Twenty.
"Was war das eigentlich mit Bobby vorhin? Ich hab ihn noch nie so aufgebracht dir gegenüber gesehen." Kurz blicke ich von Joannes Haaren zwischen meinen Händen auf zu Dean, bevor ich mich weiter damit befasse die einzelnen Strähnen zu flechten. "Du weißt doch, er hat ein Alkoholproblem und vermutlich hat er einfach nur zu tief ins Glas geschaut. Außerdem.. naja wir hatten heute morgen einen Streit wegen uns. Aber mach dir nichts draus Rose, Bobby ist nun mal kein einfacher Menschen." "Einen Streit? Wieso?" Geräuschvoll stößt er die Luft aus, fährt sich durch die Haare.
"Er ist unzufrieden mit - eigentlich mit allem. Er hat sich beschwert, dass ich dich geheiratet habe. Aber auch nur weil er sein Leben lang alleine gewesen ist, heißt es doch nicht, dass ich genauso enden muss oder? Außerdem meinte er noch an meiner Jobwahl rum meckern zu müssen. Er hat sich immer gewünscht, dass ich später seine Werkstatt übernehme und ich mein, du weißt ja, das war früher auch mein Plan aber nach Sam.. Ich bin glücklich als Anwalt und das werde ich mir auch nicht von ihm kaputt machen lassen." Ein rosa Haargummi lasse ich sich um die blonden Haarspitzen wickeln, drehe mich dann zu meinem Ehemann um und ergreife sanft seine Hände.
"Du hast die richtigen Entscheidungen getroffen Dean. Ich weiß er ist sowas wie dein Vater, aber lass es dir nicht von ihm kaputt machen, auch Väter liegen manchmal falsch. Und wo wir gerade von Vätern reden, meine Eltern würden gerne mal wieder ihre Enkelkinder sehen."
"Wäre vielleicht keine schlechte Idee mal etwas Kinder frei zu haben, nicht wahr? Lass uns nächstes Wochenende hin fahren, ja?"
"Obwohl ganz Kinder frei werden wir erstmal nicht mehr haben." Breit lächelnd nehme ich seine Hand und lege sie mir auf den noch unscheinbaren Bauch. "Zum Glück." Alle Sorge scheint augenblicklich aus seinem Gesicht zu entweichen, Freude tritt an dessen Stelle. In kleinen Kreisen reibt sein Daumen über den dünnen Stoff meines Kleides. Weshalb es mir noch schwerer fällt so kritisch über all das zu denken, doch trotzdem muss ich es einfach ansprechen.
"Glaubst du wirklich, dass es die richtige Entscheidung war, Dean? Ich mein.. ich freu mich auf das Kind, natürlich, ich bin überglücklich aber wir leben quasi auf der Straße. Unter solchen Umständen ein Kind zu bekommen.. ich habe Angst Dean. Ich will kein Kind bekommen, während wir in einem Hotel Zimmer oder bei einem Alkoholiker wohnen."
"Hey hey, ganz ruhig." Dean schließt seine Arme um mich, küsste mich auf den Kopf. "Wir haben noch sieben Monate, wir werden das schaffen ja? Ich habe bereits mit meinem Chef gesprochen, wenn ich ein paar Überstunden mehr mache, bekomme ich eventuell eine Gehaltserhöhung. Wir werden schon bald wieder in einem wunderschönen Haus leben und diesmal mit trockenen Keller. Das verspreche ich dir."
Leicht nicke ich, doch wirklich überzeugt bin ich noch nicht. Ja, Dean verdient gut, doch die Arbeiten an unserem alten Haus haben viel gekostet und den Kredit bei der Bank haben wir erst vor kurzem ab bezahlt. So bald würden wir keinen neuen bekommen, vom Verkauf des Hauses bleibt auch nicht viel übrig, da wir es quasi für nichts verscherbeln mussten. Wir konnten uns glücklich schätzen überhaupt jemanden gefunden zu haben, der das Grundstück schön genug gefunden hatte und gewählt war das Haus abzureißen und neu zu bauen. Wie sollen wir mit einem so kleinen Budget, ein vernünftiges neues Heim für fünf Leute finden?
20.09.1966
Besorgt fällt mein Blick auf die Uhr. Fünf vor acht. Auch wenn Dean die letzten Tage Überstunden gemacht hat, war dies eine sehr untypisch späte Uhrzeit für ihn zurück zu kommen. Die Kinder habe ich erst vor ein paar Minuten ins Bett gebracht und fange an in der unangenehmen Stille unruhig zu werden. Was wenn ihm etwas passiert ist? Ich traue mich gar nicht diesen Gedanken weiter zu führen, sondern versuche zwanghaft mich mit Aufräumen abzulenken. Leider gibt auch dies mir nur für kurze Zeit einen freien Kopf, da in dem kleinen Hotelzimmer außer Samuels Modellauto und seine Buntstifte nicht viel weg zu räumen ist. Es ist viertel nach acht, als sich endlich die Tür öffnet und mich so aus der Besorgnis holt.
