Ein letzter Auftrag

Sie müsste nur überprüfen, dass er der richtige war, und ihn dann abliefern. Da es höchstwahrscheinlich keine Garantie gab, dass er es auch war, musste sie hoffen. Wenn sie die falsche Person ablieferte, hatte sie mehr als nur ein Problem.

Mit flinken Fingern öffnete sie das Fenster und kletterte hinein.
Leise und auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür des Zimmers und spähte in den Flur hinaus.
Sie hörte Silverwave husten und an irgendetwas rumhantieren.
Kim ging näher heran und warf einen Blick durch den Türspalt. Chase saß in seiner Küche am Tisch, den Rücken zu ihr gedreht, über irgendwas gebeugt. Vermutlich Essen, dem Geruch nach zu urteilen. Ihre Nase zuckte, die ignorierte den Geruch.

Kim holte aus ihrer Hosentasche ein kleines Fläschchen heraus, das zur Hälfte mit einer Flüssigkeit gefüllt war. Auf dem ihr zugewandten Küchentresen stand eine Packung Taschentücher.
Sie nahm sich welche und machte vorsichtig ein paar Tropfen der Flüssigkeit auf das Tuch. Jetzt musste sie sich beeilen.

Blitzschnell überbrückte Kim die Distanz zwischen ihr und dem Mann und legte von hinten die Arme um seinen Hals und Kopf. Mit einer Hand hielt sie ihn fest, als er anfing zu zappeln und sich zu wehren versuchte, mit der anderen presste sie das streng riechende Tuch so gegen seine Nase, dass er gezwungen war, den Geruch einzuatmen.
Kim hielt so lange fest, bis der Mann aufhörte, sich zu wehren. Seine Arme sanken am Körper herab und sein Kopf kippte zur Seite.

Zufrieden betrachtete Kim ihr Werk. Es klang komisch, aber sie war stolz auf sich. Das mit dem überprüfen der Identität hatte doch nicht so gut geklappt, also musste sie einfach beten, dass es richtig war.
Es hatte sie also gerade mal zwei Nächte gekostet. Eine Höchstleistung, auf die sie stolz sein könnte.
Ihr Boss würde sich freuen.

Kim zog Chase von seinem Stuhl und legte ihn auf den Rücken. Es wäre schön, wenn Mick ihr helfen könnte, aber der schlief wahrscheinlich noch und sie wollte ihn nicht wegen.
Also tat sie das, was ihr am einfachsten erschien.
Sie klebte seinen Mund zu, damit er nicht um Hilfe schreien konnte (als ob das überhaupt jemand hören würde), nahm ihm alles ab, mit dem er sich selbst helfen könnte, inklusive seines Handys, und legte es auf den Küchentisch. Die fesselte ihn und lehnte ihn gegen die Wand, als würde er aufrecht sitzen.

Jetzt müsste sie nur noch ein paar Stunden warten, bis Mick wach wurde. Allzulange dürfte das aber nicht dauern.

Sie sollte Recht behalten: knappe drei Stunden später stand er auf und Kim holte ihn ins Haus, in dem sie Wache gehalten hatte.
Gemeinsam zogen sie den immer noch bewusstlosen Mann zu Micks Auto und legten ihn auf die Rückbank.
"Ich sitz hinten mit ihm, falls er Theater macht", sagte Kim und stieg ein. Ihre Spuren hatte sie größtenteils beseitigt, falls man merken würde, dass der Mann fehlte. Spätestens, wenn er seine Steuern nicht mehr bezahlte.

Mick begleitete die logischerweise, als sie den jungen Mann ablieferte.
Dieser war inzwischen wach geworden, aber sie hatte sichergestellt, dass er nicht entkommen und keinen Schaden anrichten konnte.
In dem Büro, einem dunklen, kühlen Raum, der höchst unprofessionell wirkte und auch genau das war, saß ihr Chef, ein Zitronenhai-Wandler, und starrte erwartungsvoll zu ihr auf, als sie den Raum in Begleitung von Mick und dem gefesselten Silverwave betrat.

Tatsächlich riss Silverwave bestürzt die Augen auf, als er den anderen Mann erkannte und er versuchte, sich aus den Fesseln und aus Kims und Micks Griffen herauszuwinden.
"Wer ist er?", fragte der Chef mit einem Blick auf Mick.
"Hat mir geholfen. Mach dir keine Sorgen, der tut nichts und verpfeift keinen", antwortete Kim locker.
Ihr Boss nickte, auch wenn er Mick im Auge behielt.

"Wen haben wir denn da?" Seine Augen blitzten auf, als sie auf die von Silverwave trafen. "Er kann hier im Raum bleiben. Diego kümmert sich darum." Er drückte auf einen Knopf an seinem Handy und nur drei Minuten später erschien ein Mann mit sandfarbenen Haaren, den Kim ebenfalls kannte.

Diego führte den winselnden Silverwave mit grimmiger Miene in einen anderen Raum.
Ihr Chef winkte Mick zur Seite und winkte sie näher heran.
"Kim, ich habe einen weiteren Auftrag für dich. Dieses Mal musst du einen Wandler ausfindig machen, der mich um viel Geld gebracht hat. Er hat eine Tochter und lebt im Osten von Kalifornien." Er lehnte sich nach vorne. Kim, die sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches gesetzt hatte, lehnte sich ebenfalls nach vorne. "Dieser Auftrag ist unglaublich wichtig. Und wenn du weißt, was für dich gut ist, erfüllst du ihn ordentlich. Und zwar so schnell es geht." Plötzlich griff er nach ihrem Gesicht, seine Finger legten sich um ihr Kinn und er drehte dieses zu sich. "Du musst mehr Einsatz zeigen als jemals zuvor. Kim? Ich will, dass du diesen Mann, sobald du ihn gefunden hast, beseitigst. Endgültig."

Und das war der Moment, in dem Kim sich dazu entschied, dass Silverwave ihr letzter Auftrag gewesen war.

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