~20~

Hinata

Die Vorlesung zog sich wie Kaugummi und nahm einfach kein Ende. Zum wiederholten Male schrieb ich eine der Beispielaufgaben an der Tafel ab, da es viel zu viele Varianten gab, die man beachten musste. Warum hatte ich nochmal gedacht, Mathe in meinem Studium wäre eine gut Idee? Es ist grauenhaft!

Immer wieder zog ich Kreise um die Formel, die ich nun in mein Hirn ballern musste, damit ich die Aufgaben lösen konnte, die ich sicherlich als Übungsaufgaben für die nächste Woche bekommen würde. Mein Notizblatt war nichts mehr als seltsames Gekrakel und Linien, die sich quer über das Papier zogen. 

Ich seufzte. So würde ich meine Prüfungen doch nie schaffen!

>>Scheint so, als müssten wir mal wieder eine Lernparty veranstalten<<, lächelte Inuoka neben mir und schaute mich aus seinen gewohnt freundlichen Augen an. Wieso war er so guten Mutes?

Kenma zu meiner Rechten gab nur ein genervtes Stöhnen von sich. Sein Kopf lag auf seinem Notizblock, wobei seine blonden Haarsträhnen alles verdeckte, sodass ich nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob er wirklich mitgeschrieben hatte. 

Er war trüb, so wie die letzten Wochen. Seitdem er sich mit Kuroo gestritten hatte, war er noch lustloser als sonst und es war ein Wunder, dass er bei der Vorlesung überhaupt aufgetaucht war. Es hatte Inuoka und mich einige Zeit gebraucht, um ihn aus seinem Wohnheimzimmer zu schleifen, damit wir was machen und ihn aufheitern konnten, aber es klappte nicht immer.

Ich machte mir Sorgen, wusste aber auch nicht, wie ich meinem besten Freund helfen konnte. Vermutlich ging das gar nicht, aber ich würde es trotzdem versuchen! >>Eine Lernparty klingt toll!<<, stimmte ich also zu und stupste Kenma an. >>Dann machen wir auch alle mal wieder was!<<

Dieser zuckte nur die Schultern und ich wechselte mit Inuoka einen missmutigen Blick, ehe die Vorlesung auch endlich ihr Ende fand und wir alle unsere Sachen einpacken konnten. Damit wären meine Vorlesungen für heute geschafft! Und Arbeite musste ich heute auch nicht, ich hatte frei!

Wir unterhielten uns über einen Termin zum Lernen, während wir die Flure entlang liefen. Inuoka hatte in einer halben Stunde noch eine Vorlesung, und Kenma musste demnächst ins Restaurant, weswegen wir den Ausgang ansteuerten, aus dem ein Haufen Studenten hinein kamen.

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und ließ mich zusammenzucken. Mit einem erschrockenen Laut drehte ich mich herum und starrte einer Sonnenbrille entgegen. Der Typ hatte noch eine Kap und einen Hoddie drüber gezogen, was eigentlich ziemlich lächerlich aussah. Erst als er die Sonnenbrille etwas herunter zog, mich mit diesen blauen Augen ansah und grinste, entspannte ich mich wieder. 

>>Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken<<, erklang Kageyamas sanfte, aber raue Stimme und ließ mein Herz in meiner Brust gleich wieder aufgeregt flattern. Es war ganz aufgeregt, da ich ihn die letzten Tage nicht gesehen hatte.

Ich konnte gegen mein Strahlen gar nichts machen, auch wenn ich versuchte, es unter Kontrolle zu halten. Ich benahm mich doch sonst total lächerlich. >>Was machst du hier?<<, fragte ich also.

Kenma neben mir schnaubte. Er wollte wohl genervt wirken, schaute sich aber hoffnungsvoll nach einer bestimmten Person um.

Kageyama grinste nur und zuckte die Schultern. >>Ich wollte dich sehen<<, antwortete er nur schlicht und zuckte die Schulter, ließ aber erahnen, dass da noch mehr hinter steckte. Warum sollte er sonst riskieren an einen öffentlichen Ort zu kommen? Dann drehte er sich zu meinem besten Freund um. >>Kuroo ist nicht hier.<<

Der Blonde presste die Lippen zusammen und funkelte ihn an. >>Ach, als ob mir das noch nicht aufgefallen ist, eure königliche Hoheit<<, spie er ihm angefressen entgegen.

