Kapitel 22

Frostsee holte tief Luft und straffte die Schultern. Die Enthüllungen, die ihm bis jetzt offenbart wurden, hatten ihn erschüttert, doch es gab kein Zurück mehr.

Er war bereits so weit gekommen, und jetzt aufzugeben würde bedeuten, sich der Wahrheit zu verschließen.

Seine Pfoten fühlten sich schwer an, als er den nächsten Pfad betrat, der von schimmernden Eiskristallen gesäumt war. Die Luft wurde kühler, und sein Atem verwandelte sich in weiße Wolken. Das leise Tropfen von Wasser hallte durch die Höhle, als ob die Höhle selbst mit ihm sprechen wollte.

Frostsees Atem ging schwer, als er den nächsten Pfad betrat. Jeder Schritt fühlte sich an, als würde er ihn tiefer in eine Welt aus Schmerz und Verrat führen. Doch er konnte nicht aufgeben – nicht jetzt. Die Höhle begann sich zu verändern. Die Luft wurde schwer und kalt, und das Licht wurde von einem düsteren Grau durchzogen.

Die Wände schimmerten wie zerbrochenes Glas, und plötzlich wurde die Dunkelheit durch eine neue Szene durchbrochen. Er stand nun an der Grenze des FlockenClan-Territoriums. Das sanfte Licht des Mondes tauchte die Umgebung in ein silbernes Leuchten, doch die angespannte Stimmung war greifbar.

Vor ihm standen zwei Katzen: Nebelblüte und Wolkenwächter.

Nebelblüte sah erschöpft aus, ihr Fell war zerzaust, und ihre Augen spiegelten einen Sturm aus Angst und Entschlossenheit wider. Wolkenwächter hingegen bebte vor Wut. Sein graues Fell schien im kalten Licht des Mondes zu glühen, und seine Augen waren voller Zorn.

„Du hast mich belogen, Nebelblüte!" knurrte Wolkenwächter, seine Stimme wie ein Donnerschlag in der Stille der Nacht. „Du hast mir erzählt, die Jungen wären meine! Aber sie sind es nicht, oder?"

Nebelblüte wich einen Schritt zurück, ihr Schwanz zuckte nervös. „Wolkenwächter, bitte..." begann sie, doch ihre Stimme zitterte.

„Bitte was?" fuhr er sie an und trat näher. „Bitte versteh mich? Bitte vergib mir? Wie konntest du es wagen, mich so zu demütigen? Ich habe sie als meine eigenen angesehen, habe alles für sie getan – und jetzt erfahre ich, dass sie gar nicht von mir sind?"

Nebelblüte schloss die Augen, als ob sie sich für einen Moment Mut zusprechen wollte. Dann sah sie ihn direkt an. „Ja, ich habe dich belogen," sagte sie mit bebender Stimme. „Aber ich hatte keine Wahl. Du weißt nicht, wie es damals war... Ich wollte nur, dass sie eine Chance haben, in Sicherheit aufzuwachsen. Ich wollte nur das Beste für sie."

„Das Beste?" Wolkenwächters Stimme überschlug sich vor Wut. „Und was ist mit mir? Was ist mit meiner Ehre? Meinem Stolz? Du hast mich zum Narren gehalten, Nebelblüte!"

„Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe," flüsterte sie, Tränen in ihren Augen. „Aber ich habe sie aus Liebe gemacht – aus Liebe zu meinen Jungen."

Doch ihre Worte erreichten ihn nicht. Wolkenwächters Krallen gruben sich in den Boden, und sein Atem war ein heiseres Keuchen. „Wer ist es?" fragte er schließlich, seine Stimme kaum mehr als ein gefährliches Zischen. „Wer ist ihr Vater?"

Nebelblüte zögerte, und in ihrem Schweigen lag die Antwort.

„Sommerranke," flüsterte sie schließlich, kaum hörbar.

