KAPITEL 5
RUBY
Das Horrorhaus war in etwa so gewesen, wie man sich ein Haus für verstoßene, kranke und waise Kinder vorstellte.
Es lag in einem der schlechtesten Stadtteile Londons, war umgeben von einem dreckigen Innenhof, hatte einen pissgelben Anstrich und war auch sonst, alles, nur kein wirklicher Zufluchtsort.
Wie meine Mitbewohner es schafften, sich zu sechst in den kleinen vier Wänden, mit Türen aus Pappe und Zimmern so groß wie eine gewöhnliche Abstellkammer, wohl zu fühlen, war mir bis heute ein Rätsel.
Vielleicht lag das tatsächlich daran, dass ich vor gar nicht allzu langer Zeit in einem Haus gelebt hatte, das über den üblichen Standard hinausging.
Vielleicht war ich tatsächlich ein wenig arrogant und abgeneigt von Dingen, die meinen Geschmack nicht trafen und ein wenig zu billig schienen.
Konnte man mir das verdenken?
Mit Sicherheit.
Und Zoey hatte es jeden Tag getan.
Sie hatte mich verurteilt, mich darauf hingewiesen, wie lächerlich unsympathisch ich war und wie ekelig ich mich anderen Menschen gegenüber verhielt.
Aber hinter Zoeys Worten lag neben all diesen Gründen auch immer noch ihr krankhaftes Streben nach Glitzer und Glamour und dem Neid auf jeden, der eine teure Handtasche von Louis Vuitton mit sich herumtrug.
Ich gehörte nicht dazu. Aber es war kein Geheimnis, dass ich durchaus dazugehören konnte und Geld im Allgemeinen war etwas, das Zoey unbeschreiblich glücklich machte.
Das war einer der Gründe, warum ich sie nicht leiden konnte.
Einer der Gründe, warum ich ihr von Anfang an unfreundlich gegenüber gestanden hatte.
Zoey gierte nach Geld und Reichtum.
Sie war einer dieser Menschen, der reich und berühmt werden und dann nie wieder einen Finger rühren wollte.
Ich konnte ihr das nicht verdenken. Es hatte Vorteile, Geld zu haben und sich nicht in finanziellen Sorgen wiegen zu müssen.
Aber Ereignisse in der Vergangenheit hatten mich gelehrt wie niemals zuvor, dass Geld bei weitem nicht das Wichtigste auf diesem Planeten, nie die Lösung aller Probleme und vor allem, es niemals genug war.
Nicht genug, um das Leben zu regieren.
Um gewisse Dinge ungeschehen zu machen.
Um Menschenleben zu retten.
Geld war Irrsinn.
Geld war tückisch.
Und doch war es das, was im Menschen am meisten Zufriedenheit auslöste.
Auch ich konnte nicht von mir behaupten, von der Villa abgeneigt zu sein oder vorgeben, sie würde mir nicht imponieren.
Das tat dieses Haus aus Gold ohne Frage und ich war überwältigt von seiner Schönheit. Aber das lag nicht allein daran, dass es unheimlich viel wert war, sondern vielmehr an der wunderschönen Tatsache, dass es sich hierbei um ein Zuhause handelte.
Dieses Gebäude mit den kunstvollen Malereien an der Decke, den verwinkelten Erkerfenstern und dem Fliesenboden aus Marmor war ein Zuhause, ein Ort, an dem mehr als Leben herrschte, an dem Menschen Rückzug und Geborgenheit fanden, an dem auch mal Chaos war und etwas kaputt ging, an dem Menschen lachten und sich auf der Couch zusammenkuschelten oder sich verspaßt durch jede Ecke des Hauses jagten.
Viele goldene Käfige trugen den Status eines Wohnsitzes, aber nicht viele der imposanten Schlösser waren tatsächlich ein Zuhause, in dem Liebe, Zuneigung und Willkommensgefühle herrschten.
Das Haus, in dem ich aufgewachsen war, kam diesem hier ziemlich ähnlich.
Es war ebenfalls ein Zuhause gewesen.
