23. Kapitel
Bitte verzeiht meine Inaktivität. Die langen Abstände sollen nicht zur Gewohnheit werden. Ich schreibe nur gerade mein Abi. Trotzdem viel Spaß :*
Magery stockte, ehe sie aus der Kammer trat. Noch einmal strich sie über den Leinenstoff ihres blassgrünen Kleides und prüfte, ob sie die Schnüre am Rücken auch in der richtigen Reihenfolge geknüpft hatte. Als sie sich dessen sicher war, warf sie den Mantel über ihre Schultern und huschte durch die Tür. Erleichterung überkam die Engländerin, als sie auf den mit Fackeln ausgeleuchteten Fluren keine Wachen erspähte. Sie wollte nicht, dass man sie sah. Es fühlte sich nicht richtig an Nachts alleine, wie eine geheime Konkubine, in die Kammer eines Mannes zu schleichen. In ihrer Heimat wäre das ein Etikettenverstoß sondergleichen, der nicht selten zu einem Verstoß aus der Familie hätte führen können. Nur der Gedanke mit Ivar alleine zu sein verschaffte ihr Unbehagen. Natürlich hatte sie schon oft alleine mit ihm gesprochen oder gekämpft, aber immer waren Menschen in einiger Entfernung um sie herum gewesen. In seiner Kammer würde sie alleine mit einem Mann sein. Und das waren in England meist nur die Huren. Wenn eine unverheiratete Adelige sich mit einem Mann umgab, dann wurde sie von mindestens einer Anstandsdame begleitet. Eher noch von einem männlichen Mitglied der Familie.
Magery spürte, dass ihre Hände feucht waren, als sie mit den Fingern gegen das Holz der massiven Eichentür schlug. Erschrocken stolperte sie zurück, als der Flügel ein Stück aufschwang. Es war offen. Unwillkürlich fühlte sie sich wie ein Lamm, das aus freien Stücken in die Höhle des Löwen lief. Und das Schicksal des Lämmchens war ihr aus der Fabel ihrer Amme bekannt...
Das Mädchen atmete einmal tief ein, bevor sie sich einen Ruck gab und durch die Tür trat.
Das Erste was Magery wahrnahm, als sie die Kammer betrat, war der seichte Geruch aus Spitzwegerich, Kamille und Honig, der ihr entgegenschlug. Sie wusste, dass die Kräuter Bestandteile einer Tinktur waren, die die Mägde für Ivar anrührten, wenn die Schmerzen in seinen Beinen unerträglich wurden. Dennoch irritierte sie das Aroma. Die Milde passte nicht zu dem Bild, das sich in ihrem Kopf von dem Heiden manifestiert hatte. Ebenso wenig, wie das Gesamtbild der Kammer: An der Stirnseite stand ein Bett aus Schaf- und Renntierfällen, das von Fackeln und Kerzen umstellt war. Gegenüber davon ein leerer Waschzuber und drei Truhen, deren Inhalt wahrscheinlich aus Gewandung oder Raubbeute bestand. Direkt vor der Engländerin saß Ivar an einem massiven Mamortisch, der eine verdächtige Ähnlichkeit mit einem christlichen Altar aufwies. Schnell wendete Magery ihren Blick von den eingemeißelten Schriften ab, in Sorge etwas zu entdecken, was sie lieber nicht wissen wollte. Sie mochte sich nicht vorstellen, dass der Wikinger einen gesegneten Altar aus einer heiligen Kirche geraubt hatte, um nun sündhafte Trink- und Messerspiele darauf zu spielen oder fettige Hähnchenkeulen daran zu verspeisen. Mit einem raschen Kopfschütteln wischte sie die Gedanken beiseite.
Dennoch strahlte die Einrichtung etwas einladendes aus. Die Engländerin schmunzelte. Warum war sie so überrascht? Was hatte sie erwartet? Dass es in seiner Kammer nach Eisen, Schweiß und Blut roch? Dass der Jarlssohn auf einem aufgetürmten Schädelberg schlief und seine Wand mit Menschenblut bemalt war?
