14. Kapitel
Angestrengt versuchte Magery durch den Mund zu atmen, als sie sich an dem fischig riechenden Austernstand des Marktes vorbei drängte.
Wo man auch hinsah blitzten schillernde Steine, edle Stoffe, polierte Früchte und glänzende Perlen in sorgsam geflochtenen Körben auf. Händler schrien ihre Angebote über den weiten Platz und Kinder zerrten ihre Mütter von einem Stand zum nächsten. Trotz des Gedränges fühlte Magery eine Unbeschwertheit, die sie seit langem nicht mehr verspürt hatte. Eine der höhergestellten Haushälterinnen war am morgen in ihr Zimmer gepoltert und hatte sie mit der Aufgabe betraut, zehn neue Wachskerzen für die Gemächer der Königin zu erwerben. Der Engländerin war das eine willkommene Abwechslung zu der täglichen Arbeit in der dunklen Schmiede und dem harten Kampftraining der letzten Wochen. Am liebsten hätte sie sich für einen Moment auf eines der massiven Holzfässer gesetzt und ihren Blick in dem bunten Treiben versinken lassen. Doch dazu blieb keine Zeit. Denn man hatte der Engländerin einen Jungen mitgeschickt, der ihr tragen helfen sollte und nun so flink durch die Menschenmenge hindurch huschte, dass Magery ihn zu verlieren befürchtete. Die Adelige vermutete, dass man ihm nur aufgetragen hatte sie zu begleiten, damit jemand ein Auge auf sie hatte. Auch wenn es ein kleines war, dass sich von jedem zweiten Gebäckstand ablenken ließ. Die Adelige kannte den Jungen. Es war der selbe, der ihren Geschichten auf dem Kampfplatz gelauscht hatte.
"Komm schon Magery! Wir müssen uns beeilen, bevor alle Kerzen ausverkauft sind.", hetzte er und krabbelte flink unter einem Wagen hindurch, der zwischen zwei streitenden Wikingern geparkt war. Ringsherum lagen goldene Kartoffeln im Schlamm, die wahrscheinlich die Ursache für das Ärgernis waren. Magery zog den Bauch ein während sie sich an den wild gestikulierenden Männern vorbei schob und alles daran setzte nicht auf dem Gemüse auszurutschen.
Als sie den nach Honig duftenden Stand erreichte, wartete das zottelige Kind bereits auf sie. Doch als Magery gerade ein paar Taler aus dem Lederbeutel nehmen wollte, machte der Junge einen Satz und versteckte sich hinter ihrem Rockzipfel.
"Nicht bewegen.", zischte er angespannt. Der Körper der Engländerin verkrampfte sich instinktiv. Vor wem versteckte sich der Junge? Vorsichtig drehte sie sich ein wenig und lugte seitlich über ihre Schulter. Doch als Magery sah, was aus dem vorlauten Jungen ein verschüchtertes Häschen gemacht hatte, musste sie leise lachen. Am Stand gegenüber saß ein Mädchen mit honigblonden Haaren. In der Schürze ihres Kleides lagen weiße und gelbe Blütenköpfe, aus denen sie sorgsam einen Kranz flechtete.
"Kennst du sie?", fragte Magery schmunzelnd zu dem Jungen herunter, der sich noch immer hinter ihrem Rockzipfel verborgen hielt.
Er nickte, wobei seine zotteligen Haare wild um seinen hochroten Kopf flogen.
"Sie heißt Skadi. Sie trainiert manchmal mit uns auf der Lichtung."
"Und hast du schon mal mit Skadi gesprochen?"
"Nein. Ich glaube auch nicht, dass sie mich kennt. Bin ihr noch nie aufgefallen."
Während er das sagte, sah der struppige Junge so unbeschreiblich niedergeschlagen aus, dass Magery sich zusammenreißen musste ihn nicht in die Arme zu schließen.
"Weißt du Erik...du heißt doch Erik oder? Vielleicht müssen wir da ein kleines bisschen nachhelfen.", sagte die Engländerin zwinkernd, während sie die Kerzen sorgsam in einen Korb legte.
Als sie etwas später in der Schmiede ankamen war diese wie vermutet leer. Askur hielt nicht viel von Arbeit in den frühen Morgenstunden.
"Setz dich schon mal auf den Schemel."