Der Prinz zog verblüfft die Augenbrauen hoch, als er diese Feinseligkeit zu spüren bekam.

Ein erschrockenes Keuchen lenkte meine Aufmerksamkeit aber wieder nach links und ich stockte. Inuoka wusste ja gar nichts von alle dem! Und er war ja immer schon ein Fan der königlichen Familie gewesen, den Kronprinzen jetzt vor sich zu haben, muss sicherlich ein großer Moment für ihn sein. 

>>Der- der- du bist der-<<

Bevor er ausreden konnte, hielt ich ihm die Hände vor dem Mund, damit er ja still bleibt und nicht die Aufmerksamkeit erregt. Das wäre wohl eher unvorteilhaft, für uns alle. Er schaute mich nur an.

>>Zur Erklärung<<, fing Kenma an und schaute zu unserem gemeinsamen, hyperventilierenden Freund. >>Shoyo lässt sich von dem Kronprinzen flachlegen.<<

meine Wangen wurden heiß. >>Kannst du bitte still sein!<<, zischte ich ihm zu und biss mir beschämt von innen auf die Wange.

Inuoka starrte mich nur mit großen Augen an. Das war wohl ein Schock für ihn. Er hatte die Royals immer als eine Art Figuren im Fernsehen gesehen, wohl eher surreal und in der Ferne. So wie ich eigentlich auch, aber jetzt hatte ich Kageyama.

Dieser räusperte sich gerade, um wieder Aufmerksamkeit zu bekommen, dabei hielt er seine Faust vor dem Mund. >>Aber da wir ja so schön festgestellt haben, dass mir ein Fahrer fehlt, würdest du diese Ehre übernehmen?<<, fragte er und sah mit direkt und mit einem schelmischen Funkeln in die Augen.

Perplex blinzelte ich ihn einige Male an, ehe ich den Kopf schief legte. >>Du willst mich als Fahrer?<<, fragte ich misstrauisch nach und legte die Stirn in Falten.

Er nickte und hatte diese verspielte Haltung angenommen. >>Ich möchte wohin, aber meine Bodyguards wollen mich nicht fahren. Außerdem hätte ich dich gerne dabei!<<, verkündete er und legte den Kopf ebenfalls schief. >>Was meinst du?<<

Keine fünf Minuten später saßen wir in meinem Auto.

Es war mir irgendwie unangenehm, ihn hier neben mir sitzen zu haben, außerdem wirkte es alles so irreal. Der Kronprinz machte es sich gemütlich und schaute sich in meinem kleinen Twingo um. Es war etwas unordentlich, da meine ganzen Schulsachen hinten auf der Rückbank lagen und man sah dem Kleinen an, dass er schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Nichts prinzenwürdiges.

>>Süß<<, kommentierte er allerdings nur und hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen, ehe er sein Handy auf das Armaturenbrett legte. Darauf war eine Rute von fast zwei Stunden drauf.

Überrascht schaute ich ihn an. >>Wo willst du denn hin?<<, fragte ich und hatte große Augen. >>Das ist nicht mal mehr hier in der Stadt.<<

Er nickte und lehnte sich zurück. >>Siehst du, wenn wir da sind<<, meinte er und setzte seine Kappe und seinen Hoddie ab, wobei er sich daraufhin durch die rabenschwarzen Haare fuhr. >>Ich habe dort noch was zu erledigen, aber momentan darf ich eigentlich die Stadt gar nicht verlassen.<<

Langsam startete ich den Wagen und fuhr aus der Parklücke, um erst mal auf die Hauptstraße zu kommen. Trotzdem konnte ich mir, einen Fragen Blick nicht verkneifen. Er redete nicht viel über sein Leben als Prinz, schon manchmal über persönliche Sachen, aber es war sehr wenig. >>Wieso darfst du die Stadt nicht verlassen?<<

Er seufzte und streckte seine Beine und in dem kleinen Auto, so gut es eben ging. >>Es gab doch vor knapp drei Monaten diesen Brand im Inarizaki-Palace, erinnerst du dich?<<, fragte er mich und schaute rüber.

