7. Kapitel
Magery zog scharf die Luft ein, als ihr der bereits zweite Tonkrug aus den Fingern glitt und in tausende Scherben zerbrach. Das laute Klirren war zu ihrer Erleichterung weitestgehend in dem tosenden Lärm der Festgemeinschaft untergegangen. Etwas unschlüssig darüber was jetzt zu tun war, kniete sie sich in den Scherbenhaufen, als Ava an ihre Seite eielte und mit flinken Fingern begann, die Scherben in ihre Schürze aufzulesen.
"Man könnte meinen du hast noch nie einen Krug Met in den Händen gehalten", sagte sie mehr zu sich selbst als zu Magery, die etwas verloren neben ihr hockte und darüber nachdachte, was das Wikingermädchen gerade gesagt hatte. Im Grunde hatte sie ja auch völlig recht. Natürlich hatte die Grafentochter bereits Krüge in den Händen gehalten, wenn auch nicht serviert. Doch darin bestand ja auch gar nicht die Schwierigkeit. Das was ihr wirklich zu schaffen machte, war die Anzahl an Krügen, die sie auf einmal tragen musste. Denn die Krieger verlangten immer wieder nach mehr Met. Ihr Durst schien unersättlich. Bei Ava sah es so unglaublich leicht aus, wie sie vier Krüge und zwei Hörner auf einmal zu den Tischen brachte, ohne dabei mit jemandem zusammen zu stoßen oder alles zu verschütten. Auch wenn Ava ihr am Vortag noch erklärt hatte, dass sie im Grunde nur Königin Auslaug und ihre Söhne zu bedienen bräuchte, blieb ihr dennoch nichts anderes übrig, als jedem Wikinger Met zu bringen, der danach verlangte. Denn wenn sie dies nicht tat und so wie zu Beginn des Bankettes den Rufen der Männer keine Achtung schenkte, wurden die Krieger schnell ungehalten. Sie grölten lauter oder begannen mit alten Knochen und Essensresten zu werfen. Ein betrunkener Wikinger mit eingeflochtenen Ringen in den Haaren, hatte sich sogar von seinem Platz erhoben und Anstalten gemacht, Magery eigenhändig zum Metfaß zu befördern. Doch zum Glück war Ava ihr im letzten Augenblick zur Hilfe geeilt.
"Worauf wartest du denn noch? Schnell, bring die übrig gebliebenen Krüge an die Tafel. Ich höre ihre Rufe bis hier!"
Avas Stimme riss Magery aus ihren Gedanken. Kurz blickte sie etwas verwirrt auf die Beiden Gefäße, die sie noch immer in den Händen hielt, sprang dann aber auf und begann sich ihren Weg zu den Tischen zu bahnen. Jedoch nicht mit besonders viel Geschick. Bereits nach den ersten fünft Schritten ergoss sich eine der Beiden honigfarbenen Flüssigkeiten über ihren Handrücken, als sie ein torkelnder Mann mit Vollglatze von hinten anrempelte.
Die Wege durch die große Halle glichen einem Spießroutenlauf. Wenn in Magerys Heimat ein Fest gefeiert wurde, so gab es strikte Zeremonieregeln, an die sich jeder Gast zu halten hatte. Hier hingegen herrschte nach dem Empfinden der Grafentochter ein reines Durcheinander. Es ging zu, wie auf dem Schlachtfeld. Hunde kämpften unter den Tischen um die übrig gebliebenen Knochen, Kinder tobten schreiend und lachend durch die Halle und entblößte Frauen tanzten zu fremdartigen Trommeltönen und Gesängen auf den Tischen. Alle halbe Stunde brach eine Keilerei aus, die meist darin endete, dass einer der Beiden Unruhestifter aus der Halle geworfen wurde, nur um danach noch erboßter als zuvor wieder herein zu torkeln.
