6
Ein ziemlich zerknitterter Umschlag stach mir ins Auge. Ich sah mich um, um sicherzugehen, dass mich niemand beobachten würde. Dann zog ich vorsichtig den Umschlag aus dem Sack. Langsam, und aufmerksam, drehte ich ihn um und erkannte meinen Namen. Mary. Er wurde nicht schön hingeschrieben. Es schien so, als hätte die Person, die mir den Umschlag zukommen lassen wollte, keine Zeit um ihn schön und mit viel Mühe zu schreiben. Wer hatte diesen Brief geschrieben? Und warum? Was hatte das alles zu bedeuten?
Erneut sah ich mich um. Es war niemand in Sichtweite. Erleichtert atmete ich aus und widmete mich erneut den Umschlag. Was war da wohl drinnen? Vorsichtig, und so leise wie möglich, öffnete ich den Umschlag. Ich erwartete alles. Bilder, Drohungen, Informationen oder nichts. Doch stattdessen kam etwas anderes aus den Umschlag. Ein Brief. Ein säuberlich, zusammengefalteter Brief war in diesen Umschlag. Langsam zog ich ihn heraus und entfaltete ihn. Dieser Brief war kurz. Aber säuberlich geschrieben. Und an mich. Es waren eigentlich nur fünf Wörter. Fünf kurze Wörter, die mich in Panik versetzten.
Sie wollen, dass du stirbst
Langsam lese ich diese Worte. Diese fünf Wörter. Was sollte das? Wer will, dass ich sterbe? Und warum? Ich versuchte einen Schrei zu unterdrücken. Sowie meine Tränen. Es war, als würde meine Kehle zugeschnürt werden. Ich brachte keinen Ton raus. Stattdessen saß ich nur da und versuchte mich irgendwie zu beruhigen. Es würde alles gut werden. Oder? Ich weiß nicht, ob diese Nachricht ernst gemeint war. Ob sie überhaupt echt war. Vermutlich erlaubte sich jemand einen Scherz mit mir. Das wird es sein. Ich soll gar nicht sterben. Die Jungs machen sich nur über mich lustig. Bitte lass es so sein. Bitte.
Ich schaffte es nicht mehr meine Tränen zu unterdrücken. Eine nach der anderen verließ meine Augen und tropfte auf diesen Zettel. Diesen Brief. Der mich vermutlich vor meinen eigenen Tod gewarnt hat.
,,Okay, beruhig dich, Mary. Es ist alles gut. Du wirst nicht sterben", versuchte ich mich zu beruhigen. Diese Worte prallten jedoch an mir ab. Als wäre ein Schutzschild um mich herum. Ich wusste, dass das nicht stimmen konnte. Warum sollte das jemand zum Spaß schreiben? Warum sollte mich jemand aus Spaß vor meinen eigenen Tod warnen? Das machte keinen Sinn.
Ich schluchzte und merkte dadurch nicht, ob jemand mich bemerkt hatte. Ich hoffte nicht. Wie sollte ich denn den Jungs erklären, warum ich wegen einen Sack weinte? Oder Alby? Sie würden mich für verrückt halten, wenn sie es noch nicht tun. Soll ich jemanden von diesen Brief erzählen? Ich weiß es nicht. Ich will, aber dann doch wieder nicht. Ich fühle mich hilflos. Alleine. Ich habe das Gefühl, keine Ahnung zu haben, was ich machen soll. Ob ich was machen soll. Ich werde es einfach niemanden sagen. Genau. Was soll den schon sein? Wie sollten die Personen, die mich tot sehen wollen mich umbringen. Sie können schlecht auf der Lichtung auftauchen. Oder? Ich mache mir eindeutig zu viele Gedanken. Ich faltete den Zettel zusammen und stopfte ihn eine Hosentasche. Danach wühlte ich weiter gedankenverloren in den Sack herum, um herauszufinden, was sich noch da drinnen befand. Ich konnte aber nichts außer ein paar Klamotten, einen Haargummi und eine Haarbürste ausmachen. Besser als nichts.
Ich legte den Sack neben meine Hängematte auf den Boden und lehnte mich zurück. Die Hände im Nacken verschränkt starrte ich nach oben. An die Decke. In Gedanken überlegte ich, was ich tun sollte. Sollte ich jemanden von den Zettel erzählen? Oder sollte ich es bleiben lassen?
Schlussendlich entschied ich mich dazu es für mich zu behalten. Solange niemand davon mitbekommt, ist es nicht nötig es jemanden zu sagen. Oder?
