13. Kapitel

Der schlammige Matsch auf den Straßen Kattegats spritzte an ihren Beinen hoch, als Magery erneut stehen blieb und sich unentschlossen umsah. Noch konnte sie umdrehen, sich heimlich auf ein Schiff schleichen und hoffen, dass es zurück in ihre Heimat segeln würde.
Noch war es nicht zu spät. Innig betrachtete die Engländerin das immer spitzer zulaufende Stück  Broncemetall in ihrer Hand, welches sie noch tiefer in diesen Sumpf aus Dilemma geritten hatte, als sie eh schon hinein geraten war. Askur hatte sie mit der Anweisung betraut, die fingerdicke Nadel so schnell wie möglich zu Ivar zu bringen, ohne einen Umweg einzuschlagen. Leise fluchend setzte sie ihren Marsch fort. In keinster Weise verspürte sie auch nur das leiseste Verlangen danach, dem Krüppel unter die Augen zu treten.
Die große Halle Kattegats hatte in dem dämmerndem Abendlicht eine gespenstische Wirkung verliehen bekommen, die von den zwei stumm vor sich hin starrenden  Wachmännern nur noch stärker  untermauert wurde.

"Der Schmied schickt mich.", murmelte Magery leise auf nordisch. Seit ihrer Ankunft war sie der fremd klingenden Sprache mächtiger geworden und konnte sich in den meisten Fällen, wenn auch nicht ganz fehlerfrei, ausdrücken. Die meisten Worte hatte sie bei den Kindern auf dem Trainingsplatz gelernt, die Gefallen daran gefunden hatten, der Engländerin verschiedenste Wörter beizubringen. Wobei sie sich an ihrer andersartigen Aussprache zu freuen schienen.

"Wenn du zur Königin willst Insulanerin, dann musst du morgen wiederkommen. Sie ist nicht da.", antwortete der Kleinere der beiden und spie einen Gerstenhalm aus, auf dem er bis vor kurzem gekaut hatte.

"Wo ist die Königin?"

Hoffnung keimte in Magery auf. Vielleicht war Aslaug mit ihren Söhnen zu einer entfernten Opferstelle aufgebrochen oder verhandelte in einem anderen Dorf.

"Was weiß ich was die Königin so treibt. Sehe ich vielleicht aus wie ihre verdammte Zofe? Sie ist nicht da. Also verschwinde Mädchen bevor ich dir Beine mache.", polterte der Wachmann zurück. Magery kannte die Missmutigkeit der Wachen in den Abendstunden bereits. Zu dieser Zeit fröhnten sie sonst des Mets und der Gesellschaft freizügiger Weibschaft. Doch wenn man ihnen wie an diesem Abend, den Befehl zum wachestehen gegeben hatte, dann bedeutete das für sie eine klamme Nacht im stehen zu verbringen und sich lediglich an dem heranschallenden Gelächter ihrer Waffenbrüder aus den Tavernen zu erfreuen.

"Ich will nicht zur Königin. Ich soll unverzüglich zu ihrem Sohn."

Der Längere zog eine Braue hoch und lehnte sich gegen seine Lanze, sodass ein leises Klimpern des Kettenhemdes zu vernehmen war.

"Zu welchem Sohn?"

"Zu Ivar"

Der Wachmann richtete sich augenblicklich wieder auf.

"Der jüngste Ragnarson vertritt seine Mutter gerade im Thing. Wir können dich nicht vorlassen."

"Mach den Mund zu Vebjör. Hast du nicht gehört was die Kleine gesagt hat? Der Schmied schickt sie. Und zwar unverzüglich. Willst du Lachskopf dafür verantwortlich sein, dass der Knochenlose etwas angefertigtes nicht zur rechten Zeit bekommt? Lothbroks töten für weniger.", bellte der Kleinere, während er Magery per Handzeichen zu verstehen gab ihm zu folgen.

"Geh durch die seitliche Tür in die Halle Mädchen. Das Eingangsthor würde zu viel Aufsehen erregen."