Unperfekt perfekt war es gewesen und ich liebte es bis heute, auch wenn mich jeder Gedanke an damals in diesem Haus quälte.
Auf dieser Welt gab es nur einen Ort, der zuhause war.
Manchmal war der Ort ein Mensch, manchmal nur ein Gefühl.
Bei mir war es jede Erinnerung rund um London, rund um die Villa meiner Familie, die wir so manches Mal hatten von Lachen nur so erbeben lassen.
Ich war mir sicher, mein Zuhause verloren zu haben.
Denn der Ort, an den ich wirklich gehörte und an dem ich Sicherheit empfand, war untergegangen und verdreht worden. Aber das machte den Vergleich zu diesem Haus nicht weniger spannend.
Ich mochte mein Zuhause verloren haben, aber die Bewohner dieses Hauses kennenzulernen und zu sehen, wie sie in ihren vier Wänden wahrhaftig lebten und blühten, war ein bedrückendes Gefühl von Erfüllung.
Stumm und fasziniert folgte ich Landon durch die Millionen Gänge und Türen des Hauses und ließ mich von ihm herumführen. Er brachte mich an jeden Winkel des Hauses, erzählte hier und da von etwas und deutete auf Dinge.
Ich hörte ihm nur mit einem Ohr zu, während ich immer wieder zu eingenommen von den Bildern und Leinwänden an den Wänden der Korridore war und die Gemälde betrachtete, die überall aufgehängt waren und im Sonnenlicht der Unikate strahlten.
Landon führte mich mit einem leichten Grinsen auf den Lippen durch das Gebäude, versuchte immer wieder Witze zu reißen und vertraute mir hier und dort das ein oder andere Detail an.
Und ich sah ihn, sah wie wohl er sich fühlte, wie zufrieden er war und wie ungehalten er auf Menschen zugehen konnte.
Ich war ihm gegenüber nicht unbedingt freundlich oder aufgeschlossen, aber er redete dennoch mit mir, als würde ich seine Freundlichkeit verdienen und kennenlernen müssen.
Bei Fotos, an denen wir vorbeigingen, deutete er immer wieder auf Personen und erklärte mir, welcher der Jungs darauf abgebildet war. Ich erkannte Tyson auf einem Kinderfoto neben Logan, wie der Pistolenmann von der Straße heißen sollte, wieder.
Darüber hinaus lernte ich Landons Zwillingsbruder Tristan, und die beiden Jüngsten – Louis, achtzehn, und Jonah, der knapp ein Jahr jünger als ich sein sollte – kennen.
Die Wände im Wohnzimmer und Hausflur waren voll mit Bilderrahmen, die gefüllt waren mit einer wahrhaftigen Kindheit, wie auch ich sie gehabt hatte, und keiner strengen Erziehung mit Kindermädchen. Die Jungen lachten und grinsten auf jedem Foto und man sah ihnen ihre Frechheit und den Schabernack so gut an, dass ich beinahe gewillt war, selbst grinsen zu müssen.
»Das war der sechzehnte April vor zehn Jahren. Einer der besten Tage überhaupt, obwohl niemand von uns großen Lust hatte mit klein Jonah und Louis in den Zoo zu gehen. Mum musste uns zwingen und mit Eis bestechen, damit wir den beiden nicht den kompletten Tag vermiesen, obwohl wir das sowieso nicht getan hätten. Aber das musste sie ja nicht sofort wissen.
Im Streichelzoo sind wir ganz am Ende des Tages noch hängen geblieben und ich schwöre dir, Rubs, diese Kaninchen waren die goldigsten Wesen, die ich neben mir selbst jemals gesehen habe. Die Ziegen hingegen ... Sagen wir es mal so, Tyson musste an diesem Tag ohne Hose nach Hause fahren.«
Jetzt konnte ich mir das leichte Grinsen doch nicht mehr verkneifen und ein schmales Lächeln glitt über meine Lippen, als ich den eben noch als kalten Stein kennengelernten Mann zehn Jahre jünger in grün-rot-blau geringelten Unterhosen mit verschränkten Armen und mürrischer Miene auf einer Wiese stehen sah. Neben ihm ein strahlender Landon, der ein weißes Kaninchen in den Armen hielt und fasziniert das kleine Wesen ansah, während Tyson eine wilde Miene aufgezogen hatte und eine graue Ziege im Hintergrund genüsslich seine Jeanshose zerfraß.
