17. Kapitel

Magerys Züge erstarrten und ein Anflug von Schwindel erfasste ihren Körper, als sie Brynna an der Spitze des Zuges erkannte. Die Schildmaid war ebenfalls in Rüstung gekleidet, was ihr Becken noch breiter erscheinen ließ.

"Lothbrok!"

Ihre vor Wut bebende Stimme hallte durch den Wald.

In der Menge der innehaltenden Krieger konnte Magery Ubbe und Hvitserk erspähen. Unsicher blickte sie den Älteren an, in der Hoffnung er würde sie ein zweites mal vor der Schildmaid bewahren. Doch Ubbe machte keine Anstalten hervor zu treten. Ganz im Gegensatz zu Brynna, die sich vor ihren Männern aufgebaut hatte und Ivar fokussierte.

"Wir sind gekommen, um Gerechtigkeit zu fordern."

"Wofür fordert ihr Gerechtigkeit?", fragte Ivar mit einer derart sanften Stimme, dass Magery Gänsehaut bekam.

"Eure Sklavin hat letzte Nacht probiert ein Pferd zu klauen und als sie dachte, dass ihr Versuch scheitern würde hat sie unseren Kornspeicher angezündet."

"Wie sollen wir durch den Winter kommen, wenn unsere Ernte zu Staub und Asche zerfallen ist?", rief ein hochgewachsener Mann der Brynna flankierte.

"Es ist euer Versäumnis, dass ihr die Kornspeicher nicht bewacht habt. Trotzdem werden wir euch den Zugriff auf einen Teil unserer Ernte gewähren. Den Rest musst du dazu kaufen."

Magery wusste, dass Ivar der Schildmaid keine Zugeständnisse zu machen brauchte. Dennoch war es klug die Wogen zu glätten. Brynnas Clan verfügte über eine stattliche Fläche an Land und befehligte gut ausgebildeten Männern, auf deren Loyalität die Königin nicht verzichten wollte.

"Was ist mit dem Mädchen?", fragte Brynna, während sie Magery mit ihren Blicken durchbohrte.

"Sie wird zur Rechenschaft gezogen werden."

"Wie?", hakte Brynna nach, ohne ihren Blick von Magery zu lösen.

Ivar zuckte gleichgültig mit den Schultern.

"Sie soll wie Odin ihr rechtes Augenlicht verlieren, um durch Weisheit zu verstehen, was sie begangen hat. Davor wird man sie an den Pranger stellen und öffentlich auspeitschen."

Magery glaubte das Bewusstsein zu verlieren.

Brynna nickte zufrieden.

"Meine Männer werden sich darum kümmern. Wer war die Sklavin, die euch berauben wollte?"

Magery erstarrte in Entsetzen, als die Schildmaid den Finger auf sie erhob.

Ivar wendete sich um. Für einen Augenblick lag ein Ausdruck auf seinen Zügen, den die Engländerin nicht deuten konnte. Dennoch bildete sie sich ein, einen Hauch von Erstaunen in dem Dunkel seiner Iris  erkennen zu können.

Er seufzte bedauernd und faltete die Hände im Schoß zusammen.

"Dann fürchte ich, dass es eine andere Abfindung geben muss. Die Engländerin wird nicht angerührt."

Die Miene der Krieger verfinsterte sich und ein bärtiger Mann raunte Brynna etwas ins Ohr, was Magery nur noch unruhiger machte.

"Dann verlangen wir ein Götterurteil. Ich erkläre mich bereit gegen die Engländerin zu kämpfen um den Willen der Götter zu ergründen."

"Nein.", sagte Ubbe, während er an Ivars Seite trat.

"Götterurteile enden mit dem Tod.", setzte er fort.

"Dann bis zur Aufgabe.", entgegnete sie ihm mit einem Funkeln in den Augen.

Er wollte gerade etwas erwidern, als Ivar seine Stimme erhob.

"Einverstanden"

Ubbe stockte und lehnte sich zu seinem Bruder hinab.

"Bist du des Wahnsinns Ivar? Brynna wird sie zerschmettern als wäre sie aus Glas."

"Wie sonst soll ich sie auf den Julkampf vorbereiten? Sie kennt die meisten Schläge und Paraden. Was sie nicht kennt ist das Verletzen, die Kraft mit der man in das Fleisch des Gegners stechen muss und die Erkenntnis, dass der menschliche Körper im wesentlichen nur ein Sack aus Blut, Knochen und Scheiße ist.", raunte er leise zurück.

