Kapitel 8

Graham war der erste Name, den ich in die Definitiv-Ja-Spalte schrieb. Ich war positiv überrascht von ihm, aber das war auch kein Wunder bei all den nutzlosen Männern, die ich zuvor getroffen hatte.

Er allerdings war charmant, gebildet und legte es nicht darauf an mich zu beeindrucken. Während unserem Spaziergang hatte er mich als eine ganz normale zweiundzwanzig-jährige Frau betrachtet und nicht als Kronprinzessin von England. Und ja, ich konnte nicht leugnen, dass ich ihn attraktiv fand. Mit ihm unter den Kandidaten, sah die ganze Sache zumindest nicht mehr so ausweglos aus.

Dad hatte mir für die nächsten Tage einen ordentlichen Stapel Arbeit bereit gelegt, weshalb ich mich die meiste Zeit in meinem Arbeitszimmer verbarrikadierte. Mehr oder weniger lustlos arbeitete ich mich also durch die Unterlagen, über Finanzen, Rüstungspolitik und andere Themen über die ich informiert sein sollte.

Gleichzeitig recherchierte ich so für mein geheimes Projekt. Seit ich auf der Gala mit Grace gesprochen hatte, wollte ich unbedingt meine eigene Stiftung für Veteranen gründen. Solange ich kein ausgearbeitetes Konzept erstellt hatte, sollte das auch noch niemand erfahren, daher informierte ich mich gründlich über Finanzen, die mir zur Verfügung stehen würden und wie ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte.

Ab und an ließ ich mir von Lucy Tee bringen, aber sie war so distanziert, dass ich mich in ihrer Gegenwart unwohl fühlte. Ich konnte es ihr nicht verübeln, ich war immerhin ziemlich hart zu ihr gewesen. Lucy war jung und sehr sensibel. Sie hatte Vorstellungen von der Welt, die einfach nicht realistisch waren und ihr Traum von der Liebe ging mir auf die Nerven. Also war ich irgendwie auch noch nicht bereit mich zu entschuldigen.

Gegen Mittag platze Olivia ohne anzuklopfen in mein Arbeitszimmer. Mit ihrem Handy und mehreren Zeitschriften ließ sie sich auf mein Sofa fallen.
„Es gibt auch eine Funktion, die nennt sich anklopfen", klärte ich sie leicht verärgert auf.

Olivia machte das ständig, ohne anzuklopfen irgendwo hereinzuplatzen und es machte mich meistens rasend.
„Ist ja nicht so, als würdest du etwas Verbotenes hier drin tun", erwiderte sie gelassen.
„Okay und was machst du hier?" Normalerweise hatte ich gerne meine Ruhe beim arbeiten. Wenn jemand im Raum anwesend war, hatte ich immer das Gefühl beobachtet und auf Fehler hingewiesen zu werden. Olivia blätterte in aller Seelenruhe durch ihre Modezeitschrift. „Mir war langweilig und ich hatte keine Lust in meinem Zimmer oder dem Damensalon alleine herumzusitzen."
„Deshalb dachtest du, du beehrst mich mit deiner Anwesenheit."

„Du meine Güte, jetzt stell' dich doch nicht so an", seufzte meine Schwester. „Ist doch nichts dabei."
„Du verbringst sonst nie Zeit mit mir." Kritisch musterte ich sie, um herauszufinden, ob sie vielleicht irgendetwas im Schilde führte.

Olivia verdrehte die Augen. „Mir war langweilig und du schienst mir im Moment die beste Gesellschaft. Jetzt komm' runter und tu nicht so, als würden wir nie ein Wort miteinander reden."

Immer noch kritisch und mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich sie an. Natürlich redeten wir miteinander, aber nur äußerst selten und wenn beschränkte sich unsere Konversation auf Smalltalk. Wir lebten beide unser Leben neben dem anderen, ohne wirklich etwas über den anderen zu wissen. Traurig, wenn man bedachte, dass wir eigentlich Zwillingsschwestern waren.

