26. Tatsächlich bin ich ein Wurm - die Fische glauben das auch
„Sprich mir nach: Blub, blrrb, bloob."
„Blurrb?"
Eigentlich hatte ich Was? fragen wollen, aber da ich unter Wasser schlecht reden konnte, kam nur dieses Blubbern aus meinem Haimaul.
Akira prustete los, wodurch sich viele Luftblasen um sie herum bildeten.
„Warum lachst du?"
„Du hast gesagt: Ich bin ein Wurm", antwortete Akira lachend.
Verwirrt sah ich sie an.
„Ich habe nur ein einziges Blub gesagt, so was kann doch nicht herauskommen. Du verstehst doch selbst nicht, was du da blubberst.", behauptete ich.
„Ich habe gesagt: Hallo, wie geht es dir. Diese Sprache lernt man schon als kleines Kind."
Wieder einmal etwas, das ich nicht konnte, obwohl ich ein Seachanger war.
„Du lernst das noch, keine Sorge. Es ist viel leichter, als du denkst. Du darfst dich nur nicht zu sehr darauf fokussieren, dir genau jeden einzelnen Wortlaut zu merken", erklärte Akira.
„Aber wenn ich mir nicht jeden Wortlaut merke, wie soll ich denn sonst richtig sprechen?"
„Nachdem du ein bisschen geübt hast, etwa ein bis zwei Wochen, wird es von selbst kommen. Wenn du täglich ein bisschen wiederholst, klappt es auch."
Plötzlich schwamm ein Putzerfisch unter meine linke Brustflosse und ein anderer schwamm zu meiner Rückenflosse. Was sollte das? Ich versuchte sie durch ein kräftiges Schütteln meines Körpers weg zu bekommen, aber es störte sie nicht.
„Akira?", fragte ich hilfesuchend.
Sie lachte wieder.
„Du hast gesagt, dass du ein Wurm bist. Jetzt wollen sie auch mal schauen, ob das stimmt."
Ein Schwarm Thunfische schwamm knapp an mir vorbei. Einer von ihnen gab ein Blubbern von sich und blieb wenig entfernt von mir stehen. Akira antwortete ihm mit einem Blub blurb, woraufhin der Schwarm Thunfische wieder abdrehte.
„Was hat er gesagt?", wollte ich wissen.
„Er hat gefragt, ob wir Futter haben. Einen Wurm, wenn du es genau wissen willst."
Ich sollte diese Sprache definitiv so bald wie möglich beherrschen, sonst würde ich noch wirklich peinliche Dinge von mir geben. Nach Akira würde es zum Glück nicht so lange dauern, bis ich sie flüssig sprechen und verstehen konnte.
„Machen wir weiter."
Sie war gerade dabei, mir neue Wörter beizubringen, als wir unterbrochen wurden.
„Akira! Serafina!", rief eine Stimme hinter uns.
Verwundert drehte ich mich um. Wer war das? Ein großer Fisch näherte sich uns in hohem Tempo. Als er näher kam, erkannte ich Rune in seiner Haigestalt.
„Ihr müsst sofort mitkommen", sagte Rune, sobald er uns erreicht hatte.
„Was ist -", begann Akira.
„Keine Zeit. Wir müssen uns beeilen. Ich erkläre es euch auf dem Weg."
Schon war der Schwarzhai wieder los geschwommen. Akira und ich beeilten uns, ihn einzuholen. Es war schwer, mit Rune mitzuhalten, da er schneller war als wir.
„Yunus ist verschwunden."
„Was?!"
Entsetzt starrte ich ihn an, musste meinen Kopf aber gleich wieder zurück drehen, damit ich nicht an Geschwindigkeit verlor oder irgendwo gegen schwamm. Das Wasser verdunkelte sich, je tiefer wir kamen. Bald schon näherten wir uns der Felswand, in der sich der Eingang nach Fotein verbarg.
