Kapitel 5

Lautes Stimmengewirr und Rufe drangen durch die noch geschlossenen Wagentüren zu uns durch. Die königliche Limousine war gerade vor die noble viktorianische Villa gefahren, die die Armentrouts für ihre Veteranen-Gala gemietet hatten.

Wie zu erwarten scharte sich ein Meer von Journalisten zwischen den Wagen und die Eingangstür. Ich konnte bereits hören wie sie meinen Namen riefen. Zum Glück hielten die getönten Scheiben das grelle Blitzlichtgewitter noch ab. Besonders scharf war ich nicht darauf von den Kameras geblendet zu werden und nicht mehr zu wissen wo ich hin trat.

Innerlich hatte ich gehofft, dass vielleicht Dad oder Olivia mich begleiten würden. Nicht dass ich noch nie alleine auf Veranstaltungen war, ich mochte es nur nicht besonders gerne. Dad hatte sich mit anstehender Arbeit aus dem Schneider gezogen und Olivia hatte die Ausrede gebracht, dass schließlich ich und nicht sie eingeladen war. Olivia auf wohltätigen Veranstaltungen zu sehen war sowieso etwas paradox. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie heute Nacht wieder durch irgendwelche Clubs ziehen würde, um sich das Gehirn weg zu saufen.

Früher war ich oft mit Mum auf Veranstaltungen gegangen und der Gedanke an sie trieb mir schon wieder fast die Tränen in die Augen. Hartnäckig widerstand ich dem Drang. Ich durfte mir keine Tränen erlauben. Es war ein Zeichen von Schwäche und Schwäche konnte ich mir absolut nicht leisten. 

„Alles in Ordnung?", Emmett riss mich zurück in die Gegenwart. Ich fragte mich ob er vielleicht auch nervös war. Es war sein erster Einsatz außerhalb der Palastmauern mit einem Haufen aufdringlicher Journalisten. Das war etwas anderes, als die Treffen, die er in den letzten Wochen bewacht hatte. Wenn er tatsächlich nervös war, merkte man es ihm zumindest nicht an. Emmett war die Ruhe selbst.

Stumm nickte ich.
Gleich darauf wurde die Wagentür geöffnet und der Lärm der Journalisten traf in voller Lautstärke an unsere Ohren. Emmett stieg zuerst aus, dann reichte er mir die Hand, um mir zu helfen. So elegant  wie möglich  stieg ich aus dem Wagen und setzte ein strahlendes Lächeln auf.

Das Blitzlicht blendete mich enorm, als ich begann den roten Teppich entlang zu schreiten. Etwa bei der Hälfte blieb ich stehen, damit die Fotografen in Ruhe ihre Bilder schießen konnten. Emmett und ein weiterer Bodyguard standen etwas abseits, und überblickten die Situation ausdruckslos. Zu ihren maßgeschneiderten Dienstanzügen, trugen die beiden Sonnenbrillen, um sich vor dem Blitzlicht zu schützen. Außerdem konnte ich wie immer das Kabel mit dem Knopf in ihrem Ohr erkennen, damit sie über Funk in Kontakt blieben. Es wirkte wahnsinnig professionell und brachte mich fast zum Lachen.

„Prinzessin Wilhelmina! Wie laufen ihre Dates?"

„Wie ist es die neue Bachlorette Englands zu sein?"

„Eure königliche Hoheit! Sind Sie bereits verliebt?"

„Wie stehen Sie zu den Eskapaden Ihrer Schwester?"

Unzählige Fragen prasselten auf mich ein, aber ich reagierte nicht, sondern setzte meinen Weg fort. Meine Bodyguards folgten. An der Tür wurde ich von einem Angestellten höflich in Empfang genommen und es dauerte nicht lange, da kam auch schon Colin auf mich zu.

„Wilhelmina!", rief er überschwänglich, ganz mit der Absicht die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Wie schön, dass du es dir einrichten konntest!" Er zog mich an sich, um mich rechts und links auf die Wange zu küssen.

Ich kochte vor Wut, da er auf meinen Titel verzichtet hatte und wir noch lange nicht beim Du waren. Und dann diese Küsschen! Offensichtlich wollte er mit mir bei den anderen Gästen angeben und tat so, als wären wir bereits beste Freunde. Die ausgewählten seriösen Journalisten, die sich im Inneren des Gebäudes aufhalten durften, ließen sich natürlich nicht davon abhalten eifrig ihr Bildmaterial zu knipsen.

