12 - Serenade im Mondschein
Schlaflos wälzte sich Ruby im Bett herum. Das klare Mondlicht, das durch das kleine Fenster der Hütte schien, war viel zu hell und raubte der Nixe jegliche Müdigkeit.
Seufzend setzte sie sich auf und nahm ihr Glas Wasser vom Nachttisch. Dank des Tees aus medizinischen Kräutern, den Satona ihr gemacht hatte, fühlte sich Rubys Hals schon viel besser an. Sie konnte wieder normal sprechen und musste nicht mehr zwischendurch husten. Deshalb wollte die Nixe unbedingt wieder versuchen zu singen. Aber hier, mit all den Leuten in der Nähe, konnte sie es nicht riskieren. Sie konnte einfach nicht riskieren, dass sie die Tiden ausversehen verzauberte.
Entschlossen stand Ruby auf und lief zur Tür. Es war warm genug draußen und es würde sie niemand sehen, also entschied sie sich in ihrem luftigen Schlafkleid zu bleiben.
Ihre Füße trugen sie aus der Siedlung raus, bis zur Oase, die Taron ihr gezeigt hatte. Mit den Füßen prüfte sie die Wassertemperatur, welche immer noch hoch aber, ohne die glühende Sonne, nun schön angenehm war.
Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe herum, während sie sich umsah. Es war weit und breit niemand hier und sie war sicherlich weit genug weg, dass man ihre Stimme in der Siedlung nicht hören würde.
Langsam atmete sie einmal ein und aus. Dann schloss sie die Augen und begann zu singen.
Hier draußen fühlte sie sich frei.
Sie war frei von jeglichen Zuschauern. Frei von allen Erwartungen. Frei von dem Schmerz, der ihr zugefügt wurde.
In ihrem Kopf erschienen Erinnerungen aus lang vergangenen Tagen. Ein Fest, an dem sie nicht hatte teilnehmen dürfen.
Doch hatte sie damals alles aufgesogen. Die Töne, den Duft, das Gelächter.
Nun, wenn sie die Augen schloss, konnte sie immer noch die zwei Gitarren hören, die begleitend zu den Stimmen der vielen Nixen gespielt hatten. Eine Geige hatte die Melodie betont, welche die Füße aller Anwesenden zum Tanzen aufgefordert hatte. Und eine Trommel hatte den Takt vorgegeben, in welchem all ihre Herzen geschlagen hatten.
Im flachen Wasser der Oase, legte Ruby einen Fuß vor den anderen und wieder zurück. Sie wippte hin und her. Ihren Kopf zum Himmel gerichtet, sang sie ungehindert mit all ihrer Stimme.
Eine Serenade unter dem Licht des Mondes, für die ansonsten stille, nächtliche Welt.
Jedoch wurde sie aus ihrer Show gerissen, als sie hinter sich etwas hörte. Ihre Stimme versiegte und sie fuhr herum.
"Tut mir leid", erklang eine Bekannte Stimme, "ich wollte dich nich' erschrecken."
Rubys Hände begannen leicht zu zittern.
Warum? Warum konnte sie nirgends in Ruhe singen, ohne gehört zu werden?
"Ich dachte nich', dass du nachts herkommen würdest", meinte sie unsicher.
"Mach' ich auch nich' oft", erklärte das Fantom, "aber manchmal komme ich nachts zum Schwimmen her. Da is' es so viel erfrischender als tagsüber."
Während er sprach kam Taron weiter auf sie zu. Dank des hellen Mondscheins konnte sie ihn gut erkennen. Er trug nur eine lockere Stoffhose und ein beiges Shirt. Der schwarze Löwenschwanz, der aus seiner Hose hing, war jedoch kaum zu erkennen.
"Ich wusste nich', dass du so toll singen kannst", sprach er weiter und Rubys Brustkorb zog sich zusammen.
"Andererseits weiß ich so gut wie gar nichts über dich, also sollte mich das nich' wundern."
Er war mittlerweile am Ufer angekommen, nur wenige Meter von Ruby entfernt. Gemächlich schlüpfte er aus seinen Schuhen.
"Lass dich nich' von mir stören. Du kannst ruhig weitersingen."
Ruby schüttelte nur den Kopf.
"... Sag bloß, du hast Lampenfieber."
"Sowas in der Art", antwortete sie nervös.
Scheinbar hörte Taron die Unsicherheit in ihrer Stimme und entschied sich, dieses Thema nicht weiter zu verfolgen.
Stattdessen drehte er ihr den Rücken zu und zog sich sein Shirt über den Kopf. Ruby errötete allein bei dem Anblick seines nackten Rückens. Wenn er sich jetzt noch umdrehte, würde die Nixe glatt in Ohnmacht fallen.
Doch er tat es nicht.
Taron erstarrte, blieb mit dem Rücken zu ihr gerichtet und sah zum Mond hinauf, als würde er darauf warten, dass etwas passierte.
Er stand eine ganze Weile so da, ohne sich groß zu bewegen oder etwas zu sagen.
Leicht besorgt ging Ruby dann doch auf ihn zu.
"Alles okay?" fragte sie ihn.
"J-", begann er, doch unterbrach sich sofort. Mit einem Seufzen startete er einen neuen Versuch.
"Ich weiß nich'. Ich... Ich hatte gehofft, dass das Mondlicht nachlässt."
Bevor sie sich fragen konnte, was er damit wohl meinte, drehte Taron sich zu ihr um und Rubys Frage beantwortete sich von selbst.
Geschockt starrte Ruby auf seine Brust. Jegliches Schamgefühl, das sie gehabt hatte, war verpufft.
Eine dicke Narbe zog sich von der Mitte seines Brustkorbs, bis zur linken Seite seines Schlüsselbeins.
Sie löste sich erst aus ihrem Schock, als Taron ihr Handgelenk mit einem eisernen Griff umschloss. Ruby starrte auf ihre Hand, welche sich unbewusst zu der weißlichen Haut bewegt hatte.
"Nich' anfassen... Bitte", flehte er regelrecht.
Die Nixe blinzelte ein paar Mal, überrascht von der Verletzbarkeit, die er ausstrahlte.
"Tut mir leid", wisperte sie und nahm einen großen Schritt zurück. Dabei löste sich Tarons Griff an ihrem Handgelenk und Ruby zog ihre Hände vorsichtshalber an ihre Brust. Ihre Haut kribbelte an der Stelle, die er berührt hatte.
Plötzlich kamen ihr Malhis Worte wieder in den Sinn.
„Unsere kleine Familie besteht aus Außenseitern. Leute, die es in ihrem Leben nich' leicht hatten und, die durch den Lord großes Leid erfahren haben."
Ruby konnte nicht anders, als sich zu wundern, ob diese Narbe, die einen Großteil von Tarons Oberkörper einnahm, vielleicht der Grund war, warum er bei den Tiden war.
Wie war das nur passiert?
Wer hatte das getan?
Und vor allem, hatte Thyfen etwas damit zu tun gehabt?
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