Ich nickte langsam, währen meine Hände am Lenkrad auf und ab fuhren, ehe ich blinkte und die Spur wechselte. >>Ja, es war einige Zeit ein großen Thema in den Medien. Geht es eigentlich wieder allen gut? Es hieße eine Leibgarde wurde verletzt.<<

>>Ja, Suna geht es wieder gut. Es war der, der sich jetzt mit einem Cousin verlobt hat<<, erklärte er und fuhr sich wieder durchs Haar.

>>Ach, so ist das!<<, leuchtete es mir ein und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. >>Ist ja richtig romantisch!<< Ich kicherte.

Kageyama neben mir zog eine Augenbraue hoch und schnaubte belustigt. >>Das findest du romantisch? Sollte ich jetzt auch für dich ins Feuer springen?<<

Meine Wangen wurden heiß. >>Nein, so meinte ich das doch gar nicht!<<, haspelte ich. >>Du sollst dich doch nicht verletzten, ich meine nur-<<, ich brach mitten im Satz ab. Wollte Kageyama wirklich romantisch für mich sein? Das würde dann doch aber über eine Sexbeziehung raus gehen, oder?

>>Shoyo, es ist grün.<<

>>Was?<<, fragte ich völlig aus den Gedanken gerissen und schaute mich um, ehe ich auch das Hupen hinter mir hörte. Jetzt war ich noch beschämter. Langsam drückte ich wieder aus Gas und rollte über die grüne Ampel.

Danach legte sich erst einmal Schweigen über uns, was mich nur nervös machte, also schaltete ich das Radio an, um neben dem Motor wenigstens etwas Hintergrundbeschallung hatte. Als dann die warmen Klänge von Shawn Mendes auf mein Gehör trafen, leuchteten meine Augen auf und ich musste einfach lauter drehen. 

Kageyama drehte seinen Kopf zu mir und schaute mich an. Ich ignorierte es aber einfach und trommelte mir meinen Fingern auf das Lenkrad, während sich meine Hüften im Takt mitbewegten. Ich summte leise den Text mit.

>>Du stehst also auf Shawn Mendes, ja?<<, fragte er mit einem leicht neckenden Unterton, wobei eine seiner schwarzen Augenbrauen in die Höhe ragte.

Mein blick glitt nun doch kurz zu ihm. >>Na klar! Sag mir nicht, dass du ihn nicht kennst<<, erwiderte ich und sah ihn vielsagend an. 

>>Doch, schon, einige Lieder sind echt gut<<, gestand er, tat aber desinteressiert und lehnte sich wieder zurück.

>>Ach komm!<<, versuchte ich, ihn zu motivieren und strahlte ihn an. >>Im Auto gemeinsam laut singen, ist das beste!<<, beteuerte ich weiter.

Kageyama zuckte bloß die Schultern und wirkte etwas unbeteiligt.

Nun war meine Stimme etwas geschockter. >>Sag mir nicht, du hast dir noch nie mit einem Freund im Auto die Seele aus dem Leib gesungen!<< Ich starrte ihn von der Seite an.

>>Nein, das... so fahre ich nicht Auto.<< 

Mein Lächeln sank leicht, als ich das hörte, vor allem wie allein er dabei klang. Es war irgendwie merkwürdig und mir gefiel der Blick in seinen schönen, blauen Augen nicht, also stupste ich ihn an der Schulter an. >>Dann bekommst du jetzt die Chance dazu!<<, animierte ich ihn und strahlte ihn wieder an. >>Sing mit! It's like an anthem that the whole world's singin', Hands are in the air, Hands are in the air.<<

Ich schaute wieder zum Beifahrersitz und sah den unsicheren Gesichtsausdruck in seinen Zügen. Gerade, als ich ihn nochmal einem Anstoß geben wollte, überraschte er mich damit, indem er den Mund öffnete und mit mir gemeinsam die nächste Strophe zum besten gab.

>>Something big, I feel it happening, Out of my control, Pushing, pulling, and it's grabbing me, Feel it in my bones, Like, Oh, woah, woah, Oh, woah!<<

Die gesamte Fahrt über brüllten wir uns ein Lied nach dem anderen die Seele aus dem Leib. Kannten wir mal eines nicht, wechselten wir den Sender, oder schauten die Lyrics nach, damit wir trotzdem singen konnte. Vielleicht glich es auch mehr einem Brüllen, keine Ahnung. Aber ich hatte meinen Spaß! Und ich glaube, Kageyama auch.

