Thirty.
Mein Mund wird trocken, als ich die acht Augen auf mir spüre.
Harrys Arm hat sich augenblicklich um meine Hüfte gelegt, als er ihn erkannt hat. Besitzergreifend zieht er mich an sich heran, jedoch kann ich ihm in diesem Moment nicht die gewünschte Beachtung schenken.
Mein Blick wandert erschrocken über die drei unerwarteten Besucher, die noch immer in der offenen Tür stehen.
Dean ist es, der schließlich die angespannte Stille durchbricht.
„Die Kinder wollten dich sehen, aber anscheinend hast du ja gerade wichtigeres zu tun.“
Er legt seine Hände jeweils auf eine Schulter von Sam und Joanne, diese sehen mich mit gemischten Gefühlen an. Sie scheinen sich nicht sicher zu sein, wie sie reagieren sollen. Da bin ich immerhin schon einmal nicht die Einzige.
Verzweifelt fahre ich mir durch die Haare.
Es ist nicht einmal zwei Tage her, dass ich sie verlassen habe, doch vermisse ich die Beiden seit der ersten Minute. Sie jetzt hier zu sehen, zu wissen, dass sie zu ihrer Mutter wollen, bricht mir das Herz.
Im Vergleich zu jetzt, war es ein Kinderspiel mich von Dean zu trennen. Liebe ist das eine, die Gefühle einer Mutter zu ihrem eigen Fleisch und Blut etwas ganz anderes. Ich hätte mir denken können, dass ich sie nicht einfach aus meinem Kopf und meinem Herzen streichen kann. Aus den Augen aus dem Sinn ist für so etwas wohl nicht die richtige Lösung. Aber ich hatte gedacht, dass Dean es mir einfacher machen würde. Mir verbieten würde sie zu sehen und so die Trennung vielleicht erträglicher machen könnte. Andererseits hätte ich wissen müssen, dass mein Noch-Ehemann nicht so ist.
Egal wie sehr er mich hassen könnte, er würde alles tun was gut für die Kinder ist.
Was auch heißt, dass er sie sogar zu mir und meinem Neuen bringen würde, wenn sie den Wunsch haben. Dafür ich habe sehr viel Respekt vor ihm. Nicht jeder wäre so tolerant wie er und nicht jeder wäre so ruhig in dieser Situation. Natürlich spüre ich, dass Dean nicht gerade erfreut über all das hier ist, aber er macht vor den Kindern keine Szene und das schätze ich sehr. Er hat mir ermöglicht meine Kinder zu sehen, selbst wenn wir getrennt sind. Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet.
Jetzt liegt es an mir mich zu entscheiden.
Behalte ich sie hier, verbringe ich Zeit mit meinen Babys, dann werde ich nie wieder los lassen können. Ich werde sie immer wieder sehen wollen und auch so auf irgendeine Art auf ewig an Dean gebunden sein. Ich könnte sie auch zu mir nehmen. Als Mutter hätte ich das Recht darauf. Aber ist es fair, wenn ich Dean noch mehr nehme, als ich es sowieso schon getan habe? Und kann ich die Kinder einfach von ihrem Vater weg reißen?
Die letzte Möglichkeit wäre meine Familie weg zu schicken. Ihnen klar zu machen, dass ich ein neues Leben angefangen habe und sie nicht dazu gehören. Diesen Gedanken streiche ich sofort. Niemals könnte ich ohne Sam und Joanne leben, das kommt nicht in Frage.
So langsam werden mir die Folgen meiner Entscheidung für Harry bewusst.
Ich löse mich aus dessen festen Griff und gehe auf die Kleinen zu. Zögerlich gehe ich vor den Beiden in die Knie, auch Dean wirkt unsicher als er sie los lässt, so dass ich sie in meine Arme schließen kann.
„Wieso bist du weggegangen, Mom? Wir haben dich vermisst, kommst du jetzt wieder nach Hause?“ Mit großen Augen sieht mich Sam an, während Joanne ihren Kopf an meine Schulter drückt.
Vorsichtig versuche ich ihm zu erklären, dass ich nicht mehr bei Papa lebe, aber sie trotzdem noch genauso sehr liebe wie zuvor und sie mich besuchen kommen können, wann sie wollen.
Mit einem kurzen Blick nach oben versichere ich mich bei Dean, dass das wirklich okay ist, welcher zaghaft nicht. Danach sehe ich über meine Schulter zu Harry, welcher die ganze Szene missmutig beobachtet. Die Arme vor der Brust verschränkt starrt er den Vater meiner Kinder an.
Ich richte mich wieder auf und setze ein Lächeln auf. „Wollt ihr euch mit Daddy mal umsehen? Onkel Harry und ich haben etwas zu besprechen.“
Aufgeregt rennen die Kleinen in den Flur, wohin Dean ihnen folgt.
