Twenty-seven.
Der darauffolgende Morgen ist ziemlich normal, für eine solch aufregende Nacht. Erst, als die ersten Sonnenstrahlen die Wolkendecke durchbrochen habe, konnte ich einschlafen.
Die Ereignisse von vor einigen Stunden hängen mir noch immer in den Knochen. Auch mein obligatorischer Kaffee zum, eher mageren, Frühstück hat seine Wirkung verfehlt.
Während Harry zur Arbeit ist, bringe ich seine Wohnung auf Vordermann. Eine dicke Staubschicht hat sich bereits auf den Regalen abgelegt, sowie ich mehr als nur einmal meinen ganzen Mut sammeln muss, um eine Spinne zu töten. Einmal verfehle ich eine mit meinem Hausschuh, woraufhin sie über diesen auf meine Hand krabbelt.
Ein kurzes Kreischen kann ich nicht unterdrücken, bevor ich meine Lippen aufeinander presse und sie wild herum wedelnd abschüttel, um das Tier dann mit meinem Schlappen erneut abzuwerfen. Vor Ekel schüttel ich mich einmal, das unangenehme Gefühl ihre kleinen Beine auf meiner Haut noch zu spüren, vergeht leider nicht. Auch als ich das Mittagessen vorbereite könnte ich schwören, dass das schwarze Ungeheuer meinen Nacken auf und ab wandert, unter mein Shirt kriecht und mir über das Gesicht tanzt. Nicht selten schlage ich auf die betroffene Stelle, die Erwartung Überreste an meiner Hand zu finden wird kein Mal erfüllt.
Auf die Pfanne, in der das bunte Gemüse Mischmasch vor sich hin brutzelt, lege ich einen Deckel und gehe dann ins kleine Bad. Auf dem Boden befinden sich noch kleine Bluttropfen von heute Nacht, welche ich schnell mit einem Handtuch wegwische und dieses zur Wäsche lege.
Die Tür kann man auf Grund des kaputten Rahmes nicht mehr vollständig schließen, weshalb es reichen muss, dass ich sie anlehne und den Wäschekorb davor schiebe. Ich fühle mich seltsam beobachtet, als ich mich entkleide und die Dusche anschalte. Es dauert um einiges länger als Daheim, bis das Wasser auf meiner Hand eine angenehme Wärme erreicht hat.
Die Augen schließend und erleichternd ausatmend genieße ich das heiße Nass auf meiner kalten Haut. Meine Haare streiche ich mir in einem nach hinten über den Kopf, lege diesen dann in den Nacken und lasse die Tropfen auf mein Gesicht prasseln. Im Gegensatz zur Dusche im Hotel oder unserem alten zu Hause, ist dies hier jedoch nicht wirklich angenehm, weshalb ich mich schnell wieder normal hinstelle. Der Strahl ist nur dünn, aber dafür um einiges kräftiger, als ich es gewohnt bin.
Bereits nach wenigen Minuten wird es kühler. Rasch wasche ich meine Haare und meinen Körper, um mich dann möglichst schnell in eines der großen Handtücher zu wickeln. Zu meiner Enttäuschung ist der braune Stoff rau und kratzig, nach dem Abtrocknen ist meine Haut trocken und kleine weiße Reste übersäen sie. Ordentlich falte ich das Handtuch und lege es über den Rand der Badewanne, suche nun nach irgendeiner Art Creme. Fündig werde ich erst nach dem Öffnen aller Regale. Hinter ein paar wenigen Männerpflegeprodukten, genau genommen einem fast leeren Deo und einem Aftershave, steht eine kleine rote Dose.
Erleichtert creme ich die gereizten Stellen sparsam ein, schließlich möchte ich nicht Harrys Sachen aufbrauchen, und stelle alles an seinen Platz zurück. Ein Fenster zum Lüften gibt es nicht, weshalb ich die Tür möglichst weit öffne und in den restlichen Zimmer frische Luft rein lasse. Der Durchzug sollte reichen, um die Feuchtigkeit aus dem kleinen Raum zu holen.