Tatsächlich konnte die Adelige in der plankenförmigen Wand des eindrucksvollen Gebäudes die Umrisse einer kleinen Holztür erkennen. Ungeduldig schob der Wachmann sie hindurch. Magery brauchte nicht lange um sich an die Lichtverhältnisse zu gewöhnen und Ivar auszumachen. Gut zwanzig Schritt vor ihr thronte der Knochenlose auf dem Königsstuhl von Kattegatt. Zu seinen Füßen loderten zwei Feuerschalen, die den Raum vor ihm erhellten und  flackernde Umrisse an die Wand warfen. Hinter dem Thron war die Halle in Dunkelheit gehüllt.
Ivar trug einen purpurroten Wams, umschlungen von einem bodenlangen Fellumhang, der offen über seine Schultern hing.
Nichts wies annähernd auf seine Versehrtheit hin. Er sah aus wie ein König.

Magery holte Luft um hervorzubringen, was sie zu sagen schon seit ihrem Aufbruch aus der Schmiede geübt hatte. Doch sie verstummte wieder. Denn zu ihrer Verwunderung schenkte Ivar ihr kaum Beachtung. Sein Blick glitt über sie herüber und fokussierte hingegen einen Mann, der nur wenige Schritte vor den Feuerschalen stand. Er war von breiter Statur und hatte eine Halbglatze, deren übrig gebliebene Haare mit Schweinefett an die Kopfhaut geklebt waren. Nahe der anderen Feuerschale stand ein deutlich jüngerer Mann, dessen Wange von einer blutigen Schramme überzogen war. Zwischen ihnen kniete eine junge Frau. Die fast schwarzen Haare fielen ihr aus einem losen Bauernzopf ins Gesicht, das sie zusätzlich mit den Händen verbarg. Ihr Körper wurde von leisen Schluchzern geschüttelt, die nur gelegentlich durch das Flüstern der anwesenden Dorfbewohner übertönt wurden, die dem Prozess aus Schaulust beiwohnten.

Der Untersetzte ergriff zuerst das Wort.

"Ivar Ragnarson, ich trete vor dich und die Götter, weil ich mir von deinem Urteil Vergeltung für den Verrat und die Schmach erhoffe, die man mir beibrachte."

"Du sollst sie erhalten, so die Götter wollen. Wie ist dein Name?", entgegnete Ivar ohne seinen Blick von ihm abzuwenden.

"Ich bin Undrik Mengeson, Herr. Das ist mein Weib Alana. Und der verdammte Hundesohn da drüben  heißt Dakon. Hab ihn Anfang des Jahres angeheuert. Er sollte mir bei der Arbeit auf den Feldern helfen. Seit meinen Gliederschmerzen packe ich die Ernte nicht mehr alleine. Also bot ich ihm einen Schlafplatz, fütterte ihn durch und gab ihm einen Armreifen als Bezahlung.
Doch anstatt sich seinem Tagewerk zu widmen, widmete sich dieser Gossenspross lieber meiner Frau. Umgarnte sie wenn ich auf außer Haus  war, schenkte ihr von meinem Armreif bezahlten Schmuck und verhielt sich wie ein Jarl auf meinem eigenen Grund und Boden."

"Schweig Elendiger! Nichts von dem was du behauptest ist wahr.", fiel ihm der Jüngere ins Wort.

Ivar hob die Hand und Dakon verstummte.

"Es klingt als hättest du Haus und Hof nicht recht unter deiner Kontrolle Undrik. Aber was du berichtest setzt dem Jungen noch keine Schandmaske auf. Warum bist du also hier? Willst du einen neuen Silberreif von mir? Denn dann muss ich dich enttäuschen."

Die glühenden Schalen warfen dunkle Schatten in Ivars Gesicht, die seine Züge noch schärfer wirken ließen.