Obwohl sich alles in mir sträubte, blieb ich höflich. „Guten Abend, Colin. Vielen Dank für die Einladung."

„Du siehst bezaubernd aus", bewundernd ließ er seinen Blick über mein funkelndes, schwarzes Abendkleid wandern.
„Danke, dieses Kompliment gebe ich gerne zurück." Lüge. Er sah in seinemAnzug widerlich arrogant aus, aber ich würde mich hüten so etwas in der Öffentlichkeit zu sagen.

„Lass mich dich herumführen, ich möchte dir einige sehr bedeutende Spendengeber vorstellen."

Ich hakte mich bei ihm unter und ließ mich von der Eingangshalle in einen großen Ballsaal führen, der festlich geschmückt war. Mehrere gigantische Kronleuchter tauchten den Saal in funkelndes, warmes Licht. Elegant gekleidete Menschen standen in Grüppchen zusammen, oder saßen an Tischen und unterhielten sich angeregt.
Es war ein exklusives Buffett aufgebaut worden, an dem man sich mit kleinenHäppchen versorgen konnte. Ein Orchester spielte dezent im Hintergrund.

Colin nahm einem Angestellten, der uns entgegen kam, zwei Gläser mit Champagner ab und reichte mir eines. Ich bedankte mich und konnte gerade so verhindern, dass ich den prickelnden Alkohol in einem Zug herunterkippte. Dieser Abend würde wohl alles andere als ein Vergnügen werden.

Mein Begleiter stellte mir zuerst stolz seine Eltern vor, Elizabeth und Angus Armentrout, die sich überaus begeistert über meine Anwesenheit aussprachen. Sie waren freundlich und erkundigten sich höflich über mein Wohlbefinden, aber sie waren genau das was eine High-Society Familie ausmachte. Reich und gewillt dies auch zu zeigen.

Anschließend brachte mich Colin von Gast zu Gast, die allesamt damit prahlten was für eine gelungene Gala das doch sei und wie viel Geld sie spenden wollten.

Elizabeth hielt eine kleine Ansprache, die mich kurzzeitig von all dem Händeschütteln befreite.
„Liebe Freunde, liebe Gäste, liebe Veteranen", begann sie mit einem strahlenden Lächeln. „Wir freuen uns wirklich sehr, dass Sie unsere Einladung gefolgt sind und diesen wunderbaren Abend mit uns verbringen. Im Namen der Veteranen darf ich mich bereits für die großzügigen Spenden bedanken."
Sie führt noch aus, für was genau die Spendengelder eingesetzt werden würde und konnte es nicht lassen sich mehrmals für die großzügigen Spenden zu bedanken.

Ich machte unauffällig einen Schritt zurück, sodass ich näher bei Emmett stand. Mit einem Seitenblick auf Colin, versicherte ich mich, dass dieser gespannt an den Lippen seiner Mutter hing.
„Wie gut stehen meine Chancen, dass du mich vor diesem arroganten Schnösel rettest?", raunte ich meinen Bodyguard zu. Dieser verzog entschuldigen das Gesicht. „Die Gala hat erst angefangen. Ich meine du bist die Prinzessin, du kannst gehen wann immer du willst, du brauchst es nur zu sagen." Dummerweise hatte er recht. Es war noch viel zu früh, um zu gehen.

Bevor ich antworten konnte, lag Colins Aufmerksamkeit wieder ganz auf mir. Seine Mutter hatte ihre Ansprache beendet und wurde mit tosendem Applaus von der Bühne begleitet.
„Ich muss dir unbedingt noch einen guten Freund von mir vorstellen", rief mir Colin über den Lärm zu.
„Eigentlich finde ich, hast du mir jetzt genügend Wohltäter vorgestellt. Wie wäre es, wenn du mir zur Abwechslung die Veteranen vorstellst?"

Ich hatte schon einige in der Menge ausmachen können, manche trugen ihre Uniform, andere Abendkleider und Anzüge. Doch sie waren mit Anstecknadeln versorgt, sodass jeder sie gut ausmachen konnte. Für mich hatte das etwas, als wären sie Ausstellungsstücke in einem Zoo.

Missmutig runzelte Colin die Stirn. „Die Veteranen?", fragte er ungläubig, so als hätte ich ihn gebeten Hundescheiße aufzuheben.
„Ja, die Veteranen. Immerhin wurde diese Gala doch für sie organisiert. Ich würde mich gerne mit einigen unterhalten. Dass genügend High-Society Mitglieder da sind, die großzügig Spenden verteilen, hast du mir nun ausreichend mitgeteilt."

