Kapitel 9
Der Grund warum Lucy am nächsten Tag vor sich hinsummte, als sie die Vorhänge zur Seite zog und mir ein Bad einließ, war nicht der, dass ich mich bei ihr entschuldigt hätte. Das hatte ich nämlich noch immer nicht. Obwohl ich sie mehrmals auf ihre gute Laune ansprach, verriet sie mir nicht was passiert war. Einzig und alleine eine leichte Röte zog sich über ihr Gesicht. Immerhin redete sie wieder mit mir, was ich als Fortschritt bewertete.
Während ich in der Badewanne umgeben von Lavendelblüten lag und meine Haut schrumpelig werden ließ, spielte sich der gestrige Abend immer und immer wieder vor meinem inneren Auge ab. Wie ich Emmett vorgeworfen hatte mit Olivia zu flirten und wie wütend ich deswegen gewesen war. Wie Emmetts Gesichtszüge weicher wurden, als er verstand warum ich so reagierte. Wie er die Haarsträhne hinter mein Ohr gestrichen hatte und seine Hand an meiner Wange verweilt war. Wie ich kurz davor gewesen war ihn zu küssen.
Noch immer konnte ich seine Berührung an meiner Wange spüren, wenn ich die Augen schloss.
Stöhnend rieb ich mir die Schläfen. Das durfte alles nicht wahr sein! Wieso zum Teufel reagierte ich so auf Emmett? Er war mein Bodyguard verdammt, ich durfte solche Gefühle auf keinen Fall zulassen.
„Kopfschmerzen?"
Ich blickte zu Lucy, die mir ein Handtuch bereit legte und mich besorgt musterte.
„So etwas in der Art."
„Soll ich Ihnen eine Schmerztablette besorgen?"
„Soll ich dir eine Schmerztablette besorgen?", korrigierte sie. „Aber nein, danke. Das wird schon. Ich muss mich heute nur ablenken."
Zu meiner Überraschung sagte Graham direkt zu, als ich ihm eine Nachricht hinterließ, um zu fragen, ob das Angebot mit der Yacht noch stand. Keine Stunde nach dem Frühstück, wartete also tatsächlich schon der königliche Privatjet auf dem Rollfeld.
Mit Graham hatte ich ausgemacht, dass wir uns am Flughafen treffen wollten, um dann gemeinsam in den Süden zu fliegen, wo die Yacht im Hafen lag.
Als meine Limousine am Rollfeld ankam, wartete Graham bereits auf mich. Mit lässiger Chino Hose, luftigem Hemd, dessen erste Knöpfe geöffnet waren und Designersonnenbrille, lehnte er an seinem Wagen.
Ich warf einen schnellen Seitenblick zu Emmett, der ausdruckslos mir saß. Fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass er mich auf diesen Trip begleiten musste. Gestern Abend waren wir uns noch so nahe und heute musste er zusehen, wie ich mich mit einem anderen Mann traf.
„Hör mal, wegen gestern Abend. Wir sollten das einfach vergessen", sagte ich, einfach weil ich das Gefühl hatte etwas sagen zu müssen.
„Du bist mir keinerlei Rechenschaft schuldig, Willow." Ohne eine weitere Antwort abzuwarten stieg er aus.
Seufzend folgte ich ihm und während ich auf Graham zuging, verdrängte ich die Gedanken an Emmett. Schließlich hatte ich vor mich davon abzulenken und das ging am Besten, wenn ich meinen Fokus auf die Männer legte, die für mich auch in Frage kamen.
„Hallo Graham. Ich hoffe ich mache dir keine Umstände, so wie ich dich mit diesem spontanen Trip überfallen habe." Lächelnd umarmte ich ihn.
„Ich hätte nicht zugesagt, wenn ich heute schon etwas anderes vorgehabt hätte. Außerdem sind wir heute Abend schon wieder zu Hause, also alles Bestens."
Emmett kontrollierte das Flugzeug, bevor er uns erlaubte einzusteigen.
Graham und ich ließen uns auf den weich gepolsterten Sitzen nieder, während Emmett sich etwas weiter weg setzte, um uns genügend Privatsphäre zu lassen, gleichzeitig aber alles im Blick hatte.
