Twenty-two.
Stunden lang beobachte ich den kleinen Straßenabschnitt, der durch den halb offenen Vorhang zu sehen ist. Es werden immer weniger Autos, die mit einem Rauschen vorbei fahren, eine Staubwolke hinter sich her ziehen. Straßenlaternen gehen an und hüllen die Gegend in ein unangenehmes gelb stichiges Licht, welches auch den kleinen Raum erreicht.
Immer wieder sehe ich mir das Muster der Tapete an. Roter Kreis, grünes Viereck, blaues Dreieck. Grüner Kreis, blaues Viereck, rotes Dreieck. Doch meine Augen wollen nicht müde werden. Leise schnarcht Dean neben mir, in ruhigen Atemzügen hebt sich seine Brust und senkt sich wieder.
Ich lasse meinen Oberkörper aus dem Bett fallen, welches ein leises Quietschen von sich gibt. Besorgt wandert mein Blick rüber zu meinem Mann, dieser schläft jedoch seelenruhig weiter. Erleichtert hole ich den Karton unter dem Bett her und nehme mir den obersten Brief.
Mit dem wenigen Licht ist es anstrengend die unordentliche Schrift zu lesen, doch es geht. Vorsichtig streiche ich über das zerknitterte Papier, in der Hoffnung einige der vielen Knicke raus zu bekommen, doch bessern tut sich nichts.
April 1961
Geliebte Rosemary,
Es tut mir leid.
Es tut mir leid, dass ich dich damals im Stich gelassen habe und es tut mir leid, dass du nie einen meiner Briefe lesen wirst. Vermutlich denkst du ich hätte vergessen zu schreiben, aber das könnte ich nie. Es tut mir leid, dass ich niemals mein Versprechen einhalten kann und zurück zu dir kommen werde. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr kämpfe. Bitte verzeihe mir.
Ich bin erschöpft, Rose. Mir fehlt die Kraft mich weiterhin zu wehren und das alles hier schweigend zu ertragen. Ich wollte durchhalten, ich wollte kämpfen. Doch zu welchem Preis? Wenn nicht durch mich, werden sie wen anders finden, der ihnen Informationen gibt. Finden wird mich auch niemals jemand. Wenn nach vier Jahren nicht, dann niemals. Töten werden sie mich auch so oder so. Wenn sie wissen was sie wollen, dann werde ich sterben und wenn ich es ihnen nicht sage, auch. Also wozu noch weiter kämpfen, noch weiter leiden, wenn das Ende das selbe sein wird?
Der Tot ist unausweichlich und dass diese Monster kriegen was sie wollen, auch. Also wieso soll ich derjenige sein, der darunter leidet?
Mittlerweile habe ich genug für mein Land gegeben, Rose. Es tut mir leid. Ich habe getan, was von mir verlangt wurde. Ich habe entgegen all meiner Moralvorstellungen gehandelt, ich habe meinen Kopf für unser Land hingehalten, aber jetzt will ich nicht mehr. Ich kann nicht mehr.
Sollen sie mich als Landesverräter hier verwesen lassen. Ich gebe auf. All diese Schmerzen, all dieses Leid, ich kann es nicht mehr ertragen. Bei meinem nächsten Verhör werde ich reden, ich werde ihnen alles sagen was sie wissen wollen. Verdammt ich werde singen wie ein Vogel, wenn dafür all das hier endet. Vielleicht werden wir uns da oben wieder sehen, sollte ich es in den Himmel schaffen. Allerdings denke ich nicht, dass ich es verdient habe.
Ich habe Menschen getötet. Väter, Brüder, Söhne, alle habe ich erbarmungslos abgeschlachtet und auch heute bereue ich es noch nicht. Ozeane voller Blut kleben an meinen Händen, doch wasche ich sie in Unschuld. Verschmutze das heilige Wasser Gottes mit meinen Sünden, die doch keine sind.
Ich bin froh das ich es getan habe. Hätte ich es nicht getan, wäre ich tot und sie wären durch das Gewehr einer meiner Kameraden gefallen. Denn im Endeffekt sollte es von Anfang an keine Überlebenden in diesem Krieg geben. Weder Vietnamesen noch Amerikaner. Wir alle waren zum Tode verurteilt, noch bevor wir diese Uniform angezogen haben. Deshalb bin ich froh es getan zu haben.