Dieses Foto war ein starker Kontrast zu dem Mann, den ich eben kennengelernt hatte und bei dem ich in nächster Zukunft wohnen sollte.
»Ah, ah, ich hab es gesehen!«, grinste Landon stolz und lächelte mich an. Ich hob eine Augenbraue. Was wollte er gesehen haben?
»Du hast gelächelt, Ruby. Das erste Mal an diesem Abend, obwohl ich schon die ganze Zeit meine Witze reiße!«
Ich sah ihn fragend an. Und das war ihm weswegen so wichtig? Er kannte mich doch gar nicht und wieso wollte er gerade mich zum Lachen bringen?
Es war generell merkwürdig, dass er mir all diese Fotos zeigte und so viel über seine Familie und sich selbst preisgab.
Woher kam sein Vertrauen in mich? Woher kam seine Gewissheit, dass ich ihm und diesen Männern hier nicht schaden wollte?
Bei Gott, ich hatte seine Brüder verletzt und ihn mit einer Waffe bedroht!
Was sollte das alles?
»Warum ist dir das so wichtig? Und überhaupt, wieso erzählst du mir das alles? Ich meine, ich bin eine vollkommen fremde Person und ich könnte sonst was mit all diesen Informationen tun. Wer sagt dir, dass ich dir nicht schaden werde?«, fragte ich die Fragen in meinem Kopf ab und sah ihn ehrlich interessiert an.
Mein Aufenthalt in seinem Haus mit seinen Geschwistern und dem Kontakt zu seiner Familie konnte ihm jederzeit schaden, denn man würde nach mir suchen und jede Rückendeckung würde diese Leute auseinander reißen. Ich war eine Gefahr für ihn und er behandelte mich wie eine Freundin. Wie konnte er das tun?
Landon lächelte sanft und sah mir in die Augen, als er schulterzuckend antwortete: »Hast du denn vor, mir und meiner Familie zu schaden?«
Ich blieb still, denn, nein, bisher war das nicht in meinen Plänen vermerkt gewesen.
Landons Lächeln wurde breiter.
»Siehst du. Du selbst sagst mir, dass ich dir vertrauen kann und das ist alles, was zählt. Und jetzt komm, Rubs, ich muss dir noch dein wunderschönes Schlafgemach zeigen!«
Mit einer aufgeregten Handbewegung winkte er mich zum Treppenansatz und lief mir voraus die Stufen nach oben ins Obergeschoss.
Ein langer Flur erstreckte sich mir, ausgelegt mit rotem Teppichboden, der schon am Ansatz der Wendeltreppe begonnen hatte.
Die Wände, die immer wieder von weißen Türen unterbrochen waren, waren übersät mit bunten Leinwänden in allen Farben und Formen und wunderschönen Motiven.
Gleich zu Anfang hing eine Leinwand gestempelt mit Fünfecken, die regenbogenfarbig waren und sich immer wieder überschnitten und streiften.
Es sah wunderschön aus.
»Von wem ist das?«, fragte ich neugierig und trat näher an das Bild heran.
In unmittelbarer Nähe fiel mir ein kleiner Hirsch auf, der mit stolzem Geweih auf den Kanten eines der Fünfecken balancierte.
Landon stellte sich neben mich und betrachtete das Bild ebenfalls.
»Es ist von Tristan. Er und ich studieren Kunst und Design und haben alle Gemälde hier in diesem Flur gemacht.«
Ich staunte nicht schlecht.
Unten war die ein oder andere sehr detaillierte und außergewöhnliche Bleistiftzeichnung von Tyson aufgehängt, aber dass sich hier anscheinend alle für Kunst interessierten und darin auch noch begabt waren, hatte ich gar nicht erwartet.