A
llerdings waren nicht in eine handfeste Schlägerei zu geraten, keine knurrenden Hunde an sich ran zu lassen und nicht von einem tobenden Kind umgerannt zu werden bei weitem nicht die schwersten Herausforderungen, die Magery zu bewältigen hatte. Noch viel schwerer war es, die Zudringlichkeiten der Wikinger über sich ergehen zu lassen. Denn wohin die junge Engländerin auch ging, folgten ihr hungrige Blicke. Wenn sie sich über die Tische beugen musste, um leere Hörner und Krüge zu füllen, spürte sie oftmals lüsterne Hände an ihrem Körper. Bei den ersten Malen war sie wie Marmor erstarrt. Immerhin war sie noch nie auf diese Weise berührt worden. Zwar hatte ihr Vater bereits einen französischen Grafen als Ehemann ausgewählt, jedoch hätte die Ehe erst in sechs Monden vollzogen werden sollen. Doch wie es schien, hatte das Schicksal bereits andere Pläne für sie geschmiedet...
Als sie endlich die Tafel erreichte, wo sich gerade zwei Hunde unnachgiebig um einen Knochen bissen, überkam sie plötzlich das Gefühl, als würde jede Zelle ihres Körpers zu Stein erstarren. Wie ein Pfeil, der sich in ihre Brust bohrte und dessen giftige Spitze Magery nun von innen lähmen würde. Doch es war keine Pfeilspitze, sondern Ivars Blick, der sie quer durch die Halle fokussierte. Als sich ihre Blicke trafen, hob er den Arm und winkte sie mit zwei Fingern heran. So schnell wie es ihr in der tanzende Meute nur möglich war, eielte sie zu Ivar und seinen Brüdern herüber. Als sie die hölzerne Tafel erreichte, ergriff der Knochenlose zuerst das Wort.
"Meine Brüder haben mir davon erzählt, wie sie dich in England gefunden haben. Stimmt es, dass deine Leute dich in ein Weinfaß gesteckt haben?", fragte er halb lachend halb ernst.
Etwas irritiert ließ Magery ihren Blick zu Ubbe und Hvitserk herüber gleiten, denen es sichtlich schwer viel, sich zu beherrschen. Unruhig kaute sie auf ihrer Unterlippe herum und nickte bloß, unfähig etwas zu sagen.
Ivar brach in hohes schallendes Gelächter aus, was die Grafentochter nur noch mehr verunsicherte. Was amüsierte ihn?Als der Krüppel Magerys Ausdruck sah, hörte er abrupt auf zu lachen und lehnte sich nach vorne.
„Komm näher Engländerin. Ich will dir etwas sagen", raunte er plötzlich mit beunruhigender Unerschütterlichkeit in der Stimme.
Zögerlich ging die Grafentochter ein paar Schritte auf den Wikinger zu, der selbst im sitzen nicht viel kleiner war als sie.
„Noch näher."
Magery schluckte bevor sie sich langsam zu ihm herunter beugte.
„Wir sind Wikinger Engländerin. Wenn es einen Ort gibt, vor dem du dich während eines Überfalls hüten solltest, dann ist es der Weinkeller."
Erneut brach schallendes Gelächter aus, durchbrochen von zustimmenden Rufen und dem Aneinanderkrachen gefüllter Hörner. Ivar nahm selbst einen Schluck aus seinem Krug und fuhr unbeirrt fort:
„Weißt du, hättest du dich zwischen euren Pergamentrollen versteckt, wäre dir vermutlich nie etwas zugestoßen. Aber so...", er ließ ein bedauerndes Schnalzen hören.
Nun meldete sich auch Hvitserk zu Wort, der der Unterhaltung bis jetzt nur feixend zugehört hatte.
„Füll unsere Krüge auf. Bei dem ganzen Gerede über Wein und Met habe ich Durst bekommen."
Schnell griff Magery nach den vier Kelchen und durchquerte die Halle, erleichtert sich für kurze Zeit von Ivar entfernen zu können. Sie wusste nicht genau wieso aber aus irgendeinem Grund, war ihr die Intensität unangenehm, mit der sich seine blauen Augen in ihre bohrten. Um etwas Zeit zu gewinnen, ließ sie den Strahl des Fasses nur sehr dünn in die Krüge laufen. Als Magery sich erneut auf den Weg machte, drangen klopfende Geräusche aus der Richtung der Lothbrok Söhne, dicht gefolgt von einem Aufschrei und dem Lachen der Männer.
"Du wirst es nie lernen Hvitserk. Dir fehlt einfach das Gefühl. Außerdem wirst du zu hektisch.", hörte sie Ivar tadelnd sagen.