Es tut mir leid Rose. Du wirst entsetzt sein, solltest du das hier jemals lesen. Du wirst enttäuscht und wütend sein, ich weiß. Aber ich möchte ehrlich zu dir sein. Es mag sein, dass aus mir ein Monster wurde. Mag sein, dass ich nicht mehr der bin, der ich einmal war und dass du nicht verstehst wie jemand so denken kann wie ich. Und glaube mir meine Geliebte, ich hätte vor fünf Jahren ebenso reagiert wie du jetzt, aber Dinge ändern sich und Menschen ändern sich auch.
Und ich habe mich geändert. Oh wie anders ich doch bin. Würde ich doch mein eigenes Spiegelbild nicht erkennen, könnte ich es sehen. Würde meiner Stimme nicht trauen, würde ich sie hören. Würde meiner eigenen Gestalt misstrauen, träfe ich sie.
Ich war immer so naiv. Hier habe ich gelernt, was es wirklich bedeutet zu leben. Was es bedeutet, für sein Land einzutreten und was es bedeutet, für die Liebe zu kämpfen.
Wie habe ich doch gekämpft. Wie viele Jahre habe ich gekämpft? Allein für dich habe ich es getan, doch es ist sinnlos gewesen. Es schmerzt es zuzugeben, aber der Kampf um dich, um uns, war sinnlos. Denn am Ende sterben wir alle, am Ende werde ich sowieso niemals zurück kehren und wenn, wirst du mich nicht mehr wollen. Sagte jemand doch einmal, man kann nur geliebt werden, wenn man sich zuerst selber liebt. Doch wie soll ich das tun? Ich stehe zu dem wer ich jetzt bin und doch verabscheue ich mich. Ich verabscheue mich dafür, dass ich akzeptiere zu was ich geworden bin.
Du hast vermutlich sowieso bereits weiter gemacht. Du hast einen erfolgreichen Mann gefunden und geheiratet, jemand der kein Monster ist. Er bietet dir ein wunderschönes Haus und ist ein wundervoller Vater. Du hast so jemanden verdient, ja das hast du. Aber, du wirst es vermutlich nicht hören wollen, er hat dich nicht verdient. Niemand hat das, auch ich nicht. Niemals wird es jemanden geben können, der nur im entferntesten an deine Perfektion heran kommt. Niemals wird es jemanden geben können, der gut genug für dich ist. Aber weißt du was?
Ich habe nie so getan, als wäre ich es. Ich habe Tag für Tag an mir gearbeitet, versucht gut zu sein, für dich. Und dein neuer Mann, ja er denkt er wäre toll, er denkt er wäre gut genug. Er kämpft nicht um dich, da er denkt dich bereits gewonnen zu haben.
Es tut mir leid, Rosemary. Ich rede Irrsinn, du verstehst vermutlich nur die Hälfte meiner Gedanken, aber das tue ich ebenso wenig. Seit einiger Zeit höre ich die Worte in meinem Kopf nur noch dumpf. Sie sind durcheinander und unsinnig. Ist es das, was man als verrückt bezeichnet? Wenn man sich selbst nicht mehr versteht? Nicht mehr weiß, wer man ist und was man denkt?
Es tut mir leid, dass ich zu schwach bin, es tut mir leid, dass ich mich und uns aufgegeben habe.
Es tut mir leid, dass ich nie gut genug für dich war und es nie sein werde. Es tut mir leid, dass du wegen mir so leiden musst. Es tut mir leid, was aus mir geworden ist, da ich weiß, dass es dir nicht gefallen würde und es tut mir leid, dass ich nichts von dem was ich getan habe, rückgängig machen würde. Es tut mir leid für dich, dass ich nicht mehr der bin, den du heiraten wolltest.
Es tut mir leid, dir diesen Briefen schreiben zu müssen. Es tut mir leid ehrlich zu sein. Ehrlicher als in den vorigen tausenden Zeilen.
Es tut mir leid, dass wir nun noch einmal Abschied nehmen müssen. Ich weiß wie sehr du es hasst.
Aber eins verspreche ich dir. Es wird das letzte Mal sein, dass ich dir lebewohl sagen werden.
Lebe wohl,
Harold Edward Styles.
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