28. Etwas braut sich zusammen - und es ist kein Sturm
Ich überlegte, ob ich Ryan die Kekse jetzt geben sollte oder nicht. Er würde mindestens die nächsten zwei Stunden allein zu Hause sein, da ich mich mit Lyra und Wesley im Café treffen wollte. Am besten gab ich sie ihm einfach, das würde ihn glücklich machen.
„Ryan?"
„Ich bin hier", rief er und sprang die Stufen der Treppe hinab.
Wenn er das häufiger machte, würde er irgendwann ausrutschen und auf das Gesicht fallen. Das würde definitiv weh tun.
„Denk dran, wenn du etwas brauchst, ruf mich an. Zünde nichts an, steck keine Gabel oder etwas Ähnliches in die Steckdose und vergiss nicht, das Wasser am Hahn abzudrehen, wenn du es nicht mehr brauchst. Du weißt, wo -"
„Hör auf, dir so viele Sorgen zu machen, Fina. Ich bin zwölf!"
Mein Bruder verdrehte die Augen und verschränkte gleichzeitig die Arme.
„Ja, ich weiß, ich weiß", gab ich seufzend nach. „Ma und Pa werden erst am Abend zurück sein und ich komme auch erst in zwei, drei Stunden wieder. Deshalb..."
Ich holte die volle Kekspackung hinter meinem Rücken hervor und reichte sie Ryan. Mit leuchtenden Augen nahm er sie entgegen und lächelte mich an.
„Danke!"
Wir verabschiedeten uns voneinander und sobald ich aus der Tür getreten war, schloss Ryan diese. Hoffentlich hatte ich nichts vergessen, aber vermutlich brauchte ich auch nichts. Wesley hatte immer einen Notizblock und etwas zum Schreiben dabei. Mein Handy hatte ich auch dabei, sodass wir auch recherchieren konnten. Jetzt musste ich nur noch hin kommen und dann konnten wir auch schon mit der Vorbereitung des Referats beginnen.
Als ich meine Straße verlassen hatte, bemerkte ich einen schwarzen Vogel, der über mir seine Kreise zog. Ein Rabe. Bildete ich mir das nur ein oder verfolgte der mich tatsächlich? Nach ein paar Minuten drehte der Rabe ab und verschwand in Richtung der Klippen von Callor, die sich etwa zwischen Meer und Wald befanden. Sie waren ziemlich hoch - jedenfalls wenn man vom Strand aus zu ihnen hinauf blickte.
Zügig lief ich über den Bürgersteig und überquerte schnell die Straße, als kein Auto kam. Ein Blick auf mein Handy verriet mir, dass ich schon über fünf Minuten zu spät war. Na ja, so schlimm waren fünf Minuten jetzt auch nicht. Wenige Augenblicke später sah ich das Café. Lyra und Wesley standen davor und unterhielten sich angeregt mit wilder Gestikulation insbesondere von Seiten Lyra. Als sie mich sahen, kamen sie mir entgegen und einen Moment danach hatten wir einander erreicht.
„Hey Leute", begrüßte ich die beiden.
„Da bist du ja, Fina", sagte Lyra und begann zu grinsen. „Wesley und ich haben gerade darüber diskutiert, ob du dich nicht doch mit Silvan triffst, weil du erst nicht gekommen bist."
Sie stieß mir ihren Ellenbogen in die Seite, während ich rot anlief. Sofort versuchte ich es zu überspielen und fragte schnell:
„Schon Vorstellungen, wie wir das Referat machen wollen?"
„Ja, so grob. Ich habe ein paar Ideen dazu skizziert, die -"
Meine Freundin unterbrach Wesley mit hochgezogenen Augenbrauen:
„Ideen dazu skizziert? Das sah für mich nicht danach aus. Eher nach Menschen im Anime-Style."
„Dann hast du falsch gesehen", behauptete er empört.
„Ist doch auch egal", mischte ich mich ein, als Lyra etwas erwidern wollte. „Lasst uns einfach rein gehen."
