14 - Die Nachricht

Wenn sie ehrlich sein sollte, fühlte sich Ruby, nach dem nächtlichen Gespräch mit Taron, ziemlich gut. Auch wenn sie ihm nicht ihr großes Geheimnis gebeichtet hatte, war es eine Erleichterung für sie gewesen, sich ihm ein Stück zu öffnen. Taron hatte ihr keine befremdeten Blicke zugeworfen und sie auch nicht wegen ihrer fehlenden Erfahrung ausgelacht, so wie es die Nixe erwartet hätte. Stattdessen hatte er sie aufgebaut, ihr Mut gemacht. Seine Art hatte sie sehr an ihre Schwester, Delody, erinnert – freundlich, mitfühlend, herzensgut. In dem Moment musste Ruby zugeben, dass sie sich in seiner Nähe unglaublich wohl fühlte. Zugegeben, ein wenig machte ihr das auch Angst. Aber alles in allem war sie einfach froh, wie eine normale Person behandelt zu werden.

Während sie durch die Siedlung der Tiden spazierte und den durch die Gegend flitzenden Kindern auswich, füllte sich ihr Herz mit einer Wärme, die die Nixe so noch nie gespürt hatte. Es war komplett friedlich, als könnte ihr hier niemand etwas anhaben. Doch das, wie sich herausstellte, war nur eine Illusion.

Als Ruby an einer der kleinen Hütten vorbeiging nahm sie die Stimmen zweier Bewohner wahr, die sich in einem flüsternden Ton unterhielten.

„Is' das dein Ernst?" wisperte eine männliche Stimme entsetzt. Der Schock in seiner Stimme war selbst bei der niedrigen Lautstärke gut auszumachen.

„Ja, dieser Neuzugang macht uns doch nichts als Ärger," knurrte die zweite Stimme. Ein Kribbeln lief Ruby am Nacken entlang, denn es war eindeutig Iaris Stimme. Ruby blieb hinter der Ecke der Hütte stehen. Sie wusste nicht ganz wieso, aber irgendwie war sie nicht in der Lage weiterzugehen. War sie einfach nur neugierig? Oder hatte sie im Unterbewusstsein schon verstanden, dass es sich bei dem ‚Neuzugang' um sie handeln musste.

„Was sagt denn Malhi dazu?" fragte die männliche Stimme.

„Er will sie hierbehalten."

Für einen kurzen Moment freute sich Ruby, dass Malhi sie nicht wegschicken wollte, doch als Iari weitersprach, wurde dieses Gefühl rasch übertönt.

„Was denkt der sich eigentlich? Wenn das so weitergeht, werden wir alle draufgehen! Und das nur wegen dieser Nixe!"

Draufgehen?!

Ruby schlug sich eine Hand vor den Mund, um zu verhindern von den beiden gehört und entdeckt zu werden.

Waren die Tiden wirklich in Gefahr, solange Ruby sich bei ihnen aufhielt? Aber wieso? War etwas vorgefallen? Warum wusste sie dann nicht davon?

Die Nixe schluckte gegen die Trockenheit, die plötzlich ihren Mund befallen hatte. Sie musste herausfinden, was los war, also drehte sie sich lautlos um und spazierte in schnellen Schritten zu Malhis Hütte. Sie klopfte laut gegen die Tür und wartete ungeduldig, dass sie aufging.

Ein paar Momente vergingen, indem Ruby schon überlegte, ob sie doch lieber wieder gehen sollte. Doch dann öffnete sich die Tür und der Boss persönlich stand vor ihr.

Seine Augen weiteten sich, als er die kleine Frau vor sich sah.

„Oh, Ruby. Schön dich zu sehen", sagte er mit einem Lächeln, „komm doch rein."

Die Nixe folgte ihm ins Haus und die zwei setzten sich auf das kleine Sofa.

„Also, was bringt dich zu mir?" fragte er. Seine braunen Augen musterten sie besorgt, aber Ruby konnte problemlos erkennen, dass da noch mehr hinter steckte. Der Boss sah unglaublich müde aus, als hätte er die letzten Nächte kaum ein Auge zugedrückt. Und wenn Iaris Besorgnis irgendetwas zu bedeuten hatte, dann musste ihn etwas sehr belasten. Etwas, dass mit Ruby zu tun hatte.

„Ich, ähmm, habe gehört", begann sie und versuchte ihre Nervosität herunterzuschlucken, „dass ihr wohl wegen mir... Probleme habt?"

Malhi sah sie erst stirnrunzelnd an, während er überlegte. Letztendlich seufzte er.

„Ich wollte nich', dass du dir Sorgen machst, also hatte ich erst vor dir nichts zu erzählen, aber... tja, scheinbar läuft das jetz' eh alles aus dem Ruder."

Der Naja fuhr sich mit einer Hand über seinen kahlen Kopf. „In Ashra ist eine Nachricht rumgegangen... Vom Lord."

Eine Nachricht von Thyfen? Das konnte garantiert nichts Gutes bedeuten. Nervös hielt Ruby die Luft an und wartete auf Malhis nächste Worte.

„Er sagt, dass er jeden bestrafen wird, der dich ihm nicht ausliefert. Du wirst in der ganzen Stadt gesucht."

Ruby ballte ihre zitternden Hände als Fäuste zusammen und starrte zu ihnen herunter.

„Wenn... wenn er mich hier findet", brachte sie leise heraus. Sie war nicht in der Lage ihren Satz zu beenden, doch Malhi wusste ganz genau, worauf sie hinauswollte.

„Dann sind wir so gut wie tot."

Ihre Gedanken flogen zu Cole. Thyfen hatte ihn umgebracht, nur damit er den Standort der Nixenstadt nicht weitererzählen konnte. Was würde er also den Tiden antun, wenn er sie hier finden würde? Er würde sie nicht einfach nur umbringen. Sie würden dabei leiden.

Ruby sah Taron vor ihrem geistigen Auge, sein Körper voller Blut und Augen, die ins Leere starrten. Ein ekelhafter Geschmack bildete sich in ihrem Rachen. Am liebsten hätte sie sich bei dem Gedanken übergeben. Stattdessen schweiften ihre Gedanken weiter. Sie dachte an die vielen Kinder, die hier herumliefen, an Sara und ihr Neugeborenes. Sie würden doch nicht allesamt umgebracht werden, oder etwa doch?

Aber konnte Ruby das Risiko wirklich eingehen? Es wäre allein ihre Schuld.

Schon wieder.

Nein. Sie konnte ihre neuen Freunde nicht auf dem Gewissen haben. Sie würde es einfach nicht verkraften.

Nicht sie auch noch.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top