Ich atmete genervt von meinen Gedanken aus und schloss die Augen. Ich sah diese fünf Worte vor mir. So klar. Ich konnte sie nicht ausblenden. Genervt schlug ich die Augen auf und sah auf die Decke. Sie schien alt zu sein. Es sah abgenutzt aus. Alt. So alt. Wie lange waren sie wohl schon hier?
Schlussendlich stieg ich aus der Hängematte und schlenderte über die Lichtung. Vielleicht würde ich mich dadurch ablenken können.
Mit den Blick auf den Himmel gerichtet ging ich über die Lichtung und genoss die Sonne, welche mir ins Gesicht schien. Es war angenehm. Entspannend. Beruhigend. In diesen Moment musste ich nicht an den Brief denken. Ich musste nicht an die Tatsache denken, dass wir in einen Labyrinth gefangen sind und ich keine Ahnung habe, was sich hinter den Mauern verbirgt. Ich konnte nicht daran denken. Alles woran ich denken konnte, war die Sonne. Die warme Sonne, welche mir ins Gesicht schien. Ich ging zu einen kleinen Hügel, welcher am Wald angrenzte, und setzte mich hin. Entspannt legte ich mich in das weiche Gras und schloss meine Augen. Meine Hände hatte ich in meinen Nacken verschränkt und meine Beine waren angewinkelt. Es war so entspannend. So beruhigend. Es war angenehm. Ein angenehmes Gefühl breitete sich in mir aus. Es war warm. Und behütend. Als würde mir nichts passieren. Als wäre ich nicht auf eine Lichtung, welche mitten in einem Labyrinth war. Als wäre ich nicht alleine unter Jungs. Als wäre ich zuhause. Bei meiner Familie. Meinen Freunden. Meinem alten Leben. Ich merkte, wie eine Träne meine Wange herunterrollte. Doch es störte mich nicht. Warum auch? Jeder hatte dieses Gefühl, oder? Dieses Gefühl, dass etwas fehlt. Etwas wichtiges. Damit meine ich nicht nur die Erinnerungen an das Leben vor der Box, sondern an etwas anderes. Etwas wichtigeres. Ich weiß aber nicht, was.
Und so lag ich da. Die Augen geschlossen und in meiner Gedankenwelt versunken. Mit den Gedanken weit weg von der Lichtung. Von den Jungs. Von dem Labyrinth. Aber wollte ich das? Weg sein? Immerhin ist das mein neues Zuhause, oder? Immerhin waren die Jungs meine neue Familie, oder?
Entnervt atmete ich aus und öffnete die Augen, nur um sie wieder zu schließen, da die Sonne mich blendete. Ich hielt mir den rechten Arm vor das Gesicht und öffnete meine Augen vorsichtig. Irgendwie erinnerte es mich an gestern, als ich aus der Box kam. Bei den Gedanken musste ich lächeln. Der Gedanke daran, dass ich versucht hatte Newt das Messer wegzunehmen, ins Labyrinth zu laufen oder als ich am Abend gegen den Pfosten gelaufen bin und ich mich somit an meinen Namen erinnern konnte. Es war seltsam. Immerhin war es gerade mal einen Tag her und doch fühlt es sich so an, als wäre es vor Ewigkeiten passiert.
Ich setzte mich auf und umschlang mit meinen Armen meine Beine und sah über die Lichtung. Oder sah das, was ich sehen konnte. Ich beobachtete, wie mehrere Jungs über die Lichtung rannten, wie Chuck vollbepackt mit allem möglichen sich über die Lichtung in Richtung der Wälder schleppte und wie Newt in den Gärten arbeitete. Zusammen mit mehreren Jungs erntete er etwas von den Ranken und legt die geernteten Früchte behutsam den den Korb, welcher neben ihm stand. Er hatte sein weißes Hemd ausgezogen und stand nun mit einem orangenen Top da und arbeitete. Ich wante schnell meinen Bick ab, als ich merkte, dass ich ihn anstarrte. Warum tat ich das? Was läuft mit mir falsch?
,,Hey Frischling!"
Ich erschrak ein wenig und drehte mich um, damit ich die Person ausmachen konnte, welche mich gerade so genannt hatte. Als ich einen asiatischen Jungen mit schwarzen Haaren erkannte, begann ich zu grinsen und entspannte mich etwas.
,,Hast du's schon vergessen? Ich heiße Mary. Und: Hey Minho"
Minho lachte und setzte sich neben mir ins Gras.
,,Was beobachtest du den so?"
Ich hob nur die Schultern und versuchte nicht rot zu werden. Er schien zwar nett zu sein, jedoch hatte ich das Gefühl, dass er mich damit aufziehen würde, dass ich Newt angestarrt hatte. Zum dritten Mal, wenn ich mich nicht irre.