-

Unser Ziel befand ich in einem Vorort der nächste gelegenen, größeren Stadt. Ich wusste nicht genau, was Kageyama hier wollte, doch ich hielt vor der Adresse, die er ins Navi eingegeben hatte. Es war ein kleines Tattoo-Studio.

Als wir ausstiegen, zogen wir uns beide eine Kap auf und die Kapuzen über den Kopf, auch wenn es hier in der Gegend und um diese Uhrzeit recht ruhig war. Es war hübsch, nicht groß, aber es gab mir eine angenehme Atmosphäre.

Kageyama wusste scheinbar genau, was er vorhatte, denn er steuerte direkt den Eingang des Studios an. Ich musst etwas traben, um mit ihm mitzuhalten, doch ich folgte ihm ins Innere. Es war klein, hatte einige Bilder von tätowierten und gepiercten Menschen an den Wänden, die allerdings in einem sehr freundlichen hellblau gestrichen waren. Rechts war ein Wartebereich und von weiter hinten waren die Geräusche der Maschinen zu hören. Gerade zu war ein Empfangstresen. Auf den liefen wir zu.

Kageyama hielt an und räusperte sich, um die Aufmerksamkeit der blonden Frau auf sich zu ziehen. Als diese sich umdrehte, er kannte ich ein Tattoo am Hals und einige Piercings am Ohr. Sie war hübsch. Ich hätte sie auf Mitte bis Ende Zwanzig geschätzt.

Sie schenkte uns ein kleines Lächeln. >>Guten Tag, was kann ich denn für euch tun? Habt ihr einen Termin?<<, fragte sie höflich und war bereit, an ihrem Computer nachzuschauen.

>>Ich bin Tobio<<, stellte sich Kageyama vor und nahm seine Kapuzen wieder runter. >>Ich hatte angerufen. Dürfte ich vielleicht mit Saiko sprechen?<< Seine Stimme war ruhig, etwas gedrückt, als wäre sie unterschwellig tieftraurig, was mich ihn fragend anblicken ließ, doch blieb ich stumm.

Die Frau blinzelte überrascht und stützte eine Hand in die Hüfte. >>Na, die steht direkt vor dir, was gibt es denn, kleiner Mann?<<, fragte sie mit einem plötzlichen Feuer in der Haltung.

Der getarnte Prinz neben mir schaute sie überrascht an, ehe allerdings bloß schwer schluckte. >>Ich wollte dir das hier geben<<, sagte er leise und holte einen Brief aus der Seitentasche seiner Jacke hervor, um ihn auf den Tresen zu legen und langsam zu Saiko rüber zu schieben. >>Der ist von Miwa.<<

Die Worte ließen die Blonde die Augen aufreißen und sie erstarrte einen Moment in ihrer Bewegung. Das Feuer war wieder weg und sie wirkte plötzlich ganz steif. Ihr Blick traf auf Kageyamas. >>Woher hast du den?<<, fragte sie leise flüsternd, wobei nun auch sie schluckte.

Kageyama nahm seine Kappe nun auch noch ab, was mich ehrlich gesagt, sehr überraschte, doch was mich noch sprachloser machte, war der Schmerz in seinen Augen. Was war hier los? >>Ich bin Prinz Tobio<<, korrigierte er nun seine Vorstellung. >>Und ich war in Miwas Einheit.<<

Nachdem er diese Worte aussprach, war es erst mal still, ehe Saiko uns leise bat, doch mir Wartebereich Platz zu nehmen. Glücklicherweise befand sich niemand weiteres hier, lag wohl daran, dass es mitten am Tag und unter der Woche war.

Kageyama setzte sich auf einen Stuhl, der sich neben einem Tisch befand. Ich pflanzte mich gleich neben ihn, während ich dabei zu sah, wie Saiko mit zwei Gläsern Wasser wieder kam, um sich direkt vor den Prinzen zu setzten. Sie schob beide in unsere Richtung. Den Brief hatte sie zwischen ihre Brüste geklemmt, da sie wohl sonst keine Hand mehr frei hatte. 

Ich bemerkte, wie der Schwarzhaarige neben mir wieder schwer schluckte. Er leckte sich über die Lippen und öffnete sie immer wieder, da er wohl zum Sprechen ansetzten wollte, doch es kam nichts heraus.