"Harry? Was-"
"Dein Mann hat mich geschickt. Er und sein Auto sind bei mir in der Werkstatt, ich soll dich dazu holen wenn möglich." Genervt blickt er runter auf mich. Verwirrt frage ich nach, was denn passiert sei, verstehe ich doch diese ganze Situation nicht wirklich.
"Komm einfach mit, ich hab keine Lust dir bei deinen Eheproblemen zu helfen."
Unsicher sehe ich zu den Kindern, die friedlich in dem Doppelbett schlafen, habe mir die Jacke, trotz meiner Zweifel, aber schon längst über gezogen. Harry geht bereits den langen Gang zurück in Richtung der Fahrstühle, während ich Samuel noch schnell einen Zettel hinterlasse, mich dann möglichst leise aus dem Zimmer schleiche und Harry folge.
Im Fahrstuhl hallt eine immer wieder kehrende Musik, welche mit jedem Stockwerk nur nervtötender wird.
"Kann ich dich etwas fragen, Harry?"
"Wenn es nicht um Dean geht." Seinen Namen spuckt er aus wie eine abscheuliche Krankheit, die man nicht einmal seinen schlimmsten Feind wünscht, doch sein Gesichtsausdruck ist, wie so oft, ausdruckslos.
"Eigentlich wollte ich mit dir über uns reden. Diese ganze Situation ist so kompliziert und ich weiß nicht mehr was ich fühlen, geschweige denn denken soll. Ich weiß, dass du noch Gefühle für mich hast, aber ich habe bereits eine Familie." "Was gibt es da dann zu bereden?" Harrys Hände ballen sich kurz zu Fäusten, bevor er sie wieder öffnet. Zwanghaft versuchte er genervt zu gucken, doch die kleine Falte zwischen Seinen Augenbrauen verrät, dass er viel mehr als nur das in diesem Moment empfindet.
"Lass mich ausreden Harry. Wenigstens einmal. Ich weiß nicht wie ich mit alle dem umgehen soll. Ich dachte ich hätte mit uns abgeschlossen, aber als du vor zwei Monaten vor meiner Tür standest.. seit dem hat sich vieles verändert. Ich muss andauernd an damals denken, an uns und wie glücklich wir waren und ich bin ehrlich, ich vermisse diese Zeit." Ein kleines Lächeln huscht unwillkürlich über mein Gesicht, als ich vernehme wie der Brünette sich zu entspannen scheint. "Harry, ich würde lügen wenn ich sagen würde, dass ich nichts mehr für dich empfinde. Nur kann ich nicht sagen was ich fühle, verstehst du? Ich weiß nicht ob einfach die Gefühle von damals wieder aufkommen oder ob sie gegenwärtig sind. Mein Kopf ist einfach so voll und überflutet. Ich hab das Gefühl, dass ich gar nichts weiß." Mit einem Rucken kommt der Fahrstuhl zum stehen, die Türen beginnen sich zu öffnen, doch antwortet mein gegenüber mir nicht. Noch verarbeitend was er gerade gehört hatte, sieht er mich einfach an. Seufzend setze ich mich in Bewegung, habe keine Lust auf sinnloses rum Gestarre. Nicht mehr mit einer Antwort rechnend, erkläre ich ihm, er müsse auch nichts zu alle dem sagen, werde jedoch von den, sich vor mir schließenden, Türen unterbrochen.
Harry nimmt seine Hand von den Tasten, als ich mich umdrehe und zieht mich mit ihr, am Arm zu sich. "Vielleicht hilft dir das." Und da ist etwas sanftes in seiner Stimme, was ich seit zehn Jahren nicht gehört habe. Ebenso sanft legen sich seine Lippen auf meine. Seine Hände halten mich an ihn, sanft. Alles ist so behutsam, so vorsichtig, so liebevoll, dass ich kaum glauben kann, dass all dies Harry ist. Jedenfalls nicht der Harry, den ich vor zwei Monaten kennen gelernt habe. Nein, all das ist mein Harry. Und zum ersten Mal seit langem schwirren nicht tausende Gedanken in meinen Kopf. Zum ersten Mal seit langem denke ich nicht, sondern handel einfach. Meine Lippen bewegen sich mit seinen. Ein Lächeln ziert mein Gesicht, als wir uns lösen. Doch verschwindet es sobald dieser viel zu kurze Moment vergangen ist, die Realität mich wieder einholt.
"Harry- ich habe einen Ehemann! Du kannst mich doch nicht einfach küssen!"
Verzweifelt fahre ich mir übers Gesicht. Mehr wütend über mich, als über Harry, welcher aussteigt, ohne sich zu dem gerade Geschehenen zu äußern. Mann, kann er nicht einmal Dinge wie ein Erwachsener klären?
"Und wenn du noch heute zu deinem Ehemann willst, solltest du ein paar Schritte zu legen." Spottend beschleunigt er sein Tempo noch einmal, so dass ich, in meinem völlig überrumpelten Zustand, Schwierigkeiten habe zu folgen. Ich habe Probleme alles zu erfassen und zu verstehen und vor allem mit allem richtig umzugehen. War ich doch schon vorher verwirrt, hat dieser Kuss alles noch einmal um ein Vielfaches gesteigert.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top