Erst jetzt war sie nah genug, um zu erkennen, was dort von statten ging. Hvitserk hatte mit seinem Jagdmesser angefangen, immer abwechselnd erst auf den Tisch und dann zwischen seine Finger zu stechen. Jedoch hatte es den Anschein, als hätte er das Spiel verloren. Denn er verzog nun schmerzhaft das Gesicht und leckte das Blut von seinem Finger.
"Ach ja? Meinst du, dass du es besser kannst Bruder?", schoss Hvitserk gereitzt zurück.
"Natürlich bin ich besser als du.", entgegnete Ivar gelassen, während er eine messerklingenähnliche Waffe aus seinem Gürtel zog, die in einem runden Eisenring mündete.
Mit einer undurchschaubaren Miene, legte er seine Hand auf die von Rillen durchfurchte Tischplatte und begann in einer unglaublichen Geschwindigkeit, die Klinge zwischen seinen Fingern umher tanzen zu lassen. Dabei bewegten sich seine Lippen fast unmerklich, was den Anschein hatte, als würde er eine leise Melodie singen.
Nach einiger Zeit wandte Hvitserk frustriert den Blick ab.
"Du betrügst. Du bewegst deine Finger immer ein kleines bisschen weg. Außerdem kennst du die Abstände genau.", während er sprach, spuckte er einen Hühnerknochen achtlos auf den Boden. Ivar unterbrach die ewig fortwährende Melodie und schaute seinen Bruder herausfordernd an.
"Gut. Dann also eine fremde Hand.", während er sprach, viel Ivars Blick auf Magery, die seit einer Weile unbeholfen neben dem Tisch stand.
"Engländerin, gib mir deine Hand.", sagte er und streckte auffordernd seine Eigene aus. Doch Magery ergriff sie nicht. Sie stand bloß da, das pure Entsetzen in ihr Gesicht geschrieben. Aber das irritierte den Wikinger nicht. Geschickt gab er sich einen Ruck nach vorne, zog sie am Arm zu sich und fixierte Magerys Hand auf dem Tisch. Die Flammen der großen Feuerstelle spiegelten sich in der frisch geschärften Klinge wieder, als Ivar das Messer über ihre Hand schnellen ließ. Doch entgegen ihrer Erwartungen, verspürte sie keinen Schmerz. Lediglich ein Windzug hauchte über ihre dünnen Finger.
Hvitserks Miene hatte sich von herausfordernd zu resigniert gewandelt. Er machte mit der Hand eine Bewegung, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen und brachte die Klinge damit zum Stillstand.
Ivar schnaltzte gönnerhaft und machte Anstalten sein Messer zurück in den Gürtel zu stecken, als Hvitserks Hand erneut hoch schnellte.
"Beeindruckend Bruder. Meinst du, das würde dir auch mit verbundenen Augen gelingen?"
Ivar antwortete nicht. Statdessen riss er ein Stück braunen Stoff von seinem Ärmel und hielt ihn Hvitserk mit einem spöttischen Lächeln hin.
"Probieren wir es aus."
Zuerst hatte Magery angenommen, die Beiden Männer scherzten. Doch als Hvitserk seinem Bruder tatsächlich die Augen verband, wusste sie nicht wie ihr geschah. Ivar hatte nun seinen Griff von ihrem Handgelenk gelöst und fuhr mit seiner rauen Hand über ihre. Als wolle er ein genaues Bild vor seinem inneren Auge erschaffen, glitten seine Finger über jede noch so schmale Kerbe in ihrer Haut, was Magery einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
"Nicht bewegen", hauchte er, als die Wärme seiner Hand, dem immer gleichen Auftreffen der Messerspitze wich.
Am liebsten hätte die Engländerin
ihre Hand auf der Stelle weggerissen und wäre aus der Halle gestürmt. Doch sie rührte sich nicht. Zu gebannt war sie vom Schock, der ihren Körper mit aller Macht gefangen hielt. Magery wollte ihren Blick abwenden, um das unvermeidliche nicht mit ansehen zu müssen, doch sie konnte es nicht. Wie in Trance haftete ihr Blick an der tanzenden Klinge.
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