Also ergriff die andere Partei das Wort. >>Ich erinnere mich noch, als Miwa mir erzählt hätte, dass der Kronprinz in ihren Trupp versetzt wird und ich es ihr so lange nicht geglaubt hatte, bis sie mir die Mail vor die Nase hielt, sodass ich es Schwarz auf Weiß vor mir sah<<, sing sie plötzlich belustigt an zu erzählen, obwohl es von ihrer gedrückten Stimme getrübt war. Es war nicht schwer zu erahnen, dass Miwa es aus dem Krieg nicht zurück geschafft hatte.

Das zauberte Kageyama allerdings ein zaghaftes Lächeln auf die Mundwinkel. >>Ich kann mir gut vorstellen, wie wenig begeistert sie von dieser Nachricht gewesen sein musste.<< In seinem Ton lagt dieselbe Bedrückung, auch wenn er diesen Gedanken wohl mochte.

Saiko lachte leise und schaute auf ihre zusammen gefalteten Hände. >>Nein, das war sie ganz und gar nicht.<<

>>Ein Prinz ist im Krieg ja auch nicht sehr hilfreich<<, fügte er noch mit bitterem Beigeschmack hinzu. 

Dazu sagte Saiko nichts. Sie schaute ihn nur an und versuchte wohl, ihn einzuschätzen. Genauso, wie ich es bei ihr tat. 

Nach weiteren Sekunden des Schweigens zog sie wieder den Brief hervor und drehte ihn zwischen ihren Hand hin und her. >>Was ist darin?<<, fragte sie nun und schaute Kageyama direkt in die blauen Augen.

Dieser zuckte die Schultern. >>Das weiß ich nicht. Wir beide haben jeweils einen Brief geschrieben und uns gegenseitig gegeben. Wenn einer von uns stirbt, sollen wir diesen zu dem Adressat geben. Und das warst du<<, klärte er sie auf. Er war so leise und ruhig dabei. Es war eine ganz andere Seite von ihm, die ich noch gar nicht kannte.

Saiko nickte nur verstehen und fuhr mit den Fingern zu der Öffnung.

>>Du musst ihn nicht jetzt öffnen<<, unterbrach Kageyama sie und räusperte sich. >>Ich möchte eh nicht wissen, was dort drin steht. Der Inhalt ist persönlich an dich gerichtet.<< Er hob seinen Blick wieder und schaute sie an. >>Ich wollte ihn dir nur geben. Das habe ich Miwa versprochen.<<

Sie blieb stumm, blickte ihm nur ruhig entgegen und nickte wieder ganz langsam, ehe sie den Umschlag wieder sinken ließ. >>Okay. Danke<<, wisperte sie gepresst, wobei sie sich auf die Lippe bis. Vermutlich wollte sie weitere Emotionen unterdrücken.

Kageyama erwiderte das nicken und erhob sich. >>Es war mir eine Freude, deine Bekanntschaft zu machen<<, sprach er sanft und mit einem traurigen Lächeln aus. >>Mach's gut.<<

>>Ganz meinerseits<<, murmelte Saiko leise und schaute noch ein letztes Mal auf. >>Du auch, Tobio<<, verabschiedete sie sich und hielt inne, was sich durch ein tiefes Luftholen bemerkbar machte. >>Wenn du mal reden möchtest<<, fing sie unsicher an. >>Du kannst hier gerne jederzeit vorbei kommen.<<

Er sah sie einen Moment an, ehe er nickte. >>Oder wenn ich mir ein Tattoo stechen lasse<<, meinte er mit einem kleinen Grinsen.

Saiko lachte leise. >>Oder das<<, bestätigte sie. >>Pass auf dich auf!<<

Er nickte, während ich auch langsam aufstand. >>Du auch auf dich.<< Damit gingen wir und verließen das kleine Tattoo-Studio.

Draußen wehte der warme Spätsommerwind und ließ die Bäume mit ihren Blättern rascheln. Es machte es noch idyllischer, da bis auf ein vereinzeltes Auto in den Straßen hier nicht viel los war. Mein Blick schweifte über die Häuser, bevor er zu Kageyama ging.

