Kapitel 3

„Wirklich Lucy, das ist doch völlig übertrieben. Autsch!" Schmerzhaft verzog ich das Gesicht, als eine der unzähligen Zofen, die um mich herum wuselten, gewaltsam einen Wachsstreifen von meinen Beinen zog und mir somit die wenige Beinbehaarung ausriss. Entschuldigend sah sie mich an.

„Tut mir leid, Eure königliche Hoheit, aber so hat es der König angeordnet."
Heute sollte ich den ersten Mann kennenlernen, knapp eine Woche nachdem ich die Neuigkeiten live im Fernsehen verkündet hatte. Gleich nach dem Frühstück hatte ich mich auf mein Zimmer begeben und jetzt wurde ich von mehreren Zofen geschrubbt, eingeölt, enthaart und poliert. Man hatte mir die Haare gewaschen, die nass in einem Turban aufgewickelt auf meinem Kopf thronten. Zwei Zofen waren gerade dabei meine Beine zu enthaaren, nachdem sie schon meine Achseln bearbeitet hatten. Eine weitere Zofe lackierte meine Fingernägel in einem schlichten Rosa. Lucy legte gerade mein Make-Up bereit und gab immer wieder Anweisungen, besonders wenn die Zofen aus der Schneiderei regelmäßig in mein Zimmer rauschten und verschiedene Kleidungsstücke brachten.

„Das ist Folter", stöhnte ich, als mir wieder schmerzhaft die Haare entrissen wurden. „Entschuldigen Sie bitte, Eure königliche  Hoheit", murmelte Jenny, die für meine Tortur an den Beinen verantwortlich war. „Schon gut Jenny. Dafür können Sie nichts."

Die Behandlung zog sich noch eine weitere ätzende Stunde lang, bis ich endlich gestriegelt und geschniegelt, nicht zu vergessen nach Vanille Lotion duftend, vor meinem Spiegel stand. Lucy schob noch einige letzte Klammern in mein Haar, die meine Hochsteckfrisur halten sollten. Ich hatte mich heute für eine schwarze Jeans und eine schwarz weiß gestreifte Bluse entschieden. Meine Füßen steckten in schwarzen High-Heels. Das Outfit war elegant, aber nicht zu übertrieben schick und eignete sich daher bestens für das bevorstehende Mittagessen.

Nachdem ich fertig gerichtet war, zogen sich alle Zofen zurück, sodass ich kurz durchatmen konnte. Ich setzte mich auf mein Sofa und zog die Bewerbermappe auf meinen Schoß. Heute würde ich Colin Armentrout kennenlernen, einen Herzog aus Südengland. Seinem Steckbrief konnte ich entnehmen, dass er zwei jüngere Schwestern hatte und sich für wohltätige Zwecke einsetzte. Aber wer tat das von den zwanzig Bewerben nicht? Sie rüsteten sich alle damit, wie viel Geld sie für wohltätige Zwecke spendeten, als würde das mein Interesse an ihnen auf irgendeine Weise steigern. Vermutlich hatten Sie in ihrem Leben sonst nichts anderes zu tun.

Es klopfte und Angie, meine PR-Managerin betrat das Zimmer. „Eure königliche Hoheit", sie knickste kurz, dann trat sie zu mir und nahm auf dem Sessel neben mir platz. Sie hielt mir ihr Tablet unter die Nase. „Ich würde mit Ihnen gerne meine Vorschläge für Ihr Instagram-Posting durchgehen." Sie klickte durch eine Reihe von Bildern mit jeweils derselben Unterschrift, die betonte wie sehr ich mich doch auf diese Treffen freuen würde und ich hoffte, den Bürgern Englands würde es genauso gehen.

Wir einigten uns auf ein Bild, dass vor zwei Tagen von mir auf meinem Balkon geschossen wurde und man im Hintergrund den blühenden Garten sehen konnte. „Sehr schön." Mit ein paar Klicks hatte Angie das Bild gepostet. „Heute Abend werden wir ein Bild mit Colin veröffentlichen. Die Presse wird ebenfalls für einige Schnappschüsse anwesend sein."
„Mein Leben auf einem Präsentierteller", seufzte ich resigniert. Von Angie bekam ich nur einen kritischen Blick, bevor sie wieder davon rauschte, vermutlich um auf dem Instagram Account meiner Schwester zu retten, was noch zu retten war.