Die Stewardess bot uns etwas zu trinken an, dann hob der Privatjetauch schon vom Boden ab.
Es dauerte nicht lange, bis wir am Flughafen in Plymouth ankamen. Auch hier wartete schon ein Wagen auf dem Rollfeld, den Graham bestellt hatte und der uns zum Hafen bringen würde.
„Willkommen in Plymouth, dem Hafen der Freiheit", scherzte Graham, als wir schließlich am Hafen standen. Tief atmete ich den Geruch von Salzwasser ein. Der Wind wehte leicht, ich hörte Möwen kreischen und hatte das Gefühl, alle Probleme waren in dem Moment von mir abgefallen, als ich die Limousine verlassen hatte.
Wir schlenderten über den Steg, vorbei an kleinen Fischerboten und größeren Segelschiffen, bis wir schließlich an der modernen Yacht der Lanes ankamen.
„Schick", kommentierte ich die kostspielige Schönheit.
„Ich mache zuerst einen Sicherheitscheck." Emmett schob sich mit starrer Miene an uns vorbei und wollte die Yacht betreten, aber Graham hielt ihn zurück.
„Das ist nicht nötig, unsere Yacht ist absolut sicher."
Die beiden Männer lieferten sich ein Blickduell, bei dem ich mir nicht sicher war, ob es wirklich um den lausigen Sicherheitscheck ging, oder ob sie nicht eher so etwas wie eine Reviermarkierung durchführten.
„Davon will ich mich selbst überzeugen, oder wollen Sie etwa Schuld daran sein, wenn der Thronfolgerin von England auf ihrer Yachtetwas passiert?" Emmetts Stimme klang beherrscht, aber dennoch scharf, um anzudeuten, dass er sich von Graham nichts sagen lassen würde.
„Schon gut", beendete ich den Machtkampf der beiden. „Emmett mach' deinen Sicherheitscheck, wir warten solange hier. Dauert ja nicht lange." Ich lächelte beschwichtigend. Emmett nickte knapp, dann er verschwand er auf Deck.
„Er nimmt seinen Job sehr ernst", sagte ich zu Graham, da ich irgendwie das Gefühl hatte das zu erklären.
Prüfend sah Graham mich an. „Ja er scheint es sehr ernst zunehmen."
„Was soll das denn heißen?" Nun war ich diejenige die eine gewisse Schärfe in ihrem Unterton mitschwingen ließ.
Einen Moment lang lief es mir eiskalt den Rücken hinunter, bei der Befürchtung, die Blicke die ich Emmett immer wieder zu warf, seien zu offensichtlich. Aber das war lächerlich, er war mein Bodyguard, ich hatte also so gesehen das Recht mich nach ihm umzusehen und zu überprüfen, ob er in der Nähe war.
„Nichts." Bevor Graham das noch weiter ausführen konnte, erschien Emmett wieder an Deck.
„Alles gesichert, ihr könnt die Yacht jetzt betreten."
Mit einem charmanten Lächeln ließ Graham mir den Vortritt. An Deck wurden wir von dem Kapitän und seiner Crew in Empfang genommen, die sich heute um unser Wohlergehen kümmern würden.
Wir begaben uns nach vorne an den Bug der Yacht, wo sich eine gemütlich wirkende Sitzecke befand. Champagner stand schon bereit und eine Angestellte ließ uns wissen, dass wir jeder Zeit von Cocktails und anderen Getränken Gebrauch nehmen durften, wir sollten sie es bloß wissen lassen.
Mit einem wohligen Seufzen ließ ich mich zwischen gemütlichen Kissen nieder und nahm das Glas entgegen, das Graham mir reichte.
„Auf einen erlebnisreichen Ausflug, der dich ablenkt."
Lächelnd stießen wir die Gläser aneinander. Die Flüssigkeit prickelte angenehm auf der Zunge.
Während der Kapitän die Yacht zielsicher aus dem Hafen lenkte, genoss ich die warmen Sonnenstrahlen in meinem Gesicht. Der Sommer war nicht mehr weit entfernt. Ich mochte dieses Gefühl, wenn die Temperaturen langsam wieder stiegen, die Luft nach Frühling roch und die Natur den von allen herbeigesehnten Sommer ankündigten.