Sein Gesichtsausdruck war immer noch derselbe, so traurig, verletzt und zerrissen. Und ich hatte keine Ahnung, was ich dagegen machen konnte. Wahrscheinlich gar nichts, aber ich hätte ihm gerne etwas von der Last genommen, die er offenbar auf seinem herzen trug und die ich bis dato nie wahrgenommen hatte.

>>Lass uns einen Spaziergang machen<<, erklang plötzlich seine raue Stimme und er sah mich direkt an, was mein Herz auf eine merkwürdige Art schneller schlagen ließ.

>>Okay<<, erwiderte ich in der gleichen Tonlage. >>Wohin?<< Eigentlich egal, ich würde ihm überall hin folgen. Solange ich bei ihm blieb, war es mir egal.

Mit diesem sanften Lächeln streckte er seine Hand aus und hielt sie mir entgegen. >>Zum Friedhof. Ich möchte Miwas Grab besuchen, dich aber gerne dabei haben<<, gestand er ruhig, wobei ein kleiner Stich des Schmerzes in seinen Augen zu erkennen war.

Ich öffnete meinen Mund und atmete tief ein, während ich seine Hand ergriff. Sie war warm, allerdings auch etwas schwitzig, was dafür sprach, wie schwer das gerade für ihn war. Mit Miwa und diesem Brief. Dennoch verschränkte ich meine Finger mit seinen und nahm sie glücklich entgegen. Er wollte mich bei diesem Schritt bei sich haben und das ehrte mich.

Gemeinsam liefen wir die Straße hinunter, wechselten kein Wort, sondern hörten nur den Vögeln beim Singen zu. Ich wusste immer noch nicht ganz, was es mit dem heutigen Tag auf sich hatte, aber das war unwichtig. Er wollte mich offensichtlich in diesem Moment bei sich und ich würde für ihn da sein. 

Nach einiger Zeit kamen wir bei dem Gittertor des Friedhofes an und hielten inne. Kageyama schaute den Weg entlang und schluckte, wobei seine Hand sich um meiner etwas verkrampfte. Er war sichtlich nervös.

>>Vielleicht können wir ja eine Blume kaufen, die du dann ans Grab legen kannst?<<, schlug ich vor, als mir der kleine Blumenlanden gleich rechts von uns am Eingang auffiel. Vielleicht fühlte er sich dann etwas besser?

Er sah auf und schaute in die Richtung, in die ich zeigte, ehe er leicht nickte. >>Das ist eine gute Idee<<, meinte er und setzte sich in Bewegung, um genau dies zu tun.

Nachdem wir eine einzelne rosa Nelke daraus mitgehen ließen, machten wir uns auf die Suche, nach Miwas Grab. Während wir uns umsahen, erzählte er mir, dass sie diese Art von Blumen am liebsten hatte, jedenfalls hätte sie es mal erwähnt.

Wir liefen ganze zwanzig Minuten die kleinen Wege entlang, bis Kageyama abrupt anhielt und einen runden Stein fixierte. >>Das ist er<<, meinte er plötzlich und kniete sich langsam hin, wobei der das Grab mit schief gelegtem Kopf musterte.

Ich schaute überrascht nach unten und tat es ihm gleich. Dort stand Miwas voller Name und ich Lebenspanne. Die Zeichen waren in schöner geschwungener Schrift und links oben war ein Bild von ihr, auf welchem sie freundlich in die Kamera lächelte. Sie war wirklich hübsch.

Vor dem Stein war eine kleine Engel-Figur und ein eingegrabener Blumenstrauß, der wohl noch recht frisch sein musste. Jedenfalls sah er sehr nett und ordentlich hergerichtet aus.

>>Hey, Miwa<<, begann Kageyama dann plötzlich an, zu reden. >>Ich weiß, ich bin etwas spät.<< Er lachte leise und setzte sich ganz hin, also tat ich es ihm gleich. Mein Blick war dabei auf sein Gesicht gerichtet. >>Tut mir leid, ich weiß ja, wie sehr du Unpünktlichkeit verabscheust, aber ich habe es leider nicht früher geschafft. Aber keine Sorge, der Brief ist abgegeben und ich bin mir sicher, Saiko wird ihn so bald wie möglich lesen.<<

Danach führte er erst mal eine Art Smalltalk mit Miwa, auch wenn es alles sehr einseitig war. Ich hörte ihm dabei aufmerksam zu und lächelte. Es schien, als würde es ihm Stück für Stück leichter fallen und ich merkte, wie das der Moment war, in dem er diese Wunde für sich abschloss. Es gab mir ein angenehmes Gefühl.