,,Nicht rot werden. Ich weiß, dass es toll ist, dass der fantastische Minho dir Gesellschaft leistet", meinte er mit einem etwas angeberischen Unterton.
,,Sind wir immer so eingebildet?"
Minho sah mich gespielt geschockt an und stammelte: ,,I-Ich u-und eingebildet? Was erlaubst du dir?"
Ich musste mir ein Lachen unterdrücken, was Minho sichtlich leichter viel. Doch lange hielt ich es nicht aus und schon platzte ich vor Lachen. Ich hielt mir den Bauch und fiel zurück ins Gras, während Minho versuchte das Lachen zu unterdrücken. Doch er hielt es ebenfalls nicht lange durch. Er krümmte sich vor Lachen und neben mir ins Gras. Wir hielten uns lachend den Bauch sahen in den Himmel. Es tat gut wieder zu lachen. All das für einen kurzen Moment zu vergessen.
Nach einer Weile hatten wir uns wieder einigermaßen beruhigt und Minho meinte etwas lachend zu mir:,, Komm, wir gehen essen. Sonst denken sich die Strünke da drüben noch die wildesten Theorien über uns zwei aus."
Er nickte mit den Kopf zu einer Gruppe von Jungs, die uns beim Vorbeigehen vom Weitem beobachtet hatten. Na toll! Die werden vermutlich jetzt schon die wildesten Theorien über uns haben. Langsam richteten wir uns auf gingen zusammen zu einen Art Unterstand, um uns etwas zum Essen zu holen. Wir stellten uns in der Schlange an, nachdem Minho uns Teller und Löffel besorgt hatte. Wie auch immer es das geschafft hatte...
,,Na? Hast es doch bis zum Mittagessen ausgehalten?"
Pfanne sah mich etwas belustigt an und ich verdrehte nur die Augen. Ich konnte mir schon denken, an was er in diesen Moment dachte. Und darauf wollte ich jetzt nicht eingehen. Minho und ich suchten uns einen Tisch. Wohl eher: Minho suchte uns einen Tisch. Ich schlich nur hinter ihn her.
Nach einer Weile setzte er sich irgendwo hin und drückte mich förmlich auf einen Platz neben ihn. Ich sah mich etwas unsicher auf den Tisch um und erkannte sofort einen Jungen mit honigblodem, verwuscheltem Haar. Newt. Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht schoss und versuchte es zu verbergen, indem ich meinen Blick auf mein Essen richtete. Was war das? Eine Art Eintopf. Ich tauchte den Löffel ins Essen und begann zu essen. Ich war überrascht! Entweder schmeckte es wirklich gut, oder mein Kopf lässt alles lecker schmecken, damit ich endlich etwas essen konnte. Wie eine Irre (was ich vermutlich war) schaufelte ich es in meinen Mund. Ich kam schon gar nicht mehr mit den Kauen hinterher, aber es tat so gut endlich wieder etwas im Magen zu haben.
,,Wow wow wow, Mary. Es isst dir schon niemand weg"
Ich sah auf und blickte direkt in Newts belustigtes Gesicht. Es war wunderschön ihn so lächeln zu sehen. Warum sah sein Lächeln so wunderschön aus?
,,Hast du etwa Chuck vergessen, Newt?"
Aus meinen Gedanken gerissen, sah ich mich um, wer das gesagt hatte. Das einzige, was ich merkte, war, wie alle in eine Richtung starrten. Ich folgte ihre Blicke und sah zu den blonden Jungen, der heute Morgen mir mehr oder weniger zugestimmt hatte. Dieser zuckte nur mit den Schultern und schon begannen einige zum Lachen. Ich musste dabei etwas schmunzeln und widmete mich wieder dem Essen. Das leise Gelächter ging noch eine Weile so. Und es tat gut andere Lachen zu hören. Es machte mich irgendwie glücklich.
Wenn ich in diesen Moment nur gewusst hätte, wie sehr man das Lachen von anderen brauchen würde. Vor allem an einem solchen Ort wie diesen. Eine Lichtung, umgeben von einem Labyrinth ohne die Aussicht auf einen Ausweg. Ohne die Hoffnung, dass alles besser werden würde. Ohne die Hoffnung darauf, dass man die eigene Familie jemals wieder sehen würde. In diesen Moment wusste ich nicht, wie wichtig das Lachen auf der Lichtung war. In diesen Moment war ich einfach ahnungslos. In diesen Moment hatte ich einfach nicht gewusst, was noch auf uns zukommen würde...
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top