Twenty-nine.

Mein Gegenüber legt sein Abendbrot auf dem Tresen ab, bevor er mich endlich beachtet.

Sein scharfer Kiefer ist angespannt und seine Augenbrauen wütend zusammen gezogen. Mit beiden Händen stützt er sich auf der Arbeitsplatte ab, bevor er kopfschüttelnd in Richtung Tür geht. 
Ich komme ihm zuvor und versperre ihm den Weg. Meine Arme stemme ich in die Hüften während ich zu ihm auf Blicke.

Was ist bloß aus ihm geworden?

"Du bleibst hier! Du haust nicht schon wieder ab, nur um dich in der nächst besten Bar zu betrinken oder dich irgendwo rumzuschlagen!"

Harry bricht sein Schweigen nicht. Stattdessen greift er an mir vorbei zur Klinke und öffnet die Tür einen Spalt, bis mein Körper es ihm nicht weiter ermöglicht. Diesmal lasse ich ihn nicht einfach gehen. Diesmal werden wir das alles klären.

Ich habe garantiert nicht alles aufgegeben was ich hatte um alleine in einer schäbigen Wohnung zu hocken, während dieser Mann sich wie ein Feigling verkriecht.

Unsere Augen treffen sich und kurz, nur für einen kleinen Augenblick, habe ich das Gefühl Hilflosigkeit in dem Grün zu erkennen. Seine Hand umfasst weiterhin das Metall der Klinke, sein Blick ist durchdringend, als könnte er durch meine Augen direkt meine Gedanken lesen. 

Einige Momente halte ich die Stille, bis ich sie wieder durchbreche, da Harry noch immer keine Anstalten macht zu sprechen.

"Hör zu. Ich habe meine Familie verlassen. Ich habe mit angesehen wie mein Mann, wie Dean mitten auf der Straße zusammenbricht. Wegen mir. Ich habe meine Kinder ohne eine Mutter gelassen. Ich habe alles aufgegeben und das für dich. Ich bin jetzt hier. Bei dir. Das ist doch das was du wolltest oder?" Tief atme ich durch, versuche so mich und meine lauter werdende Stimme wieder runter zu bringen. Ihn anzuschreien würde jetzt keinen Sinn machen. Ich will das hier mit ihm klären, nicht ihn wütender machen.
"Ist es so viel erwartet, dass du mit mir sprichst? Harold, ich will mit dir zusammen sein, verstehst du das nicht? Aber dafür musst du bei mir sein. Du kannst nicht einfach abhauen wie es dir beliebt, du kannst nicht saufen und dich schlagen. Du wolltest mich, jetzt hast du mich. Und jetzt benimm dich gefälligst auch so. Zeig mir, dass ich keine falsche Entscheidung getroffen habe. Dass das alles nicht umsonst war. Beweis mir, dass du immer noch der sein kannst, in den ich mich verliebt habe."

Schweigen. Sekunden, Minuten, unendliche Momente lang. 

"Du erwartest viel."

Seine Zunge befeuchtet seine Lippen während Harry sich durch die Locken fährt. Bei einem schweren Atemzug hebt sich seine Brust stark, bevor er die angestaute Luft geräuschvoll wieder ausstößt.

"Aber du hast Recht. Teilweise jedenfalls. Es ist falsch von mir gewesen, dich hier allein zu lassen, nachdem was du für mich getan hast. Ich habe dich falsch behandelt. Du bist so viel besseres wert und ich verspreche dir, ich werde versuchen mich zu bessern. Jedoch: bleib realistisch, Rosemary. Ich bin nicht der von damals und genauso wenig bist du es. Wir sind älter geworden und haben uns verändert. So ist das nun einmal im Leben. Trotzdem liebe ich dich noch immer und wenn du mich nicht so akzeptieren kannst wie ich jetzt bin, mich nicht so lieben kannst, dann war wohl alles für den Müll. Denn das bin ich. 
Ich weiß wie du über mich denkst.