„Schön", gab ich schließlich nach. „Aber ich arbeite, also sei bitte leise."
„Du wirst mich gar nicht bemerken." Olivia blätterte weiter in ihren Zeitschriften, um sich auf dem neusten Stand zu halten, was Klatsch und Tratsch anging. Ich hingegen, versuchte mich wieder auf meine Finanzberichte zu konzentrieren.
Besonders erfolgreich war ich damit nicht, denn Olivias Geräusche machten mich wahnsinnig. Entweder veränderte sie ächzend und stöhnend ihre Position auf der Couch, gab belustigte Laute von sich oder murmelte ein „Krass!". Für zwei Sekunden schloss ich die Augen, um mich zu beruhigen.

„Hier ist ein Artikel über dich drin", ließ Olivia mich wissen und wedelte mit der Zeitschrift herum. „Von der Gala. Nette Begleitung hast du da."
„Sein Aussehen ist das einzig Positive an ihm", murmelte ich desinteressiert.

„Die Presse ist auf jeden Fall ganz entzückt, dass du dich schon zwei Mal mit ihm getroffen hast und mit den anderen nur ein Mal." Raschelnd blätterte sie um. „Ach sie an. Die haben schon eine Übersicht von all deinen bisherigen Dates erstellt."

Erneut hielt sie mir die Zeitschrift hin, die nun Bilder von allen bereits getroffenen Männern und mir abbildete. Zusätzlich mit einer Umfrage, welcher Mann laut der Bevölkerung das Rennen anführte.

„Die Leute haben einfach nichts zu tun", seufzte ich. „Aber es ist mir wirklich egal, was die sagen." Mein beabsichtigter scharfer Unterton, bewirkte bei meiner Schwester gar nichts. Sie redete einfach ungeniert weiter.

„Hier steht die meisten deiner Dates sehen ziemlich eingeschüchtert aus. Auf Instagram fragen sich die Leute übrigens, ob du wirklich so eine einschüchternde Gesprächspartnerin bist." Sie sah von ihrer Zeitschrift auf, um mir direkt in die Augen zu blicken. „Ich schätze das stimmt wohl."

„Entschuldige mal!", entrüstete ich mich.
„Was denn? Du siehst aus, als würdest du gleich auf mich losgehen wollen. Wenn du bei deinen Dates auch so böse schaust, bekommst du nie einen Mann ab."

„Ich schaue dich böse an, weil ich arbeiten will und dich mich mit deinem Gerede davon abhälst. Außerdem kannst du die Ehemann Suche getrost mir überlassen. Das schaffe ich auch ohne deine wirklich hilfreichen Beziehungstipps."

Olivia verdrehte nur die Augen. „Schön wenn du meinst. Ich habe allerdings sehr viel mehr Erfahrung mit Männern als du."

„Ja, weil sich betrunken mit wahllos ausgesuchten Männern zu vergnügen auch so tolle Erfahrungen sind", schnaubte ich. „Hier geht es um Ehe, nicht darum seine Bedürfnisse zu stillen."

„Was weißt du schon von dem was ich mache", reagierte Olivia patzig.
„Die regelmäßigen Schnappschüsse, die von dir veröffentlicht werden halten mich eigentlich ganz gut auf dem Laufenden."

„Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich in meinem Leben Spaß habe", sagte Olivia und obwohl auch in ihrem Unterton jetzt eine gewisse Schärfe steckte, blieb sie ruhig, damit die Situation nicht eskalierte. „Und weißt du was? Jedes Mal wenn ich dich anschaue, bin ich froh darüber. Denn du versauerst hinter den Mauern des Palastes."

„Weil ich im Gegensatz zu dir Verpflichtungen habe", rechtfertigte ich mich. „Dir wurden ja nie irgendwelche Grenzen gesetzt. Mir hingegen eine ganze Menge und ich halte mich daran."

