Soziale Schichten - Elijah

Letzte Nacht habe ich schlaflos in meinem Bett verbracht. Nicht mal eine einzige Minute hatte ich schlafen können. So etwas ist mir echt schon lange nicht mehr passiert. Eigentlich hatte ich meine Gedanken immer gut im Griff gehabt und alles negative immer nach hinten geschoben.

Doch letzte Nacht, haben mich die Gedanken eingeholt. Irgendwann passiert es immer, oft gibt es dafür nicht mal einen Auslöser. Das Mobbing hat eben seine Spuren hinterlassen.

Total neben der Spur betrete ich meinen Klassenraum und setze mich an den Tisch in der zweiten Reihe. Meine Banknachbarin ist schon da und ignoriert mich, wie immer. Mehr als ich in paar Dutzend Worte haben wir in den letzten Monaten nicht miteinander gesprochen.

Ich lege meinen Kopf auf dem Tisch ab und schließe meine Augen. Ich bin so verdammt müde.

Die Hälfte des Unterrichts bekomme ich nur halbwegs mit. Ich schreibe zwar alles mit und führe meine Notizen ganz normal weiter, bekomme aber nicht mit, um was es geht. Alles läuft wie mechanisch.

Aber dann kommt mir eine Idee. Ich nehme mir eine unbeschriebene Seite und einen Bleistift und fange an, zwei Jungs zu skizzieren. Der eine ist groß, dünn und hat Haare, welche ihm etwas vereinzelt nach vorn fallen. Und der andere ist etwas kleiner, ebenfalls sehr schmal und hat Haare, die lockig in alle Richtungen stehen.

Obwohl das echt ziemlich spontan war, bin ich zufrieden mit meinen Zeichnungen und man kann erkennen, wen sie darstellen sollen. Also zumindest ist es mir klar und das ist die Hauptsache.

Ich fange an, dem kleineren von beiden Kleidung zu zeichnen. Einen oversized Pullover, eine Jeans und langweilige, schwarze Schuhe, mit einem Nike Zeichen an den Seiten.

Der Größere bekommt ein Hemd und darüber ein Sweatshirt. Der Kragen des Hemdes schaut oben heraus und ist ordentlich gefaltet. Anschließend skizziere ich die etwas lockere Hose und die Boots.

Zu guter Letzt bekommt er noch einen Mantel an und fertig ist auch der zweite Junge.

Skeptisch schaue ich zwischen den beiden Zeichnungen hin und her. Ich sehe hier einen gut aussehenden Jungen, mit einem wunderschönen Kleidungsstil, welcher darauf achtet, dass alles gut zusammenpasst.

Der andere hingegen wirkt eher langweilig und billig. Seine Kleidung sagt nichts aus und ist nicht besonders.

Ich habe die Uhr vergessen.

Schnell skizziere ich noch eine Armbanduhr, an das Handgelenk des Größeren. Perfekt. Ich schließe meine Augen und denke nach. Wieso sollte Blaine ausgerechnet mich haben wollen? Mich? Wir leben in zwei verschiedenen sozialen Schichten.

Er steht ganz oben und ich stehe fast ganz unten. Zwischen uns liegen Welten.

Er hat alles, ich habe nichts.

Allein der Wert seiner Uhr ist höher, als das jährliche Einkommen meiner Familie.
Normalerweise hätte ich über so etwas niemals nachgedacht. Doch letztes Schuljahr wurde mir bewiesen, dass es wohl auf so etwas ankommt. Das Letztes Jahr wurde ich auf meine Sexualität und materiellen Dinge beschränkt.

Als die anderen herausgefunden haben, dass ich schwul bin, wurde mir das Leben zur Hölle gemacht. Es gab homophobe Leute in meiner Klasse und an der Schule, die ein komplett veraltetes Denken haben.

Doch als wäre das nicht schon genug gewesen, wurde ich auf meine Kleidung, mein zu Hause und andere oberflächliche Dinge reduziert. Die Leute hier denken offensichtlich so. Zumindest einige von ihnen.

Diese Dinge haben sich so in mein Hirn gebrannt, dass ich teilweise selbst glaube, sie sind wahr. Das ist der Grund, wieso ich mich manchmal frage, wieso Blaine ausgerechnet mich ausgesucht hat?

Bin ich ihm nicht eher eine Last?

Meine Banknachbarin schaut mich schief von der Seite an und studiert meine Zeichnung. Schnell falte ich sie also zusammen und stopfe sie in meinen Rucksack.



„Die letzte Unterrichtsstunde widmen wir uns einer ganz besonderes Sache", fängt unsere Mathelehrerin an zu sprechen. „König Blaine gibt vor laufender Kamera ein Statement ab, zu diversen Vorfällen der letzten Zeit."

Ich reiße meine Augen auf. Nein, stopp. Sie will dieses Interview live mit uns anschauen? Ernsthaft?

Sie tippt auf das Whiteboard und öffnet die Internetseite, des königlichen Hofes.

