Kapitel 27
Der Schnee, der einst das Land wie ein kaltes, reines Tuch bedeckt hatte, war fast vollständig geschmolzen. Nur wenige schmutzig-graue Flecken blieben in den Schatten der Bäume zurück, als ob die Blattleere noch einen letzten Halt an diesem Ort suchte. Doch die frische, klare Kälte war verschwunden. Stattdessen lag ein schwerer, fremder Geruch in der Luft – ein beißender, chemischer Gestank, der Frostsee die Nase rümpfen ließ.
Er hielt inne, als sie die Grenze des FlockenClans erreichten. Seine eisblauen Augen glitten über das Gebiet, das ihm so vertraut und doch jetzt so fremd vorkam. Alles wirkte still, fast zu still, als ob selbst die Natur den Atem anhielt.
„Zweibeiner," murmelte Bachfeder und legte die Ohren an. Sie schüttelte den Kopf, während ihre bernsteinfarbenen Augen den Horizont absuchten. „Ihr Gestank hängt überall in der Luft. Was, wenn sie...?"
„Das Lager wird in Ordnung sein," unterbrach sie Steppenfall ruhig, doch die Anspannung in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Der Clan ist klug genug, sich zu schützen."
Frostsee sagte nichts. Seine Gedanken waren woanders – bei der Wahrheit, die er mit sich trug, und den Konsequenzen, die sie nach sich ziehen würde. Die eisige Kälte, die den Schnee ersetzt hatte, schien sich in seinem Inneren festgesetzt zu haben.
„Wir sollten vorsichtig sein," fügte Steppenfall hinzu, während er die Umgebung prüfend musterte. „Zweibeiner bringen immer Probleme mit sich."
Frostsee nickte langsam und atmete tief durch, seine Krallen unbewusst im weichen, feuchten Boden vergrabend. „Wir gehen weiter," sagte er schließlich, seine Stimme fest. „Der Clan wartet auf uns – und die Wahrheit."
Die drei Katzen setzten ihren Weg fort, Schritt für Schritt über das vertraute, aber unruhige Territorium, den Clan und die Herausforderungen, die vor ihnen lagen, fest im Blick.
Steppenfall und Bachfeder liefen ein Stück voraus, ihre Stimmen gedämpft, als sie leise über mögliche Pläne für ihre Rückkehr sprachen. Frostsee jedoch blieb ein wenig zurück, seine Gedanken wirbelten wie ein Sturm in seinem Kopf. Jeder Schritt fühlte sich schwerer an, und die Last der Wahrheit drückte auf seine Schultern.
Dann bemerkte er es – eine Bewegung in seinem Augenwinkel. Als er den Kopf leicht zur Seite drehte, stockte ihm der Atem. Neben ihm schritt eine schattenhafte Gestalt, ihre Konturen schwach, als ob sie aus Rauch und Dunkelheit geformt wäre.
„Oh, Frostsee," begann die Gestalt mit einer seidigen, fast verspielt klingenden Stimme. Ihre leuchtenden Augen funkelten boshaft. „Das wird so unterhaltsam! Die süße Bitterkeit der Rache, schmeckst du sie schon? Ist es nicht herrlich?"
Frostsee knurrte leise und drehte den Kopf nach vorn, als wollte er die Erscheinung ignorieren. Doch sie wich nicht von seiner Seite, schritt mit der gleichen Eleganz wie er und ließ sich nicht abschütteln.
„Was willst du von mir?" fauchte Frostsee schließlich unterdrückt, seine Stimme so leise, dass Steppenfall und Bachfeder nichts bemerkten.
Die Gestalt lachte, ein dunkles, kratzendes Geräusch, das sich wie ein Schauer über sein Fell legte. „Ich will nichts, Frostsee. Ich bin hier, um dir zu helfen. Um dir zu zeigen, wie gut es sich anfühlt, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Und die Gerechtigkeit, die du verdienst, zu holen. Oder sollte ich sagen... die Vergeltung."
„Das ist keine Gerechtigkeit," zischte Frostsee, seine Krallen bohrten sich in den feuchten Boden. „Ich tue das für den Clan. Für die Wahrheit. Nicht für mich."