„Darf ich fragen wie deine Treffen vorangehen?"
Wir hatten mittlerweile das offene Meer erreicht und uns in der Zwischenzeit auf den neusten Stand der Ereignisse gebracht.
Ich warf einen schnellen Blick auf Emmett, der an der Tür zum Unterdeck stand, wie immer seine Sonnenbrille trug und die Stirn leicht gerunzelt hatte. Immer wieder machte er einen Rundgang an Deck, um sich zu vergewissern das alles in Ordnung war. Ich war mir ziemlich sicher, dass er unserem Gespräch folgte. Wenn jemand so nahe an der Königsfamilie arbeitete, bekam man so einiges mit. Nicht umsonst musste jeder Angestellte eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben. Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, ob es meinem Bodyguard schwerfiel meine ganzen Dates mitzuerleben, während es zwischen uns immer wieder eindeutig knisterte.
„Für dieses Thema brauche ich einen ordentlichen Cocktail", scherzte ich, was aber nur ein lahmer Versuch war diese Unterhaltung hinauszuzögern. Ich mochte Graham und es war nur fair ihn ehrlich darüber aufzuklären, wohin das Ganze gehen würde, sollte meine Wahl auf ihn fallen. Momentan schien mir das sehr realistisch, immerhin war kaum jemand Brauchbares unter meinen anderen Bekanntschaften gewesen.
Graham winkte eine Angestellte herbei, die freudig unsere Bestellung aufnahm. Danach sah er mich abwartend an. Er wusste, dass ich das Thema herauszögerte, aber wollte offensichtlich nicht locker lassen.
„Ich habe einige Männer kennengelernt, dessen Charaktere nicht besonders ehrenhaft sind." Das war eine nette Umschreibung für Es sind alles unbrauchbare Idioten.
„Und mein Vater setzt mich ganz schön unter Druck." Etwas unsicher sah ich zu Graham, der es sich neben mir auf der Sitzecke bequem gemacht hatte. Ich vertraute ihm, daher hatte ich auch keineBedenken mit ihm offen und ehrlich zu reden, aber ich wollte einschätzen können, wie er meine Aussage aufnahm.
Graham allerdings sah mich einfach nur aufmerksam an und das ermutigte mich weiter zu reden.
„Er will dass ich bis Ende August die Auswahl einschränke, damit ich mich das restliche halbe Jahr auf eine kleine Gruppe von Männern konzentriere, bevor ich eine endgültige Entscheidung treffe. Eine Verbindung die Vorteile für uns mit sich bringt und die er abgesegnet hat."
„In meiner Familie ist es ebenfalls typisch arrangierte Ehen einzugehen." Er verstummte kurz, als unsere Getränke kamen, damit die junge Kellnerin nichts von unsere Unterhaltung mitbekam.
„Meine Großeltern und meine Eltern, Tanten und Onkel, eigentlich so gut wie jeder hat eine arrangierte Ehe. Ich schätze im Adel ist das einfach normal. Und für mich war das auch schon früh klar, dass ich ebenfalls eine arrangierte Ehe eingehen werde. Nur hatte ich damit gerechnet, dass es eine Frau aus einer anderen reichen Familie sein würde und nicht gerade die Kronprinzessin. Diese Einladung kam doch sehr überraschend." Er grinste. „Aber keinesfalls enttäuschend."
„Also bist du nicht abgeneigt zu heiraten, obwohl du die Frau nicht liebst?", tastete ich mich vorsichtig weiter vor.
Graham schwieg eine Weile und musterte mich prüfend. Dann wandte er sich ganz zu mir.
„Du gehst ganz schön ran, wenn du bereits beim zweiten Treffen versuchst herauszufinden, ob ich dich heirate."
Ich lachte und schlug ihm spielerisch gegen den Oberarm. „Tja weißt du, du hast eben starke Konkurrenz." Bildete ich es mir nur ein, oder schweifte sein Blick bei meinen Worten tatsächlich kurz zu Emmett? Doch seine Aufmerksamkeit lag sofort wieder uneingeschränkt auf mir.
