Four.
Eilig greife ich nach dem nächsten Brief. Ich bin erleichtert, dass Harry mir wirklich geschrieben hat, aber das schlechte Gewissen, ihn damals so schnell aufgegeben zu haben, lässt mich nicht los.
Zittrig öffne ich den Umschlag und versuche die Tränen zurück zu halten, um die Tinte nicht zu verschmieren. So viele Emotionen verwirren sich in meiner Brust zu einem einzigen Klumpen, der mir das Atmen unmöglich zu machen scheint. Nicht weniger durcheinander sind meine Gedanken, kreuz und quer schießen sie mir durch den Kopf. Von den schönsten Erinnerungen zu den schmerzhaftesten, von Freude zu Trauer.
22. Juli 1956
Geliebte Rose,
Ich bin froh endlich Zeit gefunden zu haben dir wieder zu schreiben. Ich habe mich langsam an das alles gewöhnt.
Bisher kamen wir auch ohne weitere Zwischenfälle aus. Trotzdem mussten wir einige Soldaten im Sarg nach Hause schicken. Immer wieder stoßen wir mit unseren Spähtrupps auf Tote, die im Eifer des Gefechts einfach vergessen wurden. Leider musste ich heute jedoch erfahren, dass unsere Einheit aufgelöst werden wird. Ich hatte die Hoffnung nach Hause zu dürfen, aber ich werde morgen wo anders hin versetzt. Ich würde dir gerne mehr darüber erzählen, jedoch darf ich es nicht. Aber mach dir keine Sorgen mein Engel, auch dort werde ich weiterhin Stift und Papier haben. Hoffentlich gibt es dort die Möglichkeit die Briefe zu versenden, hier gibt es die nämlich noch nicht.
Ich vermisse dich mein Engel.
In Liebe,
Harry
Noch einmal blicke ich raus, vergewissere mich, dass das schwarze Auto meines Mannes, noch immer nicht die Straße hinauf fährt, bevor ich zu dem nächsten Brief greife.
Irgendwie habe ich fürchterliche Angst, dass er von ihnen erfährt, dass er bemerkt was für ein Gefühlschaos Harry auch noch, nach so vielen Jahren in mir auslöst. Dean ist eigentlich kein Mann, der all zu schnell Eifersüchtig wird, trotzdem habe ich hier bei ein ungutes Gefühl.
Diese Briefe, sind nicht nur irgendwelche formell aneinander gereihten Wörter, von einem Mann den ich mal gekannt habe. Sie sind all die Gefühle, all die Gedanken, meines ehemaligen Verlobten, des Mannes den ich mein Herz geschenkt habe und welcher anscheinend noch immer einen Teil davon mit sich trägt.
Und der Gedanke, dass er wohl möglich noch lebt, mich vielleicht wirklich gesucht hat, zerbricht das, was noch in meiner Brust für ihn schlägt.
07. November 1956
Geliebte Rose,
Leicht muss ich schmunzeln. Ich weiß, dass Harry manchmal altmodisch und nicht gerade kreativ war, aber trotzdem überrascht es mich, dass er nicht ein Mal auf die Idee gekommen ist, die Anrede zu verändern. Er blieb bei dem Altbewährten und vermutlich würde sich das auch in den nächsten tausend Briefen nicht ändern, so war er nun einmal.
Wir sind nun Nahe der Hauptstadt Hanoi. Immer noch umgibt uns die meiste Zeit der Regenwald. Nur selten verlassen wir den Schutz der Bäume, doch wenn, um gegen feindliche Trupps zu kämpfen. Anfangs hatte ich Angst. Mir war schlecht und ich konnte mich kaum bewegen. All meine Sinne waren mit der Situation überfordert, du glaubst gar nicht, wie dumm ich mich angestellt habe. Aber ich habe es irgendwie überstanden, dank meiner Kameraden. Mittlerweile habe ich mich auch daran gewöhnt. Ich würde sogar behaupten, dass ich gut darin bin, die anderen scheinen mich jedenfalls sehr zu respektieren.
Mir wird übel, in meinen Ohren rauscht es. Immer wieder lese ich über die Worte. Er war gut darin. Er schien sogar stolz darauf zu sein. Auch wenn Harry nicht direkt schreibt, worum es geht, kann ich mir bereits denken, dass er vom Kämpfen und Töten redet. Hat er sich etwa bereits nach drei Monaten so sehr verändert, dass er Gefallen am Leid anderer empfand? Angst zieht mich in ihren Bann. Angst was ich in diesem und vor allem den nächsten Briefen lesen würde. Angst, was aus ihm geworden sein könnte. Doch die Neugierde übermannt die Angst in mir, bringt mich dazu, trotz meines unguten Gefühls weiter zu lesen.
Gott scheint hier auf meiner Seite zu stehen. Mir geht es noch gut, noch wurde ich nicht verletzt.
Noch.
Andere aus meiner Einheit hatten nicht so viel Glück. Allein vorgestern verloren wir dreizehn Männer. Es war grausam. Sie schrien und flehten um Hilfe, um Mitleid der Vietnamesen, aber niemand konnte ihnen helfen. Wir mussten weiter kämpfen, sonst wären wir nicht anders geendet. Als wir uns schlussendlich um sie kümmern konnten, war es bei den meisten schon zu spät.