Erik tat wie ihm geheißen und trottete zu dem hölzernen Hocker. Magery folgte ihm wenig später, beladen mit einer ganzen Reihe von verschiedenen Messerarten, die sich unter Askurs Werkzeugen befanden.
Der Junge fragte nicht einmal was sie vorhatte, sondern blieb ruhig sitzen, als die Engländerin die erste verfilzte Sträne seines Haupthaars abschnitt. Weitere folgten, bis ihm seine braune Mähne gerade noch so bis über die Ohren reichte. Dann wechselte Magery das Werkzeug zu einer deutlich kleineren aber auch schärferen Klinge, mit der sie die Seiten kurz scherte. Als sie ihr Werk nach zwei weiteren Klingenwechseln betrachtete war sie mehr als zufrieden. Hätte man dem Jungen eine Tunika mit dem goldenen Löwenemblem angezogen, so wäre er einem englischen Adelsjungen zum verwechseln ähnlich gewesen.
Aber Erik schien das nicht zu stören, als er sich mit glänzenden Augen in einem Eimer voll Wasser bewunderte.
"Heute Abend frag ich Skadi, ob sie mit mir fischen kommen möchte.", sagte der Junge mehr zu sich selbst als zu Magery.
"Tu das. Aber jetzt müssen wir die Kerzen in die Halle bringen."
Die junge Adelige verdeckte ihre Augen vor der Sonne, als sie aus der dunklen Schmiede zurück auf den Platz traten, wo der Markt noch immer geschäftig in Gange war. Im Zentrum hatte man zwischen den Ständen ein Gatter aus dünnen Birkenstämmen aufgebaut. Innerhalb des Zaunes lief ein junges Fohlen laut wieherend auf und ab. Ein paar Einwohner betrachteten es abschätzend. In der Mitte des Zirkels stand ein dicker Mann ganz in rot gekleidet, der immer wieder verschiedene Ausrufe über den Platz schrie. Er schien ein Wettbieten zu veranstalten. Magery wollte sich gerade zum gehen wenden, als ein neues Pferd in das Gatter geführt wurde. Kallkyra. Ihr Atem stockte, als die Engländerin die Stute ihrer Kindheit erkannte. Der Widerrist des Tieres stach stärker hervor und das braune Fell wirkte glanzlos und stumpf. Doch die stolzen Augen des Halbblutes ließen jegliche Zweifel im Keime ersticken. Magery hatte gewusst, dass Kallkyra den Wikingern in die Hände gefallen war, als sie vor ihrer Verschleppung die leeren Stallungen gesehen hatte. Dennoch war sie davon ausgegangen dass sie längst, wie die anderen Sklaven, auf ein Schiff nach Frankreich gebracht und verkauft wurde.
"Magery wo bleibst du?", fragte Erik ungeduldig aber seine Worte drangen nicht mehr an die Engländerin heran. Stattdessen wandte sie sich um und stieg auf das Gatter.
"Ich biete für sie.", schrie die junge Adelige dem Mann auf nordisch entgegen.
"Du bist nicht frei Engländerin. Ohne Münzen kannst du nicht bieten."
"Ich hab Münzen", beteuerte sie rasch und hielt den Geldbeutel in die Luft, während sie gleichzeitig anhand des Gewichtes abzuschätzen versuchte wie viel Silber die Haushälterin ihr wohl mitgegeben hatte.
Der Dicke nickte anerkennend. Natürlich war ihm bewusst, dass dies nicht Magerys Eigentum war und sie erst recht keine Bemächtigung hatte es auszugeben. Aber was ging ihn das an? Der Beutel sah voll aus. Und das war alles was für ihn zählte. Also schwieg er und wandte sich an die restliche Bevölkerung Kattegats, um neue Gebote entgegen zu nehmen.
Eine Weile blieb es still. Die Bewohner guckten verschlagen weg oder unterhielten sich gespielt angeregt miteinander, nicht gewillt für ein derart heruntergekommendes Tier auch nur einen Groschen zu lockern. Magery wollte schon erleichtert ausatmen, als eine ihr bekannte Stimme die Stille zerschnitt.
"Ich biete 40 Silbergroschen."
Es war Brynna, die mit zwei Begleiterinnen an das Gatter heran getreten war. Die Engländerin hatte Mühe sich auf den dünnen Holzbalken zu halten, als der Schock ihr in die Glieder fuhr. Seit ihrer unangenehmen Begegnung mit der Schildmaid an Deck des Schiffes hatte Magery sie nicht mehr gesehen.
