25. Wortduelle können echt anstrengend sein
Was war mit Dorian und Nero geschehen?
Diese Frage beschäftigte mich auch noch in der Schule, weshalb ich nur mäßig aufpasste. Es wäre besser, wenn ich mich wieder richtig am Unterricht beteiligte als nur mit ein paar wenigen Meldungen. Schließlich rückten die Sommerferien näher und damit auch die Zeugnisse. Aber die ganze Sache mit den Seachangern lenkte mich einfach ab. Wenn auch noch ein Krieg mit den anderen Wandler-Reichen ausbrechen würde, könnte ich mich wahrscheinlich nicht mehr konzentrieren in der Schule. Kein bisschen.
Jetzt, wo Dorian und Nero weg waren, sich vermutlich ein Spion in Fotein herum trieb und dutzende Wandler mich umbringen wollten, war ich größtenteils abwesend im Unterricht. Wieso musste ich auch genau mitten drin sein? Warum war ich der Trichanger und nicht irgendjemand anderes, der es lieber wäre?
„... und deshalb möchte ich von euch, dass ihr ein Referat anfertigt. Das Thema muss etwas mit Erdkunde zu tun haben, der Rest ist euch überlassen. Drei bis vier Leute sollten es pro Gruppe sein. Ich möchte bis nächste Woche Ergebnisse haben", schloss Herr Miller und beendete den Unterricht.
Es waren noch ein paar Minuten übrig, bis die Schulklingel läuten würde, weshalb die meisten sich schon mit ihren Partnern für das Referat zusammen setzten. Lyra trat zu mir, Wesley im Schlepptau.
„Machen wir zusammen?", fragte sie und deutete dabei mit den Händen auf uns drei.
„Klar", erwiderte ich.
„Worüber wollen wir das Referat machen? Den Klimawandel?"
Wesley sah uns fragend an, woraufhin meine Freundin mit den Schultern zuckte.
„Lieber nicht. Das Thema wollen bestimmt die meisten hier machen. Wie wäre es", ich überlegte, „mit dem Meer? Fischerei, Abbau von Rohstoffen, Schiffsverkehr und so was halt?"
„Find ich gut", sagte Lyra und nickte.
„Wollen wir dann Samstag beginnen?"
Wir stimmten Wesley zu, als es auch schon zum Ende der Stunde klingelte. Die Zeit verging schnell, so kam es mir jedenfalls vor. Schon hatte der Unterricht für heute geendet. Wenn das so weiter ging, würden die Sommerferien da sein, bevor ich es auch nur annähernd realisierte.
*
Nachdem Wesley und ich uns von Lyra verabschiedet hatten, warteten wir noch auf Ryan. Dieser ließ sich ganz schön Zeit, was mich sichtlich nervös machte. Das letzte Mal, als er länger gebraucht hatte, war es, weil ihn Xavier verprügelt hatte. Das durfte nicht noch einmal geschehen!
Entschlossen straffte ich die Schultern und lief los. Wenn ich Xavier erwischte, würde er sein blaues Wunder erleben. Zwar durfte ich ihn nicht schlagen und beleidigen, aber wenn ich ihn auf frischer Tat erwischte und darauf ansprach, würde er sich hoffentlich schämen. Und dann aufhören, Ryan zu ärgern.
„Serafina? Wohin gehst du?"
„Bin gleich wieder da. Muss nur kurz nach Ryan schauen", antwortete ich, ohne stehen zu bleiben.
Das Schulgebäude war mittlerweile fast komplett leer, bis auf wenige Schüler. Es dürfte nicht zu schwer werden, meinen Bruder hier zu finden. Ich ging den Flur entlang, bog dann rechts ab und hörte es. Zwei Stimmen, unter denen ich die von Ryan identifizierte.
„Lass mich endlich los, Xavier!", rief Ryan verzweifelt.
„Ha, warum sollte ich?", erwiderte Xavier.