»Es ist wunderschön«, gestand ich und biss mir dann ganz unauffällig auf die Lippe, um mich zu stoppen.
Ich musste damit aufhören, hier alles zu kommentieren und fasziniert anzuschauen.
Es war ein belangloses Gemälde in einem belanglosen Haus mit belanglosen Bewohnern, so musste ich es sehen.
»Ja, das ist es. Aber nun komm, es gibt bald Abendessen und du willst dich bis dahin vielleicht noch ein wenig ausruhen oder duschen.«
Landon wank mich zu der Holztür gleich gegenüber von dem Gemälde, das mir so gefallen hatte, und ließ mich vor sich eintreten.
Ein Zimmer in fliederfarbenen Tönen erstreckte sich mir.
Ein großes Himmelbett stand links an der Wand, gegenüber eines weißen Kleiderschranks und einem kleinen Schminktisch, der überfüllt war mit Kosmetikprodukten, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Der Boden war erwärmt, als ich auf meinen Socken über die Türschwelle trat und mich näher umsah.
Ein Schauer lief über meinen Rücken und meine kalten und müden Knochen schienen wegen der Temperatur der Fußbodenheizung beinahe sofort zu schmelzen, während mir im Anschluss an das Schlafzimmer noch eine weitere Tür zu einem eigenen Badezimmer ins Auge stach.
»Das Zimmer wird ab und an von Louis' Cousine Melissa bewohnt. Ihre Eltern sind oft für mehrere Wochen oder Monate im Ausland, dass sie dann hier unterkommt.
Wenn du willst, kannst du dich an ihrem Schrank bedienen und nach passenden Klamotten gucken.
Sie hat so viel, dass es ihr bestimmt nicht auffallen wird.«
Ich nickte verstehend.
Louis' Cousine erklärte, warum dieser Raum so weiblich ausgestattet war.
Dass ich mir allerdings etwas von ihrer Kleidung leihen konnte, war ein Wunschtraum.
Kaum nämlich hatte ich eine der Schranktüren geöffnet, erschlug man mich förmlich mit bauchfreien T-Shirts und Tops, Pullovern mit sehr fantasievollen Ausschnitten und alles, was normal schien, war mit einem Vergleich auf meine Statur wieder freizügig.
Selbstkritisch zog ich mir ein graues Langarmshirt über die Kleidung, die ich sowieso schon anhatte, und drehte mich dann zu Landon um, der gleich darauf in Gelächter ausbrach.
Das Shirt von benannter Cousine war mir viel zu groß und obwohl es nur einen kleinen V-Ausschnitt haben sollte, fiel mir, wenn ich nicht meinen eigenen Sweater anhätte, der halbe Busen aus dem Stoff.
Ich betrachtete mich mit hochgezogenen Augenbrauen und fragte mich, wie ich mir dieses Mädchen vorstellen konnte. Entweder Melissa war um Meilen größer und vielleicht ein wenig stabiler als ich, oder aber ihre Kleidung war mit voller Absicht so, wie sie eben war.
»Ich sehe schon, hier haben wir ein kleines Problem«, kicherte Landon, prustend, weil die Kleider so lächerlich an mir aussahen.
»Ja«, stimmte ich trocken zu, drehte mich um und probierte fünf weitere Kleidungsstücke, mit ein und demselben Ergebnis, an.
Hatte dieses Mädchen denn nicht einen vernünftigen Pullover? Einen zum Kuscheln und Verkriechen? Auch für Zwerge wie mich?
Landon kriegte sich kaum mehr ein. Ich gönnte ihm seinen Spaß, aber diese Kleidung würde ich unmöglich akzeptieren. Er und seine Brüder konnten vergessen, dass ich in den nächsten Tagen oder Wochen wie eine Hure durch das Haus lief.
Außerdem war das verdammt unbequem und zugegeben ein wenig kalt für mich ...
»Was gibt's zu lachen?«, fragte plötzlich eine Stimme hinter Landon und kurz darauf schoben sich zwei neugierige Jungsköpfe durch den Türrahmen.
