Thirty-three.


~Harry~

Seit langem habe ich Rosemary nicht mehr so glücklich erlebt.

Ihr altes Strahlen ist zurück auf ihr Gesicht gekehrt, ihre blasse Haut hat wieder ein wenig Farbe bekommen. Sie isst wieder mehr, hat nun die wunderbaren Kurven wieder. Die kristallblauen Augen leuchten, als hätten sie nie die Dunkelheit gesehen.

Ich bin froh sie so zu sehen, doch habe ich Angst vor dem Fall.
Natürlich bin ich zuversichtlich, dass mein Plan funktioniert. Schließlich stammt er aus meinem Kopf.
Trotzdem kann man nie hundertprozentig wissen.

Mittlerweile hat Rose sich so darauf eingeschossen, dass alles klappen wird, dass wir ihre Kinder zu uns holen, dass ich befürchte ein Rückschlag in diesem Unterfangen könnte sie schwer treffen.

Leicht zucke ich mit den Mundwinkeln, als sie beginnt ihre Hüften zum Takt der Musik zu bewegen und dabei in den Pfannen zu rühren. Gegen meinen Willen hat sie eine Schallplatte aufgelegt.

Schon den ganzen Tag laufen die Beatles auf und ab. Vor allem dieses schreckliche Lied über U-Boote scheint es ihr angetan haben.
Was Rose an solch einer Untat der Musikindustrie findet werde ich wohl nie verstehen.

Wahrscheinlich liegt es an der ganzen Aufregung, die um diese Band gemacht wird. Sie schwimmt mit dem Strom, so wie sie es von Dean gewohnt ist. Dean.

Allein bei dem Gedanken an diesen Kerl verkrampfen sich meine Muskeln. Ich hasse nicht viele Menschen, aber er steht sicherlich ganz weit oben auf meiner kurzen Liste. Knapp unter den Schlitzaugen.

Kein bisschen kann ich nachvollziehen wie Sam sein Bruder sein konnte. Er war tapfer und loyal. Er war ein echter Mann, ganz im Gegenteil zu Dean.

Die Beiden sind das Beste Beispiel, dass es immer die falschen trifft. So viele gute Männer sind gefallen, während sich die Feigen zu Hause hinter ihren Schreibtische versteckt haben. Womöglich ihren eigenen Kindern, Schwägern oder Brüdern den Befehl gegeben haben sich in die Hölle zu stürzen.

Ich schüttele meinen Kopf, sehe zurück zu der Blondine, wie sie bereits den Tisch deckt.

Ich hatte gehofft, all die Erinnerungen los zu werden, wenn sie sich endlich für mich entscheidet. Ich dachte, ich könnte dann weiter machen. Allerdings spielt mein Kopf da nicht mit.

Egal wie sehr ich es versuche, ein Teil von mir kann nicht los lassen. Will nicht.

Verbissen möchte ich an andere Dinge denken. An das Hier und Jetzt. An schöne Dinge, an Rosemary. Aber wenn ich ihre blonden Locken sehe, sehe ich die heißen Sonnenstrahlen, die durch die Bäume blitzen.

Sehe ich in ihre blauen Augen, sehe ich die eines Toten. Wie sie leer auf mich starren. So viele Augenpaare, keines ist vergessen.
Kein Gesicht, das mich nicht verfolgt. Kein Schrei, den ich nicht mehr hören kann.

Manchmal habe ich das Gefühl, noch den Rückschlag meines Gewehres gegen meine Schulter zu spüren. Die blutigen Hände um meine Knöchel.

„Woran denkst du?“ Besorgt blickt sie mich an.

Nur zu gut kenne ich diesen Gesichtsausdruck. Viel zu oft sieht Rose mich so an. Sie soll sich keine Sorgen um mich machen. Es gibt nichts worum es sich zu Sorgen lohnt. Es sind nur Erinnerungen. Nur Bilder und Stimmen, nichts weltbewegendes.

Als Antwort genüge ich mich damit meinen Kopf nach rechts und links zu bewegen, bevor ich stumm nach der Gabel greife und die Nudeln aufspieße.

Geräuschvoll stößt die Schönheit vor mir Luft aus, geht jedoch nicht weiter darauf ein.

Wir hatten bereits einige Gespräche darüber, anscheinend genügend, dass sie es aufgegeben hat.

Langsam würge ich die Mahlzeit herunter. Nicht, dass sie keine gute Köchin wäre, jedoch ist mir nicht nach Essen zu Mute. Nur um die Blondine nicht weiter zu beunruhigen leere ich meinen Teller und räume diesen in die Spüle.

Kurz gebe ich ihr Bescheid, dass ich duschen gehe, bevor ich im Bad verschwinde.

Dort angekommen entledige ich mich meinem blauen Arbeitsanzug und steige unter die Dusche.

Kaltes Wasser prasselt mir auf den Kopf.

Es umgibt mich.

Langsam spüre ich, wie sich ein ungeheurer Druck auf meine Ohren aufbaut. Meine Lungen scheinen zu explodieren. Schreien nach Luft.

Ungewollt, und ohne es verhindern zu können, öffnen sich meine Lippen. Flutartig strömt die kalte Flüssigkeit in meinen Mund, meinen Rachen hinunter und füllt die luftleeren Räume. Verzweifelt schreie ich. Ein nutzloser versuch, welcher stumpf im Becken endet.

Ich drücke gegen die Holzplatte unter meinen Händen. Schlage auf sie, in der Hoffnung erlöst zu werden.