"Ich biete 50.", setzte Magery schnell nach und begann die Groschen unauffällig in ihrer Schürze zu zählen.
"60 Groschen.", beharrte Brynna und fokussierte die junge Christin aus feindseligen Augen.
Diese schluckte, denn der Lederbeutel umfasste gerade mal 75 Silbermünzen.
"70 Groschen", ächzte Magery mit brüchiger Stimme.
"80 Groschen", fiel ihr Brynna ins Wort.
Der Dicke wendete seinen Blick erwartungsvoll zu Magery, die sich mittlerweile blass geworden an die Holzbalken klammern musste. Brynnas Züge schienen bereits einen kleinen Anflug von Triumph zu offenbaren, als die Engländerin in ihren Nacken griff und ein goldenes Kruzifix zum Vorschein brachte. Die kleinen Edelsteine glänzten in der Sonne und ein Raunen ging durch die Menge.
"Ich biete dieses Goldkreuz für das Pferd."
Nun waren es Magerys Lippen, die von einem sanften Lächeln der Genugtuung umspielt wurden. Denn Brynna hatte für einen kurzen Moment die Fassung verloren. Doch sie fing sich schnell wieder, unternahm jedoch nichts. Die junge Adelige machte sich schon bereit vom Zaun in das Gatter zu springen, um ihre geliebte Stute in Empfang zu nehmen, als Brynnas Stimme erneut ertönte.
"Ich biete mein Schiff Seereißer für das Pferd."
Entsetzen breitete sich in Magerys Gesicht aus. Ein Schiff war ein lächerlich hoher Preis für das englische Pferd, was sich obendrein noch in einer unglaublich schlechten Verfassung befand. Doch das schien es Brynna wert zu sein. Denn es ging ihr nicht um Kallkyra. Es ging um Rache. Dafür dass Ivar sie ihretwegen bloßgestellt hatte.
Wie in Trance beobachtete das Mädchen, wie Brynna den Strick ihrer Stute ergriff und sie unbehutsam aus dem Gatter zerrte. Magerys Beine zitterten, als sie von dem Gatter stieg und hatten auch am Abend nicht aufgehört, als das Tageslicht bereits am Horizont zu versickern begann.
Sie hatte sich in die Felle ihres Bettes gehüllt und kämpfte unablässig mit den Tränen. Kallkyra war ein Geschenk ihres Vaters gewesen, das sie zum Anlass ihres fünften Geburtstages bekommen hatte. Bereits ein Jahr später hörte die Stute auf Pfiff und konnte die ersten Kunststücke vollführen, die Magery ihr mit viel Mühe und viel mehr Äpfeln beigebracht hatte. Zu Beginn hatte ihr Vater diese Beschäftigung als lachhafte Hundedressur abgetan. Doch als Kallkyra auf Befehl steigen und liegen konnte war selbst er beeindruckt und prahlte vor den Adeligen mit dem geschickten Ross seiner Tochter.
Aber das war es nicht was Magery so quälte. In England war Kallkyra ein talentiertes Pferd und eine lieb gewonnene Freundin gewesen. Doch hier in der Fremde, war es der Adeligen für einen kurzen Moment so vorgekommen, als hätte man ihr etwas wertvolles zurückgegeben. Kallkyra war ein Symbol für ihre unbeschwerte Kindheit, die Liebe zu ihren Eltern, und ihrer Heimat, England gewesen. Doch noch viel mehr löste die Stute das Gefühl von Freiheit in Magery aus, wenn sie an die wilden Galoppaden auf einigen Ausritten zurück dachte. Eine Freiheit, die ihr binnen weniger Sekunden wieder entrissen wurde.
Und plötzlich scheumte ein Gefühl in Magery auf, das ihr bisher fremd gewesen war. Wut. Kochende Wut, dass man ihr erneut alles genommen hatte.
"Der Mensch kann viel ertragen..", flüsterte sie leise den Vers eines ihrer Kindheitsgedichte. Doch Magery wollte nicht mehr ertragen. Ihr Inneres tobte. Genug hatte sie erduldet, genug ertragen.
Ohne weitere Zeit zu verschwenden warf sie die Decke zurück und griff nach ihrem Mantel. Sie wollte
sich zurück holen, was man ihr genommen hatte.
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