„Du willst also den Kontakt halten?“ Harry stößt sich von der Küchentheke, an der er gelehnt hat, ab und geht auf mich zu. Seine Augenbrauen sind skeptisch zusammengezogen. Ich nicke, erkläre ihm, dass ich doch meine Kinder nicht aufgeben kann und versichere ihm mehrmals, dass das nichts zwischen ihm und mir und mir und Dean ändern wird.
Meine Gefühle für Harry sind einfach so viel stärker.
Es dauert ein wenig bis der Veteran endlich einwilligt, jedoch nur unter der Bedingung, dass mein Ex nie wieder einen Schritt in diese Wohnung setzt und ich ihn auch nicht sehe, wenn es nicht wirklich nötig ist. Ich stimme zu, sehe ich dabei kein Problem.
Mittlerweile haben Sam und Joanne ihre Erkundungstour abgeschlossen und kommen wieder ins Zimmer gestürmt. Der Anzugträger hinter ihnen scheint weniger begeistert von der Unterkunft, als die Kinder, für die das hier eine total neue Welt ist.
„Danke, dass du sie her gebracht hast. Kann ich sie heute Abend zurück zum Hotel bringen? Oder morgen?“
Deans Blick wandert einmal durch den Raum, um dann auf Harry und mir hängen zu bleiben. Seine Mine verhärtet sich. „Ich lasse sie ungern alleine. Hier.“ Abschätzig deutet er auf die Wohnung um ihn herum.
„Du wirst hier aber auch nicht so lange bleiben. Generell, bist du alles andere als erwünscht hier.“ Harry Schritt einen Tritt vor, verdeckt mich so ein wenig und baut sich bedrohlich auf.
Ich lege meine Hand auf seinen Oberarm, versuche ihm mit einem leisen bitten, ruhig zu bleiben, wieder zu entspannen.
„Dann kann ich ja wieder gehen.“ Der Anwalt öffnet die Tür, „Sam, Jo, kommt wir gehen.“
Flehende Augen und Bitten, noch bleiben zu dürfen, folgen. Demonstrativ klammern sie sich an meine Beine.
Daraufhin stößt Dean geräuschvoll die Luft aus. „Na gut. Weil es schon so spät ist, will ich sie in einer Stunde wieder sehen. Dann können wir ja reden, wie wir all das hier klären. Und damit das klar ist, ich tue all das hier nur für die Kinder.“
Ich bedanke mich bei ihm und verabschiede ihn, ohne dies zu erwidern verschwindet er aus der Wohnung.
Die Zeit vergeht viel zu schnell und ehe ich mich versehe ist sie um. Wehmütig ziehe ich den Kindern ihre Jacken an, um sie dann gemeinsam mit Harry zu seinem Auto zu bringen.
Auch die Fahrt zurück zum Hotel ist viel zu kurz, der Weg hinauf auf die Etage zieht sich jedoch endlos. Dreimal klopfe ich gegen das schwere Holz, woraufhin sie sich öffnet. Joanne und Sam stürmen in das kleine Zimmer, während Dean auf den Flur hinaus tritt, die Tür hinter sich anlehnt.
„Eigentlich finde ich es nicht, dass du nach alledem Zeit mit den Beiden verbringst. Vor allem nicht gemeinsam mit ihm.“ Verächtlich sieht der Anwalt meinen Freund an, bevor er sich wieder an mich wendet: „ Aber ich kann den Kindern nicht ihre Mutter nehmen. Also, so ungern ich das hier mache, müssen wir uns wohl einen Plan machen.“
Ich nicke, drücke die große Hand in meiner fester. „Wie wäre es wenn wir sie jeden zweiten Tag holen? Oder damit es nicht so viel hin und her ist, könntest du sie ja ab Montags haben und Donnerstags holen wir sie dann ab?“
Meine Hoffnungen auf eine gerechte Aufteilung werden auf der Stelle zerschlagen, als Dean erklärt, dass er auf keinen Fall zulassen würde. Ich solle glücklich sein sie überhaupt noch sehen zu dürfen und es wäre eine Frechheit so etwas zu fordern.
„Ich will das Wochenende mit ihnen, damit ich auch wirklich mal Zeit mit den zweien verbringen kann. Ich kann sie dir Montag Abends nach der Arbeit bringen und du bringst sie dann Dienstags zurück.“
Empört sehe ich den Mann vor mir an. Das ist doch alles andere als fair.
Ich mache ihm klar, dass ich mich auf keinen Fall mit nicht einmal einem Tag pro Woche zufrieden geben werde.