"Komm her, Engländerin"
Etwas zögerlich näherte sie sich dem Altar.
"Hast du dir dein Schwert noch einmal wetzen lassen?"
"Ich bin da gewesen. Aber nur der Lehrling war in der Schmiede und als er mich gesehen hat, wurde er weiß und musste dringend neue Kohlen holen"
Entgegen ihrer Erwartung flammte keine Verärgerung in den Augen des Krüppels auf. Ganz im Gegenteil. Ein flüchtiges Schmunzeln huschte über seine Züge und Magery beschlich das leise Gefühl, dass Ivar etwas damit zu tun hatte.
"Dann gib es einem der Sklaven"
Magery nickte rasch.
"Möchtest du etwas trinken?"
Magery wollte nichts trinken. Aber etwas in seinem Blick sagte ihr, dass sie gut daran tat den Kelch entgegen zu nehmen.
"Bist du wieder Herr deiner Sinne?"
Ivar stellte die Frage zwar, doch Magery hatte den Eindruck, als würde ihn im Geist etwas ganz anderes bewegen.
"Ja, mir geht es besser"
"Gut. Es ist wichtig, dass du dich vor dem Kampf gut fühlst. Entspann dich"
Unter anderen Umständen hätte Magery wahrscheinlich lachen müssen. Wenn sie in Ivars Nähe war, konnte sie sich nicht entspannen. Dafür war er zu unberechenbar, seine Gedanken zu verschlüsselt und jede seiner Taten zu unvorhersehbar.
Schnell nahm sie einen weiteren Schluck.
Der Met befeuchtete Magerys Lippen und hinterließ ein angenehmes Gefühl von Wärme in ihrer Kehle.
"Setz dich"
Stumm näherte sich die Engländerin dem Altar, doch eine fast unmerkliche Geste des Wikingers ließ sie innehalten. Ihr Körper fühlte sich wie vergiftet an, als sie seinen Blick bemerkte, der ohne Umschweife zum Bett führte.
Schwindel ergriff die junge Adelige, als ihr gewahr wurde, welches Schicksal ihr wohl blühen mochte. Als sie noch in England war, hatte sie einige Geschichten über Räuberbanden und Vogelfreie erzählt bekommen, die jungen Adelsfräulein ihre Unschuld rauben wollten. Danach war sie oft mit einer Spielkameradin durch die Gärten gestriffen und hatte sich ausgemalt, wie sie den Räubern entkommen würden. Magery wollte rennen und sich auf einem Baum verstecken, oder sie mit der Spitze ihrer Schuhe außer Gefecht setzen oder ihnen drohen und mit klugem Wortwitz entkommen. Ob dies die richtigen Wege waren wusste sie natürlich nicht, weil es in den Geschichten nie zum Äußersten kam. Vorher erschien ihr Held, ein Ritter oder ein Prinz, um das Edelfräulein aus den Fängen der Bestie zu retten. Doch Magery hatte gelernt nicht mehr auf Rettung zu hoffen. Und obwohl es ihr als junges Mädchen nicht an eigenen Rettungsstrategien gefehlt hatte, blieb sie zunächst einfach reglos stehen. Sie lief nicht. Sie trat nicht. Sie schwieg. Dann drehte sich das Mädchen um und ging auf wackligen Beinen zum Bett herüber. Das Gift in ihrem Körper schien nun endgültig seine Wirkung zu entfalten und einen Moment lang fürchtete Magery das Bewusstsein zu verlieren. Ivars Blick hatte sich nicht verändert, als sie das Bett erreichte. Also schob sie sich mit klammen Gliedern und flachem Atem über die Kante hinauf auf die Felle. Die Engländerin sah nicht, wie der Krüppel sich ihr näherte. Doch sie hörte die Ringe und Platten an seinen Beinen klirren, während er sich über das Holz in ihre Richtung schleifte. Das Gift hatte nun auch ihren Geist betäubt. Bilder schossen durch ihren Kopf, einzelne Wörter. Doch sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ihre Knie sanken tiefer in die Felle, als sich der Krüppel hinter ihr hinauf zog.