"Nein Herr, ich wäre sogar bereit gewesen über diese Schmach hinweg zu sehen. Aber er wollte sie mir rauben. Nach alter Tradition ist diese dreckige Ausgeburt Lokis nachts in mein Gemach geschlichen und hat mir mein Weib geraubt. Mich hatte er am Abend zuvor mit Holundermet betrunken gemacht, damit ich ihm seine Pläne nicht durchkreuzen konnte. Erstechen sollen hätte er mich! Denn als ich am nächsten Morgen neben den kalten Fellen meiner Frau erwachte und Dakon nirgends aufzufinden war, brauchte ich nicht lange die Runen lesen um zu wissen was vor sich ging. Also habe ich meine beiden Vettern gerufen und ihnen zu Pferden nachgesetzt. Sie waren ja zu Fuß unterwegs. Müssen wohl Angst gehabt haben, dass die Hufe der Gäule zu viel Krach machen könnten. Gegen Mittag hatten wir sie dann eingeholt. Waren abseits der Römerstraße unterwegs. Als Dakon uns aus der Ferne gesehen hat wollte er fliehen aber es war schon zu spät. Meine Jungs haben ihm gehörig das Gesicht verziert."

Es schien als hätte Ivar genug gehört. Ohne seine Züge zu verändern wandte er sich an den Jüngeren.

"Stimmt es was er sagt?"

"Es stimmt, dass ich mein Tagewerk auf seinen Feldern verrichtet habe. Das Silber brachte mich durch den Winter. Als der Frühling anbrach, stürzte Alana von ihrem Schimmel und brach sich beide Beine. Also musste ich sie jeden Tag von Tisch zu Tisch, von Haus zu Haus tragen. Undrik war von zu starken  Gliederschmerzen geplagt, um es selbst zu tun. Mit der Zeit fasste sie Vertrauen zu mir und erzählte, was sie erdulden musste. Undrik behandelte sie nicht wie sein Weib, sondern wie seine Gefangene. Zudem war er untreu und unfähig sein Gut zu verwalten. Aber Alana blieb dennoch still. Klagte nicht, sondern ließ alles über sich ergehen."

Dakon sprach nicht mehr zu seinem Richter. Er sprach zum Volk, dass sich mittlerweile dicht in der Halle drängte.

"Eines Abends hörte ich Alana in der Sattelkammer weinen. Sie hatte sich selbst, wie der Knochenlose, aus dem Bett geschliffen, nachdem Undrik zwei Dorfhuren mit nach Hause gebracht hatte. Als ich sie dort sah, konnte ich nicht mehr leugnen, was mein Herz schon lange wusste. Aber ich wusste auch, dass Undrik sie niemals freigeben würde. Also fasste ich den Entschluss Alana nach alter Göttertradition zu rauben, um sie vor diesem glatzköpfigen Hurenbock zu retten.", sagte er mit anschwellender Stimme.

Wie vom Blitz getroffen fuhr Undrik herum, überwand den Abstand der ihn von Dakon trennte mit zwei Schritten und packte den Jüngeren am Kragen. Sofort sprangen zwei von Ivars Männern dazu und rissen die beiden Buhler auseinander. Alana heulte auf, wobei sie ihre Arme fester um den zarten Körper schlang. Der Blick des Knochenlosen ruhte auf ihr, als er die Stufen des verzierten Holzthrones überwand und sich vor das am Boden kauernde Mädchen schliff. Erstmalig erhob Alana den Kopf. Zwischen den stränigen Haaren war ein feingliedriges Gesicht zu erkennen, das trotz den erdigen Flecken, die wahrscheinlich von der Flucht stammten, eine gewisse Anmut inne hatte.

"Bist du aus freien Stücken mit Dakon gegangen? Oder hat er dich mit Gewalt dazu genötigt?", fragte Ivar leiser aber dennoch mit einer Schärfe, dass Magery das Bedürfnis verspürte sich die Ohren zu zuhalten.

"Ich wollte Undrik nicht verlassen. Ich war sein Weib und unsere Vermählung war der Wille der Götter. "
Ihre Stimme klang brüchig und sie schluckte mehrmals, bevor sie fortfuhr.

"Aber als seine Glieder zu Schmerzen anfingen, begann er Linderung in den Tavernen zu suchen. Immer öfter kam er betrunken nach Hause. Undrik veränderte sich. Er begann immer mehr Verbote aufzustellen, schlug mich wenn ich wiedersprach und besudelte unsere Ehe mit der Hurerei. Ich hielt es nicht mehr aus. Als Dakon an den Hof kam, spürte ich dass die Götter ihn geschickt hatten. Einen Ausweg aus dieser Qual. Also ritt ich mit ihm. Willentlich und aus freien Stücken."