Meine Sinne werden benebelt, meine Kraft verliert sich.

Ein harter Tritt in meinen Rücken. Grob werde ich an den Haaren hochgerissen.

Erschrocken atme ich ein. Stütze mich haltsuchend an die Wand. Nur eine Fantasie.

Es dauert eine Weile bis mein Herzschlag sich beruhigt hat und ich wieder in der Realität angekommen bin. So schnell wie möglich wasche ich mich und trockne mich ab.

Das Handtuch um die Hüfte gebunden stelle ich  mich vor den gesplitterten Spiegel.

Matte grüne Augen sehen mich an. Dunkle Ringe und tiefe Falten auf der Stirn zeichnen mein Gesicht.

Behutsam fahre ich die Narbe an meiner Schulter entlang. Wulstig und hässlich erstreckt sie sich über meinen Körper.

Schwer hebt sich meine Brust, als ich selbst noch einmal alles erkunde. Kopfschüttelnd löse ich das Handtuch und trockne mir die Haare ab. Mein Blick fällt nach unten.

Eine weitere Verunstaltung, an meiner Leiste. Das wohl größte Übel.

Nie wird mich diese Narbe verlassen. Nie wird diese Verletzung heilen. Tag täglich erinnert mich der Schmerz an das Geschehene. Bei jedem Schritt spüre ich die Klinge erneut auf meiner Haut.

Jedes Mal wenn ich einen Fuß vor den anderen setze, fühlt es sich an, wie damals. Wie als ich vor ihnen weggerannt bin.

Panisch nach hinten blickend stolpere ich zum Ausgang. Die Tür ist schwer, beinahe zu schwer für meinen geschwächten Körper. Tränen der Verzweiflung sammeln sich in meinen Augen. Was mich erwartet, wenn die mich erwischen will ich mir nicht vorstellen.

Noch einmal stemme ich mich gegen das Metall, welches mit einem lauten Knartschen aufschwingt.

Ein letzter Blick zurück und ich renne raus. Das grelle Sonnenlicht blendet mich. Doch auch wenn meine Augen schmerzen und ich nicht wirklich was sehen kann, renne ich weiter. Ich stolpere und falle, aber immer wieder stehe ich auf.

Mit der Zeit gewöhnen sich auch meine Augen an das ungewohnte Licht. Zwar ist es noch immer unangenehm hell, doch ich sehe nun mehr als einen weißen Schleier.

Leises Getuschel lässt mich Aufschrecken. Ohne mich nur noch einmal umzusehen woher es kommen könnte renne ich schneller.

Adrenalin pumpt durch meine Adern, während ich mich durch den Wald kämpfe. Doch auch dieses kann nicht verhindern, dass ich nach nur kurzer Zeit erschöpft auf dem Boden liegen bleibe, nachdem ich ein weiteres Mal gefallen bin.

Ich will weiter. Immer weiter. Nur möglichst weit weg von diesem Ort. Doch jede Kraftreserve ist verbraucht. Es scheint schon unendlich anstrengend mich wieder aufzurichten. Mich am Baum abstützend, stehe ich auf. Gegen den Willen meines Körpers laufe ich weiter. Langsam. Einen Schritt vor den anderen, immer wieder mache ich eine Pause, aber ich bleibe nicht stehen.

Weiter und weiter, durch die Mittagshitze bis in die Abendröte. Mein Mund ist staubtrocken, mein Magen sehnt sich nach einer Mahlzeit. Rauschen lässt mich aufhorchen.

Wasser.

Noch einmal mobilisiere ich all die Kraft die ich habe und schleppe mich in Richtung des Geräusches.

Ob vor Freude oder Verzweiflung, stoße ich einen Schrei aus. Ich lasse mich auf die Knie fallen und blicke auf die matschige Flüssigkeit und wie sie an mir vorbei treibt.

Ohne nur eine weitere Sekunde zu überlegen tauche ich meinen Kopf in das dreckige Wasser und trinke, bis mein erstes Verlangen gestillt ist.

Ich muss weiter. Wieder will ich mich aufrappeln, doch breche kraftlos zusammen. Mein Bein kann mich keinen Meter länger mehr tragen, meine Lunge hält keinen weiteren Ausdauerlauf aus.

„Verfickte Scheiße!“ Fluchend schlage ich mir auf den Oberschenkel, bevor ich mich auf den Boden sinken lasse. Die Finger vergrabe ich in meinen Haaren, ziehe an diesen, während ich einen verzweifelten Schrei ausstoße.

Keine Sekunde kann ich mich mehr ansehen. Keine Minute mich mehr reden hören und keine Stunde mehr das ganze Leid noch einmal wiedererleben.

Ich will doch nicht mehr, als zu vergessen.

Der Alkohol hilft mir, für eine Zeit. Doch Rosemary lässt mich eine Flasche Whiskey nicht einmal mehr nur ansehen.

Das Verlangen nach der bernsteinfarbenen Flüssigkeit, wächst in mir heran. Ich brauche es einfach.

Ich muss vergessen.


Ich muss sagen, mal aus Harrys Sicht zu schreiben hat mir wirklich Spaß gemacht.

Ich war etwas unsicher ob ich seinen Charakter richtig repräsentieren kann und bin es noch immer. Deshalb würde ich mich wirklich sehr über eine Rückmeldung freuen.

Je nach dem werde ich dann auch mal öfter aus seiner Perspektive erzählen.

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