryoyu stieg aus. Er versuchte sich zu orientieren.
Wie bin ich vorher hierher gekommen.
Er versuchte seinem Instinkt zu vertrauen. Irgendwohin zu finden ist immer Junshiros Aufgabe.
Am Morgen war er an der selben U-Bahn Station zur Wohnung gefahren, jetzt muss er wieder zum gleichen Gleis und den selben Weg einfach rückwärts abklappern.
Er bog links und kam an einer Reihe von mehrere Plakaten vorbei. Doch zu unsicher, fragte er einen älteren Herrn, schick in Anzug gekleidet, der es nicht so eilig zu haben scheint.
"Entschuldigen Sie", begann Ryoyu höflich. "Wie komme ich am schnellsten zum Bahnhof?"
Er lachte kurz und sah Ryoyu einen Moment lang an.
"Du bist schon richtig", entgegnete er. "Immer gerade aus und dann rechts. Das Schild kannst du nicht übersehen."
"Vielen Dank", verbeugte Kobayashi sich und war gerade dabei, loszulaufen, als er noch aufgehalten würde.
"Halt dich rann' Ryoyu, deine Sprünge sind ziemlich gut."
Etwas überwältigt, wusste er im ersten Moment nicht, was er sagen sollte und verbeugte sich einfach.
Er bedankte sich nochmal und folgte den Anweisungen.
Ist mir neu dass jemand Skispringen in Japan verfolgt.
»Gleis 7. Schnellbahn nach Sendai City fährt ein.«
Der Lautsprecher knarzte bei der Durchsage. Zwar in mitten des Bahnhofs, trat nun das nächste Problem auf.
Gleis 7.
Seine Augen schnellten zur Seite und erkannten die sieben. Erneut rannte er und stieg auf die Rolltreppe. Er begann sich zu beruhigen und nach Luft zu ringen.
Was macht wohl Mona...schon wieder...
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