„Seit über einer Stunde ist er unauffindbar. Wir haben Fotein und die nähere Umgebung nach ihm abgesucht, hatten aber bisher keinen Erfolg. Es gibt nicht die kleinsten Hinweise auf seinen Verbleib", erklärte Rune.
Wir schwammen nacheinander durch den Eingang und ich erinnerte mich wieder daran, als ich das erste Mal hier hindurch geschwommen war. Noch am selben Tag hatte ich Akira und Yunus kennengelernt, die das Katapult ausprobiert hatten (das ich bis jetzt noch nicht zu Gesicht bekommen hatte). Und doch war jetzt vieles anders. Seachanger verschwanden seltsamerweise, Wandler wollten mich umbringen, ein Krieg stand kurz vor dem Ausbruch.
„Sind Sie sicher, dass alles abgesucht wurde? Vielleicht wurde etwas übersehen?"
Verzweiflung mischte sich in Akiras Stimme, die ich teilte. Wo war bloß Yunus? War er entführt worden? In ein Fischernetz geraten? Oder war das einfach ein Streich von ihm? Wahrscheinlich nicht letzteres.
„Ich bin sicher. Kommt."
Rune schwamm zum palastartigen Gebäude auf dem riesigen Stalagmiten. Es wirkte größer als sonst und irgendwie bedrohlich. Als wir nur noch wenige Meter entfernt waren, öffneten sich die Türen. Bis auf das leise Treiben in den Straßen von Fotein unter uns, war es still. Unnatürlich still. Das letzte Mal hatte alles viel lebendiger und fröhlicher gewirkt.
Nachdem sich die Türen geschlossen hatten und wir den ersten Flur entlang schwammen, kam uns ein Rotfeuerfisch entgegen. Er schwamm schnell auf uns zu und bewegte, sobald er von uns anhielt, unruhig seine Stacheln.
„General Rune."
„Sebastian, was ist passiert?", fragte Rune alarmiert.
„Ein Suchtrupp von fünf Seachangern ist verschwunden. Es gibt keine Hinweise zu ihrem Verbleib", berichtete Sebastian.
„Das ist schlecht."
Eilig schwamm Rune weiter und bog in einen kleinen Raum ab. Schnell folgten wir ihm. Der Raum war klein, höchstens fünfzehn Meter breit, und hatte nur einen Tisch in sich stehen. Zu diesem wollte der Schwarzhai aber.
„Wo sind sie etwa verschwunden?"
Sebastian deutete mit seiner Flosse auf etwas auf dem Tisch. Ich näherte mich ihm, um besser erkennen zu können, was gemeint war. Es war eine Karte. Sie war erstaunlich detailreich und naturgetreu und zeigte Fotein mit der Umgebung. Der Rotfeuerfisch hatte ein Gebiet nahe der Küste gezeigt - wenn ich mich nicht täuschte.
„Wenn es wirklich die Forestchanger waren, dann scheuen sie tatsächlich vor nichts zurück. Sie wollen diesen Krieg sobald wie möglich."
Noch vor ein paar Sekunden hatte ich nicht gewusst, dass Haie die Zähne fletschen konnte - also nicht mit Absicht. Jetzt wusste ich es besser. Rune sah einschüchternder aus als ein Bär, der sich vor einem auf die Hinterbeine erhob.
„Und wenn es nicht die Forestchanger waren? Sondern jemand anders?", fragte Akira.
„Die Windchanger? Sicher nicht. Sie sind viel zu arrogant, um uns andere überhaupt zu beachten", bemerkte Sebastian.
„Das wissen Sie gar nicht. Vielleicht sind die Windchanger freundlicher als -"
„Nein, Akira. Sebastian hat recht. Ich kenne die Windchanger, sie haben schon vor unserem ... Auseinandergehen auf die anderen Wandler herabgeschaut", unterbrach Rune sie.
Gab es sonst noch welche, die den Seachangern schaden wollten? Vielleicht waren es Menschen, die Meerestiere fing, um sie für illegale Zwecke zu missbrauchen? Vielleicht passierte sogar dasselbe bei den anderen beiden Wandler-Reichen?
