10. Kapitel

Tau besetze Spinnenweben funkelten wie feine Diamantenketten in der Sonne, als Magery von Ivars Einspänner ins Gras der Lichtung stieg. Obwohl der Tag noch jung war, waren sie bei weitem nicht die Ersten, die den Kampfplatz betraten. Überall zwischen den Bäumen sah sie Metall aufblitzen. Dicht gefolgt von den klirrenden Geräuschen aufeinander treffender Klingen, die gepaart mit Vogelzwitscher und Gelächter durch den Wald schallten. Mittlerweile war Ivar ebenfalls abgestiegen und steuerte zielstrebig auf einen Baumstamm zu, der am Rand des Platzes aus dem Boden ragte. Obwohl er über den Boden kroch, musste Magery sehr große Schritte machen, um mit ihm mitzuhalten. Ansich fiel ihr das leicht, da sie ihr schlichtes Kleid in den Morgenstunden gegen eine braune Wollhose und ein rotes Leinenhemd tauschen musste. Allerdings ließ ihr der Gedanke, dass nun jeder die Konturen ihrer Beine sehen konnte, Schamesröte ins Gesicht steigen. Hätte sie sich in England ein einziges mal in Hosen gekleidet gezeigt, so hätte das verheerende Folgen mit sich gezogen, die einem Verstoß gegen die Etikette und damit einem Skandal nahe gekommen wären. Doch hier schien es niemand anstößig zu finden, dass sich eine Frau wie ein Mann kleidete. Als Ivar den Baumstamm erreichte, zog er sich daran hinauf und fokussierte Magery, die unwillkürlich stehen blieb. Seine Nähe war ihr nachwievor unangenehm.

"Gib mir zwei Stäbe."

Sofort eilte Magery zu dem Waffengestell, an dem stumpfe Speere, Äxte und Schwerter lehnten. Ganz außen entdeckte sie zwei lange Holzstäbe, die an Anfang und Ende mit Schnitzereien verziert waren.

"Gib mir einen her. Den anderen behältst du. Halt ihn mit beiden Händen. Ich werde gleich auf deine linke oder rechte Schulter schlagen. Alles was du machen musst ist zu parieren, indem du den Stab gerade nach vorne streckst. Bereit?"

Magerys Herz began wie wild zu pochen, als sie ihre gesamte Aufmerksamkeit in seine Augen legte, um rechtzeitig sehen zu können, auf welche Seite der Krüppel schlagen würde. Plötzlich flammte ein heißer Schmerz in ihrem Bauch auf, der ihr für einen kurzen Moment den Atem raubte und sie wie ein nasser Sack zusammensacken ließ.

"Lektion Nummer eins:
Glaube jemandem der vor hat mit einem Holzstab auf dich einzuschlagen kein Wort."

Magery konnte ihn nicht sehen als er sprach. Denn mit dem Gesicht war sie im feuchten Gras gelandet. Dennoch konnte sie ein kleines selbstgefälliges Lachen vernehmen. Dicht gefolgt von Ivars Stock, der sie an der Schulter anstupste. Immernoch keuchend richtete sie sich auf. Diesmal verstärkte sie ihren Griff um das Holz und fokussierte seine tieflblauen Augen, die sie mit einem Ausdruck anfunkelten, den das Mädchen nicht deuten konnte.

Im nächsten Moment sah sie den Knüppel erneut durch die Luft fliegen. Doch es war schon zu spät. Der Schlag traf sie ungebremst am Oberschenkel, woraufhin ihren Lippen ein dünner Aufschrei entwich. Ivar schnalste, drehte die Übungswaffe und zog sie wieder zu sich heran, nur um sie kurz darauf erneut nach vorne schnellen zu lassen und das Mädchen hart an der Schulter zu treffen. Magery taumelte zurück und ließ den Stock fallen, um die Handfläche auf die schmerzenden Stelle zu pressen. Anscheinend hatte sie sich auf die Zunge gebissen, denn der metallische Geschmack von Blut benetzte ihren Mund. Sie hustete.