Im Schlafzimmer kleide ich mich zügig an, die Kälte von Draußen lässt mich frösteln. Unsicher wie ich jetzt meine verbleibende Zeit alleine verbringen soll, sehe ich mich um. Mein Blick fällt auf die kleine Box, die auf meiner Tasche liegt.
Der Grund wieso ich mich überhaupt auf Harry und all das hier eingelassen habe. Mit dem Karton auf dem Schoss lasse ich mich auf der Matratze nieder. Ziehe den vordersten Brief heraus. Wieder einmal bin ich glücklich, dass ich alles einmal so sorgfältig sortiert habe, auch wenn es mich in dem Moment genervt hat, ist es schon oft sehr praktisch gewesen.
Ich erinnere mich an das Letzte was ich gelesen habe. Wie Harry sich unendliche Male entschuldigt hatte, wie er erzählt hatte er wolle aufgeben. Er selbst ist der lebende Beweis, dass er durch gehalten hat und doch habe ich Angst vor den nächsten Zeilen.
August 1961
Geliebte Rosemary,
ich bin zu schwach gewesen.
Ich war so überzeugt, ich würde es schaffen, ich könnte mein Land verraten und dem Elend ein Ende geben, doch ich bin eingeknickt. Ich habe mich selbst hängen gelassen.
Ich weiß, dich freut es. Ich lebe noch. Doch wirst du nicht verstehen, dass für mich eine Erlösung von dieser Hölle, das Beste wäre. Andere würden es vielleicht Stärke nennen. Wie ich noch immer hier sitze, noch immer dir schreibe, meiner Heimat den Rücken stärke, doch ich bin schwach. Tot bin ich nur noch nicht, weil diese Männer es nicht so wollen. Ich bin deren kleine Marionette. Eine schwache, erbärmliche Puppe, mit der sie ihr böses Spiel spielen können, wie es ihnen beliebt.
Schon viel zu lange wehre ich mich nicht mehr. Ich habe aufgegeben, Rose. Die Kraft zu kämpfen ist vergangen, die Hoffnung erloschen. Ich lasse alles über mich ergehen, weil ich zu schwach bin es zu beenden. Ich kann es nicht. Ich habe es versucht, doch ein weiteres Mal gekniffen.
Als ich vor Wochen auf diesem Stuhl saß, fest entschlossen zu sagen, was ich weiß und was nicht, übermannte mich die Angst. Angst vor dem Ende, vor dem was danach kommen würde. Ich habe nicht darüber nachgedacht, was aus Amerika werden würde. Nein. Ich habe nicht einmal dran gedacht, was dir passieren könnte. Ich war egoistisch und habe an mich gedacht. Wo ich landen würde, nachdem sie mich hingerichtet hätten.
Die Vorstellung von einer Hölle, die noch grausamer als all das hier sein könnte, haben meine Adern gefrieren lassen. Ich war wie gelähmt, habe mich nicht getraut zu reden. Ich werde nicht in den Himmel kommen, das weiß ich. Doch für eine Unendlichkeit im Fegefeuer zu schmoren - nein, dafür bin ich noch nicht bereit.
Auch wenn mir mein gesunder Menschenverstand sagt, dass ich hier niemals rauskommen werde, möchte ein kleiner Teil von mir das nicht wahr haben. Er scheint sich an die Vorstellung von Freiheit und Gesundheit zu klammern, so fest, dass ich nicht los lassen kann. Anscheinend stimmt es doch, dass die Hoffnung zu letzt stirbt.
Immer öfters lasse ich die Gedanken an Zuhause wieder zu. Ich wollte alles verdrängen, mich nicht erinnern an die Zeiten, in denen es mir gut ging. Es schmerzte so sehr, zu wissen all das nicht wieder zu bekommen. Doch auch wenn es mir mein Herz zerreißt, stärkt es mich. Ich weiß, dass du noch auf mich wartest. Dass Mutter und Gemma mich nicht vergessen haben, ihren Bruder und Sohn brauchen, nachdem was Vater zugestoßen ist. Ich weiß, dass ich Daheim gebraucht werde. Nun vollständig zu gehen, wäre eine Schande. Nicht nur für mein Vaterland, sondern auch für meine Familie und für Dich.
