28. Kapitel
Dünne Äste brachen leise unter ihren Schritten, als Magery orientierungslos durch den Wald irrte. Zwei Mal schon hatte sie einen Baumstumpf zu spät bemerkt und war auf den feuchten Waldboden gestürzt. Nun waren ihre Knie nass und brannten. Tannennadeln hatten sich in ihren Haaren verfangen und waren am Nacken in das Gewand gerutscht, sodass sich jeder Schritt anfühlte wie ein Bad im Ameisenhaufen. Am liebsten hätte die junge Adelige sich die Kleider vom Leib gerissen und alle Nadeln herausgeschüttelt, doch sie wagte es nicht sich der Kälte schutzlos auszusetzen, die ihren Körper seit Stunden klamm werden ließ. Magery konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal so sehr gefroren hatte. Mehrfach hatte sie versucht im Schutz der Wurzeln, eines im Sturm gefallenen Baumes, Schlaf zu finden. Doch ehe sie einen Moment ruhen konnte, begann die Kälte schon in ihre Glieder zu kriechen.
'Wenn mir meine Zehen lieb sind, dann muss ich in Bewegung bleiben', dachte sie und hauchte sich in die zu einer Schale geformten Hände.
Plötzlich hörte Magery das Schlagen vieler Flügel, getragen von verärgerten Dohlenschreien. Sie wendete den Kopf und sah wie sich in einiger Entfernung ein rotgoldener Lichtschein zwischen den Tannen bewegte. Ein Waldbrannt? Unmöglich bei der Nässe. Vielleicht war ein einsamer Wanderer durch diese Gegend gekommen und hatte sich am Schein der Flammen wärmen wollen. Ganz zum Verdruss der Vögel, die durch den Rauch von ihrer nächtlichen Ruhestätte vergrähmt worden waren. Wie hypnotisiert näherte sich Magery dem Feuer, das dort verlockend warm, nur ein paar Steinwürfe von ihr entfernt, prasselte. Erst nachdem das Mädchen die Hälfte des Weges zurück gelegt hatte, blieb sie stehen. Vielleicht war das Feuer auch von einer Gruppe Geächteter entfacht worden, die nur auf eine Frau warteten, die sich des Nachts alleine in den Wald begab. Andererseits hörte Magery kein Gegröle oder Lachen, was sonst für lagernde Männerbanden so bezeichnend war. Vielleicht schlief wer auch immer dort lagerte schon. Oder war bereits weitergezogen. Das Mädchen spürte, wie sie nun nicht mehr bloß an den Händen, sondern am ganzen Leib zu zittern begann. Sie schauderte und wischte alle Zweifel beiseite. Sie musste zu diesem Feuer.
Energisch Schritt sie dem roten Schein entgegen, rannte fast, so sehr sehnte sie sich die Wärme in ihren Leib zurück. Sie war bereits aus dem Schutz der Bäume hervorgetreten und konnte die Glut auf ihren Wangen spüren, als ein plötzliches Geräusch sie erstarren ließ. Ein Schnauben. Wenn ihr Blut zuvor noch nicht gefroren war, so war es nun zu Eis kristallisiert worden. Dieses Feuer war nicht entfacht worden, um Wärme zu spenden. Es war eine Falle. Und Magery war mitten reingetreten. Wie die Motte dem Licht, war Sie dem Schein der Flammen gefolgt. Ivar musste gewusst haben, wie eisig die Kälte in den Wäldern hauste und dass er nichts weiter zu tun brauchte, als ein Feuer auf einer Anhöre zu entzünden, das man meilenweit sah. Nun erspähte Magery auch den Wagen, der etwas weiter entfernt im Dunkel der Tannen stand. Daneben war der weiße Hengst angebunden. Magery überlegte krampfhaft was sie nun tun sollte. Rennen? Vielleicht hatte der Knochenlose sie noch nicht gesehen. Doch diesen Gedanken verwarf sie sofort wieder. Natürlich hatte er sie gesehen. Das sprach dagegen zu rennen. Magery konnte nicht wissen woher er kam und wozu er in seiner Wut im Stande war. Ein fliegendes Messer ins Bein zu bekommen hätte ihr gerade noch so gefehlt. Unwillkürlich musste sie an Olaf, den Meister der Jagd am Hofe ihres Vaters, denken. Als Kind hatte sie ihn alles über wilde Tiere ausgefragt und er hatte ihr erklärt, dass man einem aufgebrachten Raubtier nicht in die Augen schauen sollte, wenn es einen fixiert. Aber noch weniger sollte man sich hastig bewegen oder gar rennen, weil das eine Jagdreaktion hervorrufen könne. Also blieb Magery ruhig stehen und schaute sich um. Da entdeckte sie ihn. Er lehnte etwas abseits am Stamm einer alten Eiche. Doch was das Mädchen sah, war nicht was sie erwartet hatte. Anders als das Raubtier mit dem sie rechnete, fixierte er sie nicht, sondern blickte starr in die hoch lodernden Flammen.