Kurz darauf kam auch schon Emmett um mir die Hiobsbotschaft zu überbringen.
„Colin Armentrout ist angekommen und erwartet dich im Speisesaal." Widerwillig stand ich auf. „Kann mir auf dem Weg nach unten nicht ein schlimmer Unfall passieren? Ich könnte wegen meinen hohen Schuhen umknicken und die Treppe herunterfallen."
„Ich kann dich stützen, wenn du Hilfe brauchst."
„Verräter", zischte ich, was ihn zum Lachen brachte.

„Es ist nur ein Mittagessen. Das geht schneller vorbei als du blinzeln kannst. Und wenn du den armen Kerl nicht magst, musst du ihn ja nie wieder sehen."
„Werde du erst einmal zwangsverheiratet, wenn dir das ganze Volk zusieht, dann reden wir weiter."

Emmett reagierte darauf nicht mehr. Sobald wir auf dem Flur waren begann er, ganz der verantwortungsbewusste Bodyguard, eine Menge Anweisungen herunterzurattern.
„Colin wurde durchsucht, bevor er den Palast betreten hat, er sollte also keine gefährlichen Gegenstände bei sich haben. Außerdem haben alle, in Beisein eures Anwaltes, eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. Sie dürfen also nur gefilterte Informationen weitergeben. Solange du es nicht anders anordnest, werden ich und drei andere Bodyguards in unmittelbarer Nähe bleiben."
„Sollte ich also Probleme haben, seid ihr sofort vor Ort. Außerdem muss ich nichts machen, was ich nicht möchte, abgesehen davon einen Ehemann zu finden, und ich kann das Treffen jederzeit beenden, das heißt Colin darf nicht länger im Palast bleiben, als ich es erlaube", vollendete ich seine Aufzählung.

Emmett blieb stehen und sah mich mit schräg gelegtem Kopf an. Er versicherte sich, dass niemand in der Nähe war, bevor er leise zu sprechen begann. „Wilhelmina", die Art wie er sanft, fast seufzend meinen Namen aussprach, ließ mich hart schlucken. In seinen Augen konnte ich so viel lesen: der gute Wille mir zu helfen, Verständnis, so als wüsste er genau was mich beschäftigte.

Du bist die nächste Königin von England. Du hast Pflichten. Es geht nicht darum was du dir wünschst, sondern was das Beste für dein Amt und das Volk ist, schoss es mir durch den Kopf. Und Emmett hat davon keine Ahnung.
„Nein", sagte ich bestimmt. „Hör auf dich einzumischen, das geht über deinen Aufgabenbereich hinaus."
Ich wandte ihm den Rücken zu und durchquerte die Halle, bis ich vor dem Speisesaal stand.

Was bildete er sich eigentlich ein? Gerade einmal eine gute Woche war er jetzt im Palast. Er hatte also keine Ahnung von mir oder von meinem Leben, weder hatte er das Recht sich in meine Angelegenheiten einzumischen. Verdammt noch mal, er sollte einfach die Klappe halten und sich um meine Sicherheit bemühen. Emmetts Gesicht konnte ich nicht mehr sehen, aber die Enttäuschung wie ein Schwert in meinem Rücken spüren.

Colin stand am Fenster und drehte sich mit einem charmanten Lächeln zu mir um, als ich den Saal betrat. „Colin, verzeihen Sie, dass Sie warten mussten."
„Aber nicht doch, Eure königliche Hoheit", er kam auf mich zu und verbeugte sich, bevor er auf meinen Handrücken einen zarten Kuss hauchte.
„Es ist mir eine Ehre Sie persönlich kennenzulernen. Ganz zu schweigen davon, in den Palast eingeladen worden zu sein."
„Die Freude liegt ganz meinerseits. Wie man mir mitgeteilt hat, ist die Vorspeise bereits fertig, wenn wir uns also setzen wollen?" Ich deutete auf einen kleinen runden Tisch, der am Fenster stand.