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Emmett sich ein Grinsen verkniff. Es dauerte aber nur eine Sekunde und er hatte schon wieder eine ausdruckslose Mimik aufgebaut.

Mehr als widerwillig führte Colin mich durch den Raum zu einer Gruppe von vier Veteranen, die an einem Tisch zusammen saßen. Ich wurde groß angeschaut, als ich bat mich zu ihnen setzten zu dürfen und ich konnte spüren, dass die meisten sehr nervös bei meiner Anwesenheit wurden. So wie ich das einschätze, waren alle ungefähr in meinem Alter.

Colin setzte sich auch dazu, hielt sich aber vorerst aus dem Gespräch heraus. Sobald sich mir alle vorgestellt hatten, fiel die Anspannung von ihnen ab und wir kamen relativ schnell in ein Gespräch. Ich erkundigte mich nach ihren Einsätzen, die sie absolviert hatten und bereitwillig erzählten sie mir von ihren Erfahrungen, oder gaben amüsante Anekdoten zum Besten. Trotzdem hatte ich irgendwie das Gefühl, sie trauten sich nicht mir gegenüber komplett ehrlich zu sein.

Nach einer Weile verabschiedeten sich die drei männlichen Soldaten und übrig blieb nur noch Grace, eine junge Soldatin, die zuvor nur ab und zu etwas zur Unterhaltung beigetragen hatte.

„Sie waren also in Afghanistan?", fragte ich sie. Etwas schüchtern nickte sie. „Ja, ich war dort fast ein und halb Jahre. Vor neun Monaten bin ich zurückgekommen."
Nervös nestelte sie an dem Ärmel ihres Kleides, so als würde sie noch etwas sagen wollen. „Meine Familie unterstützt schon seit Jahren Veteranen die nach Hause kommen", schaltete sich Colin nun stolz ein. „Für diese Gala wurden nur ausgewählte Veteranen eingeladen. Ich hoffe sie genießen den Abend."

Grace kniff leicht die Augen zusammen, ich hingegen schämte mich zu Tode für diese Aussage. Als Grace keine Anstalten machte zu antworten, wandte er sich wieder mir zu. „Ich hole mir noch Champagner. Soll ich dir etwas mitbringen?"
„Nein, danke", lehnte ich ab. „Möchtest du etwas trinken?", wandte ich mich an die Soldatin, aber sie verneinte ebenfalls.

Als Colin verschwunden war, konnte ich mir einfach nicht mehr verkneifen die Augen zu verdrehen. Grace kicherte leise vor sich hin. „Sie finden ihn wohl auch nicht besonders sympathisch."
„Nicht direkt, nein. Er schleppt mich schon den ganzen Abend mit sich herum, als wäre ich eine Trophäe, die er präsentieren muss."
„Naja, Sie sind die Kronprinzessin", Grace zuckte mit den Schultern. „Es wirft ein gutes Bild auf ihn, wenn er mit Ihnen gesehen wird."
„Und das ist auch so ziemlich das Einzige was ihn interessiert", ich grinste und zwinkerte ihr zu.

„Also suchen Sie tatsächlich einen Mann?"
Ich nickte. „Ja, Colin war einer der ersten, die ich kennengelernt habe. Aber ich glaube nicht, dass ich die Verabredung noch einmal wiederholen werde."

Sobald wir unter uns waren, blühte Grace regelrecht auf und wirkte schon längst nicht mehr so schüchtern. Ganz im Gegenteil, wir unterhielten uns als wären wir schon lange Freundinnen.

Doch dann kam Colin zurück und strahlte mich an. „Wilhelmina, darf ich dich um diesen Tanz bitten?" Es passte ihm wohl so gar nicht, dass ich ihm nicht meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte.
„Ich unterhalte mich gerade mit Grace", erwiderte ich und lächelte höflich.

Sein Lächeln verrutschte und machte einem verärgerten Gesichtsausdruck Platz. „Aber wir sollten mindesten einmal tanzen. Und die Journalisten hätten noch gerne ein Interview mit uns."
„Das kann warten." Freundlich, aber bestimmt wies ich ihn ab. Auf Colins Hals bildeten sich rote Wutflecken, doch er beherrschte sich noch zu sagen, er würde später noch einmal kommen, bevor er sichtlich ärgerlich davon rauschte.