„Sind Meerestiere auch betroffen?", erkundigte ich mich.
„Was?"
Akira, Sebastian und Rune drehten sich zu mir um. Verdammt, ich hatte sie vermutlich gerade in einer Diskussion unterbrochen. Wahrscheinlich hatten sie nicht einmal verstanden, was ich gesagt hatte. Ich sollte es einfach wiederholen.
„Abgesehen von den Seachangern, sind auch „normale" Meerestiere verschwunden?"
Einen Moment überlegte Rune, warf dann dem Feuerfisch einen Blick zu, der daraufhin den Kopf schüttelte, und antwortete:
„Nein, bisher sind nur Seachanger verschwunden."
Das schloss die Möglichkeit, dass Menschen hinter der ganzen Sache steckten, schon mal aus. Schließlich konnten die doch sicher nicht Seachanger von wirklichen Meerestieren unterscheiden, oder? Wenn sie es doch waren... Vielleicht war es Zufall, dass sie nur Wandler erwischt hatten. Vielleicht -
Nein. Sonst hätte man doch irgendetwas finden müssen. Irgendwelche Hinweise wie zum Beispiel ein Fischerboot oder ein Netz oder Ähnliches. Also konnten da doch nur Wandler hinter stecken, oder nicht? Aber wie konnten die die Seachanger unterscheiden? Verstehen konnten sie sie ja nicht, wenn es stimmte, was Rune mir am Tag, als ich mich zum ersten Mal verwandelt hatte, gesagt hatte.
„Wie können beispielsweise Forestchanger Seachanger von Meerestieren unterscheiden? Spüren sie das?"
„Mit viel Training können Forestchanger Seachanger verstehen und umgekehrt. Je länger man in seiner anderen Gestalt ist, desto besser spürt man die Nähe eines anderen Wandlers", erklärte Sebastian und Rune nickte zustimmend.
„Es ist nicht sicher für euch beide hier. Serafina, du solltest vermeiden alleine im Meer zu schwimmen. Auch kleinere Gruppen sind nicht mehr sicher, wie du bestimmt bereits mitbekommen hast. Akira, du solltest in Fotein bleiben und nicht selbst ins offene Meer schwimmen. Verstanden?"
„Ja, verstanden", antworteten Akira und ich.
„Gut. Dann werde ich dich erst mal wohlbehalten an Land bringen, Serafina", sagte Rune und begleitete mich zurück an die Oberfläche.
Die Lehrstunden mit Akira würden wohl nicht so schnell wieder stattfinden. Und viele Wörter in der Fisch-Sprache, die ich zu Hause wiederholen hätte können, hatte ich nicht gelernt.
*
Ich schlurfte über den Strand Richtung Treppe. Danach musste ich noch ein paar Straßen entlang gehen, bis ich endlich zu Hause in mein Bett fallen konnte. Seufzend wollte ich gähnen, zuckte aber vor Schreck zusammen, als mein Handy vibrierte. Toll, jetzt hatte ich nicht zu Ende gegähnt und konnte es auch nicht wiederholen, weil ich das Gähnen irgendwie „verschluckt" hatte.
Genervt holte ich das Handy aus der Tasche und blickte auf das Display. Wer war es, der mich vom Gähnen unterbrochen hatte? Oh, es war Silvan!
Sehen wir uns morgen um 15 Uhr beim Café?
Einen Augenblick zögerte ich. Sollte ich wirklich hin, obwohl gerade in Fotein eine Krise herrschte? Obwohl Seachanger verschwanden? Ich hatte die Nachricht Nein, ich kann nicht schon getippt, aber mein Daumen schwebte noch über der Senden-Taste. Eigentlich wollte ich das nicht schreiben und schließlich löschte ich das Geschriebene und schickte stattdessen ein Gerne.
Als ich wenige Sekunden später die Treppe hochlief, meinte ich über mir einen Raben kreisen zu sehen, aber als ich aufsah, drehte er ab und verschwand hinter einem Hausdach. Seltsam.
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