Das letzte bisschen Kontrolle, das Wolkenwächter noch besessen hatte, brach in diesem Moment. Ein wilder Schrei entfuhr ihm, und er warf sich auf Nebelblüte. Sie versuchte, sich zu wehren, ihre Krallen blitzten auf, doch er war schneller, stärker.

„Du hast mich zerstört!" schrie er, während er sie niederdrückte. „Und jetzt zerstörst du auch noch den Clan mit deinen Lügen!"

„Wolkenwächter, bitte..." flehte sie, ihre Stimme ein ersticktes Keuchen, doch er ließ nicht locker.

Mit einem letzten, brutalen Schlag verstummte Nebelblüte. Ihr Körper fiel reglos zu Boden, und die Stille, die folgte, war ohrenbetäubend.

Wolkenwächter trat zurück, seine Brust hob und senkte sich schwer. Die Realität seines Handelns schien ihn für einen Moment zu überwältigen. Doch dann kehrte die Kälte in seinen Blick zurück.

Er sah sich um und begann, die Umgebung zu manipulieren. Mit präzisen Bewegungen zerrte er Nebelblütes leblosen Körper an die Grenze, zog Dornen über ihr Fell und scharrte den Boden auf. Schließlich legte er ein paar abgebrochene Äste über die Stelle, an der sie lag.

Als er fertig war, trat er zurück und betrachtete sein Werk. Es sah aus, als wäre sie einem Wildtier zum Opfer gefallen.

„Niemand wird die Wahrheit erfahren," murmelte er, seine Stimme kalt und leer. „Niemand."

Die Szene verblasste, doch Frostsee blieb wie angewurzelt stehen. Sein Atem ging schwer, und sein Herz schien vor Schmerz und Wut zerspringen zu wollen.

„Mutter..." flüsterte er, seine Stimme zitternd. Das Gewicht dieser Enthüllung drohte ihn zu erdrücken, doch er wusste, dass er weitergehen musste.

Ein neuer Pfad öffnete sich vor ihm, und obwohl seine Beine wie aus Blei waren, setzte er eine Pfote vor den anderen. Die Wahrheit war grausam, doch sie war alles, was ihm jetzt blieb.

Frostsees Pfoten schlurften beinahe über den kalten Boden der Höhle, sein Kopf gesenkt, als ob das Gewicht der Wahrheit ihn niederdrückte. Wolkenwächter hatte sie getötet. Nicht eine Krankheit, nicht ein Wildtier. Sein eigener Clan-Kamerad, der vermeintliche Gefährte seiner Mutter, hatte sie aus Wut und Stolz ausgelöscht.

In ihm brodelte es. Hass. Auf Wolkenwächter, auf die Lügen, die ihn umgaben, und auf die Ungerechtigkeit seines Lebens. Er fühlte sich wie ein Spielball in den Klauen eines grausamen Schicksals.

„Warum?" flüsterte er heiser, seine Stimme hallte von den glitzernden Wänden wider. „Warum musste alles so kommen?"

Doch die Höhle bot keine Antworten, nur Stille und den unbarmherzigen Pfad, der sich vor ihm erstreckte. Seine Beine zitterten, und sein Herz fühlte sich an, als würde es in seiner Brust zerspringen, doch er ging weiter.

Noctars Warnung hallte in seinem Kopf: „Die Wahrheit verändert, und du wirst nicht mehr derselbe sein, wenn du sie hörst."

„Ich bin es jetzt schon nicht mehr," murmelte Frostsee bitter, seine Augen schmal. 

Doch er konnte nicht umkehren. 

Es war seine Bestimmung, die Wahrheit zu erfahren – so grausam sie auch sein mochte.

Der Pfad vor ihm begann, sich zu verengen, und das Licht wurde trüber. Die Luft war schwer, als ob die Höhle selbst die Last seiner Entdeckungen teilte. In der Ferne flackerte ein schwaches Licht, fast wie ein Stern am Ende eines langen Tunnels.

„Was noch?" fragte er sich leise, seine Stimme voller Erschöpfung und einem Hauch von Resignation.

