1 - Adieu Laothea

"Hier, wie abgemacht", sagte das Nixenoberhaupt mit gespielter Schwermut, "Das ist meine älteste Tochter, Ruby. Sie ist die reinste Perle unseres Stammes, die Schönste von uns allen. Ich bin mir sicher, dass sie euch sehr glücklich machen wird."

Ruby unterdrückte ein Augenrollen. Ihr Vater trug da aber sehr doll auf. Allerdings, wenn man es genau betrachtete, war das kein Wunder. Für ihn war es schließlich die perfekte Gelegenheit sie endlich loszuwerden. Trotzdem, es war ein Wunder, dass der Fremde es ihm nicht ansah.

Der schwarzhaarige Mann vor ihr nickte zufrieden, während er sie, mit seinen dunklen, fast schwarzen, Augen, intensiv betrachtete. Sein gieriger Blick wanderte von ihren Füßen hoch, über den enganliegenden Schwimmanzug, verweilte kurz auf ihrer schmalen Taille und wanderte letztlich weiter bis zu ihrem Gesicht. Seine große, raue Hand berührte Rubys Kinn und hob ihren Kopf an, sodass sie zu ihm hochschauen musste.

Die junge Nixe presste nervös ihre pinken Lippen aufeinander. Ein ewig langer Augenblick verging, bis der fremde Mann endlich losließ. Lächelnd sah er zum Nixenoberhaupt, wobei zwei dünne, spitze Zähne kurz im Sonnenlicht aufblitzten. Am liebsten hätte Ruby so viel Abstand wie möglich zwischen ihr und dem Mann gebracht. Es war die erste andere Rasse von magischen Wesen, die sie in ihrem Leben gesehen hatte. Und natürlich musste es ein Naja sein – die Wesen mit tödlichen Giftzähnen.

"Sie wird's tun", sagte er zufrieden und sah dann wieder zu Ruby, "Du hast zwei Minuten."
Das war alles, was er zu ihr sagte, bevor er sich wieder zu seiner Reisegruppe an den Rand des Sees gesellte.

Langsam drehte sich die Blondine zu ihrem Vater, doch dieser hatte sich schon von ihr abgewandt und verließ den Stadtplatz. Ruby seufzte enttäuscht. Dann fiel ihr Blick auf eine junge Nixe neben ihr.
Delody sah sie mit Tränen gefüllten Augen an. Ihre kurzen blonden Locken umrahmten ihr rundes Gesicht, was sie noch jünger aussehen ließ. Ruby brachte ein kleines trauriges Lächeln zustande und nahm ein paar Schritte vorwärts, um ihre kleine Schwester in die Arme zu schließen.

"I-ich glaub das nich'...", schluchzte Delody, "Er kann dich doch nich' einfach so weggeben."

Ruby streichte ihrer Schwester sanft über den Rücken. "Is' schon gut."

"Is' es nich'! Du bist dann ganz allein da draußen."

"Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme klar. Bin schließlich 'ne Sirene, schon vergessen?", versuchte Ruby zu scherzen.

"Aber wir wissen doch beide, dass du keinen blassen Schimmer hast, wie deine Kräfte funktionieren..."

Die ältere Nixe seufzte auf und löste sich aus der festen Umarmung.

"... Mach's gut, Delody."

Damit wandte sie sich von ihrer Schwester ab und stapfte über das Eis des gefrorenen Sees zum Festland, wo die Reisenden ungeduldig auf sie warteten.

Vom Berg aus, sah Ruby über ihre Schulter, runter ins Tal. Der frisch gefallene Schnee machte die Häuser in der weißen Landschaft fast unsichtbar. Von hier aus konnte sie das andere Ende des gefrorenen Sees sehen, auf dem Laothea gebaut wurde.

Die Nixe sog die Aussicht regelrecht in sich auf und versuchte sich jedes ach so kleine Detail zu merken. Ihr war nämlich klar, dass sie Laothea nach diesem Tag nie wieder sehen würde.

Der Gedanke schoss Tränen in ihre dunkelblauen Augen. Sie wusste, dass die anderen Nixen jetzt wahrscheinlich erleichtert aufatmeten und konnte sich sogar ganz gut vorstellen, dass sie die heutige Nacht durchfeiern würden. Schließlich hatten die Meisten schon immer schreckliche Angst vor ihr gehabt. Nur ihr Vater und ihre kleine Schwester hatten sie nicht gefürchtet. Jedoch... Während ihre Schwester sie deutlich liebte, konnte das gleiche nicht von ihrem Vater behauptet werden.
Eigentlich wäre es seine Aufgabe gewesen, die anderen Nixen davon zu überzeugen, dass sie Ruby nicht fürchten brauchten. Stattdessen hatte er selbst immer mehr Abstand von ihr genommen.

"Los, beweg dich!", rief ein Mann hinter ihr und schubste sie vorwärts. Ruby zerrte ihre feuchten Augen von ihrer Heimatstadt weg und ging weiter.
Schritt für Schritt, ließ sie ihr altes Leben hinter sich.