Ich weiß, dass du denkst, das wäre alles nur eine Fassade. Ich hätte eine Mauer oder so einen Bullshit aufgebaut. Du denkst, du könntest mich retten." Demonstrativ zeichnet er Gänsefüßchen in die Luft um seine Aussage zu unterstreichen. "Aber sei dir im klaren darüber, dass du das nicht kannst. Es gibt nichts zu retten, es gibt keine Mauern einzureißen. Ich kenne diese Gespräche, Rose. Ich hatte bereits einige davon und alle verliefen sie ins Leere. Es tut mir leid wenn ich hiermit deine Seifenblase zerplatzen lasse, aber ich bin es. Ich bin der Mann der gerade vor dir steht, der den du die letzten Wochen kennengelernt hast. Da ist nichts anderes mehr, da ist kein altes Ich was du zurückholen kannst. Ich bin erwachsen geworden und so bist du es auch. Das wars."

Endlich die Tür schließend und sich einen Schritt von mir entfernend, beendet er seinen Monolog. Das gerade Gehörte verarbeitend lehne ich mich an das Holz hinter mir. 

Schweren Herzens bringe ich ein leichtes Nicken über mich. Akzeptieren tue ich seine Worte trotzdem nicht und meine Seifenblase voller Hoffnung lasse ich auch noch nicht zerplatzen. 

Vielleicht weiß er einfach nicht, was noch so alles in ihm steckt.
Ich glaube fest daran, dass sein altes Ich nicht einfach verschwunden sein kann und auch nicht, dass er einfach nur erwachsen geworden ist.

Schon lange ist mir klar, dass Harry durch die Hölle gegangen sein muss und sie ihre Spuren hinterlassen hat. Kein Mensch erlebt so etwas und kommt unverändert wieder. Doch ich habe in der letzten Zeit viel gelesen. Bücher und Zeitschriften über Kriegsveteranen und was mit ihnen und ihrer Psyche passiert. 

Sein ganzes Verhalten, die Wutausbrüche, die Alpträume, das Ausweichen vor Konflikten, die emotionale Kälte, all das sind Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung. In sehr vielen Artikel war davon die Rede und ich bin mir beinahe sicher, dass Harry darunter leidet.

Und auch wenn es sich dumm anhört, genau das gibt mir Hoffnung. Denn es gibt Spezialisten, es gibt Menschen die ihm helfen können. Es ist behandelbar, zunindest sind es die Symptome. Es ist möglich den echten Harold zurück zu holen und mir meinen Mann wieder zu bringen, den ich vor zehn Jahren verloren habe.

Der Brünette steht mittlerweile wieder in der offenen Küche und beißt in sein Brot hinein. Ein kleines Lächeln umspielt meine roten Lippen, als ich auf ihn zu gehe und ihn von hinten umarme.

Es ist kein leichtes Los das wir gezogen haben, aber ich habe genügend Hoffnung und Willen für uns beide, um all das zu bewältigen.

Sein Körper strahlt eine ungeheure Wärme auf mich aus. Am liebsten würde ich ihn auf ewig in meinen Armen halten.
Ihn nie mehr los lassen. Ihn nie mehr gehen lassen. Er soll mein sein, auf ewig und für immer. 

Ich will der zweifelnden Seite in mir zeigen, dass ich richtig gehandelt habe. Ich will mir selbst beweisen, dass ich mich nicht geirrt habe. Dass ich mit ihm so viel glücklicher sein kann als mit Dean.

Nicht, dass ich niemals glücklich mit meinem noch-Ehemann war. Nein, das wäre eine Lüge. Wir waren ein tolles Paar und ich habe ihn geliebt, ein Teil von mir tut es noch immer. Doch es ist nicht das Selbe wie mit Harry. Mit Dean war jeder Tag schön, aber ebenso war jeder Tag gleich und langweilig. Unsere Ehe ist zum Alltag geworden, sowie unsere Liebe. Wir waren Durchschnitt.
Mit Harry jedoch.. Mit ihm ist schon damals jede Stunde ein Erlebnis gewesen. Jeder Moment hat sich neu angefühlt. Es war alles ein Abenteuer. Er ist ein Abenteuer.