"Ich dachte du wolltest mir beibringen zu kämpfen und mich nicht halb tod prügeln!", zischte Magery doch verstummte im nächsten Augenblick. Es schien als würde der Schmerz ihr klares Denken vernebeln, so mit einem Wikinger zu sprechen. Unsicher schaute sie ihn an. Doch Ivar schmunzelte nur.

"Wenn ich deinen Tod wünschen würde, dann wäre mir mit Sicherheit etwas originelleres eingefallen, als dich mit einem Stock zu hauen."

Magery schluckte.

"Du machst immernoch genau den gleichen Fehler, wie an dem Tag als du Hvitserk angegriffen hast."
Die Grafentochter erinnerte sich noch zu gut an den Moment, als sie nach der Waffe des gefallenen Soldaten gegriffen und nach ihrem Peiniger geschlagen hatte.

"Du hast blind geschlagen. Blind vor Angst und blind vor Wut. Ohne auf seinen Körper zu achten. Aber dein größter Fehler war, dass du ihm in die Augen geguckt hast."

Magery runzelte die Stirn. "Aber die Augen sind der Schlüssel zur Seele. Wenn man wissen will was im Geist eines anderen vorgeht, dann muss man ihm doch in die Augen gucken."

Ivar zuckte mit den Schultern. "Vielleicht. Aber letztendlich ist es nicht der Geist des Anderen, der dir einen Stock über den Kopf zieht, sondern sein Körper. Also wirst du es vermeiden deinem Gegner beim Kampf in die Augen zu gucken. Schau aufs Schlüsselbein. Was meinst du warum Hvitserk deine Angriffe damals alle so mühelos parieren konnte? Du hast ihm in die Augen gesehen. Dadurch hast du immer selbst verraten wo du deinen nächsten Schlag ansetzen wolltest. ", während der Wikinger sprach, tippte er zur Verdeutlichung mit seinem Stock auf die Mitte ihres Brustkorbes.

Zögerlich hob das Mädchen den Stab wieder auf und begab sich erneut in Position. Nun jedoch mit gesenktem Blick.

Ivar schnellte nach vorne und ließ die Übungswaffe direkt auf ihren Rippenbogen zu fliegen. Doch im letzten Moment riss er das Holz herunter und erwischte Magery an der Kniekehle, woraufhin sie hilflos zusammen sank.

Ivar atmete laut aus und kreiste seinen Kopf wie ein unruhiges Pferd hin und her.

"Los steh auf. Das machen wir nochmal."
Aber Magery stand nicht auf. Mit hängenden Schultern schaute sie auf ihre mit Dreck beschmutzen Hände und rührte sich nicht. Kurz darauf spürte sie erneut wie Ivar zwei mal mit dem Holz gegen ihren Oberarm stieß, wie sie es im Schlosskeller damals mit Ratten getan hatte, um zu prüfen, ob sie auch wircklich tot waren.

Als Magery ihren Blick erhob, glänzten Tränen in ihren Augen. Entgegen ihrer Erwartungen blieb Ivars Miene jedoch undurchdringbar. Er rutschte vom Baumstamm und schliff sich direkt vor das immernoch kniende Mädchen. Die Engländerin hatte das Bedürfnis zurück zu weichen aber sie blieb wie versteinert, als der Wikinger seine Hand hob und ihr Gesicht ergriff.

"Hör mir jetzt gut zu Engländerin. Es gibt nichts widerliches, als eine Kriegerin weinen zu sehen.", während er sprach, bohrte sich sein eisblauer Blick in ihren. Wie ein Echo hallten seine Worte in Magerys Gedanken wieder.

"Wenn dir nach Tränen zumute ist-", fuhr er fort.
"-..dann lass deine Gegner für dich weinen. Lass ihre Mütter für dich weinen, wenn sie ihre Söhne auf ein Boot nach Valhalla schicken. Aber weine niemals selbst."