Sie meint es ernst.

Soll ich auf Toilette gehen?

Zu auffällig.

Verdammt.

Ich rutsche auf meinem Stuhl ein wenig nach unten und mach mich so klein, wie eben nur möglich. Sie tippt auf ein Video, welches mit einem Countdown versehen ist. 27 Sekunden.

Ich schaffe das. Ich muss es schaffen.

3...

2...

1...

Der Bildschirm ist einige Sekunden schwarz, bevor man etwas zu sehen bekommt. Blaine, sein Vater und eine andere, mir fremde Person, sitzen vor der Kamera.

Auf einem Sessel, mit ein paar Metern Abstand, sitzt eine Moderatorin und lächelt freundlich in die Kamera.

Hallo und herzlichen Willkommen bei The Guardian. Es ist 14:30 Uhr und wir berichten live aus dem Buckingham Palace. Hier neben mir sehen Sie unsere Majestät, König Blaine La Rune den Ersten, sowie seinen Vater, Alexander La Rune und zu guter Letzt Herzog William von Wales. Ich gebe das Wort an unsere Majestät."

Als Blaine sich noch etwas gerader hinsetzt und anfängt zu sprechen, wird mir sofort warm ums Herz und in meinem Bauch fängt es an zu Kribbeln. Er macht das alles so gut.

Guten Tag Bürger von Großbritannien und Menschen aus aller Welt."

Ihn so förmlich zu sehen und zu hören, ist immer noch ein wenig ungewohnt für mich. Ich weiß, dass er jetzt vermutlich kurz davor ist, sich zu übergeben. Trotzdem ist sein Pokerface perfekt.

Ich habe entschieden, dass ich mich nun zu einigen Geschehnissen, aus jüngster Vergangenheit, äußern möchte. Ich möchte für Transparent und Ehrlichkeit stehen. So, wie es unser Land verdient hat. Als aller erstes, will ich über eine Auseinandersetzung, an meiner aktuellen Schule, der Carymount School, berichten. In einem Moment der Unachtsamkeit, ist eine Sache passiert, die so hätte nie passieren sollen.

Zwei Schülern ist es gelungen, mir gegenüber handgreiflich zu werden. Wie genau es dazu gekommen ist und wer dies getan hat, möchte ich nicht preisgeben. Ich bitte in dieser Sache um Verständnis und werde keine weiteren Fragen dazu beantworten. Die beiden Schüler wurden zur Rechenschaft gezogen und haben eine angemessene Strafe bekommen.

Die Carymount School steht für Sicherheit und ist eine der besten Schulen im ganzen Land. Die Sicherheitsmaßnahmen wurden verschärft und so etwas wird nie wieder vorkommen. Die Schule trifft dabei keinerlei Schuld und ich werde sie weiterhin besuchen.

Außerdem möchte ich mich zu einer anderen Sache äußern, welche nun schon einige Monate zurückliegt, allerdings immer noch sehr präsent in den Medien ist. Es geht um ein Foto, welches im Internet veröffentlicht wurde. Es zeigt zwei Menschen, welche gemeinsam beim schlafen fotografiert wurden. Ich habe gesagt, ich bin nicht auf diesem Bild zu sehen. Heute will ich euch mitteilen, dass dies nicht die Wahrheit war. Wir haben uns damals dazu entschieden, es geheimzuhalten. Wir waren der Meinung, es ist besser für unsere Sicherheit. Meine Mutter wollte nicht, das Spekulationen entstehen.

Heute sage ich euch allerdings; ja ich bin diese Person auf dem Bild. Und ja, es sollte niemals veröffentlicht werden. Es zeigt mich in einem Moment, den ich mit niemanden teilen wollte. Außer mit der anderen Person. Es gehen Gerüchte herum, dass es sich bei der anderen Person um Elijah Walsh handelt. Diese Gerüchte gehen soweit, dass er bis vor die Haustür verfolgt wird. Deshalb haben wir uns auch hier dazu entschieden, euch mitzuteilen; ja, es ist Elijah.

Das gibt allerdings niemanden das Recht dazu, ihm bis nach Hause zu verfolgen, heimlich zu fotografieren oder ihm irgendwelche Informationen zu entlocken. Wir werden gegen diese Leute vorgehen, denn er hat nichts mit der Öffentlichkeit zu tun und das soll auch so bleiben.

Vertraut keinen Quellen, die zu dieser Sache irgendwelche Gerüchte im Internet verbreiten. Meine Worte, sind die einzig seriöse Quelle. Also hört bitte auf zu spekulieren."

Vielen Dank, eure Majestät, dann...", sagt die Moderatorin. Mehr bekomme ich gar nicht mehr mit.

Ich bin überwältigt von Blaines Aussagen und seinem Mut. Ich bin vollkommen...

Skeptisch schaue ich mich um. Jeder starrt mich an, selbst unsere Mathelehrerin.

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