"Magery wird nicht verletzen, sondern selbst verletzt werden. Wahrscheinlich so sehr, dass die Wunden bis zum Julkampf nicht verheilen.", zischte Ubbe und fixierte seinen kleinen Bruder.

Ivar erwiderte den Blick.

"Ich bin bereit dieses Risiko einzugehen. Magery hat eine Barriere in ihrem Kopf, die ich brechen muss. Sie konnte noch nicht mal einem Vogel etwas antun. Wenn sie selbst nicht bereit ist zu töten, dann wird das ihr Untergang sein. Und wer könnte mir da besser helfen als eine Frau, die lodernden Hass in ihr hervor ruft?"

Hvitserk hatte sich ebenfalls zu seinen Brüdern gekniet.

"Und was wenn Brynna sie trotzdem tötet? Du kannst dich nicht darauf verlassen, dass sie Magery unversehrt lassen wird. Sie hat eine Fede mit ihr.", sagte er leise und warf der Schildmaid einen Blick zu. Sie hatte sich ihrer schweren Rüstung bereits entledigt und machte sich nun daran eine Waffe zu wählen.

"Wir werden sehen.", sagte Ivar energisch und zog sich zu Magery hinüber, die sich mittlerweile ins Gras hatte sinken lassen. In der Befürchtung, dass ihre Knie nachgeben könnten.

"Steh auf."

Langsam raffte sie sich auf. Hektisch sprang ihr Blick durch die Menschenmasse, die sich im Halbkries um das Geschehen gebildet hatte. Vielleicht würde jemand nach vorne treten und für sie einstehen.
Diese Hoffnung keimte in Magery, weil sie es aus ihrer Heimat nicht anders gewohnt war. Mit sechs Jahren hatte sie einmal einen Federkranz aus dem Zimmer der Gräfin Bea geklaut. Aber der Hauptmann der Wache hatte sie bei seiner Ablösung gesehen und  den König in Kenntnis gesetzt. Doch anstatt selbst gescholten zu werden, war schnell ein Küchenmädchen gefunden, der man die Schuld anheftete.
Ihrem Cousin Jonathan war sogar ein eigener Prügelknabe unterstellt, der die Schläge auf sich nehmen musste, wenn der Grafensohn etwas anstellte.

Doch ihre Hoffnungen waren endgültig zerstört, als sie Brynna bereits mit Schwert und Schild bewährt gegenüber stand. Sie versuchte die Rufe der Männer, die Geräusche der Schwerter welche mit lautem Krachen gegen die Schilde schlugen und Ivars kühlen Blick auszublenden. Kurz bevor sie in den aus Menschen geformten Kreis getreten war, hatte er ihr noch etwas zugeraunt.

"Achte auf ihr rechtes Knie. In der letzten Sommerschlacht gegen die Iren hat sie einen Pfeil zwischen die Knochen bekommen und kann das Bein nicht mehr vollends belasten."

Konzentriert versuchte Magery einen Vorteil aus dieser Information zu ziehen. Doch ihre Gedanken wollten  einfach nicht gehorchen. Zu laut war das Pochen in den Ohren und zu stechend das Ziehen in der Schulter. Sie fühlte lediglich den Stahl, der schwer und kühl in ihrer Hand lag, als Brynna die Deckung fallen ließ und sich erneut zu Ivar umwandte.

"Eins noch...wenn die Engländerin gewinnt-", sie pausierte um einen kehligen Lacher auszustoßen, in das die Männer mit einstimmten

"Dann soll sie den Gaul behalten, den sie letzte Nacht gestohlen hat. Wenn ich hingegen gewinne, dann werde ich das Pferd öffentlich opfern, um dem Kriegsgott Tyr zu danken."

Selbst Ivar bezweifelte, dass die Gottheit des Krieges Tyr seine Macht gegen ein halbstarkes Mädchen in die Waagschale werfen würde. Dennoch nickte er zu Magerys Entsetzen. Jetzt hatte sie keine Wahl mehr. Sie musste gewinnen. Was immer es auch kosten mochte.

Gebieterisch hob Ivar die Hand, um den Kampf zu eröffnen.
Brynna rührte sich nicht. Die Engländerin hingegen begann die deutlich stämmigere Schildmaid mit schnellen Schritten zu umrunden.