„Rosemary verdammt. Wir sind hier auf keinem türkischen Markt! Es ist schon absurd genug, dass wir darüber reden müssen wer wann die Kinder sehen darf. Aber ich werde hier jetzt nicht noch mit dir verhandeln. Entweder nimmst du mein Angebot an oder du lässt es und siehst die zwei nie wieder! Du bist hier diejenige die ihre Familie in einer Nacht und Nebel Aktion verlassen hat und du bist also ich diejenige die die Konsequenzen zu tragen hat. Ich wollte all das hier friedlich klären, aber solche Frechheiten lasse ich mir nicht gefallen. Immerhin gehe ich schon genug Kompromisse ein indem ich Jo und Sam zu dir lasse. Und vor allem zu dem da in seine heruntergekommene Wohnung in einem Aussteiger Viertel! Das ist alles andere als ein kinderfreundliches Umfeld und dieser dreckige, verlogene Säufer ist alles andere als ein guter Umgang für meine Kinder!“
Harrys Hand löst sich aus meiner und schneller als ich reagieren kann hat er den Kleineren an die Wand gedrängt. Seinen Arm gegen den Hals meines Exmannes drückend macht er es diesem beinahe unmöglich sich zu wehren.
„Sprich nicht in dem Ton mit ihr und nicht so über mich. Hat dir niemand Respekt beigebracht?“
Dean ist sichtlich überfordert mit der Situation. Er ist nicht die Art Typ die in Schlägereien oder sonstige Auseinandersetzungen gerät. An Harrys Arm zerrend versucht er frei zu kommen, während er uns beiden wütende Blicke zukommen lässt. „Ich sage es nur wie es ist. Und ihr solltet euch besser darauf einlassen und – jetzt lass mich los verdammt!“ Wütend schafft er es sich aus dem festen Griff zu befreien und schubst den Größeren nach hinten.
„Ich wollte das eigentlich nicht, aber wenn wir uns anscheinend nicht einigen können, können wir ja gerne vor Gericht gehen. Mal sehen wer da die besseren Karten hat.“
Wieder geht Harry auf ihn zu, kassiert jedoch einen festen Schubs bevor er den Anwalt anpacken kann. „Du aufgeblasenes Arschloch, denkst auch du wärst etwas Besseres weil du studiert hast oder?!“ Aufgebracht fasst Harry ihn am Kragen, die rechte Hand ballt er zur Faust. „Rose hat diese Kinder neun Monate mit sich rumgeschleppt, also hat sie genauso ein Recht sie zu sehen wie du! Nur weil sie dich nicht mehr liebt, mittlerweile kann ich sie verstehen, heißt das nicht, dass du ihr jetzt alles nehmen kannst!“
Dean gibt ein verächtliches Schnauben von sich, gefolgt von einem Grinsen. Gerade rechtezeitig kann ich die Faust meines Freundes aufhalten, bevor sie das Gesicht des Anderen trifft.
Ein schriller Schrei verlässt meine Lungen. „Hört auf! Hört auf mit den Beleidigungen und den Pöbeleien!“
Wie erhofft hören die beiden Männer augenblicklich mit ihren Streitereien auf. Zwei erschrockene Augenpaare starren mich an, als könnten sie nicht glauben, was ich da gerade von mir gegeben habe.
Vermutlich hatten sie mich in ihrem urmenschlichen Alphatier Gehabe vollkommen vergessen.
Die entstandene Ruhe nutze ich um zu erklären, dass es doch keinen Sinn macht sich zu prügeln, warnend sehe ich dabei vor allem zu dem Größeren. Immer im Hinterkopf, dass ich vor Gericht, alleine schon weil ich mir keinen Anwalt leisten kann, niemals eine Chance gegen Dean hätte, versuche ich ihn zu beschwichtigen. Ich entschuldige mich für unser übertriebenes Verhalten und bitte ihn darum, seine Entscheidung bezüglich der Kinderzeit für mich noch einmal zu überdenken.
Glücklicherweise stimmt er zu, scheint aber immer noch nicht wirklich verziehen haben, dass Harry ihn so grob angepackt hat. Mit den Worten Wir reden in ein paar Tagen noch einmal verschwindet mein Ex im Hotelzimmer.
Schweigend gehen Harry und ich den Gang entlang, bis ein leises Knurren seinerseits meine Aufmerksamkeit erregt.
„Ich hasse diesen aufgeblasenen Richter-Eier-lecker.“
Kurz sehe ich ihn überrascht an, bevor ich laut drauf los lache. Und während ich mich an seinem Arm stütze und mir den Bauch halte, kann ich schwören aus dem Augenwinkel auch bei ihm ein Schmunzeln zu sehen.
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