„Willst du jetzt wirklich schon wieder mit unserer Erziehung anfangen?" Genervt klappte Olivia ihre Zeitschrift zu und griff stattdessen nach ihrem Smartphone.

„Nein, ich will eigentlich gar nicht reden sondern immer noch arbeiten. Entweder du bist jetzt still, oder gehst."

Die nächste halbe Stunde war Olivia still und tippte auf ihrem Smartphone herum, wahrscheinlich checkte sie gerade ihre ganzen Social Media Accounts ab. Wenigstens kam ich in der Zeit mit meinen Unterlagen etwas voran.

„Dein neuer Bodyguard sieht übrigens heiß aus", sagte Olivia plötzlich aus heiterem Himmel. Augenblicklich versteifte ich mich.
„Wie bitte?"

„Ach komm, bist du wirklich so teilnahmslos, dass dir nicht auffällt wie attraktiv der Mann ist?"
Doch, mir war sehr wohl aufgefallen wie attraktiv Emmett war, aber das würde ich meiner Schwester ganz sicher nicht unter die Nase reiben.
„Emmett arbeitet für mich", war alles was ich dazu sagte.

„Wenn du das sagst. Dann hast du auch bestimmt nichts dagegen, wenn ich ihn mir mal ausleihe." Grinsend zwinkerte sie mir zu. „Er ist auf jeden Fall sehr charmant."

„Du hast ihn angeflirtet?", fragte ich fassungslos. „Hast du sie noch alle?"
„Ich habe mich nur nett mit ihm unterhalten."

Ja ich konnte mir bildlich vorstellen wie nett unterhalten bei ihr aussah. Bilder schwirrten mir durch den Kopf, wie Olivia sich an die Flurwand lehnte, verführerisch eine Locke um ihren Finger wickelte und ihre Oberweite Emmett entgegenstreckte. Ich schüttelte den Kopf, um die Vorstellung loszuwerden, die mir so gar nicht gefiel.

„Lass die Finger von meinem Bodyguard", sagte ich mit zusammengekniffen Lippen.
„Spaßbremse, wir haben uns doch nur unterhalten. Meine Güte, du bist so verkrampft."
„Emmett ist ein Angestellter. Er sorgt für meine Sicherheit und ich will dass er seinen Job ordentlich macht und ich abgelenkt ist, weil er nachts dein Betthäschen spielt."

Olivia zog eine Augenbraue nach oben. Mir war bewusst, wie egoistisch das klang, aber die Wahrheit war, dass ich den Gedanken wie die beiden sich in Olivias Bett vergnügten einfach nicht ertragen konnte.

Ich wartete bis nach dem Abendessen, bevor ich Emmett zur Rede stellte. Er folgt mir wie immer bis zu meinem Zimmer, um sich dann vor meiner Tür zu postieren.
„In mein Zimmer", befahl ich meinem Bodyguard scharf.

Verwundert trat Emmett in meine Suite und folgte mir bis in meinen Wohnbereich. Mit wütend funkelnden Augen drehte ich mich zu ihm herum. „Du flirtest mit meiner Schwester?"

Die Überraschung war ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben. „Wie bitte?", fragte er halb verwirrt, halb belustigt.

„Ich will von dir wissen, ob du mit Olivia flirtest. Sie hat heute so etwas in die Richtung verlauten lassen. Und so was von du wärst total 'heiß'."

Ich malte während dem Wort heiß Anführungszeichen in die Luft und sprach das Wort absichtlich so aus, als wäre diese Annahme völlig unberechtigt. Ihn musste ich das noch weniger wissen lassen. Ich ertappte mich oft genug dabei, wie ich Emmett beobachtete, weil er in diesen Anzügen die er während der Arbeit trug, einfach verdammt gut aussah.