Undrik schnaubte.

"Wenn du sagst, dass es der Wille der Götter war...warum seid ihr dann nicht entkommen?", fragte Ivar und fokussierte die junge Frau.

"I-ich...ich weiß es nicht. Ich bin keine Seherin.", stotterte Alana.

Ivar nickte bedauerlich, kehrte um und zog sich erneut die Stufen des Thrones hinauf. Plötzlich machte die junge Frau einen Satz nach vorne und umfasste mit klammerndem Griff die Schulter des Knochenlosen.

"Bitte Ivar, Sohn des Ragnar Lothbroks ich flehe dich an! Gib mich nicht zurück an den Mann, der meine Würde mit Füßen tritt. Ich halte es nicht aus. Gib meinem Leben eine zweite Chance und lass mich mit Dakon ziehen. Ich liebe ihn. Bitte Ivar ich-"

Zwei von Ivars Männern waren nach vorne geeilt und hatten die verzweifelt schreiende Frau auf die Beine gezogen. Doch zu Magerys großem Erstaunen wand sich Alana schnell und flink wie ein Wiesel aus ihren Griffen und stürzte sich nun auf Undrik, der knapp drei Schritt von ihr entfernt stand.
Unter lautem Schluchzen hämmerte sie auf seine Brust ein. Dieser packte seine Frau jedoch am Hals und versetzte ihr mit der flachen Hand einen Schlag auf die Wange, sodass sie erneut zu Boden fiel.

Ivar hatte sich mittlerweile auf den massiven Holzstuhl gehievt und klatschte einmal in die Hände, was das tuschelnde Volk zum schweigen brachte.

"Volk von Kattegatt, da es meine Verantwortung ist, in der Abwesenheit der Königin und ihren Söhnen den Thing zu führen, werde ich euch nun mein Urteil über dieses Geschehnis verkünden. Dakon wollte Undriks  Weib rauben, ohne ihm einen ebenbürtigen Gegenwert als Entschädigung dazulegen. Hierbei handelte er gegen den Willen der Götter und die Spinnerinnen des Lebens, die Alanas Schicksal durch den Bund der Ehe unwiederbringlich mit Undrik verwoben haben. Wenn die Männer sich nicht einigen können, soll Alana zurück an den Hof ihres Mannes gehen, solange Dakon sie nicht mit einer entsprechenden Mitgift aus der Ehe auslösen kann. Der Raub eines Weibes ist ein schwerwiegendes Verbrechen, das wie jeder andere Raub bestraft werden sollte. Allerdings kann die Liebe wie ein mächtiger Fluch wirken, der die Sinne eines Mannes trübt und seine Augen die Wahrheit verkennen lässt. Daher sollst du ungestraft bleiben Dakon. Und dir Undrik ist es verboten, den versuchten Raub deines Weibes zu rächen. Dieses Verbot betrifft ebenfalls deine Neffen und Vettern."

Für kurze Zeit herrschte in der Halle eine Totenstille. Viele der Anwesenden nickten zustimmend. Nur ein paar blickten betreten drein und bedachten Dakon und Alana abwechselnd mit bedauernden Blicken. Letztere war mit einem leeren Ausdruck reglos in sich zusammen gesackt. Sie sträubte sich nicht, als Undrik sie am Oberarm hochzog und unsanft aus der Halle zerrte.
Rasch leerte sich der große Raum, sodass Magerys Schatten bald einer der letzten war, der zwischen den Lichtern der flackernden Feuerschalen tanzte. Benommen hatte sie das Volk betrachtet und nicht bemerkt, dass Ivar sich mit Hilfe einer Krücke vor ihr aufgebaut hatte. So gut es ging versuchte sie ihren Schreck zu verbergen und streckte ihm die Bronzenadel hin. Stumm nahm er das spitze Stück Metall entgegen, befestigte es an seinem Mantel, wo der alte Knopf abgerissen zu sein schien und steckte die Nadel durch die gegenüberliegende Lederschlaufe. Nachdem Ivar den Fellmantel etwas zurecht gerückt hatte, blickte er Magery in die zu ihm aufblickenden Augen.

"Gut, dass nun alles wieder da ist, wo es hingehört."


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