„Oh, natürlich, für den Clan," schnurrte die Gestalt spöttisch. „Aber sag mir, Frostsee, fühlst du nicht auch ein winziges Flüstern von... Befriedigung? Von Genugtuung? Zu wissen, dass diejenigen, die dir Unrecht getan haben, endlich leiden werden?"
Frostsee presste die Zähne zusammen, kämpfte gegen die aufkeimende Wut, die die Worte der Gestalt in ihm schürten. Doch ein Teil von ihm wusste, dass sie nicht völlig unrecht hatte.
„Lass mich in Ruhe," knurrte er schließlich.
Die Gestalt schüttelte belustigt den Kopf. „Ich bin ein Teil von dir, Frostsee. Ich werde dich nicht verlassen. Nicht, solange du mich brauchst."
Und mit einem letzten boshaften Lächeln löste sich die Erscheinung auf, verschwand in der schwindenden Dämmerung. Doch ihr Flüstern hallte in Frostsees Kopf nach, selbst als er Steppenfall und Bachfeder wieder einholte.
Bachfeder blieb abrupt stehen, ihre Ohren zuckten nervös, und sie hob die Nase in die Luft. „Riecht ihr das auch...?" fragte sie leise, ihre Stimme angespannt.
Steppenfall hielt ebenfalls inne, sein Blick wurde wachsam, während er den Kopf hob und die Luft prüfte. „Ja... Zweibeiner," murmelte er, seine Stimme voller Abneigung. „Und... Rauch."
Frostsee trat näher, seine eisblauen Augen verengten sich, als der beißende Geruch von Rauch in seine Nase drang, vermischt mit dem vertrauten Gestank von Zweibeinern. Es war ein schwerer, beißender Geruch, der in der kalten, feuchten Luft hing und ihm ein mulmiges Gefühl in der Magengegend verursachte.
„Das ist nicht normal," stellte Bachfeder fest, ihre Stimme bebte leicht. „Warum sollte hier Rauch sein? Haben die Zweibeiner ein Feuer gemacht?"
Steppenfall schüttelte den Kopf, sein Ausdruck grimmig. „Wenn sie es getan haben, dann ist es nicht nur ein Lagerfeuer. Es riecht zu stark, zu chemisch... Es könnte etwas von ihren Maschinen sein."
Frostsee schnürte der Geruch die Kehle zu. Der Rauch und die fremdartigen Gerüche schienen sich mit jeder Pfotenlänge in den Wald zu fressen, wie ein schleichendes Unheil. „Wir sollten uns beeilen," sagte er, seine Stimme kühl und entschlossen. „Wenn die Zweibeiner hier sind und Feuer oder Maschinen mitgebracht haben, könnte das den ganzen Wald betreffen."
Bachfeder nickte zögernd, ihre Augen voller Besorgnis. „Aber was ist, wenn das Feuer sich ausbreitet? Wenn... der Clan in Gefahr ist?"
Steppenfall legte seinen Schweif tröstend auf ihre Schulter, doch auch er wirkte angespannt. „Das werden wir herausfinden, sobald wir zurück sind. Aber wir müssen vorsichtig bleiben. Rauch bedeutet immer Gefahr – egal, woher er kommt."
Frostsee spürte, wie sich seine Muskeln anspannten. Die Schattenhafte Gestalt, die ihn begleitete, schien fast amüsiert zu schnurren, doch er ignorierte sie. Seine Gedanken waren auf den FlockenClan gerichtet – und darauf, wie nah sie jetzt wieder an ihrer Heimat waren.
„Kommt," sagte er schließlich mit Nachdruck. „Wir müssen weiter. Es gibt keinen anderen Weg."
Langsam setzten die drei Katzen ihren Weg fort, ihre Schritte leise und vorsichtig. Der Geruch von Rauch und Zweibeinern wurde mit jedem Herzschlag stärker, und ein schweres Gefühl legte sich über die kleine Gruppe. Der Wald schien zu flüstern, seine Warnungen in den Wind zu tragen – doch Frostsee wusste, dass es kein Zurück mehr gab.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top