"Setz dich", sagte er ohne den Kopf merklich zu heben. Magery konnte keine Wut in seiner Stimme erkennen und wenn er ihr doch grollte, so hatte er es gut verborgen. Sie wollte nicht zurück in die eisigen Tiefen des Waldes flüchten, nur um sich da vermutlich den Tod zu holen. Also setzte sie sich langsam auf den gewärmten Boden und seufzte leise, als sämtliche Wärme des Feuers sie traf. Es war still geworden. Nur das Knacken der Stämme durchdrang die Nacht.
"Wenn mein Vater Abends am Kamin saß und ich bei ihm war, dann hat er immer eine Geschichte erzählt, weil er meinte dass jedes Feuer eine gute Geschichte braucht um heiß und gut zu brennen", sagte Magery leise. Sie hielt diese unberechenbare Stille nicht aus.
"Eine Geschichte worüber?"
"Über starke Krieger und Helden. Das mögen die Flammen am liebsten."
Ivars Lippen boten ein überhebliches Lächeln dar.
"Dann erzähl mir von euren starken Kriegern und Helden, Christin."
"Wir haben viele Krieger und Helden. Am liebsten ist mir die Geschichte vom stärksten Herrscher der Welt, von Sigfried. Es gelang ihm einen Drachen mit eigenen Händen zu erlegen und-..."
"Was soll schwer daran sein einen Drachen zu töten? Drachen sind Monster. Riesige, böse Kreaturen, die einen selbst töten wenn man ihnen nicht zuvor kommt."
"Drachen sind mächtig und so groß wie ein Haus. Nur starke Krieger können einen besiegen", gab Magery leicht verärgert zurück.
"Gute Krieger mit viel Kraft womöglich. Aber stark muss man gewiss nicht sein"
"Dann erzähl mir doch von euren starken Kriegern. Was haben sie getötet, wenn dir ein Drache nicht genügt?"
Zum ersten Mal hob Ivar den Kopf, beugte sich nach vorne und schlängelte sich, wie der Drache aus Sigfrieds Sage, zu ihr ans Feuer. Magerys Puls verschnellerte sich etwas, doch sie ließ sich nichts anmerken. Stattdessen schaute sie ihn ruhig an und beobachtete die Flammen, die sich in seinen Augen spiegelten.
"Ich erzähle dir von einem Krieger, dem die Götter eine Frau sanden. Das schönste Weib unter den Himmeln. Ihr Haar war aus dem Glanz der Sonne gemacht und ihre Haut so weich und rein wie das Gefieder eines jungen Schwans. Ihr Name war Freydis. Doch sie ward verführt von Loki. Und so öffnete sie, bei einer großen Schlacht, den Feinden des Kriegers die Tore."
Magery rührte sich nicht. Ivars Stimme hatte sich verändert und seine Augen schienen nur noch durch die Flammen hindurch zu sehen.
"Als ihr Verrat offenbar wurde, ließ er sie zu sich kommen. Ihre blauen Augen verschwiegen ihr Vergehen nicht, sie flehten nicht einmal.", sagte Ivar leiser als zuvor und Magery musste näher zu ihm herüber rücken um seine Worte zu verstehen. Er hielt kurz inne, bevor er fort fuhr.
"Nie war Freydis schöner als im Augenblick ihres Geständnis. Nie liebte der Krieger sie mehr als in jenem Moment. Doch sie starb noch am selben Tag durch die Hand des Mannes der sie liebte."
Gänsehaut breitete sich auf Magerys Armen aus und ein Hauch von Übelkeit durchzog ihren Magen.
"Das war der Tag, an dem die Götter ihn unsterblich machten. Er war in der Lage gewesen, seine Liebe zu erwürgen, auszuharren, bis der letzte Atemzug aus ihrem Körper gewichen war. Er hatte das Unmögliche vollbracht. Woran sollte er noch scheitern? Was bedarf es schon um einen Drachen zu töten? Aber um seine Liebe hinzurichten, das braucht Stärke von der die meisten Menschen nur träumen können."
"Was ist mit dem Krieger passiert?", fragte Magery leise.
"Die Götter halten ihn unsterblich, indem sie ihm den Verrat seiner Liebe jede Nacht in seinen Träumen zeigen. Und jede Nacht tötet er sie erneut."
Entsetzen breitete sich in Magerys Augen aus, als kalte Erkenntnis sie traf. All der Hass, den Ivar in sich trug. Immer zu hatte sie geglaubt, dass seine Verkrüppelung die Ursache dieser Pein war. Doch nun ward sie eines besseren belehrt. Er hasste nicht, dass ihn ein körperliches Gebrechen quälte. Er hasste sich selbst, für das was er seiner Liebe angetan hatte. Auch wenn Ivar sich in keinem Wort erwähnte, so schrie verräterischer Schmerz in seinen Augen tausendfach lauter als alle Knabenchöre Englands es je gekonnt hätten. Die Geschichte des Kriegers war seine gewesen.
"An dem Tag als du sie umgebracht hast, hast du dich selbst in die Verdammnis gestürzt Ivar.", sprach Magery die Worte aus, die ihr auf der Zunge lagen.
