2. Der Neue und sein neuer Fanclub

Ryan und ich gingen nebeneinander zur Schule. Ich war tief in Gedanken versunken und hörte ihm überhaupt nicht zu. Wer war dieser Hai? Was meinte er damit, dass mich nicht nur Meeresbewohner tot sehen wollten? Und wieso beschäftigte mich das so sehr? Es war schließlich nur ein Traum gewesen. Ein Traum, in dem meine Fantasie mit mir durchgegangen war.

„Fina?"

Ryan tippte mir an die Schulter und riss mich aus meinen Theorien.

„Was?"

Ich schaute meinen Bruder an.

„Du hörst mir schon wieder nicht zu!"

„Tut mir Leid. Ich war nur in Gedanken versunken", seufzte ich.
„Dann erzähl mal, was du zu erzählen hast."

„Du hast im Schlaf geredet."

„Was? Nein, hab ich nicht. Ich rede nicht im Schlaf."

„Doch, tust du", sagte Ryan mit großer Überzeugung.

Die Augen verdrehend wandte ich mich ab und sah geradeaus.

„Gut, dann hab ich halt im Schlaf gesprochen. Was habe ich denn gesagt?"

„Du hast gefragt Wer bist du? Und warum sagst du mir das alles? Mit wem hast du denn gesprochen?"

Einen kurzen Moment war ich sprachlos. Das konnte er nicht wissen. Ich sprach doch nicht im Schlaf!

„Vergiss es. Ist sowieso unwichtig", winkte ich ab.

„Ach, komm schon."

Ryan schaute mich aus großen, bettelnden Augen an.

„Nein", sagte ich schnell und beschleunigte meine Schritte.

Er versuchte mich einzuholen, aber ich lief nur schneller. Kurze Zeit später kam auch schon die Schule in Sicht.

„Jetzt warte doch", maulte Ryan und hielt mich am Arm fest.

Widerwillig blieb ich stehen.

„Was ist denn?"

„Könnte ich vielleicht in der Pause zu dir kommen?", fragte er.

Ich runzelte die Stirn. Sonst war er doch immer bei seinem besten Freund Marley. Die beiden waren unzertrennlich, denn Marley hielt zu Ryan, auch wenn er dadurch mitgeärgert wurde.

„Was ist mit Marley?", wollte ich wissen.

„Der ist krank."

„Na gut. Wir sehen uns", seufzte ich.

Mittlerweile waren wir im Schulgebäude angelangt. Hier trennten sich unsere Wege. Ryan ging zu seinem Klassenzimmer und ich zu meinem. Dort erwartete mich auch schon meine beste Freundin Lyra. Ihre blonden Haare waren hinten zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre blauen Augen leuchteten auf, als sie mich sah. Sie zerrte Wesley, der neben ihr stand, mit sich. Seine kurzen, blonden Haare sahen aus, als hätte er vergessen sie zu kämmen.

„Hallo, Fina!", begrüßte sie mich überschwänglich und zog mich in eine Umarmung.

„Äh, hi, Fina", sagte Wesley und hob seine Hand.

Seine braunen Augen sahen mich freundlich an. Ich strahlte die beiden an.

„Hallo, Leute."

Unsere Begrüßung wurde schlagartig unterbrochen, als die Schulklingel zur ersten Stunde leutete. Da hatten wir Geschichte. Kurz darauf kam die Lehrerin, Frau Müller, und schloss den Raum auf. Eilig setzte ich mich auf meinen Platz neben Lyra. Frau Müller begann den Unterricht und erzählte etwas über die 1960er Jahre. Ich hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, da meine Gedanken auf Reise waren. Wieso hatte ich diesen seltsamen Traum heute gehabt? Was hatte mein Unterbewusstsein mir damit sagen wollen? Dass ich zu viel Fantasie hatte vielleicht? Oder...

Es klopfte an die Tür. Frau Müller unterbrach sich und sagte knapp:

„Herein."

Herr Braun, der Schulleiter, kam herein, gefolgt von einem Jungen. Dieser hatte kurzes braunes Haar und tiefgrüne Augen, die jeden im Raum von oben bis unten musterten. Schließlich blieben sie an mir hängen. Herausfordernd erwiderte ich seinen Blick.

„Das ist Silvan Victory. Er ist neu und wird ab heute hier zur Schule gehen", stellte Herr Braun den Jungen vor.

Ein paar Mädchen kicherten. Genervt verdrehte ich die Augen. Das machten sie doch bei jedem Typen, der neu war und gut aussah. Einfach nur lächerlich.
Der Junge, Silvan, wandte seinen Blick ab und sah zu Herrn Braun. Dieser deutete auf den freien Platz neben Wesley und sagte:

„Setz dich doch dorthin, Silvan."

Stumm setzte der Junge sich hin. Frau Müller und Herr Braun wechselten noch ein paar Worte, dann verließ der Schulleiter unsere Klasse. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Wesley Silvan seine Hand hinhielt.

„Ich bin Wesley", stellte sich dieser vor.

Der Junge nickte nur, sagte aber nichts weiter. Kurz darauf setzte Frau Müller den Unterricht fort, als habe es keine Unterbrechung gegeben.

*

Endlich erklang die erlösende Schulklingel und kündigte den Anfang der ersten Pause an. Während die Ersten bereits den Klassenraum verließen, packte ich noch schnell meine Sachen ein. Lyra und Wesley warteten auf mich. Als wir den Raum verlassen wollten, hielt Frau Müller Wesley zurück.