Und ich denke, dass es genau das ist was ihn so anziehend für mich macht. In allem was er tut, in allem was er sagt und denkt, ist etwas anders als bei dem Durchschnitt. Ich vermag nicht zu sagen was, aber so ist es schon immer gewesen und wird es immer sein. 
Harry ist nicht wie jeder Mann und nicht jeder Mann will sein wie Harry. Aber ich will ihn so haben. So, wie in meinen Erinnerungen. So besonders und so einzigartig wie kein anderer.
So liebevoll und doch schroff. So groß und doch zerbrechlich. So intelligent und doch ein Idiot. So attraktiv und doch nicht perfekt.

Tief atme ich seinen Duft ein, fahre mit meinen Fingern über die nackte Haut an seinen Armen.
Die kleinen Härchen darauf stellen sich auf, Gänsehaut begleitet mich auf dem Weg weiter nach oben. Von den verspannten Schultern wandere ich zum Nacken, welchen ich kurz und zaghaft massiere bevor ich meine flachen Händen über seinen breiten Rücken fahren lassen. Zufrieden beobachte ich wie er meine Berührungen genießt und sich auf der Theke abstützt, woraufhin sich der graue Stoff über seinem Oberkörper spannt.
Wie von alleine laufen meine Finger tiefer, streichen über seine Hüfte und weiter nach vorne. Ich streiche über seine Oberschenkel bis kurz vor seine Leiste, bevor ich mich von ihm löse. 

Mit einem Grinsen auf dem Gesicht, welches ich mir nicht verkneifen kann, wende ich mich von dem Brünetten ab und werfe einen Blick in den beinahe leeren Kühlschrank. 

Wie erwartet spüre ich nur wenige Sekunden später seine Präsenz hinter mir, entscheide mich jedoch dies augenscheinlich zu ignorieren und konzentriere mich auf die Lebensmittel vor mir, auch wenn ich eigentlich gar keinen Hunger verspüre.

"Gott, deine Kurven machen mich verrückt."

Große Hände legen sich auf meine Hüften, sein Becken drückt gegen meinen Po, wodurch ich deutlich seine Erregung spüren kann. Doch weiterhin gebe ich mich unnahbar, blicke in einige Tupperdosen, bis die Metalltür vor meiner Nase geschlossen wird. Mit überraschend viel Kraft drückt mich der Mann hinter mir dagegen. Überrascht keuche ich auf, lasse es jedoch zu wie sich sein Körper an meinen lehnt, seine Lippen über meinen Hals streichen, bis sie vor meinem Ohr ruhen.

"Du willst also einen auf feine Dame spielen?" Quälend langsam streichen Hände meine Oberschenkel rauf. "Mal sehen wie lange du das noch aushältst. Wir wissen doch beide, dass du alles andere als das bist." 

Mit einem geschickten Griff hat er meine Hände in einer seiner und hält diese über meinen Kopf. Mit der anderen fährt er unter den Rock meines Kleides. Genüsslich schließe ich meine Augen, genieße seine Wärme auf meinem Po. 

"Dreh dich." Harrys Stimme ist tiefer und rauer als sonst, was es mir nicht gerade erleichtert auf unbeeindruckt zu tun und doch bleibe ich stark und gehe nicht auf sein Kommando ein. 
Etwas gröber als ich es aus meinen Ehejahren gewohnt bin packt er meine Hüften und dreht mich mit dem Rücken zum Kühlschrank. Meine Handgelenke lässt er weiterhin nicht los, als er auf meinem Hals kleine Küsse verteilt. 

Finger wandern über meinen ganzen Körper, massieren und hinterlassen eine heiße Spur auf meiner Haut. Um nicht aufzustöhnen beiße ich mir auf die Lippe, was mein Geliebter mit einem Grinsen quittiert und seine Spiele weiter treibt.

"Weißt du eigentlich wie gerne ich dich packen würde und gleich hier in der Küche vögeln will? Wie gerne ich mich zwischen deinen vollen Beinen vergraben will? Verdammt Rose, ich will dich." Keuchend küsst er mein Dekolté herunter, befreit meine Hände aus seinem festen Griff um mir mein Kleid ausziehen zu können.

Das Quietschen der Wohnungstür und eine bekannte Stimme reißen uns aus unserer eigenen kleinen Welt und zurück in die Wirklichkeit.

"Rosemary?"

Na wer das wohl sein mag?

Was glaubt ihr? Ist bei Harry noch was zu retten oder ist die Hoffnung schon verloren?









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