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Ruby war sich nicht sicher, wie lange sie durchs Land gereist waren – ein paar Wochen vielleicht.
Die Landschaft änderte sich stetig, von den verschneiten Bergen ihrer Heimat, über eine braune, steinige Berglandschaft, zu grünen, lebendigen Wäldern.

Sie liefen weiter, immer in Richtung Süden. Je sonniger und wärmer es wurde, desto glücklicher schienen die Leute zu werden.
Leider hatte das keinen Einfluss auf die Art, wie sie die Nixe behandelten. Ruby war nicht Teil der Reisegruppe, sondern eher ein fünftes Rad am Wagen. Eine Puppe, die man einfach so mit sich herumschleifen konnte. Ein Gepäckstück.

Sie hatte einmal versucht mit den anderen zu sprechen, aber auf die Frage, welche Namen sie alle besaßen, kam nur ein knappes 'das geht dich 'n scheiß an'.

Und dann, eines Tages, trafen sie, in einem dichten Wald, auf eine große, weite Rasenfläche. Rubys Augen weiteten sich bei dem Anblick von einer Vielzahl von Personen, die gemütlich auf der Lichtung standen und sich unterhielten.

"Gerade noch rechtzeitig", sagte der Naja ganz vorn. Dann drehte er sich um und winkte sie zu ihm rüber. Als sie in Greifweite war, packte er Ruby am Arm und zog sie hinter sich her.
Die Zwei stoppten vor einem blonden Mann mittleren Alters, der eine Liste in den Händen hielt. Er trug ein dunkelbraunes, kurzärmeliges Oberteil, wodurch Ruby das Mal an seinem linken Arm sehen konnte. Grüne und violette schnörkelige Linien zogen sich von seinem Handgelenk, bis zu seinem Ellenbogen. Ein Metamorph, stellte sie fest. Ein Gestaltenwandler.

"Hier, um etwas anzumelden?", fragte er mit einem Lächeln.

Der Naja stieß Ruby grob nach vorne, sodass sie vor dem Metamorph stand.

"Eine junge Nixe", sagte dieser erstaunt, "Äußerst selten. Scheint als hättest du mir gerade die Hauptattraktion gebracht, Cole."

Ruby verstand nichts mehr. Hauptattraktion? Was sollte das denn bedeuten? Was passierte hier?
Der blonde Mann schrieb etwas auf seinen Zettel, bevor er zu ihr aufsah.

"Wie alt bist du, Kleines?", fragte er.

"Neunzehn", antwortete Ruby verwirrt. Er wollte ihr Alter wissen, aber nicht ihren Namen?

"Na, dann wollen wir dich doch mal bereit machen."

Er führte Ruby ans andere Ende der Lichtung, wo mehrere kleine Zelte aufgebaut waren. Als sie in eins der Zelte trat, schnappte sich eine ältere Frau sofort ihre Hand und zog sie bis zu einer, mit Wasser gefüllten, Wanne. Die junge Nixe wurde gewaschen und anschließend in ein schlichtes, weißes Kleid gesteckt. Der weiche Stoff schmiegte sich eng an ihren Oberkörper und fiel ab ihren Hüften, locker bis zum Boden hinunter.

"Ähm... Entschuldige, aber warum muss ich das tragen? Was soll das ganze?", fragte sie nervös.

"Ach du meine Güte!", stieß die Frau überrascht aus, "Da hätte ich doch fast deine Haare vergessen. Warte, ich steckte sie dir schön elegant hoch."

Hatte sie Ruby gehört? Oder hatte sie sie einfach ignoriert?
Die Nixe überlegte, ob sie nochmal probieren sollte nachzufragen, aber dann fing die Frau an ihre Fragen zu beantworten, während sie Rubys eisblonde Haare aufwendig hochsteckte.

"Du musst doch so schön wie möglich aussehen, sonst möchte dich vielleicht keiner haben. Versteh mich nich' falsch. Du bist eindeutig eins der schönsten Wesen, die meine alten Augen je zu Gesicht bekommen haben, aber es ist schließlich mein Job, das Beste aus dir rauszuholen. Du weißt schon, damit die Lords da draußen so hoch bieten wie möglich."

Das war es also. Sie würde verkauft werden; Erst von ihrem Vater, an einen völlig Fremden und nun von diesem Fremden, an einen Lord.
Aber Ruby hielt stur an ihrer Hoffnung fest. Irgendwo da draußen wartete ein glückliches Leben auf sie. Das zu finden, konnte doch nicht so schwer sein.

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Heey 👋
Ich bin ja so aufgeregt diese Geschichte zu schreiben und hoffe natürlich, dass sie euch gefallen wird.
Was haltet ihr denn schonmal vom ersten Kapitel?

Wie immer freue ich mich auf euer Feedback, sei es gut oder schlecht, Grammatik oder Inhalt.

Bisous ❤️
MarSuu

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