11. Kapitel
Ein leichtes Frösteln durchzuckte Magerys Arm, als sie ihre Finger um den kühlen Griff des matt glänzenden Stahlschwertes legte. Es war das erste Mal, dass Ivar ihr gestattete eine echte Waffe in die Hand zu nehmen. Mit einem Ruck zog sie es aus der Fassung und taumelte zurück, als das Gewicht des Stahls sich wie eine Kette um ihre Arme legte. Nur durch zwei schnelle Schritte nach hinten konnte die Engländerin verhindern, dass der plötzliche Schwung sie zu Boden riss. Rasch warf sie einen Blick über die Schulter. Doch zu ihrem Glück hatte sich Ivar gerade von ihr abgewandt und ein Gespräch mit seinen Brüdern angefangen, die ebenfalls auf dem Kampfplatz trainierten. Doch noch bevor Magery ihren Blick wieder von ihm lösen konnte, wirbelte er herum und fokussierte sie mit tief blauen Augen, die im goldenen Licht der Morgensonne von einem diamantenartigen Funkeln erfüllt wurden. Allerdings erinnerten sie die Grafentochter in keinster Weise an Schmucksteine, mit denen sich ihre Mutter zu zieren geliebt hatte, sondern viel mehr an scharfe Diamantensplitter, die dunkle Krieger an ihre Speerspitzen schmieden würden, um bestialische Monster und Drachen aufzuschlitzen. Rasch riss sie ihren Blick los und schaute zu Boden.
"Magery, was denkst du tust du da?"
Das Mädchen spürte wie ihr Puls stieg, als sie ihren Namen hörte. Er nannte sie nur selten bei ihrem Namen, worüber die Adelige auch froh war. Denn jedes mal wenn er es dennoch tat, erfüllte das Mädchen ein Unbehagen, dass sie nicht in Worte fassen konnte.
"Ich mach mich mit der Klinge vertraut."
"Es erfüllt mein Kämpferherz mit unsaglichen Qualen, wenn ich mit ansehen muss, wie du das Schwert hältst...als wolltest du es würgen."
Die Engländerin wurde von einer kurzen Verwirrung erfasst, bevor sie merkte wie fest sie den stählernden Griff umklammert hielt. Schnell lockerte sie ihre Hand und versuchte das Gewicht gleichmäßig darin zu verteilen.
"Halte es wie den Stock auf Hüfthöhe neben dich und geh dann in die seitliche Parade."
Fast ohne Mühe ließ Magery die Schneide zur Seite gleiten, um einen imaginären Angriff abzuwehren. Durch die Wiederholungen in den letzten drei Wochen hatte sie die grundlegenden Bewegungen fast gänzlich verinnerlicht.
"Kopfparade"
Diese Parade viel ihr schon schwerer, da sie das gesamte Gewicht des Stahls über ihren Kopf hieven musste. Magery keuchte und probierte durch den brennenden Schmerz zu atmen, der sich langsam in ihren Armen ausbreitete. Doch wenigstens blieb das Zittern aus, von dem ihre Muskeln sonst so oft erfasst wurden.
Die Sonne stand bereits im Zenit, als eine Gruppe von Sklavinnen zwischen den Bäumen erschien. Erleichtert atmete Magery auf und ließ sich erschöpft ins Gras sinken. Sie brachten den Kriegern Körbe mit Broten, Fleisch und Beeren, um sie beim kämpfen zu versorgen. Als die Kinder auf dem Platz die Frauen entdeckten, ließen sie ihre Holzwaffen an Ort und Stelle fallen und eielten jauchzent zu einer massigen Eiche in mitten des Platzes, um die sich nun alle versammelten. Ein kleines Schmunzeln umspielte Magerys Lippen. Denn auch wenn sie es hasste sich auf dem Platze mehr oder weniger von Ivar verprügeln zu lassen, so waren ihr die Speisungen mit den Kindern doch ein wenig ans Herz gewachsen. Sie hatten etwas an sich, das sie von allen englischen Kindern unterschied, die bereits mit 8 Jahren an fremde Höfe geschickt wurden, um sich strengen Etiketten zu unterwerfen. Magery hatte das Bild der fremden Jungen noch genau vor Augen, die wie verlassenen Amselküken an der langen Tafel ihres Vaters gesessen hatten. Die Wikingerkinder erinnerten sie hingegen an eine stürmisches Rudel Wolfsjungen, die nun wild und frei um die Eiche tobten, sodass ihr Lachen bis hoch in die Wipfel schallte. Doch das was Magery am meisten verwunderte, waren die Mädchen unter ihnen, die mit der gleichen Strenge und Willensstärke wie die Jungen zu Kämpfern ausgebildet wurden. Hätte dies ein englischer Mönch gesehen, so wäre ihm womöglich das Herz stehen geblieben.
Noch bevor Magery diesen Gedankengang zuende denken konnte, traf sie ein Trinkhorn am Oberarm.