„Wir-"
„Oh mein Gott, ich fasse es einfach nicht", unterbrach ich ihn. „Du weißt dass Olivia sich an jeden verfügbaren Mann in ihrer Umgebung heran wirft. Willst du wirklich in ihrem Bett landen?"

„Willow, wir haben uns doch nur unterhalten!"
Ich verspürte einen Stich im Herzen, so wie jedes Mal, wenn er mich Willow nannte.

„Halte dich fern von Olivia", fauchte ich ihn an. „Ich habe keine Lust, dass du betrunken aus ihrem Bett torkelst und bei mir deinen Dienst anfängst."

Emmett lachte emotionslos. „Ist das dein Ernst? Willow, sie hat mit mir geredet, bevor sie zu dir in dein Arbeitszimmer ging. Aber nur weil ich vor der Tür stand. Sie hat sich vorgestellt, wir haben kurzen Smalltalk betrieben, mehr nicht. Ich verstehe nicht wo dein Problem ist!"

Ja, was war eigentlich mein Problem? Olivia lebte im Palast, Emmett arbeitete im Palast, sie waren also beide dazu berechtigt miteinander zu reden. Wäre da nicht dieses unschöne Gefühl in mir, das ich dabei empfand.

„Und selbst wenn, geht es dich doch gar nichts an, in welchem Bett ich nach meinem Feierabend liege!" Seine Stimme wurde nun auch merklich lauter, sodass deutlich wurde, dass er von meinen Anschuldigungen ziemlich genervt, wenn nicht sogar enttäuscht war.

Es geht dich nichts an, in welchem Bett ich nach meinem Feierabend liege.
Mir fiel kein passender Antwortsatz ein, denn meine Kehle war zugeschnürt. Weil ich mir wünschte, dass es mich etwas anging. Weil ich die Vorstellung nicht ertragen konnte, dass Emmett mit anderen Frauen liebäugelte.

Emmett sah mich an, als ich immer noch nicht antwortete und er ... verstand.
Seine Gesichtszüge wurden weicher und er kam näher, sodass er direkt vor mir stand, einen halben Schritt Abstand zwischen uns.

„Willow." Er sprach meinen Namen so sanft aus, dass ich kurz die Augen schließen und schlucken musste.

Eifersucht. Das unschöne Gefühl war Eifersucht, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte. Oh Gott. Ich konnte jetzt keine Ablenkung gebrauchen. Vor allem konnte ich keine Gefühle für einen Mann entwickeln, der nicht auf meiner Liste stand.

Emmett sah mir fest in die Augen, fast so als könnte er in meine Seele sehen. Langsam hob er die Hand und strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Das Bedürfnis mein Gesicht in seine Hand zu schmiegen, war zu überwältigend, dass ich es mir einige Sekunden lang erlaubte.

Seine Hand war warm und die weiche Haut auf meiner, brachte meinen Puls zum rasen. Ganz sanft strich sein Daumen über meine Wange und erneut schloss ich die Augen, um diesen Moment in seinen vollen Zügen zu genießen. Um ihn mir ganz genau einzuprägen, damit ich mich in den nächsten Tagen immer wieder darin erinnern konnte.

Doch sobald meine Augen geschlossen waren, dachte ich an meinen Vater, an die Liste der Männer und an meine Verpflichtungen. So hart es klang, Emmett war ein Bürgerlicher und somit für mich unerreichbar. Ich konnte das hier nicht tun.

Entschlossen trat ich einen Schritt zurück, obwohl alles in mir schrie einen Schritt nach vorne zu machen. Emmetts Hand glitt von meiner Wange und sofort fühlte sich meine Haut an, als würde etwas fehlen. „Du kannst jetzt Feierabend machen", sagte ich, während ich ihm den Rücken zuwandte. Hätte ich noch länger in sein hübsches Gesicht geblickt, hätte ich ihn vermutlich geküsst.

*****

Wenn euch das Kapitel gefallen hat, dann lasst doch ein bisschen Liebe da!

Debbie xx

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