Mit jedem Schritt fühlte er, wie sich die Dunkelheit in ihm ausbreitete. Die Wahrheit hatte ihn verändert, hatte ihn geformt – und vielleicht würde sie ihn auch brechen. Doch Frostsee wusste eines: Er musste weitergehen. Er musste wissen, wer er wirklich war.

Als der Kater das Licht erreichte, saß dort eine geisterhafte Gestalt und ein Stich durchfuhr ihm. Nebelblüte.

Frostsee stockte der Atem, als er die vertraute Gestalt erblickte. „Mama?" flüsterte er, seine Stimme zitterte vor Unglauben und Hoffnung. Seine Beine fühlten sich schwer an, als ob die Last der Erinnerungen ihn an den Boden kettete, doch er trat vorsichtig einen Schritt vor.

Nebelblüte hob den Kopf, ihre geisterhafte Erscheinung schimmerte im Licht wie ein Stern im Dunkel der Nacht. Ihre Augen, sanft und liebevoll wie eh und je, ruhten auf ihm. „Oh, Frostsee... mein kleiner Kämpfer," hauchte sie, und ihre Stimme fühlte sich an wie ein warmer Windstoß, der durch die kühle Höhle strich.

Frostsee konnte es kaum fassen. Der Anblick seiner Mutter war wie ein Schlag ins Herz – schmerzhaft und zugleich so vertraut, dass es wehtat. „Mama... ich..." Seine Stimme brach, und er musste sich zwingen, weiterzusprechen. „Ich habe so viel erfahren. So viele Wahrheiten, die ich nicht begreifen kann. Wolkenwächter... er... er hat dich getötet!"

Nebelblüte nickte langsam, ihr Blick von Traurigkeit und Stolz erfüllt. „Ja, mein Sohn. Wolkenwächter nahm mir das Leben. Doch er hat dir noch mehr genommen, Frostsee. Er hat dir nicht nur eine Mutter genommen... sondern auch einen Bruder."

Frostsee starrte sie an, als hätte sie ihm den Boden unter den Pfoten weggezogen. „Einen... Bruder?" flüsterte er. Seine Gedanken rasten, Erinnerungen und Zweifel stürzten auf ihn ein wie ein unaufhaltsamer Sturm.

Nebelblüte trat näher, ihre Gestalt schien mit jedem Schritt durchscheinender zu werden. „Ja, Frostsee. Du bist nicht allein in dieser Welt. Du hattest nie vor, allein zu sein. Dein Bruder... er war immer da, auch wenn ihr getrennt wurdet."

„Wer?" Frostsee hörte, wie Verzweiflung in seiner Stimme mitschwang. „Bitte, Mama, sag mir, wer er ist! Wo ist er? Warum hast du mir das nie gesagt?"

Ihre Augen wurden weich, doch auch ein Hauch von Schmerz lag in ihrem Blick. „Ich wollte euch beide beschützen, Frostsee. Doch das Schicksal war grausam. Es hat euch getrennt, bevor ihr euch überhaupt richtig kennenlernen konntet."

Frostsee fühlte, wie seine Beine nachgaben, und er sank auf die Knie. „Was, wenn ich nicht stark genug bin?" flüsterte er, während ihm Tränen über die Wangen liefen. „Was, wenn ich es nicht schaffe? Ich habe so viel verloren, Mama. Ich weiß nicht, ob ich das noch ertragen kann."

Nebelblüte beugte sich zu ihm herab, ihre Schnauze fast an seiner Stirn. Ihr flüsternder Atem fühlte sich wie eine Umarmung an. „Frostsee, du bist stark. Du bist mein kleiner Kämpfer, und du trägst in dir mehr Mut, als du selbst erkennen kannst. Aber die Wahrheit, die du suchst, wird dich verändern. Sie wird dich brechen und wieder aufbauen."

„Bitte, Mama," flehte er, während seine Tränen in den Staub der Höhle fielen. „Ich muss wissen, wer er ist. Ich muss ihn finden."