"Steh auf und hol mir was zu trinken Sklavin.", knurrte Ivar, während er vom Baumstamm glitt. Schnell sprang die Engländerin auf und eielte richtung Metfaß, das etwas abseits am Rande der Lichtung stand. Als sie zurückkehrte saß der Krüppel bereits im Schatten des Baumes. Zögerlich bahnte sie sich ihren Weg durch die am Boden sitzenden Kinder und reichte ihm das mit kühler Flüssigkeit gefüllte Horn.
Ubbe war ebenfalls zu ihnen gestoßen und raufte sich lachend mit zwei blonden Mädchen, die vergebens versuchten ihn zu Fall zu bringen.
"Ubbe kannst du uns wieder eine Sage erzählen?", fragte die Kleinere der Beiden und ließ von seinem Bein ab.
"Wenn ihr sie hören wollt..", sagte er grinsend und ließ sich ebenfalls ins Gras fallen. Die Kinder jolten einstimmig und rückten näher an ihn heran.
"Vor langer Zeit lebte in diesem Tal ein König mit einer riesigen Halle. Jeden Vollmond gab er ein Fest zu Ehren seiner Krieger, bei dem das ganze Dorf in einen festlichen Rausch verfiel. Doch der König hatte ein Geheimnis. Denn während das Dorf feierte, stahl er sich heimlich von Sohn und Frau davon, um eine Walkyre im Wald zu treffen. Ihr Name war Glimra und sie war von solch einer Schönheit, dass selbst der sonst so willensstarke König ihr verfallen war. Doch als Glimra ihn in der Yulnacht dazu aufforderte, seine Liebe zu ihr vor den Göttern zu schwören und sie zu heiraten, wieß der König sie zurück. Denn er brachte es nicht übers Herz, seine Familie daheim zu verraten. Als die Walkyre das hörte, geriet sie in Wut und zeigte ihr wahres Gesicht. Denn auch sie hatte ein dunkles Geheimnis. Sie war ein Wandler. Eine bösartige Kreatur, die das Aussehen ihrer Opfer annehmen konnte, dessen Herzen sie verschlungen hatte.", hauchte Ubbe theatralisch und tat dabei so, als würde er Hvitserks Herz rausreißen und es anschließend laut schmatzend aufessen.
Angewidert verzog Magery ihr Gesicht. Die Kinder hingegen kicherten und funkelten Ubbe weiterhin gespannt an.
"Der Wandler hatte sich nur in die schöne Glimra verwandelt, weil er den König heiraten und nach der Hochzeit umbringen wollte, da er eifersüchtig auf seine Macht und Reichtümer war. Doch nun, da sein Plan versagt hatte, wollte er den König in Stücke reißen. Allerdings war der Herrscher auf seinen Angriff vorbereitet und es gelang ihm die Flucht. Als er wieder im Dorf war, wog er sich in Sicherheit. Die Tage vergingen und der König hatte die Ereignisse im Wald fast wieder vergessen, als es erneut Vollmond wurde und alle Krieger in einen Rausch des feierns und trinkens verfielen. Nach den Festlichkeiten schliefen sie ahnungslos in der Halle ein.
In dieser Nacht schlich sich der Wandler ins Dorf. Denn er wollte Rache für seine gescheiterten Pläne. Also verwandelte er sich in einen Höhlenork, den er vor einigen Tagen im Schlaf erschlagen hatte und durchbrach die Eichentore der Halle. Dort zerfleischte er alle Krieger, riss ihnen die Köpfe ab und weidete sie aus."
Magery musste einen leichten Brechreiz unterdrücken und legte das Brot zur Seite.
"Als der König am nächsten Morgen sah was geschehen war, erzählte er seinem Sohn von dem Wandler. Dieser machte sich in seiner jugendlichen Abenteuerlust sofort auf den Weg zur Höhle des Monsters, um das Blutbad zu rächen. Als der König davon erfuhr, ritt er ihm augenblicklich hinterher, um zu verhindern dass sein Sohn ebenfalls von der Bestie getötet wurde. Als der König an der Höhle ankam, hörte er Kampfgeschrei. Kurz darauf taumelte sein Sohn auf die Lichtung. Sein Gewand war zerfetzt und blutüberströmt, doch ihm selbst schien es gut zu gehen. Erleichtert fielen sich Vater und Sohn in die Arme. Doch plötzlich durchzog ein unsaglicher Schmerz den Rücken des Königs. Es war gar nicht sein Sohn gewesen, sondern der Wandler, der sein Kind getötet und sein Herz verspiesen hatte. Das Monstrum stach dem König mit einem Dolch in die Wirbelsäule, sodass er sich nicht mehr rühren konnte. Dann begann er dem König langsam und Qualvoll seine Finger abzuschneiden. Danach tat er dasselbe mit der Nase und Ohren, bevor er anfing ihn am lebendigen Leibe zu häuten."
Das war zu viel für Magery. Verängstigt und von Ekel gepackt, wollte sie die Kinder am liebsten vor seinen grausamen Worten schützen, doch als sie in ihre Gesichter sah, konnte sie keine Spur von Angst in ihren Augen erkennen. In aufmerksamer Spannung hangen sie an Ubbes Lippen, gespannt was nun geschehen würde.