Brynna schluckte den Köder und bewegte sich synchron zu ihr, sodass sie sich wie zwei lauernde Wölfe umrundeten. Und tatsächlich konnte die Engländerin eine Unklarheit im Gangbild der Wallkyrenartigen Frau erkennen. Das wollte sie nutzen. Mit einem Satz sprang Magery nach vorne und schlug auf das Knie der Kämpferin, in der Hoffnung sie würde das Gewicht mit dem Verletzten Bein nicht ausgleichen können und stürzen. Doch trotz ihrer Versehrtheit war die Schildmaid erstaunlich schnell und wich der Klinge mit einem Ausfallschritt nach hinten aus. Jedoch reichte es nicht, um zu verhindern, dass der Stahl den grauen Wollstoff ihrer Hose knapp oberhalb der Kniescheibe aufschlitzte. Für einen kurzen Moment zeichnete sich Verwunderung auf ihrem Gesicht ab. Anscheinend hatte sie nicht erwartet, dass die Engländerin den Kampf eröffnen würde. Erst recht nicht mit einer derart präzise gewählten Attacke.
Doch Brynna erholte sich schnell von ihrem Schock und ließ einen lauten Aufschrei hören, als sie auf die Engländerin zu rannte und ihren roten Schild mit dem goldenen Ochsen ihres Clans drauf gegen Magerys einfachen Holzschild rammte. Die Kraft des Schlages traf das Mädchen mit voller Wucht, sodass sie den Stand verlor und gut vier Schritt weiter auf den Boden aufschlug. Doch bevor Brynna sie erreichen konnte, war sie bereits wieder aufgesprungen. Der Gedanke daran, dass ihr Pferd vor ihren Augen sterben könnte verlieh ihr eine Entschlossenheit, die sie nie zuvor gespürt hatte. Adrenalin paarte sich mit Hass, als sie einem Schlag der Kämpferin zur Seite auswich, nur um dann wieder nach vorne zu schnellen und ihrer Kontrahentin einen gezielten Hieb aufs Brustbein zu verpassen. Ein Keuchen entwich den Lippen der Getroffenen. Doch zu Magerys Enttäuschung blieb es dabei. Anscheinend hatte sie den empfindlichen Punkt zentral zwischen den Rippenbögen verfehlt. Denn als Ivars Waffe sie einmal dort getroffen hatte, war sie ächzend zu Boden gesunken und konnte sich nicht mehr rühren. Brynna zeigte keines dieser Anzeichen. Vielmehr schlug sie erneut zu. Diesmal mit einem Kopfangriff, dem Magery nur knapp entkam, indem sie sich zur Seite weg duckte. Es blieb dem Mädchen keine Zeit einen Gegenangriff zu starten. Denn der nächste Hieb folgte bereits. Diesmal von der Seite. Doch die Adelige sah ihn kommen und parierte so geschickt, dass ein flüchtiges Lächeln des Triumphes über ihre Lippen huschte. Es verschwand jedoch sofort wieder als sie bemerkte, dass Brynna sie genau da hatte wo sie sie haben wollte. Durch die Seitenparade war die Deckung der Engländerin geöffnet und das Schwert weit von ihrer Körpermitte entfernt, sodass nichts das Mädchen schützen konnte, als Brynna ihr die Kante ihres Schildes in den Bauch rammte. Nun war es Magery die aufkeuchte und  vor Schmerz gekrümmt auf die Knie sank. Entfernt vernahm sie die Zurufe der umstehenden Wikinger, welche nach wie vor den Rhythmus der kriegerischen Kampfeshymne mit ihren Waffen am Leben hielten. 
Ein Tritt traf sie hart an der Seite, sodass sie der Länge nach mit dem Gesicht auf dem Boden aufschlug. Einen Moment blieb Magery reglos liegen, bis sie an der Schulter gepackt und auf den Rücken gedreht wurde. Das Mädchen keuchte erneut auf, als  Brynna sich mit einem Knie auf ihrem Brustkorb abstützte und ihre rauen Hände um Nacken und Hals der Engländerin legte. Die Augen der Grafentochter weiteten sich und pure Verzweiflung stieg in ihr auf, als Magery spürte wie sie zudrückte.

Ubbe hatte den Blick abgewandt und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, als die Adelige begann sich unter dem mächtigen Körper der Kriegerin panisch hin und her zu werfen. Unruhig schaute er zu Ivar, der das Geschehen mit undurchdringlicher Miene beobachtete.