Ein trauriges, aber zugleich warmes Lächeln huschte über Nebelblütes Gesicht. „Frostsee... du hast deinen Bruder bereits gefunden."

Die Worte trafen ihn wie ein Blitz. Sein Kopf schoss nach oben, seine Augen suchten in ihrem Gesicht nach weiteren Antworten. „Ich... ich habe ihn gefunden? Wer ist er? Wie?"

Doch Nebelblüte schüttelte nur sanft den Kopf. „Das ist eine Wahrheit, die du selbst entdecken musst. Dein Herz kennt die Antwort, Frostsee. Aber dein Verstand ist noch nicht bereit, sie zu akzeptieren."

„Bitte, Mama!" rief er, seine Stimme voller Verzweiflung. „Ich bin nicht gut genug. Ich bin nicht stark genug. Ich habe so viele Fehler gemacht. Wie soll ich das schaffen?"

Nebelblüte schloss für einen Moment die Augen, und als sie sie wieder öffnete, glitzerten sie wie Sterne in einem endlosen Nachthimmel. Ihre Stimme wurde warm, fast zärtlich, doch dahinter lag eine Stärke, die Frostsee durchdrang. „Wage es dir nicht, dich für dein Talent zu schämen, Frostsee," sagte sie, und ihre Worte fühlten sich an wie ein sanfter, aber bestimmter Tritt gegen seine Zweifel. „Du hast all das überlebt und bist daran gewachsen. Ja, du hast Fehler gemacht, und ja, du hast Entscheidungen getroffen, die dich ins Wanken brachten. Aber diese Entscheidungen haben dich am Leben gehalten. Sie haben dich geformt, gestärkt und bewiesen, dass du einen unerschütterlichen Willen besitzt."

Frostsee senkte den Kopf, doch Nebelblütes Stimme ließ ihn wieder aufblicken.

„All die Momente, in denen du gezweifelt hast, all die Taten, die du aus Angst oder Verzweiflung begangen hast – sie zeigen nicht deine Schwäche, sondern deinen Mut. Du hast immer versucht, das Richtige zu tun, für deinen Clan, für die, die dir am Herzen liegen. Das macht dich zu etwas Besonderem. Zu einem wahren Kämpfer. Zu meinem Sohn."

Ihre letzten Worte brachen die Mauer in seinem Herzen. Tränen liefen ihm über die Wangen, als er sie ansah, und ihre Gestalt begann, sich aufzulösen. Nebelblüte verblasste, ihr Licht wurde schwächer, doch ihr Blick blieb voller Liebe und Stolz auf ihn gerichtet.

„Ich liebe dich, Frostsee," flüsterte sie, ihre Stimme eine Melodie, die direkt in sein Herz drang. „Du bist mein Herz. Mein Stolz. Mein Kämpfer."

„Nein!" schrie Frostsee, Panik und Verzweiflung überkamen ihn, als ihre Stimme immer leiser wurde. Er sprang vor, streckte seine Pfoten nach ihr aus, wollte sie festhalten, sie nicht noch einmal verlieren. „Mama, geh nicht! Bitte! Ich brauche dich!"

Doch seine Pfoten griffen ins Leere, und die Dunkelheit kehrte mit gnadenloser Stille zurück. Frostsee blieb allein zurück, seine Schultern bebten unter der Last seiner Gefühle, der Kälte, die sein Herz umklammerte.

Er schnappte nach Luft, versuchte, die Flut der Emotionen zu bändigen, doch die Trauer war wie ein Sturm, der ihn verschlang. Er wollte aufgeben, wollte sich zurückziehen, doch dann bemerkte er das schwache, silbrige Licht, das einen neuen Pfad vor ihm beleuchtete.

Langsam hob er den Kopf, Tränen schimmerten noch immer in seinen Augen. Sein Herz war schwer, doch eine flammende Entschlossenheit begann in ihm aufzukeimen.

Er konnte nicht zurück. Nicht jetzt. Nicht, nachdem er so viel gesehen hatte. Die Wahrheit wartete – und mit ihr die letzte Prüfung seines Herzens.

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