„Sie müssen sich nicht mit ihr unterhalten", murmelte Grace. „Ich möchte Sie nicht von etwas abhalten."
Ich winkte ab. „Sie halten mich höchstens davon ab den nervigsten Tanz meines Lebens zu machen. Also wo waren wir stehen geblieben?"

Grace und ich hatten uns schlussendlich mit kleinen Häppchen eingedeckt und uns das Du angeboten.
„Findest du es nicht voll ätzend, dass jeder dir dabei zuschaut wie du einen Mann suchst?"

„Ganz ehrlich? Es fühlt sich an als wäre ich ein Auktionsstück und zwanzig Bieter streiten sich darum. Aber lass uns lieber über etwas anderes reden."

Irgendwann kamen wir wieder auf ihren Einsatz zu sprechen und sie erzählte mir, wie schwer es ihr fiel sich wieder daheim einzugewöhnen.
„Aber ich dachte die Stiftung der Armentrouts soll euch dabei unterstützen?", fragte ich verwirrt nach.

„Naja..." Sie druckste eine Weile herum, bis sie sagte: „Darf ich ehrlich sein?"
„Ich bitte darum."
„Die Armentrouts schmücken sich nur mit dieser Stiftung, um ihre guten Taten zu präsentieren. Klar, sie sammeln viele Spenden und starten einige gute Projekte, aber ihre Stiftung hat einfach nicht die Wirkung, wie viele von uns es sich wünschen."

Stirnrunzelnd trank ich einen Schluck Champagner. „Und was wünscht ihr euch?"

Sie seufzte leicht. „Wenn wir von Einsätzen zurückkommen, haben wir nicht nur mit körperlichen Verletzungen zu kämpfen, sondern auch mit enormen psychischen. Das was wir da drüben erleben ist grausam, das kannst du dir nicht einmal vorstellen. Es ist schwer für uns in unser  normales Leben zurückzufinden. Viele beschreiben das, als müssten sie neu lernen, wie man einen Alltag meistert. Wir werden verfolgt von traumatischen Erlebnissen, die es uns quasi unmöglich machen  normal weiter zu leben. Hast du schon einmal diese Veteranen Unterkünfte gesehen? Zu viele Heimkehrer schaffen es nicht mehr ein normales Leben zu führen, verfallen den Drogen oder werden obdachlos. Das hat aber auch oft damit zu tun, dass sie nicht genügend Unterstützung bekommen." Dann sah sie mich ernst an, bevor sie fortfuhr. „Immer wieder wird gesagt, die Regierung, beziehungsweise das Königshaus, investieren Unmengen an Geld Rekruten auszubilden und sie in Kriegsgebiete zu schicken. Aber wenn sie zurückkommen, lässt man sie in der Gasse verrotten. Oder High-Society Mitglieder schmücken sich mit unserem Elend."

Betroffen schwieg ich. Ich konnte mich an viele Sitzungen mit Beratern und dem Parlament erinnern, während denen diskutiert wurde wie viel Geld sie für die Armee einsetzten wollten. Es waren Milliardenbeträge, aber kaum welche davon gingen an Veteranen. „Das habe ich noch nie bedacht", sagte ich leise.
„Warum auch, du warst ja auch noch nie in unsere Situation."

„Wilhelmina!" Colin kam mit einem strahlenden Lächeln zurück an den Tisch. „Ich würde gerne auf mein Angebot von vorhin zurückkommen."
Meine Güte war dieser Mann anhänglich. Am liebsten würde ich ihn wieder wegschicken, aber ich traute mich nicht. Leider konnte ich ihm zutrauen, der Presse zu zwitschern, dass ich so unhöflich war und ihn abgewiesen hatte.

Entschuldigend blickte ich Grace an. „Ich danke dir wirklich sehr für deine Ehrlichkeit und ich verspreche dir, dass ich an diesem Konzept arbeiten werde." Ich zog eine Serviette heran. „Hast du zufällig einen Stift?"
Sie verneinte, aber Emmett trat von hinten zu mir und reichte mir einen Kugelschreiber. Danken nahm ich ihn an, bevor ich meine Handynummer auf die Serviette kritzelte. „Wenn irgendetwas ist, du Hilfe brauchst, reden willst, oder was auch immer", eindringlich sah ich sie an, „dann ruf' mich an."

„Danke." Lächelnd verabschiedeten wir uns und ich umarmte sie sogar kurz, bevor ich mich mit Colin auf die Tanzfläche begab, der das offensichtlich als Triumph betrachtete. So als hätte er mich davor bewahrt die Pest zu bekommen.

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