Noch bevor Magery die Lippen wieder geschlossen hatte, drehte Ivar sich herum und packte sie am Hals.
"Eine gefährliche Wahrheit die du da zu kennen meinst. Du weißt dass ich Sklaven für weniger hinrichten lasse?", zischte er.
"Dann tu es", presste Magery zwischen ihren Zähnen hervor und lehnte sich nach vorne, sodass seine Hand stärker noch gegen ihren Hals drückte.
Für einen Moment starrte Ivar sie mit dunklen, bösen Augen an. Dann ließ er von ihrem Hals ab und griff stattdessen nach ihren Wangen.
"Ich kann es nicht"
Magery könnte hören, dass seine Zähne zusammengebissen waren.
"Warum kann ich dich nicht töten, huh?"
Das Mädchen starrte ihn wortlos an.
"Oh Magery wenn du nur wüsstest, wie oft du dem Tod schon entronnen bist. Die Götter müssen dich wahrlich lieben", sagte er ruhiger und löste seinen Griff.
"Warum sagst du sowas? Was meinst du damit?"
"Es geschah das erste Mal in der Nacht als du Brynna besiegtest. Wie jedes Mal stand Freydis vor mir, blickte mich an und gestand ihren Verrat. Doch dann blickte sie zur Seite und als sie sich mir erneut zuwandte, waren ihre Züge den deinen gewichen."
Magery schluckte.
"Als ich aufwachte verstand ich, was die Götter von mir verlangten. Um unsterblich zu bleiben, sollte ich mein Opfer erneuern. Noch in derselben Nacht ging ich zu dir. Du warst noch vom Kampf erschöpft und wachtest nicht auf."
In Magerys Bauch hatte sich alles zusammengezogen. Der Gedanke dass Ivar, während sie schlief, vor ihrem Bett gewesen war, ließ sie in Furchtsamkeit erstarren.
"Ich strich deine Haare zur Seite, legte meine Hand um deinen Hals. Deine Haut war warm, ich konnte spüren, wie dein Blut unter meinem Daumen pulsierte. Es hätte gar nicht leichter sein können, aber einem Teil in mir widerstrebte es zuzudrücken... Ich hatte Zeit. Also ging ich."
Ivar machte eine Pause und schaute schweigend in die Flammen bevor er fort fuhr.
"In der nächsten Nacht kam ich wieder. Diesmal mit einem Messer. Durch das Messer würde ich nichts spüren. Keine Wärme, kein pulsieren. Und dennoch ward mein Griff wie von einem Riesen gehalten. Ich konnte ihn nicht nach vorne stoßen, nicht in dein Fleisch treiben. Also wartete ich wieder. Ich weiß nicht mehr wie viele Tage. Als der Mond hoch stand, kam ich erneut. Ich trug Hvitserks Armbrust bei mir und blieb in der offenen Tür stehen. Von dort aus konnte ich dich kaum sehen. Ich zielte, doch wieder ward meine Hand aus Stein. Loslassen, alles was ich tun brauchte war loszulassen. Mehr verlangten die Götter nicht von mir. Ich schloss meine Augen, aber da war dein Atem. Ich hörte ihn in der Kammer, ich hörte ihn wenn du nicht bei mir warst. Und meine einzige Sorge war, dass er verstummen könnte."
Magerys Ohren rauschten und es gelang ihr nicht auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wie aus Granit geformt starrte sie ihn an und sah vor ihrem inneren Auge, was er zuvor beschrieben hatte. Ihr wurde schlecht.
"Mein Versagen wurde mir offenbar, als Harald und seine Männer Kattegatt angriffen und du in der brennenden Halle lagst. Du warst dem Tode schon geweiht. Ohne mein Zutun. Ich hätte nur warten brauchen, bis du zu Asche verfallen warst. Aber ich konnte nicht."
Ein Kauz schrie irgendwo im Wald. Und das Unterholz knackte vernehmlich. Doch weder Ivar, noch Magery hörten etwas.
"Dass du lebst, macht Freydis Opfer sinnlos.", sagte Ivar mehr zu sich selbst als zu Magery.
"Nachdem ich dich aus den Flammen gezogen hatte, wünschte ich dich so weit fort wie nur möglich. Selbst das Ende der Welt schien zu nah. Du warst der Preis für die Unsterblichkeit, die ich nicht zu zahlen vermochte. Und das Volk hatte es gesehen. Du solltest mit meinem Bruder fort gehen, meine Schwäche vor Göttern und Menschen verbergen. Aber ich erkannte meinen Fehler schnell. Es wäre töricht dich aus der Hand zu geben. Also schickte ich meine Männer um dich zurück zu holen. Sie sollten dein Äußeres verändern und dich in meine Halle bringen. Jeder würde denken, dass du mit Björn fort warst und keiner würde dich erkennen."
Nun hob Ivar den Kopf und schaute sie direkt an.
"Aber du kannst nicht mehr fort Magery. Du wirst bei mir bleiben. Für immer"
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