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Seliha

„Wir haben einen", höre ich die schwere Stimme einer meiner Männer durch den Hörer hallen. Erleichterung macht sich in mir breit, was sich mit einem Lächeln auf meinen Lippen zeigt. „Vater wird ihn entgegen nehmen", beende ich das kurze Gespräch und höre als nächstes einen lautes Tuten, bevor ich mein Handy sinken lasse.

„Und?", fragt eine meiner besten Freundinnen nach, als ich mich wieder in ihr großes Zimmer begebe. Schon immer war ich neidisch auf dieses große Fenster, von dem man einen perfekten Blick auf den Hof des Grundstückes hat. „Sie haben einen", gebe ich lächelnd von mir und lasse meinen Körper neben Nevia auf das Bett fallen.

„Wie lange werdet ihr ihn jetzt bei euch behalten?" Neugierde ist das, was ich aus ihrer Stimme heraus höre. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ihr Vater sie kaum in die Angelegenheiten ihrer Mafia einweiht. Ich glaube mir wäre ihr Leben sogar lieber. Viel zu früh musste ich meiner Mafia Treue leisten und versprechen.

Nachdenklich starre ich an die weiße Decke, von der ein weißer Schleier über das Bett fällt und drehe schweigend meinen Ring, welcher seit meinem siebten Lebensjahr zu mir gehört.

„Ich schätze so lange wie nötig", murmle ich, drehe mich wieder zu Nevia, welche ihr Handy längst beiseite gelegt hat. Ihre aufgewühlten Augen spiegeln all die Gefühle wieder, welche sie ihr ganzes Leben lang vor ihrer ach so tollen Familie verstecken muss. So etwas wie Liebe hatte sie noch nie in ihrem Leben. Keinen Freund, keine andere Freunde außerhalb der Mafia, keine Ausflüge ins Ausland, keine Partys, gar nichts.

Egal aus welcher Mafia man kommt, die vier wichtigsten sind die, mit den härtesten Regeln.
Und natürlich gehören wir zu zwei von denen.

Räuspernd fasst sie nach ihrem Handy, geht auf sinnlose Chats, während sie die nächste Frage über ihre vollen Lippen kommen lässt. „Weißt du jetzt eigentlich wo Louie ist?" Ob ich weiß wo mein Bruder ist? Wann weiß ich das schon. Seitdem ich denken kann ist er überall außer zuhause. Und seit kurzem ist er völlig untergetaucht.

Man müsste meinen wir als Mafia müssten ihn irgendwie und irgendwann finden können, doch wenn die gesuchte Person selber zu der Mafia gehört, ist es schwierig sie zu überführen. Vor allem, weil er aus der selben Mafia kommt.

Kopfschüttelnd betrachte ich sie weiter. Beobachte Nevia dabei, wie sie von einem Chat auf den anderen geht und bloß versucht meinem Blickkontakt zu entkommen. Als sie das erste mal bei uns war, hat Louie sie angefasst. Nicht weil sie es wollte, sondern weil er dachte, dass sie eine der Nutten ist, die er früher nach Hause gebracht hat. Sie hat nie verstanden dass es Belästigung war.

Ihre erste und letze Berührung war von Louie. Meinem Bruder. Wie soll sie auch wissen was richtig und falsch ist, wenn sie nie von Typen angesprochen werden darf. Es ist, als wäre ab diesem Moment eine Verbindung zwischen ihnen, welche man nicht erklären kann. Sie haben noch nie wirklich miteinander geredet. Und das ist gut so, denn Louie ist definitiv nicht gut für sie. Er ist nicht einmal gut für unsere Familie.

„Nein", antworte ich nun. Keine Regung. Kein Blinzeln. Nichts.

Seufzend erhebe ich mich nun, richte mein Oberteil und binde meine dunklen Haare zu einem Pferdeschwanz, bevor ich mich ein letztes Mal in Nevia's Spiegel betrachte. „Ich schreib dir", murmle ich, stecke mein Handy in die Tasche meiner Hose und erblicke das süße Lächeln auf Nevia's Lippen, bevor ich durch die Tür verschwinde.

Auf meiner Unterlippe kauend laufe ich nun die weiße Treppe zum Hof hinunter, wo der Wagen schon auf mich wartet. Mit einem leichten lächelnd auf den Lippen setze ich mich auf den Beifahrersitz des schwarzen Autos, bevor ich einen zarten Kuss auf meiner Wange zu spüren bekomme. Der Geruch von Rauch und Asche steigt mir in die Nase, worauf ich meine Nase verwirrt kräusle.

„Du warst mit bei der Mission?" Ein Nicken von Paulo und ein ungläubiges Lachen meiner Seits, bringt mich dazu seine Hand von dem Lenkrad zu reißen und ihn so dazu zu bringen mir in die Augen zu schauen. „Ich habe dich nicht eingeteilt", sind die nächsten Worte die mir über die Lippen gleiten.

Ein kurzer Schauer von Wut überspielt seine Liebe, wodurch seine braunen Augen nur noch dunkler und unerreichbarer wirken als sonst. „Dein Vater meinte ich könnte mit." Seine Stimme ist ernster als sonst. Angespannter. Genau wie die Stimmung zwischen uns. Seufzend lasse ich mich in den schwarzen Sitz sinken und breche unseren Körperkontakt ab, indem ich meine Hand langsam in mein Schoß sinken lasse.

Die Enttäuschung die sich nun in mir breit macht, zerstört all die Freude die ich bis eben noch in mir getragen habe. Ich wusste von Anfang an er würde meinen Befehlen nicht mehr folgen, wenn ich etwas mit ihm anfangen würde. Sein Ego ist zu groß für unsere „Beziehung". Wenn man das überhaupt so nennen kann.