Wir betraten das Café und suchten uns eine ruhige, gemütliche Ecke aus, in die wir uns setzten. Nachdem wir bei der Bedienung Getränke bestellt hatten, unterhielten wir uns über alles Mögliche. Darunter auch seltsame Träume und anstehende Klausuren. Erst als uns unsere Getränke gebracht wurden, begannen wir wirklich mit dem Referat. Dabei gerieten Wesley und Lyra in eine Diskussion, ob es interessanter wäre, die Rohstoffe im Meer im Referat unterzubringen oder nicht doch eher die Meeresverschmutzung.
Während sich die beiden angeregt unterhielten, nahm ich einen Schluck von meinem Wasser und merkte, wie mir schwindelig wurde. Hatte man irgendetwas ins Wasser hinein getan, was da nicht hin sollte? Oder lag es einfach an mir? Vor meinen Augen wurde alles schwarz, was mir bekannt vorkam. War es wieder Yunus, der mich „anrief"? Dann konnte er mir jetzt sagen, wer der Spion war und wer seine Entführer waren, beziehungsweise nicht waren.
Die Umgebung nahm wieder Gestalt an und sobald ich sie erblickte, stieß ich überrascht die Luft aus. Ich befand mich am Strand in der Bucht und nicht in dem Raum von gestern. Es war auch nicht Yunus, der vor mir stand sondern Rune.
„Serafina, ein Glück", sagte dieser gerade erleichtert. „Du musst sofort nach Fotein oder ins Meer."
„Was? Warum?"
Verwirrt zogen sich meine Augenbrauen zusammen. Erst sagte er mir, ich solle vermeiden im Meer zu schwimmen und jetzt sollte ich es doch? Das ergab doch keinen Sinn.
„Forestchanger sind auf dem Weg zu dir und sie haben ganz sicher keine guten Absichten."
„Aber -", wollte ich widersprechen.
„Du musst dich beeilen, sonst ist es zu spät. Lass dich nicht von ihnen kriegen, denn das könnte deinen Tod bedeuten."
Mein Mund wurde ganz trocken. Ich konnte jetzt sterben? Umgebracht werden? Das wollte ich sicher nicht.
„Was ist mit Lyra und Wesley?"
„Am besten, sie gehen auf direktem Weg nach Hause und lassen sich nicht mit dir zusammen blicken", antwortete Rune und lief dabei zum Tunnel im Fels.
Sollte ich ihm von Yunus erzählen? Nein, lieber nicht. Jetzt war ein ungünstiger Augenblick dafür.
„Ich versuche, so schnell wie möglich bei dir zu sein, aber in der Zeit musst du dich sofort auf den Weg machen."
„Ja, ich gehe los", versprach ich.
„Pass auf dich auf."
Mit diesen Worten verblassten Rune und der Strand. Wenige Momente später saß ich mit pochendem Kopf wieder im Café. Warum tat mein Kopf so weh? Etwa von diesem Seachanger-Ding? Ich sah auf und blickte in zwei nachdenklich zusammengezogene Gesichter.
„Was genau ... macht ihr da?"
Lyra und Wesley rissen die Augen auf und wichen mit ihren Köpfen ein wenig zurück.
„Du warst mehrere Minuten nicht ansprechbar, obwohl du wach warst. Wir haben nur versucht, dich in die Welt der Lebenden zurück zu holen", verteidigte sich Lyra und grinste.
Ich hob eine Augenbraue, musste aber auch grinsen. Mein Kopf pochte schmerzhafter, was ich jedoch zu ignorieren versuchte.
„Da ist sie", sagte eine Stimme bedrohlich. „Sie kann nicht entkommen."
„Warum warst du überhaupt weg?", erkundigte sich Wesley.
„Ich hab Kopfschmerzen und hab versucht, die Geräusche aus meinem Kopf zu verbannen. Es ist nur schlimmer geworden", antwortete ich.