Auf Thomas wäre ich fast drauf getreten, als er versteckt zwischen dem Gebüsch lag, hätte er nicht mit seiner letzten Kraft nach meinen Knöchel gegriffen. Er hatte hart gekämpft, er hatte einige aufhalten können, bevor er selbst hinterrücks erstochen wurde. Röchelnd lag er auf dem Boden vor mir und sah mich flehend an. Er bat nach Erlösung von seinen Schmerzen. Du weißt gar nicht wie sehr ich mit mir selbst zu kämpfen hatte. Mir war klar, er würde so oder so sterben und er wollte, dass ich ihn von seinem Leid befreie, doch es kostete mich all meine Kraft. Noch immer verfolgt mich sein Geist in meinen Träumen. Ich schlafe seitdem schlecht. Jeden Tag bete ich zu Gott und bitte um Vergebung, ich glaube nicht, dass er mich erhört. Ich will doch nichts Anderes, als dass er mir vergibt, wenn ich es schon nicht selber kann.
Ich spüre immer noch Thomas' Blut an meinen Händen und seine feuchten Finger an meinem Knöchel. Ich höre immer noch sein schweres Röcheln und sehe seine Augen rollen, als ich das Messer noch einmal in seinem Brustkorb versenke. Meinst du es wird aufhören? Meinst du ich werde irgendwann aufhören können darüber nach zu denken? Es war doch das Richtige. Ich musste es tun, oder? Du stimmst mir doch zu Rosemary, mir blieb nichts anderes übrig, oder?
Ein Schluchzen, welches ich versucht habe zurückzuhalten, entweicht meinen Hals, als ich auf die Zeilen vor sich starre. Vorsichtig, fast liebevoll, als wäre das Blatt nicht ein Blatt, sondern die Wange des Brünetten, streiche ich mit dem Daumen über den dunklen Fleck, der die Wörter etwas undeutlich gemacht hatte. Am liebsten würde ich ihm die Tränen aus dem Gesicht streichen, er sollte nicht weinen.
Nur schmerzhaft kann ich mir vorstellen, wie Harry an einem kleinen Tisch saß, während er diesen Brief schrieb und leise vor sich hin weinte. Er muss schrecklich gelitten haben. Ich will nicht wissen, wie er sich fühlen musste, was für Schuldgefühle ihn plagen mussten. Aber ja, er musste es tun, es war das letzte Menschliche, was ihm übrig blieb. Etwas Hoffnung kommt in mir auf, dass Harry vielleicht doch noch als Mensch zurück kam, falls er es überhaupt tat. Verletzt, geplagt von Schuldgefühlen, aber als Mensch.
Doch wer sagt mir, dass es wirklich gut wäre, nach all dem was er erlebt hatte, zu leben? Für mich ist am Leben zu sein das größte Geschenk und das einzige was zählt. Über Krankheit kann man hinweg kommen, egal wie erbärmlich alles scheint ist es wert zu leben, denn alles kann sich zum Positiven ändern. Seit ich klein bin, glaube ich daran und habe nicht vor diese Einstellung zu ändern.
Ich hoffe ich behalte Recht. Aber vielleicht irre ich mich auch. Vielleicht gibt es Menschen, die so zerstört sind, dass nicht einmal Gott sie wieder flicken kann, vielleicht gibt es Menschen die Alles und sich selbst vollständig und auf ewig verloren haben. Vielleicht gibt es Menschen, die niemals wieder ein Leben führen würden, dass ihnen als lebenswert erscheint.
Das Geräusch eines abwürgenden Motors reißt mich aus den Gedanken. Ich packe alles zurück in die Box und bringe sie in meinen Schlafzimmerschrank, bevor ich nach unten gehe und Dean lächelnd begrüße. Sanft küsst er mich auf die Lippen. Er wirkt erschöpft von dem langen Tag, doch trotzdem zwingt er sich für mich ein Lächeln auf. Nur zu gut bemerke ich die Ringe unter seinen Augen, den müden Blick und seine kalten Hand auf meiner. Er muss dringend mehr schlafen, er arbeitet sich noch kaputt.
Besorgt streiche ich ihm durch die Haare, muster meinen Mann von oben bis unten. Seine Krawatte hängt leicht geöffnet um seinen Hals, den Rest trägt er noch genauso ordentlich, wie als er das Haus heute früh verlassen hat.
Immer wieder verliebe ich mich in ihn aufs Neue. Trotz der vielen Arbeit, findet er immer Zeit für seine Familie. Und auch wenn er manchmal etwas streng mit den Kindern ist, kann ich mir keinen besseren Ehemann und Vater vorstellen, schließlich, zeigt seine Erziehung auch ihre Erfolge. Mit stolz trage ich seinen Namen, sage, dass ich mit ihm verheiratet bin.
Ich weiß, was für eine Wirkung er auf andere hat, nicht nur auf andere Frauen, sondern auch Männer bewundern ihn. Ihnen verübeln kann man es nicht.
Meine Hand fährt von seiner, seinen Arm auf, streicht sanft über seinen Oberarm, bevor sie sich an seine Wange legt. Kurz schließt er seine Augen, sieht mich dann wieder an, noch immer ein schwaches Lächeln auf den Lippen.
Wie findet ihr das, dass ich jetzt mehr zwischen Brief und "Realität" hin und her schwenke? Findet ihr es gut oder verwirrt es euch eher?
Was glaubt ihr was aus Harry geworden ist?
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