Das einzige was er tut ist auf meinen Vater zu hören.
Weil er natürlich immer noch mehr Macht hat als ich und stärker ist. Doch ich bin diejenige die für diese Mission zuständig war. Das wusste er. Er wusste welche Männer ich los schicke und dass er nicht dabei war.

„Ich hatte dich nicht eingeteilt-" Doch der brummende Motor, den Paulo startet als meine Stimme die Stille durchschneidet, lässt mich nur noch wütender werden. Nicht einmal jetzt will er mir zuhören.

„Paulo." Sein Blick ist auf die nun freie Straße vor uns gerichtet. „Paulo", wiederhole ich mich dieses Mal lauter, doch das einzige was sich bewegt sind seine leichten braunen Locken, welche im Takt des Autos wippen.

„Ich hatte dich nicht eingeteilt!", mahne ich dieses Mal laut, setze mich aggressiv auf und lasse meine Handfläche gegen die Fensterscheibe schlagen.

Und endlich sieht er zu mir. Schaut mich an als wäre er der König und fasst stärker um das Lenkrad. „Du wusstest das ich bei der Verfolgung dabei sein wollte", murmelt er nun, worauf ich schweigend meine Augen schließe.

Natürlich wusste ich das. Das hat er mir immer und immer wieder beim Sex erzählt. Während andere Pärchen sich liebenswürdige Worte ins Ohr flüstern, versucht er mir einzutrichtern ihn auf eine der wichtigsten und ranghöchsten Missionen zu lassen.

„Ich habe dir gesagt ich werde dich nicht bevorzugen", fange ich nun an zu erklären und starre auf die vielen Autos die uns entgegen kommen. „Egal was sich zwischen uns entwickelt... Ich werde dich deswegen niemals bevorzugen."

Ein verzweifelter Seufzer findet über seine Lippen, bevor er aggressiv auf das Lenkrad in seinen Händen boxt. Erschrocken zucke ich zusammen, beobachte ihn dabei, wie er seinen Brustkorb stärker als sonst hebt und seinen Kiefer gefährlich aufeinander mahlen lässt.

Doch er sagt nichts. Ich sage nichts. Wir schweigen.

Was soll ich ihm auch sonst sagen? Dass er nichts getan hat um bei dieser Mission dabei hätte sein zu dürfen? Das nächste was ich dann wohl zu sehen bekommen würde, ist seine aufgestaute Wut. Und dafür habe ich nun wirklich keinen Nerv mehr übrig.

„Nichts", antwortet Milan, einer meiner besten Männer auf meine Frage, ob der Mann schon geredet hat. Verstehend nicke ich, betrachte das blutige Seil in seinen Händen und straffe ein letztes Mal meine Schultern, bevor ich die Tür aufreiße. Dunkle Augenpaare starren auf mich. Die meisten sind von den weiteren Wachen, die aus unserem Opfer heraus bekommen sollten, wieso unsere ganzen Bunker ausgeraubt wurden. Doch zwei Augen mustern mich besonders genau.

Wie die Augen eines Tigers sieht er an mir herunter. Das letzte Licht in diesem Raum sind nur noch die einzelnen Sonnenstrahlen, welche durch das Fenster rechts von mir herein strahlen. Doch trotz der gelben, fröhlichen Sonne, ist das einzige was diesen Raum füllt bedrücktes Schweigen.

„Kirko ist gerade-", meint Milan nun, doch ich unterbreche ihn sofort, während mein Blick weiterhin auf dem Fremden liegt, welcher seine Schulter ausrenken wird, wenn er weiter versucht sich aus den Fesseln zu reißen. „Ich will nicht wissen wo mein Vater ist."

Ohne eine Antwort zu geben schmeißt der Schwarzhaarige nun das Seil vor die Füße des Braunhaarigen, was die vielen blutigen Kratzer an seinem Oberkörper erklärt. Schweißperlen kullern seine Stirn hinunter und das einzige an seinem Körper was noch ganz ist, ist seine Hose. Obwohl- Das Loch an seinem rechten Hosenbein lässt sie nicht mehr heile aussehen.

Wut und noch mehr Wut spiegelt sich in seinem Verhalten und seiner Haltung wieder. Sein angespannter Kiefer, die zu Fäusten geballten Hände, das schwere Atmen und dieser stechende Blick, der mich wahrscheinlich einschüchtern soll.

Doch die Frage, die ich mir nun stelle ist: Wer ist dieser Mann?

„Ich habe mir Mr. Lantin älter vorgestellt", werfe ich nun in den Raum, worauf das laute Brüllen des Mannes vor mir und Milan's etwas zu ruhige Stimme, auf meine Aussage antworten. „Mr. Lantin wurde von einem unserer Leute getötet."

Er wurde getötet?
Mr. Lantin ist- tot? Wegen einem unserer Männer...

Schweigend versuche ich diese Worte zu verarbeiteten. Versuche zu verstehen was mir gerade erzählt wurde und das die einzige Quelle die uns hätte helfen können, also nicht vor mir steht, sondern tot ist. Schwer atmend und immer noch nicht antwortet, fange ich an den roten Ring an meinem Finger zu drehen. Lasse all die Gefühle, welche gerade auf mich hinab prasseln nicht nach außen kommen, und schaue Milan stattdessen nun in die Augen.

„Mr. Macha meinte er hätte uns ausgeraubt. Er gehört ebenfalls zu der Gang." Ein leises Räuspern kommt aus seiner Kehle gekrochen, als er nun die nächsten sechs Wörter über seine Lippen kommen lässt. „Das vor uns ist Fion Macha."

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