Magery nickte und spürte wie ihre Tränen mit Ivars Worten versiegten. Als hätte er sie mit einem Bann belegt, der ihr bis in alle Ewigkeit verbat, je wieder eine Träne zu vergießen.

Der Wikinger ließ von ihrem Gesicht ab und hievte sich erneut auf den Baumstamm.

"Beim Ritualkampf wirst du zwischen Axt, Speer und Kurzschwert wählen können. Du wirst das Kurzschwert nehmen. Für die Axt bist du nicht kräftig genug und die Reichweite ist sehr kurz. Der Speer hat eine gute Richweite. Allerdings bist du so gut wie tot, wenn es deinem Gegner gelingt, sich zwischen dich und die Spitze zu drängen."

Ivar pausierte kurz und musterte ihren Körper eingehend von oben bis unten, bevor er fort fuhr.

"Du bist weder besonders schnell, noch besonders wendig. Also bleibt dir nur eine Möglichkeit. Du musst deine Gegner lesen. Jeden Angriff  vorausahnen, jede ihrer Bewegungen kennen, bevor sie es tun."

"Wie soll ich das schaffen? Ich bin keine Hexe."

Ivar atmete aus und wunk sie mit zwei Fingern heran. Magery folgte seiner Geste. Wiedereinmal überkam sie der Drang zur Flucht, als der Wikinger sie am Arm packte und ihre Hand auf seine Brust drückte. Selbst durch Ivars Weste konnte sie die Wärme spüren, die von seinem Körper ausging. Darunter pochte sein Herz in starken, gleichmäßigen Schlägen und erinnerte Magery an eine immerzu gleichbleibende Melodie, dessen Takt nun auch ihren Körper erfüllte. Mit einem Mal verhärtete sich der Muskel  und sein Arm schnellte nach oben und stoppte eine Fingerbreite vor ihrer Kehle.

"Du hast dich nicht erschrocken. Woher wusstest du, dass ich einen Schlag ausführen würde?", fragte er prüfend, ohne seinen Griff um ihre Hand zu lockern.

"Dein Muskel hat sich angespannt."

Ivar löste seinen Griff und klatschte in die Hände.

"Richtig. Wenn du die Zusammenhänge der Muskulatur  kennst, dann kannst du die Schläge deines Gegeners einschätzen. Also nochmal"

Erneut umfasste Magery das Holz und stellte sich in Schrittstellung vor ihm auf, ihren Blick starr auf seinen Oberkörper gerichtet. Und tatsächlich verriet ein fast unmerkliches Zucken in Ivars Muskel, dass er den Schlag hauptsächlich mit dem linken Arm führen würde. Doch trotz ihrer Erkenntnis, blieb ihr nichts anderes übrig als hilflos dabei zuzusehen, wie der Stock in unglaublicher Geschwindigkeit auf ihre Rippen zusaußte und mit einem dumpfen Prall aufkam. Noch im letzten Moment biss sie sich auf die Lippen, um einen Aufschrei zu vermeiden.

"Und da hätten wir auch gleich deinen zweiten Mangel. Du bist zu langsam, weil dein Körper schwach ist.", sagte er fast schon triumphierend.
Langsam fühlte sich Magery wie ein kurz vor dem Verkauf stehendes Pferd, das auf jegliche Unvollkommenheiten geprüft wurde.

"Tausch deinen Stock gegen den Schild, der da am Baum lehnt."

Magery tat wie ihr geheißen wurde und umfasste den Griff des Schilds, auf dem das Profil eines schwarzen Wolfes prangte. Die Verteidigungswaffe war schwerer als sie aussah, was dem Mädchen ein kleines ächzen entlockte.

"Heb den Schild über deinen Kopf."

Magerys Augen weiteten sich, als sie ihn mit Mühe über den Kopf hob.

"Halten..."

Schon nach wenigen Momenten begannen die Muskeln der Adeligen unangenehm zu brennen und dünner Schweiß benetzte ihre Haut.