Jetzt, wo ich all diese Zeilen vor mir sehe, darüber nachdenke, bin ich mir nicht mehr sicher was nun Stärke und was Schwäche ist. Bin ich stark, wenn ich an Rettung glaube und die Torturen über mich ergehen lasse? Bin ich stark, wenn ich meine Angst überwinde und allem ein Ende zu setzen?
Meine Geliebte, hilf mir. Mein Kopf dreht sich, meine Gedanken sind wirr.
Ach, wie sehr wünschte ich mir doch nur eine Antwort von dir. Nur einen Brief. Einen einzelnen, das ist alles was ich möchte. Ich brauche deinen Rat, denk ich doch nicht mehr vollkommen klar.
In Gedanken stell ich mir vor, wie du vor mir stehst. Dich lachend im Kreise drehst, dein Kleidchen im Wind schwingt. Wie deine rote Lippen deine strahlenden Zähne entblößen, als du auf mich zugehst. Deine zarten Hände, legst du auf meine Wangen. Hältst mich. Sagst mir, alles werde gut, du wärst ja da.
Bitte halte mich. Sei da, Rosemary, brauch ich dich doch so sehr.
Lass meine Träume Realität werden, meine Hirngespinste Handlungen. Gib mir die Kraft, die ich verloren habe zurück.
In Liebe,
Harry.
Ich schlucke, sehe noch einmal auf das Datum. 1961. Alles was er gewollt hatte, war meine Unterstützung. Der Glaube daran, dass ich auf ihn warte, für ihn da wäre, hat ihn stark gemacht und doch habe ich meine Zeit mit Dean verbracht. Meine Kehle schnürt sich zu, als ich daran denke, dass ich vermutlich gerade mit Samuel und Joanne gespielt habe, mit den Kindern eines anderen Mannes, als er mühevoll diese Zeilen niedergeschrieben hat.
Wie sehr ich ihn hintergangen habe wird mir erst jetzt wirklich klar. Ich fange an zu verstehen, wie sehr ich ihn verletzt haben muss. Jahre lang hat er all seine Hoffnung aus unserer Beziehung geschöpft und ich habe sie mit Füßen getreten.
Das schlechte Gewissen legt sich wie ein Stein auf meine Brust. Schnell falte ich das Blatt in meinen Händen, um es zurück in die Schachtel zu stecken. Das laute Knallen der Wohnungstür lässt mich zusammen zucken. Eilig räume ich alles zurück, verstecke den Karton unterm Bett.
Es war leichtsinnig ist gestern so offen stehen gelassen zu haben. Ich weiß nicht genau wieso, aber etwas veranlasst mich dazu, diese Briefe vor jedem zu verheimlichen. Vielleicht aus Angst vor deren Reaktion. Ich möchte nicht, dass Harry sie vielleicht zerreißt, weil er sich nicht erinnern möchte oder nicht will, dass ich sie nun doch lese. Er erzählt von den dunkelsten Tagen in seinem leben, seinen - ihm nach - schwächsten Momenten, ich würde es verstehen, wenn er nicht wollte, dass ich davon erfahre und doch möchte ich mir diese Gelegenheit nicht nehmen lassen.
Es gibt so viele offene Fragen, so vieles was ich wissen möchte und was mir diese Briefe beantworten können. Im Türrahmen erscheint Harry, das Gesicht und die Hände schwarz vom Öl, ebenso seine Kleidung. Erschöpft lässt er sich neben mich aufs Bett fallen, stößt geräuschvoll Luft aus.
Im Augenwinkel sehe ich noch eine kleine Ecke des Kartons unter dem Bettgestell heraus luken, versuche ihn unbemerkt mit dem Fuß, weiter darunter zu schieben.
"Du brauchst die Briefe nicht verstecken, ich weiß dass du sie bekommen hast." Der Brünette setzt sich wieder auf, wie so oft liegt eine Falte zwischen seinen Brauen. Seine Unterlippe klemmt er zwischen seinen Zähnen ein, seine grünen Augen scheinen jeden meiner nervösen Gesichtszüge zu mustern, bevor er nach der Kiste greift.
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