Als ihm das der Gesprächsstoff ausging, legte sich Stille über uns, nur das Geraschel der Bäume war zu hören. Dann überraschte mich Kageyama plötzlich, indem er sich zu mir umdrehte. >>Ich habe Miwa in meiner Zeit beim Militär kennengelernt<<, fing er an und schaute mir dabei direkt in die Augen.

Ich hatte nicht damit gerechnet, aber er wollte mir tatsächlich von ihr erzählen und ich gab zu, meiner Neugier darüber war riesig! Wer war sie für ihn gewesen? >>Das hatte ich mir schon fast gedacht<<, erwiderte ich lächelnd.

Er nickte und schaute wieder zum Grab. >>Sie hat mich gehasst<<, meinte er und grinste, als er daran zurück dachte. >>Ich kann es ihr nicht verübeln. Ich war mehr eine Last als eine echte Hilfe.<< Er seufzte und verlagerte sein Gewicht im Sitzen. >>Na ja, ich bin immerhin ein Prinz und irgendwie haben alle mein Leben für wichtiger gehalten, also musste ich zusätzlich noch von allen um mich herum geschützt werde.<<

Ich verzog bei den Worten das Gesicht und rümpfte die Nase. >>Klingt unangenehm<<, kommentierte ich ehrlich. Ich stellte es mit unschön vor.

Er gab ein lachendes Schnauben von sich. >>Du sagst es<<, stimmte er zu und legte den Kopf in den Nacken, um gen Himmel zu blicken. >>Aber mit der Zeit... ich weiß nicht mehr genau, wann oder wie es passiert ist, aber Miwa und ich sind Freunde geworden<<, setzte er seine Erzählung fort. >>Eigentlich war sie mehr eine große Schwester für mich. Sie hat auf mich aufgepasst, mich getadelt und mir auch mal eine Nackenschelle verpasst, wenn ich ein Idiot war. Sie war immer für mich da und... sie hat mir das Gefühl gegeben ein Teil von ihnen zu sein. Ich war nicht der Prinz, sonder einer von ihren Männern in ihrem Trupp.<<

Ich lauschte aufmerksam und beobachtete ihn dabei. Ich biss mir auf die Lippe, da ich es unangemessen fand zu fragen, aber doch wollte ich es wissen. >>Wie ist sie denn gestorben?<<, sprach ich es vorsichtig und so zurückhalten wie möglich aus.

Kageyama schluckte und schaute wieder zu den Blumen am Grab, wobei er seine Unterlippe mit seiner Zunge benetzte. >>Wir wurden zu einem anderen Stützpunkt gebracht. Es war ein kleines verlassenes Dorf, in welchem wir uns niedergelassen hatten. Ganze drei Monate hatten wir dort verbracht, ich glaube, es waren die schönsten Monate in dieser Zeit, in der ich im Krieg war. Noch nie hatte ich mit einer Gruppe so ein Gemeinschaftsgefühl, wie mit ihnen.<< Er holte tief Luft. >>Dann erhielten wir die Nachricht, dass es eine Drohung gegen diesen Stützpunkt gab. Wir wurden scheinbar entdeckt und sie wollten uns angreifen. Jemand von der Regierung hatte allerdings angeordnet, dass es zu unsicher für mich wäre und ich versetzt werden sollte. Als wäre es im Krieg je sicher...<<

Ich nickte und lehnte mich vor, um weiter zu hören, was er zu sagen hatte. Ich hatte ein ungutes Gefühl dabei.

