19. Ryan, der Beziehungsexperte
Ma übertrieb. Ich hatte noch ihre Worte von vorhin im Kopf, während ich aus dem Haus trat. Sie hatte mich an den Schultern gepackt und mir tief in die Augen geschaut.
„Halte dich von Rune fern. Halte dich von dem allen fern."
Es war schon fast so, als hätte sie versucht, mich zu hypnotisieren. Ryan hatte es mitbekommen und wollte wissen, wer Rune sei, aber Ma hatte nur abgewinkt.
„Das ist nicht wichtig", hatte sie gesagt. „Aber wenn ein Mann mit schwarzem Haar und grauen Augen versucht, mit Serafina zu reden, musst du mich sofort über dein Handy anrufen, verstanden?"
„Okay."
Nachdem sie mir noch einen ernsten Blick zugeworfen hatte, der vermutlich Wehe, du hältst dich nicht daran bedeutete, wurden wir raus gelassen.
Die Tür fiel hinter mir und Ryan ins Schloss. Nachdenklich ging ich die Treppe hinunter und wäre fast in jemanden hineingelaufen.
„Fina, da ist ja dein Freund", sagte mein Bruder erfreut und hüpfte neben mich.
„Er ist ein Freund, nicht mein Freund", erwiderte ich genervt.
Verlegen drehte ich mich zu Silvan um, der Ryans und mein kurzes Gespräch schmunzelnd verfolgt hatte.
„Hallo Silvan. Was machst du hier?"
„Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?", fragte er zurück.
„Äh, doch schon ... Ich meine nur ... Ich wollte nicht ..."
Verdammt! Wieso konnte ich nicht wie ein normaler Mensch reden? Wenigstens einen ganzen Satz bilden sollte ich...
Silvan lachte auf und klopfte mir auf die Schulter. Ryan grinste, bevor er anfing mit glänzenden Augen auf und ab zu hüpfen. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
„Ich wollte dich zur Schule begleiten", sagte Silvan.
„Äh, super!"
Ich schlug mir innerlich gegen die Stirn. Hätte ich nicht ein bisschen erfreuter klingen können? Es hatte sich bestimmt so angehört, als wäre ich überhaupt nicht begeistert darüber.
„Ich meine, ich freue mich wirklich", versuchte ich mich aus dieser Lage zu retten.
„Kommt ihr? Die Schule fängt gleich an."
Ich war noch nie so froh darüber gewesen, dass Ryan mein Gespräch mit anderen unterbrach. Als Dank würde ich ihm einfach später Kekse kaufen oder Ähnliches.
Silvan und ich beeilten uns, meinen Bruder einzuholen, der munter voran hüpfte. Hatte er einen Flummi verschluckt?
„Wo warst du gestern? Ich habe auf dich gewartet, aber du bist nicht gekommen", bemerkte Silvan.
Oh Gott, ich hatte das Eisessen mit ihm völlig vergessen. Ich hatte ihm nicht einmal Bescheid gesagt!
„Mist, es tut mir Leid. Ich hätte dich anrufen sollen. Meine Mutter hat auf einen Familienausflug bestanden und nicht geduldet, dass jemand zu Hause bleibt."
„Na wenn das so ist. Ich dachte schon, du hättest es mit Absicht gemacht."
„Nein! Ich wäre gekommen!", hielt ich dagegen.
„Gut. Wie wäre es dann stattdessen mit heute Nachmittag?"
Hatte ich schon was vor? Nicht das ich wüsste.
„Klar."
„Ich hole dich um 16 Uhr ab", sagte Silvan mit einem strahlenden Lächeln.
Auf halben Weg zur Schule blieb Ryan plötzlich ruckartig stehen. Mit zusammengekniffenen Augen drehte er sich zu Silvan um und starrte ihn an.
„Also gut, Silvan", begann er. „Wenn du meine Schwester wirklich heiraten willst, muss ich zuerst überprüfen, ob du der Richtige bist."
Bitte was?! Wie kam er denn jetzt auf eine Heirat? Was ging in seinem Kopf vor?
„Ryan, was für eine Heirat?", fragte ich verwirrt und etwas verärgert.
Vielleicht musste ich ihn bestechen, damit er damit aufhörte. Reichten drei große Kekspackungen?
Mein Bruder seufzte genervt, als müsse er mir etwas erklären, was sogar ein Kleinkind längst kapiert hätte.
„Wenn Silvan nicht dein fester Freund ist, dann ist er eben dein Verlobter, Fina", stellte er klar.
Perplex starrte ich ihn an. War das ein Traum? Könnte mich mal jemand schlagen?
„Nun zum Test, Silvan. Er wird sich ein bisschen hinziehen, aber fangen wir erst mal mit ein paar grundlegenden Fragen an. Bist du ein Alien?"
„Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich kein Alien bin", antwortete er schmunzelnd.
„Wie sicher?", hakte Ryan nach.
„So sicher, wie man sein kann."
„Okay. Dann zur nächsten Frage: Bist du ein Dämon oder irgendein Geschöpf der Dunkelheit? Hat Morgoth dich geschickt?"
„Erstens: Nein. Ich bin kein Geschöpf der Dunkelheit. Zweitens: Wer ist Morgoth? Ich glaube, ich habe den Namen schon einmal gehört, aber ich bin mir nicht sicher", überlegte Silvan.
Mein Bruder war schockiert.