Der Druck auf Magerys Lungen begann allmählich ins unerträgliche anzuwachsen. Wie ein Spatz in den Fängen eines Habichts versuchte sie nach Luft zu ringen. Doch der Griff der Schildmaid schloss sich weiterhin erbarmungslos und raubte ihr jeden Atem.

"Gib auf.", zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Doch Magery konnte nicht aufgeben. Zu groß war der Schmerz an den Gedanken Kallkyra sterben zu sehen.

"Ivar!", Ubbes Stimme klang mahnend, als er sich erneut zu ihm herunter beugte. Mittlerweile hatte auch Hvitserk begonnen ihm besorgte Blicke zuzuwerfen.

Magery konnte spüren, wie das Blut in ihrem Kopf langsam zu zirkulieren aufhörte. Wenn sie sich nicht ergab, würde das Mannsweib sie wahrscheinlich umbringen. Aber verloren hätte sie damit nicht. Ohne weitere Demütigungen ertragen zu müssen, hätte sie ihr Pferd gerettet. Und selbst wenn nicht, würde sie mit ihm in den Tod gehen. Ein erhabener und selbst gewählter Tod, den sie zu opfern bereit war.

Ubbe packte Ivar am Arm.

"Ivar! Sie wird das nicht überstehen."
Aber sein Bruder reagierte nicht. Wie verbissen blickte er weiterhin auf die Beiden am Boden liegenden.

Doch Magery wollte nichts mehr opfern. Genug hatte sie bereits entbehrt, genug ertragen. Hilfesuchend streckte sie ihren Arm nach dem Schwert aus, das einige Fußlängen neben dem zarten Mädchen im Gras lag. Ihre Fingerspitzen berührten das vom Gras feuchte Metall. Doch die Reichweite genügte nicht um nach der Klinge zu greifen. Verzweifelt versuchte sie einen Aufschrei auszustoßen, aber der Laut erstickte in ihrer Kehle. Magery rechnete damit, dass ihre Lungenflügel jeden Moment bersten könnten. Schwarze Punkte begannen vor ihren Augen zu tanzen.

"Ivar!", Ubbes Stimme war zu einem Schreien angeschwollen.

Ein letztes Mal schöpfte die Engländerin alle Kraft die sie aus Hass, Angst, Trauer und Verzweiflung zusammen bringen konnte und riss ihr linkes Bein ruckartig nach oben, sodass es Brynna geradewegs zwischen die Schulterblätter traf. Von dem Tritt überrascht fiel sie nach vorne, was Magery nutzte und mit aller Macht ihren Kopf hoch riss. Ein hässliches Knacken drang an das Ohr der Adeligen, als ihre Stirn auf die ohnehin schon krumme Nase der Schildmaid prallte. Angeekelt spürte sie, wie fremdes Blut auf ihre Haut tropfte. Reflexartig ließ Brynna den Hals ihrer Kontrahentin los und fuhr sich über das schmerzende Nasenbein. Das Mädchen keuchte auf, als der Druck um das Genick verschwand und frische Atemluft ihre Lungen befüllte. Magery trat noch einmal. Diesmal kippte die Wikingerin nicht nach vorne. Aber dafür brachte sie der Schmerz genug aus dem Gleichgewicht, um nicht verhindern zu können, das Magery auf allen Vieren unter ihr heraus kroch und nach dem Schwert griff, das noch immer im Gras lag. Diesmal ließ die England ihr keine Zeit um auszuweichen. Mit einem durchdringenden Schrei packte sie die Haare der Wallkyre und zog ihren Kopf daran hoch. Die Klinge platzierte Magery direkt an ihrer Kehle, bevor sie langsam begann zuzudrücken.

"Ergib dich!.", schrie das Mädchen auf nordisch, wobei sie kurz darauf von einem Hustenkrampf geschüttelt wurde. Brynna reagierte nicht.

"Ergib dich oder du wirst ersticken. An einem Pfund Stahl.", wiederholte sie und erhöhte den Druck an der Schneide

"I-ich ergebe mich.", konnte sie nun Brynna leise röcheln hören.

Es dauerte einen Augenblick bis Magery verarbeiten konnte, was sie soeben gehört hatte. Wie paralysiert ließ sie das Schwert fallen und trat einen Schritt zurück. Selbst wenn sich ihr Körper nicht so anfühlte, sie hatte gewonnen. Und diesen Sieg konnte ihr keiner mehr nehmen.

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