Einer der beiden war unverkennbar Landons Zwillingsbruder Tristan, der mit seinem bronzenen Haar und den Sommersprossen einen wirklich außergewöhnlichen Kontrast zu seinem Bruder bot.
Auf den ersten Blick glaubte man niemals, dass sie überhaupt verwandt waren. Aber wenn man genauer hinsah, dann stimmten ihr Hautton und diese schillernden grünen Augen überein.
Neben Tristan tauchte der jüngste der Bande auf, den Landon mir auf einem der Fotos als Jonah vorgestellt hatte.
Er hatte tiefschwarzes Schüttelhaar, braune Augen und einen ziemlich südländischen Touch.
Im Vergleich zu seinen älteren Brüdern sah man ihm an, dass er ein wenig jünger war, aber allgemein musste ich gestehen, dass sie alle nicht nur unglaublich hübsch und attraktiv aussahen, sondern auch ziemlich erwachsen für ihr Alter schienen.
Keiner der drei war älter als zweiundzwanzig und sie sahen dennoch aus, als wären sie schon mitten im Leben angekommen, zumindest äußerlich.
»Ruby«, sagte Landon, noch immer mit einem Prusten, da es ihn anscheinend köstlich amüsierte wie klein und zierlich ich geboren war.
Tatsächlich war ich mit meinen siebzehn Jahren eine lächerlich kleine Frau, aber ich maß mich nicht in Zentimetern, sondern in Mentalität und innerlicher Stärke und konnte da stolz behaupten, einigen auf die Glatze spucken zu können.
Zoey zum Beispiel.
Mit den Augen rollend gab ich mich dem Amüsement hin und drehte mich einmal für die anderen beiden, bei denen ich überrascht war, als sie mich mit schiefgrinsenden Gesichtern ansahen.
Jonah und ich waren uns noch nicht begegnet und an Tristans Hals prangerte mein Fußabdruck, aber keiner von ihnen schien mich in irgendeiner Form verurteilen oder hassen zu wollen.
Ganz im Gegenteil.
Auch Tristan brach in leises Gelächter aus, als er den Ausschnitt sah, den Melissas "Sweater" bei mir warf.
Ich hatte mit einem Schwall Wut und Desinteresse gerechnet, wo ich ihn doch derartig verletzt hatte.
»Das ist natürlich wirklich ... kritisch«, murmelte Jonah mit verkniffener Miene und trat dann einen Schritt ins Zimmer.
»Aber bevor du mich als unhöflich abstempelst, sollte ich mich erstmal vorstellen. Ich bin Jonah.«
Andächtig reichte er mir die Hand, die ich nicht erwiderte, sondern bloß mit schiefem Blick betrachtete.
Welches Spiel spielten sie hier?
»Mal ehrlich, Jungs, ihr macht mich stutzig. Ich bin nicht mal zwei Stunden hier und ihr fallt vor übermütiger Freundlichkeit beinahe vom Stuhl. Hat das irgendwelche Hintergedanken oder seid ihr wirklich einfach nur gut erzogen?«, fragte ich und stemmte die Hände in die Hüfte.
Wollten sie mich veräppeln?
Sie kannten mich doch überhaupt nicht und das, was sie von mir wussten, war alles andere, als etwas, das Freundlichkeit hervorrief.
Sie schienen gar, als würden sie sich freuen, dass ich da war.
Seltsam.
»Keine Hintergedanken«, stellte Tristan klar und sah mir aufrichtig entgegen, »aber das mit dem gut erzogen wirst du dir auch zweimal überlegen müssen, wenn du uns in den nächsten Tagen besser kennenlernst. Heute hast du unseren Neulings-Bonus, aber glaub ja nicht, dass wir dich verschonen, Rubs.«
Auf Tristans Gesicht zog sich eine freche Grimasse.
»Schon gar nicht nach heute. Ich fordere eine Revanche für das, was da jetzt an meinem Hals schmerzt. Wo hast du bitte so kämpfen gelernt?«
Anstelle von Wut schien er unglaublich interessiert und überrascht zu sein.