„Ich hab dir nichts getan!"
„Deine Anwesenheit reicht aus, du Idiot. Warum bist du überhaupt noch hier? Keiner mag dich! Verschwinde einfach und komm nie wieder!"
Das reichte! Ich würde diesen Xavier umbringen und wenn man mich dafür einsperren würde! Keiner sagte etwas so Gemeines zu Ryan und kam ungestraft davon.
Energisch trat ich um die Ecke des Flurs und sah Ryan und Xavier. Mein Bruder stand an die Wand gepresst und versuchte sich aus dem Griff seines Mitschülers zu befreien. In diesem Moment packte Xavier fester zu, riss an Ryans Arm und warf ihn zu Boden.
Wieso war noch kein Lehrer hierauf aufmerksam geworden? Wenn sie nicht auf die Schüler achteten, dann würde ich eben selbst dafür sorgen, dass Ryan nicht mehr von Xavier so behandelt wurde.
Als dieser sein Bein hob, um meinem Bruder in den Rücken zu treten, packte ich ihn von hinten und riss ihn weg. Überrascht hielt er still und wandte nur den Kopf um. Er sah zu mir herauf, woraufhin ich ihm einen finsteren Blick zuwarf. Ich war froh darüber, dass ich mehr als einen ganzen Kopf größer war als dieser Mistkerl - er war kleiner als 1,55m, dafür aber breiter. So konnte ich auf ihn herab schauen, nicht umgekehrt.
„Lass Ryan in Ruhe", brachte ich mit ruhiger, drohender Stimme hervor.
Am liebsten hätte ich ihn angeschrien oder noch besser: einfach geschlagen. Vermutlich würde das aber alles nur verschlimmern und diesen Kerl dazu bringen, Ryan noch mehr zu ärgern als sowieso schon.
„Sonst was?", fragte Xavier und hob trotzig das Kinn.
„Das willst du gar nicht wissen."
„Versuch mir nicht zu drohen, wenn du nicht einmal weißt, was du mir androhst", entgegnete er überheblich.
Bevor ich ihm genau erklären konnte, dass ich sehr wohl wusste, was ich ihm antun würde - wenn ich die Haie im Meer ein bisschen an ihm knabbern ließ, würde das bestimmt niemanden stören -, sagte Ryan:
„Fina? Was machst du hier?"
Xavier prustete los.
„Fina? Was ist das denn für ein dämlicher Name!"
Ließ ich mich gerade ernsthaft von einem Zwölfjährigen verspotten?
„Es ist kurz für Serafina, du Trottel", gab ich verärgert zurück.
Wütend funkelte er mich an. Einen Augenblick schien er nachzudenken - man weiß nie, ob solche Leute wirklich denken können.
„Muss der arme, kleine Ryan von seiner ach-so-starken Schwester beschützt werden? Ist er zu schwach, um selbst zu laufen?", stichelte Xavier.
Er provozierte es doch selber! Mein linkes Auge zuckte, aber ich hielt mich zurück. Noch.
„Bist du etwa so beschränkt, dass du nur das siehst, was du willst?", fragte ich zurück.
„Was ist? Willst du kämpfen, oder was? Wenn du mich herausforderst, wirst du das bereuen! Ich werde dich zu Grund und Boden -"
„Pff, ja klar. So ein Knirps wie du kann mich noch nicht einmal in die Knie zwingen", sagte ich trocken.
„Wir werden ja sehen, wenn ich -"
Ich unterbrach ihn ein weiteres Mal:
„Lass mich dir einen Rat geben: Du solltest deine Klappe nicht so weit aufreißen, wenn du deinen Prahlereien definitiv nicht gerecht werden kannst. Das wäre besser für dich, so wie auch für deine Mitmenschen."
Mit einem herablassenden Blick in seine Richtung drehte ich mich zu Ryan, der mich sprachlos ansah. Mittlerweile stand er zum Glück wieder auf den Beinen.