"Leg dein Haar zur Seite"
Mit leicht zitternden Fingern tat Magery wie ihr gehießen und zuckte zusammen, als sie spürte wie Ivar die ersten Schnüre ihres Kleides löste.
Ein Gefühl von Kälte erfasste ihren Rücken und sie musste sich zusammenreißen nicht zu wimmern, als Ivar mit den Fingern ihre Wirbelsäule entlang strich. Seine Hände wanderten von ihrem Nacken hin zu ihren Hüftknochen und schienen dabei jedes Detail ihrer Haut zu erfassen.
"Deine Wunden sind gut verheilt. Es wird dir keine Schmerzen bereiten"
Magery konnte nicht mehr erfassen was Ivar sagte, denn das Gift schien nun ein Tranceartiges Endstadium zu erreichen, das ihre Haut kribbeln und ihren Kopf schwindeln ließ.
"Und wenn es schmerzt, dann halte es aus", sagte er ruhig und Magery konnte seinen Atem in ihrem Nacken spüren.
Wie üblich hatte Ivar recht. Es schmerzte nur kurz. Dennoch spürte das Mädchen jeden Stich, mit dem die Nadel ihre Haut durchstach.
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Magery wusste nicht, wie viel Zeit zwischen dem ersten und letzten Stich lag. Dennoch fühlte es sich wie nach einer Ewigkeit an, als sie Ivars Stimme wieder vernahm.
"Möchtest du es sehen?"
Magery nickte stumm und drehte ihren Kopf zurück. Die Tätowierung befand sich gerade so auf ihrem rechten Schulterblatt, dass sie es noch sehen konnte. Die Haut war gerötet und leicht geschwollen, dennoch konnte man unter einzelnen Rinnsalen von Blut die Konturen erkennen.
In der Größe eines Apfels prangte eine Taube mit einem Pfeil durch die Brust, der auf der Höhe ihrer Flügel wieder austrat. Darum wanden sich Schlangen und Dornenranken in einer verschlungenen Kreisform.
Magery schluckte. Eine weiße Taube mit goldenem Pfeil durch die Brust war das Wappen der Familie Arrington. Ihrer Familie.
"Woher-..", begann die Adelige.
"Sie war auf jedem Banner das unsere Männer vor den Burgtoren in England verbrannten. Aber jetzt hast du ein Neues. Es kennzeichnet dich und wird den Göttern zeigen, wen sie beschützen sollen"
Plötzlich war jedes Gefühl der Trance von ihr gewichen. Vielleicht war dies der letzte Tag, an dem sie auf Erden weilte.
"Geh zurück in deine Kammer und ruh dich aus. Wir werden uns morgen nicht mehr sehen. Die Bräuche verlangen, dass die Jarlsfamilie vor dem Kampf an den Ritualen teilnimmt", sagte Ivar bestimmt.
Nach dem ersten Satz wollte Magery aufspringen und hinaus eilen. Doch der Gedanke, dass dies ein Abschied auf ewig sein könnte ließ sie innehalten.
Ivar war ein Heide, ihr Feind. Vielleicht sogar der Schlächter ihres Vaters. Er hatte sie ihrer Heimat entrissen und gebrochen. Doch was auch immer er gebrochen hatte, war stärker zusammengewachsen als zuvor. Sie wollte etwas erwidern, doch der Blick des Wikingers untersagte es ihr. Er würde nicht zulassen, dass die Nacht zu einem Abschied wurde.
Gehorchend drehte Magery sich um und ließ Ivar zurück. Sie wusste nicht, dass sie die Kammer nie wiedersehen würde.
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