„Meine ernsthafte Antwort wäre ja. Ich würde dich heiraten. Wir haben noch Zeit genug uns näher kennenzulernen, bevor du deine Verlobung bekannt geben musst. Auch wenn das zwischen uns keine Liebe ist, können wir immerhin unser Leben auf einer guten Freundschaft aufbauen. Liebe kann später immer noch kommen. Ich glaube sowieso, dass Liebe sich über Jahre hinweg entwickelt und vertieft. Man muss nicht verliebt sein, wenn man heiratet, so wurde es mir zumindest beigebracht und ich teile diese Ansicht", er zuckte mit den Schultern. „Und wenn es zwischen uns nicht funktioniert, hast du immer noch neunzehn andere Wahlmöglichkeiten. Und um mich musst du dir auch keine Sorgen machen, ich habe daheim genügend potenzielle Frauen, die ich heiraten könnte. Arrangierte Ehen sind für mich kein Problem."
Ich lächelte schwach. „Aber ist dir bewusst, was eine Ehe mit mir für Folgen mit sich zieht? Wir müssen die Thronfolge sichern und manche Männer kommen nicht damit klar, dass ihre Frau die mächtigere Rolle hat. Du wärst eben nur der Prinzgemahl."
„Wilhelmina, du machst dir viel zu viele Sorgen." Er nahm meine Hand und drückte sie sanft, bevor er mich lächelnd ansah. „Ich hätte jederzeit ablehnen können zu den zwanzig Bewerbern zu gehöre. Man hat mich vor die freie Wahl gestellt und hätte ich abgelehnt, hätte es genügend andere Männer des Adels gegebenen, die meinen Platz eingenommen hätten. Aber ich habe mich bewusst dazu entschieden dich kennenzulernen und ich habe das sorgfältig bedacht. Ich bin ein Familienmensch, also habe ich absolut nichts gegen kleineThronfolger einzuwenden. Wenn ich im Bereich Politik tätig sein kann und Menschen um mich herum habe, die mir wichtig sind, bin ich glücklich. Ich bin zufrieden damit, dich zu unterstützen und dir den Rücken frei zu halten."
Seine Selbstlosigkeit machte mich so baff, dass ich erst einmal gar nicht antworten konnte. Ich wüsste auch nicht was ich sagen sollte. Außer dass er eine beeindruckende Persönlichkeit hatte und ich dumm wäre, mich nicht für ihn zu entscheiden.
„Es ist deine Entscheidung, nicht meine", schob er noch hinterher. „Du hast noch eine ganze Menge anderer Bewerber kennenzulernen und ich möchte nicht, dass du dich voreilig festlegst. Aber ich kann dir versichern, sollte es so sein bin ich darum bemüht, ein so guter Partner wie möglich zu sein."
„Danke Graham. Du weißt gar nicht wie viel mir das bedeutet." Endlich fand ich meine Stimme wieder.
Das Thema war vorerst abgehakt und wir verloren den restlichen Tag kein Wort mehr über Ehe, Familie und Zukunft. Stattdessen genossen wir das Geräusch der Wellen, die gegen das Boot krachten und die Sonne.
Als wir gegen Abend wieder im Flieger Richtung London saßen, war ich überraschend glücklich. Der Tag an der frischen Luft hatte mir gut getan und Grahams Gesellschaft lenkte mich von meinem Gedankenchaos ab.
Ich war gewillt die ausstehenden Treffen durchzuziehen und mich darauf einzulassen. Denn mit Graham hatte ich einen Freund an der Seite und das war ein riesiger Fortschritt. Egal wie die anderen Männer sein würden, Graham war meine Absicherung. Er war bereit dazu eine Ehe mit mir einzugehen, obwohl er mich nicht richtig kannte. Aber er bot mir Freundschaft und das war das Beste was ich kriegen konnte. Ein Leben an seiner Seite sah nicht so aussichtslos aus, wie ich es von einer arrangierten Ehe erwartet hatte.
*****
Reviermarkierungen und ein sehr tiefgründiges Gespräch. Wie schätzt ihr Graham ein? Glaubt ihr ihm, dass er es ernst meint oder meint ihr er führt etwas im Schilde?
Bis nächste Wochen, ihre Lieben. Danke für eure Unterstützung!
Debbie xx
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