"Nicht absetzen. Guck nach vorne.", korrigierte Ivar ihre Haltung und zwang ihr Kinn nach oben, indem er seinen Stock darunter zwängte.

Das Stechen in ihren Armen wurde immer unerträglicher und die Engländerin spürte, wie sie zu zittern begann. Noch ein paar Augenblicke weiter und sie würde absetzen müssen.

"Halt den Schild, bis ich dir etwas anderes befehle.", sagte Ivar auffallend ruhig, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Verkrampft biss Magery die Zähne zusammen, als der Wikinger nach weiteren unzähligen qualvollen Sekunden endlich die Hand hob und ihr somit das Zeichen zum absetzen gab. Prustend und erschöpft sank das Mädchen mit dem Schild zu Boden und versuchte ihren hektischen Atem wieder zu beruhigen.

"Mach das nochmal. Und probier deine Arme mehr zu strecken."

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Schweißüberströmt und von Brechreizen geschüttelt sank Magery   neben einer Tanne zusammen. Nie im Leben hatte sich das Mädchen so verausgabt, wie in den letzten vier Stunden. Ohne den kleinsten Funken an Mitleid hatte Ivar sie von einer zur nächsten Disziplin gejagt. Sie musste unaufhörlich gegen Sandsäcke schlagen, die an langen Tauen von einer Eiche hingen, mit zusammengebundenen Füßen den Platz überqueren, einen Baumstamm hochklettern, indem sie jeweils zwei Klingen in die Rinde schlug um sich daran hochzuziehen und sogar Ivars Wagen ziehen, wobei er hämisch lächelnd auf dem Bock saß und spöttische Bemerkungen in nordisch von sich gab.
Doch am weitaus schlimmsten war die letzte Disziplien, bei der Magery eine Strecke durch den Wald ablaufen musste, die von allerlei Hindernissen gespickt war. Jedes mal hatte Ivar eine Hand voll Sand vom Boden aufgeklaubt und seine Finger leicht geöffnet. Wenn die Engländerin nicht zurück kehrte, solange sich noch etwas Sand in seiner Handfläche befand, so musste sie eine weitere Runde laufen. Magery hatte aufgehört zu zählen, als sie nun zitternd und kurz vorm Erbrechen zusammengesackt war.
Sie blickte noch nicht einmal auf, als ein Kutschrad auf ihrer Augenhöhe erschien und langsam zum stehen kam.

"Du bist fertig für heute. Steig auf.", hörte sie Ivars Stimme vom Bock aus auf sie herab fallen.

Magery atmete einmal tief ein, bevor sie sich an einem Ast heraufzog und unsicher wankend auf den Wagen stieg.

Zu ihrer Erleichterung parierte Ivar sein Pferd direkt vor der Halle Kattegats, sodass sie nicht weit laufen musste. Denn nachdem sie der Wikinger aus dem Tempel geholt hatte, war sie nicht mehr in die Kammer mit Ava zurück gekehrt, sondern hatte ein weitaus prachtvolleres Gemach im Hause der Lothbroks bezogen. Der Boden war mit Fellen und Teppichen belegt, die die Wärme der immerzu brennenden Feuerstelle festhielten. Auch an Mobiliar hatte man nicht gespart, denn neben einem breiten Bett und massiven Holzschränken befand sich sogar ein Holzkessel zum Baden in ihrer neuen Kammer. Zuerst war Magery sehr geschmeichelt gewesen, dass man sie nun endlich so behandelte wie es einer Adeligen ihres Standes gebührte. Doch nach ihrer ersten Übungseinheit mit Ivar vermutete sie, dass er nur sicherstellen wollte, dass sie sich nicht so einfach davonstehlen konnte.

"Du, Sklavin.."
Ivar hatte ein junges Mädchen mit fast schneeweißem Haar im Vorbeigehen am Arm gepackt.

"Lass der Engländerin ein heißes Bad ein. Gegen die blauen Flecke."

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