Ganz der Gentleman rückte er meinen Stuhl zurecht. Kaum saßen wir, kam auch schon der Diener, um uns die leichte Vorspeise zu servieren. „Sie sehen absolut hinreißend aus, Eure königliche Hoheit."
„Vielen Dank", ich lächelte, doch es erreichte nicht so ganz meine Augen.

Colin war derjenige der das Gespräch aufrechterhielt. Die ganze Vorspeise über redete er von dem tollen Anwesen seiner Eltern auf dem er lebte, dass er häufige zum Bogenschießen ging und sein Vater eine ganz exzellente Whiskey Sammlung hätte. Beim Hauptgang wollte ich das Thema wechseln, aber ich bekam keine Möglichkeit dazu, weil er jetzt zu den Taten überging, die er in seinem kurzen Leben bereits vollbracht hatte.

„Meine Mutter organisiert immer ganz fabelhafte Spendenabende, wo die angesehensten Personen eingeladen werden und wir eine Menge Geld sammeln, dass wir an verschieden Organisationen spenden. Im letzten Monat haben wir beispielsweise ein Waisenheim im Norden unterstützt. Sie haben uns entzückende Bilder geschickt, von den Kindern die ihre Geschenke erhalten haben und von all den Reparaturen und Investitionen, die sie mit unseren Geldern tätigen konnten. In einigen Wochen findet erneut eine Spendengala statt. Diesmal für unsere Veteranen. Es wäre eine Ehre und wurde unserem Image absolut nicht schaden, wenn Sie uns mit ihrer Anwesenheit beglücken", er zwinkerte mir schelmisch zu.

„Danke für die Einladung, ich werde sehen was sich machen lässt." Ich trank einen Schluck von dem Wein, den man uns zum Hauptgang serviert hatte. Colin redete ununterbrochen nur von sich, als müsse er alle guten Taten seines Lebens vor mir darlegen, um glänzen zu können. Dass es mich eigentlich nicht interessierte, wie viel Geld er wohin spendete, schien er nicht zu merken.

„Wenn ich das richtig verstehe, haben Sie also keinen Beruf erlernt?"
Überrascht sah er mich an. „Nein, wieso sollte ich? Unsere Familie ist sehr vermögend, es ist also nicht nötig für mich zu arbeiten. Die Galen sind mir wichtig, darauf möchte ich mein Fokus legen."
„Aber ihre Spendenabende organisiert doch ihre Mutter, nicht wahr? Also tragen Sie im Grunde nichts dazu bei, sondern zeigen sich dort nur", stellte ich mit erhobener Augenbraue fest.

„Sie arbeiten doch auch nicht."
„Bitte?", ich verschluckte mich halber an dem Gemüse, das ich mir gerade in den Mund geschoben hatte.
„Sie kritisieren mich, ich würde nicht arbeiten und nur auf Feiern auftauchen, die andere organisiert haben. Aber was machen Sie schon, außer nett in die Kamera zu lächeln?"
Er meinte das scheinbar völlig ernst, was mich völlig aus der Spur brachte. Wie konnte er es wagen zu behaupten, Kronprinzessin zu sein würde sich nur darauf beschränken zu lächeln?

„Nun Colin, wenn ich Sie darauf hinweisen darf, besteht mein Amt nicht nur aus lächeln", erklärte ich betont ruhig. Wenn mir eines seit Kindheitstagen eingeredet worden war, dann dass ich niemals die Stimme erheben, noch ausfällig werden durfte.
„Ich werde seit meiner Kindheit darauf vorbereitet die nächste Königin von England zu werden. Mein Vater arbeitet mit mir Seite an Seite und gibt mir das weiter, was ich für dieses Amt brauche. Ja, ich besuche auch Galen und Institutionen, ich gebe auch Interviews, aber dahinter steckt weit mehr Arbeit als Sie sich vorstellen können. Mein Tag besteht aus jeder Menge Papierkram, Sitzungen mit den Beratern oder dem Parlament, in denen es um komplexe politische Themen geht. Sie hingegen", ich blickte ihn abschätzig an, „Sie sitzen bequem auf ihrem Ledersofa, trinken Whiskey in ihrem teuren Designeranzug und machen sich nicht einmal die Mühe die Einrichtungen zu besuchen, denen Sie Geld spenden."