>>Ich fand es schwachsinnig und wollte protestieren, doch Miwa ließ mich nicht. Sie meinte, ich solle dem Befehl folgen, so wie es ein Soldat zu tun hatte.<< Er hatte bei dem Satz die Zähne zusammen gebissen und man merkte, dass dies an ihm nagte. >>Ich wollte nicht. Ich wollte bei den Anderen bleiben und mit ihnen kämpfen. Wir gerieten aneinander und es kam zu einem Streit, bei dem wir uns richtig anbrüllten. Ich hatte sie zuvor noch nie so wütend erlebt. Im Endeffekt knickte ich ein, als sie anführten, dass der Stützpunkt nur wegen mir im Visier war, da man herausgefunden hatte, dass ich zu der Einheit gehörte. Also wurde ich mit dem nächsten Wagen weggebracht.<< 

Er kniff die Augen zusammen und auf seinen schönen Zügen breitete sich Schmerz aus. Die darauffolgenden Worte fielen ihm schwer. >>Ich war kaum fünf Minuten weg, als ich eine Explosion hörte.<<

Meine Augen weiten sich und ein Kloß setzte sich in meinen Hals.

>>Ich wusste sofort, was passiert war. Irgendwie musste eine Bombe in dem lager platziert worden sein.<< 

Seine Stimme wurde immer gequälter und es tat mir im Herzen weh. >>Ich wollte zu ihnen! Ich wollte aufspringen, aus diesem beschissenen Wagen und zu meinen Kameraden rennen, doch sie ließen mich nicht... Sie haben mich verdammt noch mal nicht gelassen!<< 

Tränen rollte über Kageyamas Wange und tropften auf den Boden. Er weinte. Ein Schluchzten durchschüttelte ihn, wobei er sich fest auf die Lippe biss. 

Ich wollte ihn am liebsten in den Arm nehmen und sagen, dass alles gut werden würde und nichts davon seine Schuld war, doch ich legte nur meine Hand auf seinen Schenkel und zeigte ihm, dass ich da war und zuhörte. Ich glaube, er musste sich das einfach mal von der Seele reden und laut aussprechen.

Nach einigen Sekunden öffnete er die Augen wieder und schluckte hart. >>Sie hielten mich im Wagen fest und fuhren weiter. Ich hatte nicht nochmal die Chance, sie zu sehen... Keiner aus dem Trupp hat es überlebt.<<

Ich öffnete die Lippen, atmete aber nur ein und aus, ehe ich etwas sagte. >>Nichts davon ist deine Schuld, Kageyama.<<

>>Natürlich! Wenn ich nicht-<<

>>Es ist nicht deine Schuld!<<, unterbrach ich ihn und brachte ihn dazu, mir fest in die Augen zu schauen. >>Es mag sich vielleicht so anfühlen, aber du kannst nichts dafür! Keine davon war deine Entscheidung, weder im Krieg zu sein, noch an dem Stützpunkt, noch der Prinz, auf den es die Feinde abgesehen haben!<<

Er blinzelte und blickte mich mit großen Augen an, ehe er weg sah. Er wusste, dass ich Recht hatte, aber auch, dass das Gefühl, ohne ihn wäre das nie passiert, nie vollständig weggehen würde. >>Danke<<, murmelte er dann leise.

>>Wofür?<<

>>Dass du da bist und den Tag mit mir gemeinsam verbracht hast<<, gestand er und schaute mich plötzlich mit einem viel wärmeren Blick an, der meine Brust wieder etwas zum Flattern brachte.

Ich lächelte. >>Jederzeit<<, erwiderte ich. >>Ich freue mich, dass ich für dich da sein durfte.<<

Kageyama hielt inne, öffnete den Mund, kratzte sich dann aber doch nur am Nacken, wobei ich einen leichten Rotschimmer auf seinen Wangen bemerkte. Vielleicht bildete ich es mit aber auch nur ein, oder es kam vom Weinen.

Mein Blick glitt nochmal zu Miwas Grab, ehe er wieder den Schwarzhaarigen vor mir fand. >>Was hältst du davon, wenn wir noch ein Eis essen, bevor wir uns auf den Rückweg machen?<<, schlug ich vor und stand auf, wobei ich mir den Dreck und die Steinchen von der Hose klopfte.

Kageyama entgegnete es mit einem einem kleinen Lächeln seinerseits. >>Klingt gut!<<

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Und Kapitel 20!

Krass, es ist schon das 20. xD
Ich bin sogar diesmal ziemlich zufrieden mit meinem Resultat! Auch wenn es mein Wortlimit etwas gesprengt hat. Mit 4604 Wörter ist es wohl das bisher längste Kapitel! xD

Ich hoffe natürlich, es hat euch gefallen!

Man liest sich beim nächsten Mal!

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