Es fühlte sich nicht gut an, ihn anzulügen. Aber mich machte die Stimme nervös, die gesprochen hatte. Ich wollte hier so schnell wie möglich weg.
„Willst du nach Hause?"
„Ja, das wäre gut. Tut mir Leid wegen des Referats", entschuldigte ich mich betreten.
„Wir haben noch bis Donnerstag Zeit", winkte Lyra ab und stand auf.
Wesley und ich erhoben uns ebenfalls. Wir bezahlten unsere Getränke und verließen dann das Café. Draußen sah ich mich unauffällig um, konnte jedoch niemand Verdächtigen sehen. Seltsam. Dabei war ich mir sicher gewesen, dass hier mindestens ein Wandler war. Und Rune hatte doch auch so etwas in der Art gesagt.
Wir hatten schon mehrere Straßen passiert und waren jetzt auf halber Strecke zu meinem Haus, als die Stimme erneut sprach:
„Jetzt."
Ein Schauer lief meinen Rücken hinunter und bereitete mir ein mulmiges Gefühl. Mein Kopf hatte mittlerweile aufgehört so weh zu tun, aber jetzt, wo ich mir Sorgen machte, verstärkte sich der Schmerz wieder. Wo waren die Forestchanger? Was wollten sie von mir?
„Fina, ist alles in Ordnung?"
Besorgt sah Lyra mich an und blieb stehen. Lauf weiter, nicht stehen bleiben, rief ich ihr in Gedanken zu, aber sie hörte es natürlich nicht. Nervös sah ich mich um, konnte jedoch keine potenziellen Forestchanger ausmachen. Erst dann antwortete ich meiner Freundin:
„Nein, die Kopfschmerzen haben sich wieder verstärkt."
Sobald wir uns wieder in Bewegung setzten, ertönten hinter uns Schritte. Vermutlich waren es einfach ganz normale Leute, aber mein Gefühl wollte mir etwas anderes weismachen. Langsam spähte ich über meine Schulter und schaute direkt in ein Paar stechend braune Augen. Der Mann zu dem sie gehörten, war groß und wirkte wie ein ganz normaler Passant. Nur waren seine Augen direkt auf mich gerichtet und verfolgten jeden meiner Schritte. Schnell drehte ich meinen Kopf wieder nach vorne. Was sollte ich jetzt machen?
„Können wir ein bisschen schneller gehen?", fragte ich Wesley und Lyra.
Wir liefen zügiger, aber der Mann hinter uns beschleunigte sein Tempo ebenfalls und blieb uns auf den Fersen. Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung wahr. Ich wandte meinen Kopf in die Richtung und sah auf der anderen Straßenseite zwei weitere Männer, die auch normal wirkten, mich aber beobachteten und verfolgten. Verdammt! Wie sollte ich hier weg kommen?
„Bin ich die Einzige, die das denkt, oder verfolgen uns diese Typen da?", erkundigte sich Lyra bei uns.
„Die verfolgen uns definitiv. Sie beobachten uns auch ganz genau", sagte Wesley unbehaglich.
„Was machen wir jetzt?", wollte ich wissen.
Nervös sah ich mich um und konnte einen weiteren Mann ausmachen. Wo war Rune? Er hatte doch gesagt, dass er so schnell wie möglich bei mir sein wollte. Aber woher wusste er, wo ich war? Vielleicht suchte er gerade an einer anderen Stelle nach mir.
„Rennen?"
Fragend sahen Lyra und ich zu Wesley, der nickte.
„Wir rennen."
Bevor die Worte auch nur verklungen waren, sprinteten wir los. Häuser und Gärten flogen an uns vorbei, während wir versuchten die Männer abzuhängen. Nur schafften wir das nicht. Die vier Männer waren ebenfalls losgerannt und uns nun dicht auf den Fersen. Langsam aber sicher holten sie auf. Wie sollten wir ihnen jetzt entkommen? Was würde passieren, wenn sie uns erwischten? Ich wollte es lieber nicht erfahren.
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