„Komm, Ryan. Wir haben Besseres zu tun, als uns mit so einem kleinlichen Schüler zu unterhalten."
Mein Bruder und ich wollten gerade den Flur zurück zum Eingang der Schule gehen, als Xavier wütend mit dem Fuß aufstampfte.
„Das wirst du bereuen, Ryan! Und wie du das wirst", fauchte er.
Ihn ignorierend lief ich hocherhobenen Hauptes weiter, Ryan neben mir. Als wir aus der Schule traten, stieß ich die angehaltene Luft aus und wollte einfach nur noch nach Hause. Diese Unterhaltung mit Xavier hatte mich einfach ausgelaugt.
„Du warst unglaublich, Fina!"
Mit leuchtenden Augen sah Ryan zu mir auf. Verlegen winkte ich ab und tat es als keine große Sache ab.
„Keine große Sache? Du hast es ihm richtig gezeigt!", sagte Ryan bewundernd.
„Wem gezeigt?"
Fragend kam uns Wesley entgegen. Er hatte tatsächlich die ganze Zeit gewartet!
„Xavier. Fina hat ihm richtig die Meinung gesagt und er hat einfach nur dumm drein geschaut", sagte mein Bruder stolz.
„Na ja. So viel hab ich jetzt auch nicht gemacht ..."
„Doch!"
„Ja, vielleicht", gab ich nach.
Wesley lachte und wuschelte Ryan durch die Haare.
„Du musst mir alles erzählen."
Ich seufzte laut, als Ryan auch schon begeistert begann. Wir verließen das Schulgelände und liefen schon die Straße entlang, als ich jemanden aus den Augenwinkeln wahrnahm. Ich wandte der Person das Gesicht zu und erkannte Akira.
„Geht schon mal vor, ich komme gleich nach."
Ryan schien mich nicht gehört zu haben, aber Wesley nickte. Später musste ich ihm erklären, dass ich Xavier definitiv nicht im Schwitzkasten gehalten hatte. Und auch nicht durch die Luft gewirbelt war, um einem seiner Angriffe zu entgehen. Außerdem hatte ich auch keinen Tarnmodus, womit ich mich erst an ihn herangeschlichen hatte.
Ich wartete, bis die beiden außer Hörweite waren und ging dann zu der wenig entfernt stehenden Akira. Ob es wohl Neuigkeiten wegen Dorian und Nero gab? Hatte man sie gefunden?
„Hallo, Akira", begrüßte ich sie. „Gibt's was Neues wegen Dorian und Nero?"
„Leider nein. Aber deswegen bin ich nicht hier."
„Weswegen dann?"
„Dachtest du ernsthaft, ich würde aufhören, dir Unterricht zu geben? Du musst wenigstens noch die Sprache der Fische beherrschen, jagen können, mitten im Ozean die Himmelsrichtungen bestimmen können, und so viel mehr", antwortete Akira.
„Das alles zu lernen, dauert doch ewig."
„Ewig nicht, aber deshalb machen wir auch heute weiter. Wir sehen uns um drei bei der Bucht", verabschiedete sie sich und ging.
„Ist das grad ernsthaft ...? Ich will doch nur nach Hause", seufzte ich.
Ich beeilte mich, Wesley und Ryan einzuholen, die ein ganzes Stück vor mir liefen. Als ich sie erreichte, war mein Bruder mit seiner Erzählung fast am Ende angelangt. Wenigstens war das gleich vorbei. Ich sah die ganze Zeit verlegen zu Boden, wenn Ryan sagte, wie „heldenhaft" ich doch war.
Heldenhaft hin oder her, Xavier würde nicht aufgeben. Heute war mein Bruder noch davon gekommen, aber der andere Zwölfjährige würde den heutigen Tag nicht vergessen. Er wollte Ryan schaden - vielleicht sogar schlimmer als zuvor - und das musste ich irgendwie verhindern.
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