„Wesley, könntest du dich bitte um Silvan kümmern und ihm die Schule zeigen?", bat sie.

„Äh, ja, mach ich."

Ich hatte nicht bemerkt, dass sich der Junge immer noch hier im Klassenraum befand. Eigentlich hätte ich gedacht, dass die anderen Mädchen ihn eingenommen hätten, so wie die geschaut hatten.
Wesley wartete auf Silvan und sie betraten nach uns den Flur. Sofort heftete sich eine Traube von Mädchen an die Fersen von Silvan. Er ignorierte sie, sosehr sie auch kicherten und flüsterten.
Lyra zog mich hinter sich her auf den Schulhof. Sie beugte sich zu mir und flüsterte verschwörerisch:

„Dieser Silvan ist echt heiß, findest du nicht?"

Ich zuckte die Schultern.

„Kann schon sein."

„Hast du gesehen, wie er dich angeschaut hat?"

„Wie denn?", fragte ich leicht genervt.

„Als wärst du-"

„Lyra, Serafina", sagte eine kühle Stimme.

Och nö. Auf die hatte ich gerade überhaupt keine Lust. Ich drehte mich um und sah in die kalten, blauen Augen Cléos. Neben ihr standen Ava und Leonie.
Jetzt hatte ich sie auch noch im Dreierpack. Das konnte heiter werden.

„Nur damit du es weißt: Er gehört mir. Also denk ja nicht, du könntest versuchen, ihn dir zu schnappen."

„Ich hatte auch nicht vor, ihn mir zu schnappen", brachte ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor.

Cléo lachte auf, ihre Freundinnen stimmten mit ein.

„So wie du ihn angesehen hast. Das hier ist nur eine Warnung."

Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und warf ihre blonden Haare über die Schulter. Ava und Leonie folgten ihr wie zwei Hunde ihrem Herrchen.
Meine Hände waren zu Fäusten geballt. Wie sich Cléo aufspielte. Als wäre sie die Königin oder so etwas.
Eine Hand legte sich beruhigend auf meine Schulter.

„Ignorier sie. Cléo ist einfach..."

Lyra suchte nach den passenden Worten. Ich half ihr auf die Sprünge.

„Arrogant? Eingebildet? Überheblich?"

Meine Freundin sah mich an.

„Ich hatte eigentlich schwierig sagen wollen, aber das trifft es auch."

Nach einem kurzen Schweigen fragte sie:

„Was, glaubst du, macht Wesley gerade?"

Lyra wirkte nachdenklich.

„An dich denken, schätze ich. So wie du an ihn", antwortete ich grinsend.

Ihre Wangen röteten sich leicht, trotzdem blitzen ihre Augen empört auf. Sie wollte es einfach nicht wahr haben. So ging das schon seit einem Jahr. Merkte sie denn nicht, wie Wesley sie ansah? Mit leuchtenden Augen als würde nach tagelangem Regen endlich die Sonne scheinen.
So sah Lyra Wesley auch an.
Nur wollten es die beiden nicht zugeben.

„Also ich muss doch wohl sehr bitten!"

Ich machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte. Es war Ryan.

„Da bist du ja."

„Hm-hm. Hallo Lyra", begrüßte er meine Freundin.

„Hallo Ryan!"

Die beiden verstanden sich zum Glück wunderbar. Sie hielt ihn nicht für verrückt.

„Wo ist der kleine Marley?", fragte Lyra.

Ich antwortete knapp:

„Krank."

„Weißt du, Lyra, ich hatte heute so einen seltsamen Traum...", fing Ryan an.

Warnend sah ich ihn an und gab ihm zu verstehen, dass er nicht weiter erzählen sollte. Ich vertraute Lyra, aber Ryan musste es schließlich nicht jedem berichten.
Er verstummte.

„Was hast du denn Seltsames geträumt, Ryan Schätzchen?"

„Ach, äh, nur dass ich fliegen konnte?"

Seine Antwort klang mehr wie eine Frage. Bevor Lyra nachhaken konnte, klingelte es zum Ende der Pause. Wir verabschiedeten uns von Ryan und liefen schnell zum Klassenraum, den wir pünktlich zur nächsten Stunde erreichten. Fast den ganzen Unterricht über starrte dieser Silvan mich an. Wie das nervte. Ich versuchte ihn so weit wie möglich zu ignorieren.

*

„Wir sehen uns morgen."

„Ja, bis dann", sagte ich.

Lyra umarmte mich zum Abschied und lief schnell zum Bus, der gleich losfahren würde. Sie verabschiedete sich noch schnell von Wesley und stieg dann ein.
Seufzend drehte er sich zu mir um.

„Gehen wir?"

„Ich muss noch auf Ryan warten. Er kommt sicher gleich."

„Dann bleibe ich auch noch", sagte Wesley und stellte sich neben mich.

Nach fünf Minuten kam Ryan schließlich aus dem Schulgebäude und wirkte, als würde er gleich anfangen zu weinen. Was war denn passiert?
Mit gesenktem Kopf blieb er vor mir stehen und bat mit leicht zitternder Stimme:

„Können wir bitte nach Hause gehen."

„Was ist denn passiert?", wollte Wesley wissen.

Ryan antwortete nicht, sondern lief schon los. Wir beeilten uns, ihn einzuholen, und gingen dann schweigend neben ihm.

„Willst du-"

„Nicht jetzt", unterbrach er mich.

An der nächsten Straßenbiegung verabschiedete ich mich von Wesley und ging dann schweigend mit Ryan nach Hause.

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