Perplex sah er mich an und kurz machte ich mir sorgen, dass er sich durch meine Worte angegriffen fühlte und jede Menge schlechte Dinge über mich erzählen würde, aber er schien, als würde er nicht einmal wirklich verstehen, was ich gesagt hatte. Belanglos zuckte er mit den Schultern. „Wie dem auch sei", und dann redete er die ganze Nachspeise davon was für ein toller Bruder er doch sei und was er alles für großartige Dinge mit seinen Schwestern unternommen hatte.

„Aber als große Schwester wissen Sie ja sicherlich wie das ist."
Nein. Das wusste ich nicht. Ich hatte oft in Büchern gelesen, oder in Filmen gesehen, dass Zwillinge eine besonders enge Beziehung zu einander hatten. Olivia und ich hingegen hatten so gut wie gar keinen Draht zu einander. Wir waren grundverschieden von Anfang an. Mum hatte es immer geliebt, dass jede von uns sich zu einer eigenständigen Persönlichkeit entwickelt hatte. „Denke nicht, dass ihr beide in ein vorgegebenes Schwesternschema passen müsst", hatte Mum mir einmal gesagt. „Jede Eigenschaften von euch, seien sie auch noch so unterschiedlich, sind unglaublich wertvoll."

Als die Presse kam, um einige Bilder zu machen, strahlte er sein Zahnpastalächeln in die Kamera und schien es sichtlich zu genießen, dass er so im Rampenlicht stand. Bereitwillig beantwortete er einige Fragen, die ihm die Reporter stellten, dann gab ich Emmett ein Zeichen, die Presse nach draußen zu bringen. Nach dem Essen, entschuldigte ich mich damit, dass ich noch einiges an Arbeit zu erledigen hatte und beendete das Treffen. Ich würde keine weitere Lobeshymnen des besten Bruder der Welt und männliche Version der Mutter Theresa mehr aushalten. Colin konnte seine Enttäuschung nur schlecht verbergen. Er hatte wohl damit gerechnet noch länger im Palast bleiben zu dürfen, oder am besten gleich hier einziehen und mich heiraten können. Ich ging auf sein enttäuschtes Gesicht nicht ein, sondern brachte ihn noch höflich zur Tür und verabschiedete ihn mit einem relativ kühlen Händeschütteln.
„Es war ein sehr netter Mittag, Colin. Ich werde Sie für ein nächstes Treffen kontaktieren."
Das schien ihn wenigstens etwas aufzuheitern.

Seufzend sah ich mich in der Eingangshalle um. Emmett war nirgends zu sehen und ich bekam ihn den ganzen restlichen Tag nicht zu Gesicht. Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Es war nicht ganz fair von mir gewesen, ihn so zu behandeln. Also versuchte ich mich mit Arbeit abzulenken, was mir nur semi-gut gelang.

*****

Zu allererst möchte ich mich bei der lieben Mary_Conroy bedanken, die mir dieses wunderschöne Cover zu Verfügung gestellt hat. Ich liebe es!

Und dann möchte ich mich bei euch bedanken, die ihr mir in der vergangen Woche so viel liebes Feedback da gelassen habt! Ihr glaubt gar nicht wie glücklich ihr mich damit gemacht habt.

So und nun interessiert mich natürlich brennend wie ihr das neue Kapitel findet! Wilhelmina hat Emmett zum ersten Mal in seine Schranken gewiesen. Gerechtfertigt oder eher nicht? Und was haltet ihr von Colin?

Eine kurze Frage noch, bevor ich euch erlöse: fändet ihr Sonntag oder Montag als Update-Tag besser? Ich kann euch leider nicht versprechen immer regelmäßig veröffentlichen zu können, aber gebe mir Mühe euch nicht zu lange warten zu lassen.

Liebe Grüße x

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