"Um sein blutiges Werk zu vollenden, riss er dem König zuletzt noch sein Herz aus der Brust und verschlang es in einem Stück. Nun nahm er seine Gestalt an und ging hinunter ins Dorf. Dort begrüßte die Königin ihren falschen Gemahl freudig und sollte nie erfahren, dass sie nun das Bett mit dem Mörder ihres Sohnes teilte. Ende."
Die Kinder klatschten wild in die Hände und jolten auf. Nur Magery war blaß geworden und rührte sich nicht.
Hvitserk war ihre Reaktion nicht entgangen.
"Was guckst du so geschockt Engländerin? Hast du einen Wandler gesehen?", fragte er spöttisch und warf ihr eine Blaubeere in den Schoß.
"D-das ist eine grausame Geschichte.", sagte sie stockend.
"Was für Sagen erzählt ihr euch denn in deinem Land?", fragte Ubbe neugierig, während er ein Stück Brot mit den Zähnen abriss.
Magery überlegte kurz. Als sie noch ein Kind war, hatte ihre Amme Mary ihr zahlreiche Geschichten zum einschlafen erzählt.
"Es lebte einmal vor langer Zeit ein Mädchen, dessen Mutter gestorben war und dessen Vater daraufhin eine neue Frau geheiratet hatte. Diese Stiefmutter war gastig und hatte bereits eine Tochter. Als der Vater ebenfalls starb, machte die Stiefmutter das Mädchen, ihr Name war Aschenputtel, zu ihrer Dienstmagd und ließ sie hart für sich arbeiten. Die Jahre vergingen und die Botschaft kam ins Land, dass der charmante Prinz des Königreiches zu einem Ball lädt, um eine Gemalin zu finden-"
"Was ist ein Ball?", fragte ein kleiner zotteliger Junge mit braunen langen Haaren und Sommersprossen.
"Ein Ball ist eine Hofhaltung mit vielen Gästen und Zeremonien"
Noch immer blickte Magery in fragende Gesichter.
"Ein Ball ist ein Fest. So ähnlich wie in eurer Halle."
Es grauste die stolze Engländerin innerlich, dass sie die noblen Bälle ihres Landes mit den Trinkgelagern der Wikinger vergleichen musste.
Der Junge nickte, woraufhin Magery fort fuhr.
"Doch die Stiefmutter verbat Aschenputtel auf den Ball zu gehen. Aber das Mädchen sehnte sich danach. Allerdings hatte sie gar keine feinen Kleider. Also ging sie zum Grab ihrer Mutter und bat sie um Hilfe."
"Hat Freya ihr eine Waffe wie Miölnir geschickt, mit der sie der bösen Stiefmutter den Kopf abhacken kann?", fragte ein gerstenblondes Mädchen, woraufhin Magery sie geschockt ansah.
"Nein keine Waffen sondern ein wunderschönes Kleid."
"Die Götter haben ihr ein Kleid geschickt?", meldete sich das zottelige Kind verwirrt.
"Nicht die Götter! Ihre Mutter.", antwortete Magery gereitzt.
"Ich dachte die wäre tot."
Die Brüder und selbst Ivar lachten sichtlich amüsiert. Es war das erste Mal, dass Magery ihn herzlich lachen sah. Sie raufte sich die Haare.
"Ja ist sie auch! Vergesst die Mutter. Aschenputtel bekam ihr Kleid und ritt ebenfalls auf den Ball. Dort traf sie den Prinzen und verliebte sich in ihn. Sie wollte ihn unbedingt heiraten doch sie durfte von ihrer Stiefmutter nicht erkannt werden. Also lief sie davon"
"Aber wenn sie ihn begehrte, warum hat sie ihn dann nicht geraubt?", fragte der Zottelige wieder.
Magery stockte....
"Geraubt? Man kann Menschen die man begehrt nicht einfach rauben. Das ist...", plötzlich merkte das Mädchen was sie da sagte. Sie selbst war geraubt worden. Ihre Augen trafen Ivars, der seine Lippen zu einem hämischen Grinsen verzogen hatte.
"Was wolltest du gerade sagen Engländerin? Sprich ruhig weiter."
"Äh..sie bekommt zwei weitere Kleider. Ende der Geschichte."
"Merkwürdige Geschichten erzählt ihr euch da.", schmunzelte Ubbe und nahm einen Jungen in den Schwitzkasten.
Den Rest des Mahles verbrachte die Adelige schweigend, ohne den Blick von ihrem Brot abzuwenden.
Als die ersten Wikinger wieder zu ihren Waffen griffen, machte auch Magery Anstalten zurück zu ihrer Übungsstelle zu kehren. Doch Ivar hielt sie mit einer raschen Geste zurück.
"Genug gekämpft für heute. Steig auf den Wagen. Wir werden uns einer anderen Lektion widmen."
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