„Du kennst Morgoth nicht?"
„Nicht jeder kennt Morgoth, Ryan. Die meisten kennen nur seinen Diener", warf ich ein.
„Worüber redet ihr?"
Silvan hatte tatsächlich keine Ahnung. Das war meinem Bruder dann doch recht, denn er legte begeistert los.
„Also Sauron kennst du doch, oder? Von Der Herr der Ringe."
„Ja, hab mal von ihm gehört", antwortete Silvan.
„Na gut. Dann hast du wohl nicht die Filme gesehen. Tja, dann muss ich dir eben alles erklären..."
In den zehn Minuten, die uns noch bis zur Schule fehlten, erzählte Ryan alles Mögliche über Mittelerde, was ihm in den Sinn kam. Dadurch vergaß er glücklicherweise seinen seltsamen Test wegen der (nicht existierenden) Hochzeit.
Als wir die Schule erreichten, hielt mein Bruder inne. Ihm schien etwas einzufallen.
„Der Test läuft noch", sagte er schnell.
Ich seufzte. Vielleicht würde es auch mehr als drei Kekspackungen brauchen.
„Wir sehen uns später, Fina."
Mit diesen Worten verschwand Ryan im Schulgebäude. Nach meinem Handy dauerte es noch knapp fünf Minuten, bis die Schulglocke läutete.
„Tut mir Leid, dass mein Bruder dich so zugelabert hat", wandte ich mich entschuldigend an Silvan.
Dieser winkte ab.
„Kein Problem. Es war sogar recht interessant."
„Gehen wir rein und suchen nach Lyra und Wesley?"
Fragend sah ich ihn an und verlagerte mein Gewicht auf das linke Bein.
„Klar, gehen wir", erwiderte er.
In dem Moment, in dem wir uns in Bewegung setzten, wurde ich zur Seite geschubst. Es waren Cléo, Ava und Leonie.
„Hi Silvan", säuselte Cléo und schlang ihren Arm um seinen.
„Hey, Cléo."
Silvan blieb gelassen und löste den Arm von ihr sorgfältig von seinem, ohne dabei genervt zu wirken.
„Hast du heute Nachmittag schon etwas vor?"
Cléo klimperte mit ihren Wimpern. Ich musste zugeben, sie sah ziemlich hübsch aus mit ihren welligen blonden Haaren und diesen himmelblauen Augen. Wenn Silvan sich heute Nachmittag lieber mit ihr treffen wollte, könnte ich das voll und ganz nachvollziehen, aber es würde mich trotzdem ärgern.
„Ja", erwiderte er, „ich treffe mich schon mit Serafina. Vielleicht ein anderes Mal, Cléo."
Könnten Blicke töten, wäre ich jetzt auf der Stelle umgefallen und gestorben. Drei Mal.
„Sicher?", hakte Ava nach. „Ich schmeiß heute nämlich eine Party mit allem drum und dran. Es wird fantastisch werden."
„Die Jungen und Mädchen aus der Parallelklasse sind auch eingeladen", fügte Leonie hinzu.
„Nein, danke. Ein andermal, wenn ich Zeit habe", sagte Silvan nachdrücklich.
„Na gut."
Ich starb drei weitere Blicktode, bevor die Mädchen davon rauschten.
„Du hättest ruhig Ja sagen können. Du musst dich nicht unbedingt mit mir treffen, wenn du nicht willst."
„Aber ich will."
Silvan sah mich durchdringend an und trat einen Schritt auf mich zu. Die Schulglocke klingelte in diesem Augenblick und zwang uns dazu, uns zu den Unterrichtsräumen zu begeben.
*
Ich hatte endlich die letzte Stunde hinter mir und trat aus dem Schulgebäude.
„Ich bin erledigt", sagte Lyra und setzte sich auf die Treppe, obwohl noch recht viele Schüler diese hinunterliefen.
Gut, dass die Treppe groß war.
„Ich glaube, Herr Gibbs wollte uns mit dieser Mathestunde quälen", überlegte Wesley und setzte sich neben sie.
„Er hasst uns."
Da war ich mir sicher. Dieser Lehrer hasste Kinder und mehr noch Jugendliche. Doppelte Hausaufgaben und viele Tests waren die Folge.
„Ich will jetzt echt nach Hause", sagte meine Freundin und legte den Kopf in den Nacken. „Blöd nur, dass mein Vater immer Ewigkeiten braucht, wenn er mich abholen soll."
„Wir warten mit dir, nicht wahr?"
„Klar", erwiderte ich und ließ mich auf der anderen Seite von Lyra nieder.
Ein paar Minuten vergingen, in denen wir nur über belangloses Zeug redeten, als plötzlich jemand rief:
„Serafina! Hier!"
Der Schulhof war mittlerweile fast völlig leer, sodass ich den Ursprung der Stimme schon bald ausmachen konnte.
Ein Mädchen mit knallgrünen, schulterlangen Haaren lief in meine Richtung, einen Jungen hinter sich her ziehend. Er hatte rotorangenes Haar und sah sich immer wieder neugierig um, als würde er seine Umgebung zum ersten Mal sehen.
„Kennst du die?", fragte mich Wesley und sah zu den Jugendlichen, die nur noch wenige Meter entfernt waren.
„Ich denke schon, aber ich weiß es nicht ganz sicher", erwiderte ich und wartete, bis die beiden uns erreicht hatten.
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