Kam vermutlich nicht oft vor, dass ein Mädchen zwei so stämmige Kerle umlegte.
Ich schätze, es gibt für alles ein erstes Mal.
»Warte mal, das warst du? Und bei Logan auch?«, mischte Jonah sich in das Gespräch ein und sah erstaunt zwischen Tristan und mir her.
Landon nickte stolz.
»Jap, Jonny, das war unsere neue Mitbewohnerin, also sieh dich vor, wem du das nächste Mal im Schlaf einen Schnurbart auf die Wange kritzelst, es könnte dein letzter sein.«
Wir fielen alle in leises Gelächter aus und ich musste zugeben, dass die Jungs schon schwer in Ordnung schienen.
Zumindest, wenn sie wirklich so waren, wie sie sich jetzt gaben.
»Shit. Dann will ich beim Training dabei sein. Das sieht ja böse aus!«, gestand Jonah und sah sich meinen Fußabdruck einmal genauer an, ehe er mich anerkennend musterte.
Ich hob unschuldig meine Arme.
»Ich habe mich bloß verteidigt. Das ist kein Verbrechen und, nachdem ihr mich mit einer Waffe bedroht habt, obwohl ihr angeblich nur reden wolltet, blieb mir keine Wahl.«
Landon und Tristan nickten einstimmig.
»Ja, das war kein so kluger Schachzug, aber immerhin haben wir unsere Strafe dafür bekommen.«
Ich sah ihnen bestätigend entgegen, während Jonah zu grinsen begann und dann ganz laut »Karma!« flötete.
Wir anderen kicherten.
»So, aber jetzt zu unserem eigentlichen Problem zurück. So kannst du nicht bleiben«, entschied Landon mit einem Blick auf mich und meine Kleidung.
»Werde ich auch nicht. Ich bleibe einfach in dem Shirt, was ich anhabe«, sagte ich schulterzuckend.
Die anderen schüttelten mit dem Kopf.
»Nein, auf keinen Fall. Erstens ist dieses T-Shirt mehr shit als lit und ich kriege Augenkrebs, wenn ich das die nächsten Tage durchgängig sehe und zweitens bist du jetzt eine von uns, was heißt, dass du nicht in sowas rumlaufen kannst.«
Jonah verzog das Gesicht und erhielt einstimmiges Nicken.
Ich merkte schon, diese Herren waren kleine Beautyqueens.
So hässlich war das Shirt nun auch nicht. Es war halt ein fünf Pfund Shirt aus irgendeinem Second-Hand-Shop, den Miss Jane toll fand.
Früher hatte ich sowas ganz gewiss auch nicht getragen, obwohl es nicht schlimm war.
»Ja, du kriegst einfach ein paar Sachen von uns. Die sind dir zwar vermutlich noch viel größer, aber wenigstens bequem und ohne diesen Fummel-Ausschnitt.
Ich hab eh keine Ahnung, warum man sich das den ganzen Tag antut.«
Landon zog die Nase kraus und alle drei rauschten urplötzlich aus "meinem" neuen Zimmer.
Ich hörte Türen und Schubladen zuschlagen und klappern, ehe alle drei fünf Minuten später mit einigen Kleiderstapeln zurückkamen und sie mir aufs Bett legten.
»Such dir das beste aus, Rubs. Und vielleicht kommen wir innerhalb der nächsten Tage mal in die Stadt und besorgen dir was in deiner Größe.«
Ich staunte nicht schlecht.
Das war wirklich ... nett.
Und so nett war schon lange niemand mehr zu mir gewesen.
»Danke«, hauchte ich und sah dabei zu Boden.
Dieses Wort war mir so fremd.
Die Jungs zwinkerten mir wie selbstverständlich zu.
So, als hätten sie keine Ahnung, wie überwältigt ich tatsächlich war.
Als hätten sie keine Ahnung, wie gerührt ich war.
Als hätten sie keine Ahnung, wie sehr ich mich dafür hasste.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top